Eine Reise durch den Osten Kanadas
Erlebnisreich und geschichtsträchtig
Eine Reise durch den Osten Kanadas
In den endlosen Weiten Nordamerikas liegt das zweitgrößte Land der Erde, das mit fast 36 Millionen Einwohnern eher spärlich besiedelt ist. An den östlichen Rand des Kontinents, gleichermaßen in den Wellen des Atlantiks auslaufend, schmiegt sich Ost-Kanada – wer denkt da nicht gleich an rotbraune Ahornbäume, einsame Wälder, pittoreske Fischerdörfer, rotgekleidete, berittene Polizisten und reichlich Eis und Schnee?
Beim Anflug auf Toronto sieht man nichts, was dieser Erwartung entspricht, sondern nur endlose Häuserfluchten und vielspurige Autobahnen, die sich wie die Asphaltarme einer US-amerikanischen Mega-City ausstrecken. Bei einem Blick vom Aussichtsdeck des CN Tower in 447 Metern Höhe auf die größten Hochhäuser des Landes wird deutlich, dass die ultramoderne Metropole Toronto eine wichtige Facette des heutigen Kanada ist: ein quirliges Businesszentrum, das den USA im wirtschaftlichen Konkurrenzkampf ebenbürtig ist.
Die Skyline von Toronto mit CN Tower und Rogers Centre
Idylle in Nova Scotia: Holzsägemühle bei Sherbrooke
De facto ist Kanada bilingual: frankophon in Québec und in Teilen von New Brunswick und anglophon im restlichen Gebiet, abgesehen von den zahlreichen Sprachen der Ureinwohner. »Echte« Zweisprachigkeit gibt es außer in New Brunswick kaum, die zweite Sprache wird meist eher mäßig beherrscht.
Weiter im Nordosten, am St.-Lorenz-Strom, sind fast ebenso viele Einwohner in der lebhaften frankophonen Millionenstadt Montréal zu Hause, die sich genauso endlos ausbreitet wie Toronto, in der das Leben aber in einem ganz anderen Rhythmus und in einer anderen Atmosphäre verläuft. Eine französisch geprägte Stadt, weltgewandt und charmant, eine Stadt, die das französische Lebensgefühl, die joie de vivre, auch Fremden gegenüber auslebt. Touristischer Magnet ist Vieux-Montréal, die malerische Altstadt mit vielen originalen Häusern aus dem 18. und 19. Jahrhundert, die den Bauboom der Moderne relativ unbeschadet überstanden hat. Tagsüber wie auch abends treffen sich Montréaler und Touristen in den Kneipen, Kinos und Restaurants des historischen Stadtzentrums.
Ihren ureigenen, unverwechselbaren Charme versprüht auch Québec, die Grande Dame unter den ost-kanadischen Städten und Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, die schon seit der großen Zeit der Eisenbahnen eine Reise wert ist. Vielen gilt Vieux-Québec als schönste Altstadt Nordamerikas. Und zu guter Letzt ist da im äußersten Osten Ontarios die kanadische Hauptstadt Ottawa, die zunehmend attraktiv und nicht nur im Regierungsviertel einnehmend britisch wirkt und darüber hinaus zahlreiche hochinteressante Museen vorweisen kann.
Zweifelsohne verleihen die vier großen Metropolen mit ihren unterschiedlichen Gesichtern Ost-Kanada seinen besonderen Reiz. Aber zwei Sprachen? Zwei Kulturen? Wie passt das in die Vorstellung einer homogenen Nation? Unter dem Dach »Kanada« fanden einst zwei große europäische Kulturen ein Zuhause, die nie so recht zusammenkommen mochten und noch immer durch die Sprachbarriere getrennt sind.
Junger Elch im Algonquin Provincial Park
Von Ost-Kanadas 24,3 Millionen Einwohnern leben 13,6 Millionen in Ontario und 8,2 Millionen in der Provinz Québec, konzentriert auf wenige Zentren entlang dem St.-Lorenz-Strom bzw. den Großen Seen. Seit vielen Jahrzehnten stagniert die Gesamtbevölkerung der vier Atlantikprovinzen New Brunswick, Nova Scotia, Prince Edward Island und Newfoundland unterhalb von 2,4 Millionen Einwohnern.
In einem Land von diesen Ausmaßen spielt ein gut ausgebautes Verkehrsnetz eine wichtige Rolle. Von Newfoundland ausgehend zieht sich der Trans-Canada Highway wie eine Ader durch das gesamte Land; er windet sich durch alle Ostprovinzen, bevor er sich schließlich in den Prärien des Westens verliert.
In Kanada kann jedermann wie zur Zeit der Pioniere und »voyageurs« reißende Flüsse bezwingen, über einsame Seen in die Strahlen der Abendsonne hineinpaddeln, Lachse angeln, auf unbewohnten Inseln, wo vielleicht nie zuvor eines Menschen Fuß gestanden hat, übernachten – Elche, Bären und großartige Szenerien inklusive.
Wo sich die Bevölkerung so ungleichmäßig verteilt, bleiben natürlich viele Freiräume. Abseits des Stadttrubels schlagen am sturmumtosten Rand des Kontinents die Wellen des rauen Nordatlantiks an einsame, lang gestreckte Sandstrände und gewaltige Klippen. Das menschenleere Landesinnere durchziehen oft weite Felder und riesige, seenreiche Wälder, in denen sich Bär und Elch »Gute Nacht« sagen. Praktisch unbewohnt ist der Norden von Québec und Ontario, nicht einmal Straßen führen dorthin, was dem Bild vom unberührten Kanada durchaus seine Berechtigung gibt.
