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E-Book

Oscar Romero

Anwalt der Armen. Eine Biografie

AutorJames R. Brockman
VerlagTopos
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl439 Seiten
ISBN9783836750219
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Am 24. März 1980 brach Oscar Romero (1917-1980), der Erzbischof von San Salvador, während der Eucharistiefeier blutend zusammen. Die Schüsse seines Mörders brachten den Mann zum Verstummen, der die ganze Welt auf das Massaker am Volk El Salvadors aufmerksam gemacht hatte. James Brockmans Buch gilt als die Biografie schlechthin. Sie schildert das dramatische Leben des anfangs eher konservativen Kirchenmannes, der zum kompromisslosen Verteidiger der Armen wurde. Vom lateinamerikanischen Volk längst als ein Heiliger verehrt, wurde Bischof Romero nun von Papst Franziskus auch offiziell seliggesprochen.

James Brockmann (1926-1999) war US-amerikanischer Jesuit. Der profunde Lateinamerika-Kenner hatte intensive Begegnungen und Gespräche mit Erzbischof Romero und gilt als der kompetenteste Kenner der Person und des Lebenswerks des Märtyrer-Bischofs.

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Leseprobe

I


Der neue Lotse


Februar–Mai 1977

Am 22. Februar 1977 saßen zwei Priester aus San Salvador im Gefängnis in Guatemala City, von den Erfahrungen der vorangegangenen vier Tage noch etwas benommen. Bewaffnete Männer hatten sie einzeln ohne Vorwarnung gefangen genommen und aus El Salvador ausgewiesen – und der Polizei von Guatemala übergeben, die sie nun gefangen hielt.

Einer war Amerikaner, Bernard Survil aus der Diözese Greensburg, Pennsylvania. Seine Pfarreiangehörigen im Stadtteil Lourdes von San Salvador kannten ihn als Padre Bernardo. Am 18. Februar, als er soeben in seine Wohnung zurückgekehrt war, wurde er um ca. 19.30 Uhr von vier Männern gepackt. Sie entschuldigten sich und behaupteten, nur Befehle auszuführen; sie schleppten ihn zur Grenze und nach Guatemala.

Auf dem Weg nach Guatemala City begegnete Survil einem weiteren Priester, auch er ein Gefangener: Willibrord Denaux, Belgier aus der Diözese Brügge. Die Bewohner des Stadtteils San Antonio Abad in San Salvador, wo er fünf Jahre lang gewirkt hatte, nannten ihn Padre Guillermo. Die Denaux gefangen genommen hatten, waren unsanfter vorgegangen als jene, denen Survil in die Hände gefallen war. Sie hatten ihn nackt auf die bloßen Sprungfedern eines Bettes gebunden, wo er zwanzig Stunden lang liegenbleiben musste, ohne Nahrung, ohne Wasser, ohne auch nur auf die Toilette gehen zu dürfen. Während dieser Zeit verhandelten seine Peiniger darüber, wie sie ihn erschießen und in den Fluss Lempa werfen wollten. Gefesselt und mit verbundenen Augen hatten sie ihn nach Guatemala gebracht, und jetzt war eines seiner Augen wegen der Misshandlungen verbunden.

Beide Priester hatten ihr Geld und ihre Dokumente verloren, Denaux dazu noch seine Uhr und seinen Wagen. Die Guatemalteken hatten beide Männer als „Ausländer ohne Papiere“ ins Gefängnis geworfen, zusammen mit einem Ex-Jesuiten, Juan José Ramírez, der eine Woche zuvor aus El Salvador ausgewiesen worden war, nachdem man ihn geschlagen und mit Elektroschocks misshandelt hatte.1 Jetzt sollten die drei aus Guatemala ausgewiesen werden.

