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E-Book

Paartherapie bei sexuellen Störungen

Das Hamburger Modell - Konzept und Technik

AutorMargret Hauch
VerlagGeorg Thieme Verlag KG
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl232 Seiten
ISBN9783132413856
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis65,99 EUR
Therapie sexueller Störungen Das vorliegende Buch vermittelt das paartherapeutische Konzept 'Hamburger Modell'. Sie erfahren, wie Sie in Form einer manualisierten Behandlung bei Paaren mit sexuellen Funktionsstörungen vorgehen können. Alle Methoden können Sie ebenso in der Arbeit mit Einzelnen anwenden. Darüber hinaus lernen Sie Grundlegendes zum Thema Sexualität und zur Vielfalt sexueller Probleme im gesellschaftlichen Kontext. So ist dieses praxisnahe Buch unerlässlich, wenn Sie PatientInnen mit sexuellen Problemen verstehen und therapieren möchten. Jederzeit zugreifen: Der Inhalt des Buches steht Ihnen ohne weitere Kosten digital in der Wissensplattform eRef zur Verfügung (Zugangscode im Buch). Mit der kostenlosen eRef App haben Sie zahlreiche Inhalte auch offline immer griffbereit.

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Leseprobe

1 Wer (wird) behandelt?


1.1 Heterosexualitäten und sozialer Wandel


M. Hauch

1.1.1 Kontextbedingungen


Frauen und Männer erleben sexuelle Begegnungen bekanntlich nicht „an sich“, in einer Art Vakuum, sondern in einem spezifischen gesellschaftlich-kulturellen Kontext, der ständigen Wandlungen unterworfen ist. Die Kontextrelation gilt auch für sexuelle Probleme und sexualtherapeutische Behandlungen. Dieses allgemeingültige Faktum wird hier insofern akzentuiert, als das Thema Sexualität seit Mitte des 20. Jahrhunderts zunehmend in den Medien aufgegriffen und ausgebreitet wurde – im Sinne der Marcuse‘schen These von der repressiven Entsublimierung. In der Folge fanden teilweise recht fragwürdige Sexualbilder und -normen weite Verbreitung.

Darüber hinaus hat es in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten massive gesellschaftliche Veränderungen im Hinblick auf die soziale Organisation von Sexualität, Partnerschaft und Familie gegeben (vgl. z.B. ▶ [165]). Das bildet sich z.B. in den ständig gestiegenen Scheidungsziffern ab, in der Zunahme von Single-Haushalten und Alleinerziehenden sowie der vermehrten Berufstätigkeit von Frauen, die mit neuen Akzentuierungen im herrschenden „Geschlechterarrangement“ ▶ [50] verbunden ist (vgl. z.B. ▶ [102], ▶ [196]).

„Die Paarbeziehung hat […] ‚ihren Charakter‘ eines selbstverständlichen und damit ‚natürlichen‘ Lebenszieles […] verloren. Es geht […] um eine dauernde Bewegung zwischen individuellem Wachstum und Identitätsfindung als persönlichem, fortschreitendem Differenzierungsprozess auf der einen Seite und Angst reduzierender Sicherheit in der Synchronizität der Zweisamkeit auf der anderen Seite. Keine dieser Bewegungen kann angehalten werden.“ (Berner 2001, S. 320/21)

1.1.2 Gewandelte Auffassungen


Zu bedenken ist auch die fortschreitende Auflösung restriktiver Sexualmoral in vielen Bereichen und ihre Ersetzung durch eine Verhandlungsmoral ▶ [158] bzw. durch einen Menschenrechtsdiskurs ▶ [92], wie er vor allem von vielen weltweit agierenden Fraueninitiativen zu den Problemen sexueller Gewalt und Diskriminierung, Prostitution und Menschenhandel initiiert wurde. Bemerkenswert ist auch die zunehmende Wahrnehmung und Thematisierung weiblicher Perversionen ▶ [16], ▶ [37], ▶ [90], ▶ [195], und die größer werdende Toleranz gegenüber vielfältigen sexuellen Orientierungen und Arrangements. Volkmar Sigusch spricht in diesem Zusammenhang von „Neosexualitäten“ ▶ [174].

