Wie oben bereits geschrieben, stammen das Change-Management und die Trauerforschung aus zwei gänzlich unterschiedlichen Welten. Im Rahmen dieser Arbeit möchte ich, die Betriebswirtschaftslehre und Psychologie so verbinden, dass ein in sich stimmiges Modell entsteht, das zeigt, welchen Einfluss Trauer auf Veränderungsprozesse hat.
Das im Folgenden vorgestellte Modell ist als Forschungsmodell zu verstehen. Es bildet die Erwartungen ab, die für die organisationale Trauer und ihre Auswirkungen auf den Veränderungsprozess angenommen werden. Das Modell besitzt insofern den Stellenwert einer Hypothese, die im Forschungsprozess bestätigt oder widerlegt werden kann, ebenso wie sich herausstellen kann, dass einzelne Einflussfaktoren sich in der Empirie als gänzlich unterschiedlich zeigen, als es im Forschungsmodell angenommen wurde.
Abb 9: Modell der organisationalen Trauer
Das Modell schafft eine Verbindung zwischen dem betriebswirtschaftlichen Teil des Change-Managements und dem sozialwissenschaftlichen Teil der Trauer und erweitert diesen gleichzeitig um die soziale Komponente einer gemeinsamen und sich gegenseitig beeinflussenden Trauerreaktion.
Die Basis für die Betrachtung des Veränderungsmanagements bildet der Managementkreis, der seit Schubert (1972) in verschiedenen Variationen allgemein anerkannt ist und hier auf das Change-Management angewendet wird. Er beschreibt den Prozessfluss von der ersten Zieldefinition bis zur Endkontrolle. Für das Modell hat der Managementkreis den Vorteil, dass er gleichsam anerkannt und übersichtlich ist. Wegen dieser Übersichtlichkeit ist ihm aber auch eine vergleichsweise grobe Rasterung vorzuwerfen, so dass er für das Modell um Einflüsse ergänzt wird, die positiv oder negativ auf den Prozess und letztlich den Erfolg des Change-Managements einwirken. Diese Einflüsse sind durch gestrichelte Pfeile () und graue „+“ oder „-“ dargestellt. Ein „+“ bedeutet, dass der Faktor den Veränderungsprozess positiv unterstützt, ein „-“ bedeutet, dass er den Veränderungsprozess behindert.
Abb 10: Der Change-Prozess
Der Management-Prozess besteht aus vier Phasen:
1. Ziele definieren
2. Umsetzung planen
3. Veränderung einführen
4. Erfolg messen
Aus der Erfolgsmessung können sich weitere Veränderungen oder Nacharbeiten ergeben, die wieder zu einer neuen Zieldefinition führen, so dass der Prozess oft auch als Kreislauf dargestellt wird.
Ziele definieren
Die Fragestellung dreht sich in dieser Phase darum, was erreicht werden soll, beispielsweise, dass im nächsten Jahr 20 % Kosten eingespart werden müssen, damit das Unternehmen am Markt weiter konkurrenzfähig bleibt.
Wie bereits im Kapitel 2.1.3 Change-Management heute angerissen, führt nicht jeder Change-Prozess gleichermaßen zu kritischen Trauerreaktionen. Es gibt vielmehr auch Veränderungen, die von den Beschäftigten angeregt, gewünscht oder vorangetrieben werden. Die Art und Weise, wie das Ziel festgelegt wird, hat hierbei einen entscheidenden Einfluss darauf, ob der Veränderungsprozess von den Beschäftigten als „gut“ oder „schlecht“ angesehen wird. Sie entscheidet über die Akzeptanz des Prozesses bei den Betroffenen.
Wird das Prozessziel von der übergeordneten Führungsebene diktiert, hat dies einen negativen Einfluss auf die Akzeptanz. Ebenso ist es schlecht für den Prozess, wenn die Beschäftigten von der Notwendigkeit einer Veränderung nicht überzeugt sind und sich in der bestehenden Situation wohl fühlen oder wie Doppler und Lauterburg (2014) es ausdrücken: Eine gute Veränderung braucht einen „Leidensdruck“ bei den Betroffenen.
Entsprechend wirkt die Zielsinnhaftigkeit, also wenn die Beschäftigten den Sinn hinter der Maßnahme erkennen, positiv auf den Prozess. Dazu gehört auch eine Zieltransparenz, alle Beschäftigten müssen also das Ziel und die Hintergründe verstehen können.
Die Zieldefinition und Akzeptanz bilden eine der wesentlichen Schnittstellen zwischen dem Change-Management und der Trauer, denn der Grad der Akzeptanz beeinflusst maßgeblich, ob die Beschäftigten in der Veränderung einen „guten“ oder „schlechten“ Change sehen. Das wiederum beeinflusst die Trauer in der Degressionsphase.