Survil und Denaux schrieben Briefe an Erzbischof Luis Chávez y González, der sich als Erzbischof von San Salvador in den Ruhestand versetzen ließ, und an den Klerus. Als sie ihre Erlebnisse beschrieben, versuchten sie zu verstehen, was mit ihnen geschehen war. „Es scheint mir“, so schrieb Survil, „dass mit aller Kraft versucht wird, die Einheit, welche Erzbischof Chávez mittels so verschiedener Talente in der Erzdiözese geschaffen hat, unmittelbar zu zerschlagen.“

Und Denaux schrieb: „Es scheint, dass für die Kirche von El Salvador der Augenblick der Prüfungen, der Wüste, gekommen ist. Aber eines Tages wird dies zum Paradies führen, in das Königreich unseres Herrn, das aus uns allen bestehen wird: das Königreich der Liebe, des Friedens, der Gerechtigkeit und des gegenseitigen Verstehens. Ich bitte den Herrn, er möge Euch die Kraft geben, diese Einheit und Zusammenarbeit mit dem neuen Erzbischof – und miteinander – zu erreichen.“2

Am Tag, da die beiden Priester ihre Briefe schrieben, wurde der neue Erzbischof von San Salvador, Oscar Arnulfo Romero, in einer einfachen Feier in der Kirche von San José de la Montaña neben dem Priesterseminar eingesetzt. Die Zeiten forderten einen nahtlosen Übergang von dem einen Erzbischof zum anderen. Auf Grund der Spannung in ganz El Salvador, besonders zwischen Kirche und Regierung, hatte man von einer feierlichen Einsetzung in der Kathedrale unter Beisein von Regierungsvertretern abgesehen.

Romero bestieg das Schiff mitten im Sturm. Nicht nur waren Survil, Denaux und Ramírez ausgewiesen worden – etwa sechs Wochen zuvor hatte die Regierung zwei jesuitische Seminaristen ausgewiesen, die um Entlassung aus dem Orden gebeten hatten und auf die Befreiung von ihren Gelübden warteten. Sie hatten mit Bauernorganisationen zusammengearbeitet. Am 29. Januar hatte die Regierung auch einen Kolumbianer, Mario Bemal, Pfarrer von Apopa, einer kleinen Stadt in der Nähe von San Salvador, verhaftet und ausgewiesen.3 Und am 13. Januar hatte ein Sprengkörper den Wagen und die Garage von Pater Alfonso Navarro zerstört und das Pfarrhaus stark beschädigt.4

Die Ausweisungen folgten auf monatelange Unruhen und zunehmende Spannungen. Die Regierung Oberst Arturo Armando Molinas hatte 1975 ein gemäßigtes Landreformgesetz verabschiedet. Es war den Landbesitzern und Geschäftsleuten, die seit Generationen über El Salvador geherrscht hatten, gelungen, diese Reform derart zu verwässern, dass sie nur schleppend vorankam. Als der Kongress 1976 das erste Reformprojekt guthieß und 150.000 Morgen Land – im Besitz von 250 Personen – unter 12.000 Bauernfamilien verteilte, wehrte sich die herrschende Klasse dagegen, was ihr ein leichtes war, da ihr die bedeutendsten Zeitungen, fast alle Rundfunk-Studios und alle Fernseh-Stationen gehörten. Zwar würde den Besitzern der rechtmäßige Marktwert ihres Landes vergütet, und diese Reform entschärfte auch die wachsenden Spannungen unter den Bauern, die sich auf unzureichenden Grundstücken oder mit Taglöhnerarbeit während der Erntezeit durchschlagen mussten; die Grundbesitzer aber klagten, dies sei der Anfang des Kommunismus. Im Oktober jenes Jahres gab Präsident Molina ihrem Begehren nach und ließ das Programm untergehen.5

