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E-Book

Paarprobleme und Paartherapie

Theorien, Methoden, Forschung - ein integratives Lehrbuch

AutorChristian Roesler
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl343 Seiten
ISBN9783170297777
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Eine weitgehend konstante Scheidungsrate von fast 50 % in Deutschland lässt erkennen: Paarprobleme sind ein aktuelles Thema und der Bedarf an effektiven Methoden der Paartherapie ist hoch. Dieses integrative, richtungsübergreifende Lehrbuch gibt einen umfassenden Überblick über derzeitige Erklärungsansätze, Präventions- und Therapiemöglichkeiten sowie deren Wirksamkeit. Grundlegende Einsichten zum Thema Beziehungen aus Geschichte, Sozialwissenschaften, Therapieforschung, Biologie und Neurowissenschaften werden mit neuen Erkenntnissen zur Emotionsregulation und Paarinteraktion verknüpft. Basierend auf aktuellen Forschungsergebnissen wird ein innovatives Modell zeitgemäßer Paartherapie vorgestellt, das im deutschsprachigen Raum bislang einzigartig ist. Zusätzlich werden einige, noch wenig bekannte Konzepte aufgezeigt.

Prof. Dr. Christian Roesler, Dipl.-Psych., Psychologischer Psychotherapeut, lehrt Klinische Psychologie an der Katholischen Hochschule Freiburg i. Br. sowie Analytische Psychologie an der Universität Basel. Er ist darüber hinaus Dozent an den C.G. Jung-Instituten Zürich und Stuttgart sowie Lehranalytiker am Aus- und Weiterbildungsinstitut für Psychoanalytische und Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie am Universitätsklinikum Freiburg (DGPT).

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Leseprobe

Einleitung


 

 

 

Allein schon die hohe Scheidungsrate von mittlerweile fast 50%, die auch weiter ansteigt, macht deutlich, dass die Belastung von Paarbeziehungen mit Beziehungsproblemen erheblich ist und ein hoher Bedarf an Paartherapie besteht. Mittlerweile ist auch wissenschaftlich gut abgesichert, dass die Folgen von Trennung/Scheidung nicht nur für die davon betroffenen Kinder, sondern auch für die beteiligten Partner, selbst für diejenigen, die die Trennung initiieren, mit erheblichen Schäden verbunden sind (geschätzte ökonomische Schäden für die Gesamtgesellschaft: 4–28 Milliarden € pro Jahr, stärkere Inanspruchnahme des Gesundheitssystems, drastische Reduktion des gesundheitlichen und psychischen Wohlbefindens, sowohl kurzfristige Belastungen als auch langfristige Schädigungen der Beziehungsfähigkeit bei den betroffenen Kindern, soziale Vererbung des Scheidungsrisikos usw.). Ähnliches gilt auch für anhaltende ungelöste Paarkonflikte, die nicht zur Trennung der Partner führen. Demgegenüber zeigen aktuelle Studien, dass bei jungen Menschen eine verbindliche langdauernde Paarbeziehung für die allermeisten nach wie vor zu den wichtigsten Werten im Leben zählt. Die Sehnsucht nach stabilen und erfüllenden Paarbeziehungen ist auch heute noch ungemindert – die Rhetorik von der »Versingelung« der Gesellschaft oder dem Zerfall tragfähiger Bindungen ist durch die Datenlage nicht gestützt. Dies wird im ersten Teil des Buches in einem umfassenden Überblick über die historische Entwicklung der Konzepte und Modelle von Liebes- bzw. Paarbeziehungen aufgezeigt sowie einer Zusammenfassung des Forschungsstandes in den Sozialwissenschaften, welche Modelle, Leitbilder und Wertvorstellungen in Bezug auf Paarbeziehungen heute verbreitet sind und welche Faktoren sich als förderlich bzw. schädlich für den Verlauf von Paarbeziehungen erwiesen haben. Zugleich wächst aber auch bei vielen Paaren die Erkenntnis, dass es notwendig und hilfreich ist, sich bei Beziehungsproblemen fachliche Hilfe in Form von Paartherapie zu holen oder sich gar in präventiven Angeboten Beziehungskompetenzen anzueignen. Versorgungsstrukturen mit Paartherapie haben sich im Beratungsbereich etabliert, im deutschen Gesundheitswesen aber – etwas zugespitzt formuliert – existiert die Paarbeziehung bislang nicht, auch präventive Angebote sind keineswegs flächendeckend vorhanden. Daher auch fristet die wissenschaftliche Behandlung von Beziehungsstörungen und Paartherapie in Deutschland nach wie vor ein Nischendasein. International aber hat sich die Paartherapie in verschiedenen Feldern methodisch enorm weiterentwickelt.