Umsetzung planen
Während in der Zieldefinitionsphase das „was“ im Mittelpunkt steht, geht es in der Planungsphase um das „wie“.
Für das oben genannte Beispiel der 20 %igen Kostensenkung könnte hier also geplant werden, mit billigeren Materialien zu arbeiten, Prozessabläufe zu optimieren und einen Teil der Belegschaft zu entlassen.
Wesentliche Einflüsse in dieser Phase betreffen die Informationen. Einen negativen Einfluss auf den Prozess haben falsche Annahmen. Dies betrifft einerseits die Prozessverantwortlichen, falls sie Fehlentscheidungen aufgrund falscher Annahmen treffen, andererseits auch Betroffene, die aufgrund mangelnder Kommunikation falsche Annahmen über die Planung haben. Im Beispiel der Kostenreduktion könnten die Beschäftigten annehmen, dass die Geschäftsführung die ganze Firma schließen will, obwohl diese nur freiwerdende Stellen nicht nachbesetzen und einige wenige Kündigungen aussprechen will. Die fehlerhafte Annahme könnte zu Angstreaktionen und Trauer führen.
Da viele falsche Annahmen auf mangelnder Kommunikation beruhen, ergibt sich daraus, dass es schlecht für den Prozess ist, die Belegschaft nicht an der Planung der Veränderung zu beteiligen.
Im Gegenzug wirkt es sich positiv auf den Prozess aus, wenn die Beschäftigten einen aktuellen Informationsstand haben und Schlüsselpersonen eingebunden werden können, die als Mittler zwischen den Prozessverantwortlichen und den Betroffenen fungieren.
Wie schon die Phase der Zieldefinition, hat auch diese Phase einen erheblichen Einfluss auf die Akzeptanz der Veränderung und damit auf die Intensität, mit der sich eine Trauerreaktion in der Degressionsphase ausbildet.
Veränderung einführen
Diese Phase ist der eigentlich aktive Teil der Veränderung. Hier werden die vorher geplanten Veränderungen umgesetzt. Beispielsweise werden neue Vorgaben für Materialien oder den Produktionsprozess herausgegeben oder Kündigungen ausgesprochen.
Direkte Einflussfaktoren sind eine zügige Durchführung der Veränderung und eine gute Kommunikation, die sich positiv auf den Prozess auswirken.
Negativ hingegen wirken besonders in dieser Phase Trauerreaktionen der Beschäftigten in den Prozess ein. Trauersymptome können den Veränderungsprozess behindern. Dies können zum Beispiel vermehrte Kranktage sein, ein indirekter Widerstand gegen einen als unnütz empfundenen Wechsel der Abläufe im Produktionsprozess oder der Austritt Beschäftigter aus dem Unternehmen.
Erfolg messen
In dieser Phase wird geprüft, inwieweit der Veränderungsprozess die gesetzten Ziele erreicht hat und welche neuen Ziele sich ergeben.
Organisationale Trauer ist als eine Sonderform von Trauer zu verstehen, die den zweiten Hauptstrang des Modells beschreibt. Das Konzept lehnt sich an das weiter oben beschriebene Phasenmodell von Spiegel (1995) und Kübler-Ross (Kübler-Ross & Kessler, 2006) an, hat aber wesentliche Unterschiede zu den üblichen Trauermodellen, auf die weiter unten noch im Detail eingegangen wird. Die Darstellung erfolgt mit schwarzen Pfeilen () und schwarzen „+“ bzw. „-“, wobei ein „+“ bedeutet, dass eine stärkere Trauerreaktion ausgelöst wird, während ein negativer Faktor „-“ zu einer Verringerung der Trauer führt. Die Trauerreaktionen selbst – dargestellt durch den Blitz () – beeinträchtigen den Veränderungsprozess negativ.
Abb 11: Die Phasen der organisationalen Trauer
Grundsätzlich umfasst die Trauerreaktion fünf Phasen:
1. Erwartungsphase
2. Schockphase
3. Verhandlungsphase
4. Regressionsphase
5. Adaptionsphase.
Einer der wesentlichen Unterschiede zwischen dem Modell und den bekannten Phasenmodellen ist der Grund für die Trauer. Die im Kapitel 2.2.2 Forschungsstand in der Trauerarbeit beschriebene Forschung beschränkt sich vornehmlich auf die Trauererfahrungen nach dem Tod nahestehender Personen. Es versteht sich von selbst, dass der Tod hier einen sehr endgültigen Einschnitt darstellt, der zwar verarbeitet werden kann, in der Sache jedoch nicht änderbar ist.
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