Für die Bauern, welche auf die Reform hin gearbeitet hatten, war dies ein harter Rückschlag. Das Gesetz in El Salvador anerkannte keine regierungsunabhängigen Bauerngewerkschaften; trotzdem hatten die Bauern Gewerkschaften gebildet. Zwei davon waren christlichen Ursprungs; FECCAS (christliche Föderation salvadorianischer Bauern) und UTC (Feldarbeitergewerkschaft). Die Christdemokraten hatten in den sechziger Jahren die Anfänge von FECCAS unterstützt; doch die Führung hatte sich nach links treiben lassen. Die 1974 gegründete UTC hatte sich 1975 mit FECCAS vereinigt.6 Doch für die meisten ihrer bäuerlichen Mitglieder waren FECCAS und UTC keine Ideologie, sondern ganz einfach Hoffnung auf ein angemessenes Stück Land zum Leben und Bebauen. Die landbesitzende Oligarchie aber sah hinter diesen Organisationen Lenin und den leibhaftigen Teufel.

Die Erzdiözese von San Salvador, seit 1938 von Erzbischof Luis Chávez geführt, unterstützte das Recht der Bauern, sich zu organisieren und politischen Druck auszuüben. Die politische Natur dieser Organisationen verursachte der Hierarchie Unbehagen, da ihnen einige Mitglieder des Klerus angehörten; dem einen oder andern Jesuiten tat es nicht besonders leid, die zwei leidenschaftlich der Bauernsache zugetanen Seminaristen gehen zu lassen.

Es genügte, dass die Kirche bei den Bauern Ideen wie soziale Gerechtigkeit und das Recht auf organisierten Zusammenschluss befürwortete; damit brachte sie den Zorn der herrschenden Klasse über ihr Haupt und ganz speziell auf die Köpfe der Landpfarrer. Anfangs Dezember 1976 wurde Eduardo Orellana, ein Großgrundbesitzer in der Gegend von Aguilares im Norden San Salvadors, während eines Wortgefechts mit einer Gruppe von FECCAS-Mitgliedern erschossen. Meldungen zufolge war er zufällig von seinem eigenen Bruder getötet worden;7 die anwesende Polizei hatte nichts unternommen, wo sie doch sonst im allgemeinen mit Begeisterung Bauern festnimmt oder angreift, kaum dass ein Grundbesitzer sich beklagt. Von Organisationen der Geschäftsleute und Grundstücksbesitzer wurde als Tatsache in die Welt gesetzt, dass „ein bekannter Anführer“8 von FECCAS und UTC Don Eduardo, „einen gutherzigen Mann“,9 umgebracht habe. In Zeitungsannoncen bestanden sie darauf, dass „Horden“ der FECCAS und UTC die Hacienda Orellanas angegriffen hätten, von „einheimischen und ausländischen Dritte-Welt-Priestern ständig zur Verletzung nicht nur des Gesetzes, sondern auch grundlegender Prinzipien des Christentums aufgewiegelt“.10 (Die Bezeichnung „Dritte-Welt-Priester“, ein Lieblingswort der Oligarchie, scheint von einer Priestergruppe in Argentinien herzurühren, die sich „Priester für die Dritte Welt“ nannte.) Gemäß Zeitungsannoncen predigten diese Priester Hass, Umsturz und Klassenkampf.11

Die Zeitungskampagne griff die schwachen Punkte der Kirche und der genannten Organisationen an, indem sie hervorhob, dass einige der Priester (wie die Hälfte des salvadorianischen Klerus) Ausländer waren und dass FECCAS und UTC keinen rechtlichen Status hatten. Während der größte Teil der Welt über diesen Mangel an rechtlichem Schutz für Arbeiter erröten würde, bestärkte dies die salvadorianische Oligarchie lediglich in ihrer Überzeugung, dass die betreffenden Organisationen umstürzlerischen Tätigkeiten nachgingen.12 Außerdem scheuten sich die Oligarchen nicht, die Leserschaft auf Artikel 157 der salvadorianischen Verfassung aufmerksam zu machen:

Klerus und Laien ist es untersagt, in...

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