Sozusagen im Mittelfeld zwischen Zivilisation und Wildnis bewegt sich der vorliegende Reiseführer. In vielerlei Hinsicht präsentiert er den kanadischen Osten als weitgehend unbekannte, etwas vergessene, aber interessante und vielfältige Urlaubsregion: mit weiten Flusslandschaften am St.-Lorenz-Strom, einer einzigartigen Küstenstraße auf Cape Breton Island, kleinen akadischen Dörfern in New Brunswick, Abertausenden von Seevögeln, die auf unzugänglichen Felsklippen an sturmumtosten Küsten nisten, bunten Fischerbooten in den vielen, teils abgelegenen Dörfern von Québec über Prince Edward Island bis hin nach Newfoundland – und überall mit freundlichen, hilfsbereiten Menschen. Jede der kleinen Städte und jedes der Dörfer, durch die die Reise führt, hat einen eigenen Charakter und besonderen Charme – mal französisch wie Gaspé, mal britisch wie Niagara-on-the-Lake.
»Atlantic Canada«: die bunten Häuser von Peggy’s Cove in Nova Scotia
Von jeher lebt die Stadt Gaspé in der Provinz Québec vom Meer und von den Fischfangflotten. Seit vielen Jahrhunderten wacht dort die massive Kathedrale inmitten des gewachsenen, historischen Ortskerns über die katholische Tradition. Stolz sind die frankokanadischen Bewohner darauf, ihre Sprache und Kultur auch in der Gegenwart zu behaupten. Man trifft sich zum Café au lait, mit einem freundlichen »Au revoir« verabschiedet man sich – ja, auch die Reisenden versprechen ein Wiedersehen.
Ob Québec auch in Zukunft Teil Kanadas bleiben wird – eigentlich will und kann das niemand so genau sagen. Aber es scheint hier (wie auch landesweit) wichtigere Probleme zu geben, beispielsweise die Überfischung des Ozeans, durch die viele Arbeitsplätze und Existenzen ganzer Familien bedroht sind.
Ganz anders wirkt das von seiner britischen Vergangenheit geprägte Niagara-on-the-Lake, das 1791–96 die erste Hauptstadt von Ontario, dem damaligen Upper Canada, war. Es gibt eine anglikanische Kirche und ein altes britisches Fort, Theaterfestivals erinnern an den großen Schriftsteller George Bernard Shaw, und das Royal George Theatre an der Queen Street ist nach dem englischen König George III. benannt.
Auch tiefer im Land machen sich heute noch die Einflüsse europäischer Einwanderer bemerkbar, die von Anfang an die Gesichter der Regionen prägten, in denen sie sich niederließen. Blickt man auf das von deutschstämmigen Mennoniten aus Pennsylvania gegründete Städtchen St. Jacobs in Ontario, sieht man die glaubensstrengen Old-Order-Mennoniten, die aufgrund ihrer Ablehnung der modernen (motorisierten) Welt noch immer kleine, unscheinbare Pferdewagen kutschieren. Wenn des Sonntags Touristen die Hauptstraße von St. Jacobs bevölkern, auf der Mennoniten, in gedeckten Farben gekleidet, zur Kirche fahren, dann vibrieren die kulturellen Gegensätze, die Kanada ausmachen.
Schottische Traditionen prägen die Region um St. Ann’s auf Cape Breton Island. Aus den unwirtlichen schottischen Highlands wanderten die Vorfahren der heutigen Bewohner nach Amerika aus, genauer in die nach ihrer Heimat benannte Provinz Nova Scotia. Dort leben sie nun auf einer winzigen gälischen Sprachinsel, die als ein weiterer Baustein das Mosaik Kanada vervollständigt.
Aktivitäten unter freiem Himmel und die Begegnung mit der weiten Natur sind für den Europäer ein entscheidender Reiseanreiz. Wo der menschliche Einfluss unentwegt in die Wildnis vordringt, bleibt die Natur nicht ungestört. Auch ein riesiges Land wie Kanada kann davor nicht die Augen verschließen und muss Areale vor dem menschlichen Landhunger durch die Einrichtung zahlreicher, zum Teil riesiger Naturschutzgebiete retten. Zu den Juwelen des kanadischen Nationalparksystems im Osten gehört der Gros Morne National Park in Newfoundland. Eine Wanderung auf das Gipfelplateau des Gros Morne oder eine Bootstour auf dem Western Brook Pond wird mit unvergesslichen Landschaftseindrücken belohnt. Mit einer ungewöhnlich schönen Panoramastraße und zerklüfteten Küsten zu beiden Seiten des Hochlands von Nova Scotia beeindruckt der Cape Breton Highlands National Park, während die Küste des Fundy National Park in New Brunswick mit extremen Gezeitenunterschieden lockt. Rote Strände begrenzen den Prince Edward Island National Park, glasklares Wasser und weiße Kalksteinklippen sind die Attraktionen des Bruce Peninsula National Park in Ontario.
Niemand sollte sich eine Kanutour entgehen lassen: Kanufahren als traditionelle Fortbewegungsart der Indianer und Pelzhändler ist heute eine der schönsten und populärsten Freizeitbeschäftigungen überhaupt. Wie ein Pionier auf...