Das Buch ist als ein integratives Lehrbuch konzipiert, das einen umfassenden, die wesentlichen theoretischen Schulen übergreifenden Überblick über aktuelle Ansätze der theoretischen Erklärung, Prävention und Therapie von Paarproblemen und Beziehungsstörungen geben will. Bisherige Publikationen sind in der Regel schulenspezifisch orientiert; so gibt es Lehrbücher für »Systemische Paartherapie«, »Verhaltenstherapie mit Paaren« usw. Dies spiegelt aber die letztlich etwas rückständige deutschsprachige Therapielandschaft im Bereich Paartherapie wider, während die internationale Entwicklung sich mittlerweile von der Orientierung an einer einzigen Schule weitgehend entfernt hat und in zahlreichen Fachpublikationen schon seit über einem Jahrzehnt verstärkt integrative Ansätze in der Paartherapie gefordert werden. Diese Debatte um integrative Ansätze (»Common Factors«) spiegelt sich in der deutschsprachigen Fachkommunikation kaum wider. Aktuelle Versuche, integrative Modelle oder Konzepte der Paartherapie vorzulegen, finden darüber hinaus häufig nur in additiver Form statt. Damit ist gemeint, dass Methoden und Interventionskonzepte aus unterschiedlichen Ansätzen aneinandergefügt werden, ohne ein verbindendes theoretisches Modell im Hintergrund zu formulieren, das eine Logik der Veränderungsprozesse in Paarbeziehungen berücksichtigen würde. Hier wird auch häufig eine Metaphorik von Reparatur und Werkzeugen für die Paartherapie verwendet, die ich für unangebracht und letztlich irreführend halte. Die Metapher der Reparatur von Paarbeziehungen würde ja implizieren, dass es eine Normalform richtigen Funktionierens von Paarbeziehungen gäbe, dass diese gestört oder beschädigt werden kann, und dass diese vor allem dann letztlich in der Werkstatt Paartherapie nur wieder repariert werden muss. Aus dieser Sichtweise folgt dann, dass man die Werkzeuge (»Tools«) je nach Bedarf oder persönlicher Präferenz aus den unterschiedlichen therapeutischen Schulen miteinander kombinieren kann. Was dabei häufig völlig fehlt, ist ein kohärentes und auf wissenschaftlichen Erkenntnissen aufbauendes Modell davon, was eine Paarbeziehung zwischen zwei Menschen überhaupt ist, was ihre Bedingungen und die darin entstehenden Probleme sein können sowie was es tatsächlich braucht, um hier therapeutische Veränderung herbeizuführen. Die angesprochene Sichtweise würde einen mechanistischen Blick auf menschliche Beziehungen einnehmen und meiner Ansicht nach deren Komplexität verfehlen. Auch wird dabei übersehen, dass solche additiven Modelle die Gefahr bergen, dass inkonsistente oder gar widersprüchliche Ansätze kombiniert werden, wobei manche Autoren betonen, dass hierdurch nicht nur nicht geholfen, sondern auch Schaden angerichtet werden kann (Snyder et al. 2012). Das hier vorliegende Buch zielt auch darauf ab, genau diese in vielen Ansätzen vorfindbare mangelhafte wissenschaftliche Fundierung zu liefern und zu einem kohärenten Modell davon, was Paarbeziehungen sind, welche Bedingungen sie haben, wie es hier zu Störungen kommen kann, und wie dies dann therapeutisch sinnvoll veränderbar ist, zu integrieren.

International sehr verbreitete und in der empirischen Forschung auch bestens evaluierte Ansätze wie z. B. die Emotionsfokussierte Paartherapie, akzeptanzorientierte Ansätze oder neuere psychoanalytische Paartherapiemodelle sind im deutschen Sprachraum bislang kaum bekannt. Hier wird ein Überblick auch über neueste, wissenschaftlich gut bestätigte Paartherapieansätze gegeben, um diese dann schließlich in ein integratives Modell der therapeutischen Arbeit mit Paaren zu fassen. Paartherapie, so zeigt die aktuelle wissenschaftliche Literatur insbesondere im angelsächsischen Bereich, kann heute nur dann erfolgreich sein, wenn sie Methoden und theoretische Konzepte aus unterschiedlichen Therapieschulen in sinnvoller Weise integriert. Dabei stützen sich aktuelle wirksame Paartherapiemethoden auf neuere Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften, der Interaktionsforschung, der Bindungsforschung und andere, die, wie ich hier versuche zu zeigen, sich zu einem kohärenten Modell davon, was eine Paarbeziehung ist und wie sie sich entwickelt, integriert werden können. Diese neueren Paartherapieformen erweisen sich den im deutschsprachigen Raum etablierten Verfahren in der Wirksamkeitsforschung als eindeutig überlegen. Demgegenüber haben hier sehr verbreitete Therapieansätze wie systemische Paartherapie oder Kommunikationstrainings eine überraschend geringe Wirksamkeit, wobei weniger als die Hälfte der behandelten Paare von der Therapie profitieren, was auch bei vielen Praktikern wenig bekannt ist.

Es lässt sich mit guten Gründen argumentieren, dass Menschen zu langdauernden monogamen Paarbeziehungen angelegt sind, nicht nur um bei dem Heranwachsen der Nachkommen zu kooperieren, sondern weil beim Menschen die Emotionsregulation grundsätzlich dyadisch angelegt ist und daher alle Menschen lebenslang auf die Verfügbarkeit emotionaler Sicherheit in nahen zwischenmenschlichen Beziehungen angewiesen sind. Dies lässt sich mit anthropologischen und biologischen Erkenntnissen (z. B. zur Rolle des Hormons Oxytocin in Paarbeziehungen und bei der Sexualität) ebenso schlüssig erklären wie mit neueren Erkenntnissen aus der affektiven Neurowissenschaft, der Forschung zu Paarinteraktion und der Bindungsforschung. Es wird im Folgenden versucht, diese Erkenntnisse umfassend darzustellen und anhand eines integrativen Ansatzes zu erklären; schließlich wird ein integratives Modell des paartherapeutischen Vorgehens vorgestellt, das auf diesen Erkenntnissen aufbaut.

Vorab einige Klärungen:


Zur Forschung: In verschiedenen Publikationen zu Paartherapie werden immer wieder wissenschaftliche Untersuchungen zitiert. Dabei ist zu beachten, dass große Unterschiede in der Qualität empirischer Studien und ihrer Aussagekraft bestehen. In dem hier vorliegenden Band bemühe ich mich, mich auf empirische Studien von hoher Güte zu beziehen, die in der wissenschaftlichen Community entsprechendes Ansehen genießen und häufig zitiert werden. Bei der Darstellung von Ergebnissen und Schlussfolgerungen im Sinne theoretischer Konzepte aus dem Bereich der...

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