Im Rahmen dieser Entwicklungen werden auch die traditionellen Konzepte dichotomer Zweigeschlechtlichkeit zunehmend in Frage gestellt ▶ [17], ▶ [19], und in Verbindung damit oder auch parallel dazu Heterosexualität als gleichsam natürlich vorgegebene Norm gelungener erwachsener Sexualität (z.B. ▶ [36]). Schmidt warf sogar die Frage auf, inwieweit die „Monosexualität“, d.h. die mehr oder weniger eindeutige Orientierung auf das gleiche Geschlecht (Homosexualität), auf das andere Geschlecht (Heterosexualität) oder auf beide Geschlechter (Bisexualität), als Orientierungsfaktor an Bedeutung verliert ▶ [162].

All das hat jedoch bisher wenig daran geändert, dass die Mehrzahl der (hetero)sexuellen Kontakte im Rahmen von Zweierbeziehungen stattfinden, wie Untersuchungen an nichtklinischen Stichproben zeigen. In einer am Institut für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf durchgeführten Untersuchung, bei der insgesamt 776 Frauen und Männer befragt wurden ▶ [165], stellten Singles zwar 23% der Befragten, auf sie entfielen aber in dem vierwöchigen Befragungszeitraum nur 5% aller „Sexualakte“.

1.2 Welche Paare zu uns kommen


M. Hauch und R. A. Kleber

1.2.1 Veränderungen der Klientel


Die PatientInnen(2), die bei uns um professionelle Hilfe nachsuchen, sind weiterhin überwiegend heterosexuelle Frauen und Männer, die unter sexuellen Problemen in ihrer derzeitigen Partnerschaft leiden. Die Struktur der Klientel hat sich aber deutlich verändert. Sehr viel mehr Paare als in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts leben in nichtehelichen Lebensgemeinschaften, teils mit, teils ohne Kinder. Paare, die eine feste Beziehung haben, aber getrennt wohnen (Living-apart-together- oder LAT-Beziehungen), sind in unserer Klientel immer noch selten ▶ [165]. Deutlich geändert hat sich das Durchschnittsalter der Paare. Während in den 1970er-Jahren die Mehrzahl der Frauen und Männer zwischen Mitte 20 und Ende 30 Jahre alt war, sind heute Paare, bei denen eine/r oder auch beide über 60 sind, keine Seltenheit mehr. Der Altersrange liegt mehrheitlich zwischen Anfang 30 und Mitte 50. Heute haben fast alle Frauen eine abgeschlossene Berufsausbildung und sind meist auch berufstätig, zumindest bis sie im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft und nach der Geburt von Kindern die Erwerbstätigkeit in vielen Fällen einschränken oder aussetzen. Dies in aller Regel jedoch mit der Perspektive der Rückkehr in die Berufstätigkeit, sobald die Kinder größer sind.

Die Initiative zur Behandlung geht inzwischen deutlich häufiger von den Frauen aus. Die Frauen, die zu uns kommen, haben vergleichbar viel und teilweise mehr Erfahrungen mit anderen SexualpartnerInnen als die Männer und sehr viel häufiger Erfahrungen mit Masturbation als in den 70er-Jahren (vgl. z.B. ▶ [124]).

1.2.2 Mehr Vorbehandlungen


Anders als zu Beginn unserer Arbeit vor vier Jahrzehnten haben die PatientInnen oft eine Reihe von Vorbehandlungen hinter sich, und zwar sowohl somatische als auch psychotherapeutische: Eine Reihe von Paaren kommt beispielsweise nach reproduktionsmedizinischer Behandlung, und zwar keineswegs nur nach erfolgloser, so wie es auch den Fallvignetten ▶ 6 und ▶ 10 und sowie im Kapitel ▶ Probleme mit der Lust deutlich wird.

Frauen, die über sexuelle Probleme klagen, haben oft eine lange Vorgeschichte mehr oder weniger erfolgloser gynäkologischer Behandlungen hinter sich, z.B. im Zusammenhang mit rezidivierenden Pilzinfektionen oder Blasenentzündungen. Bei vaginistischer Problematik kommt es bedauerlicherweise immer noch vor, dass PatientInnen von erfolglosen ärztlichen Eingriffen berichten, die das Ziel hatten, die Scheide mechanisch oder chirurgisch zu weiten – aus unserer Sicht ein Kunstfehler, oft mit traumatisierenden Folgen.

Bei den männlichen Patienten, die über Erektionsstörungen klagen, haben inzwischen viele – und dieser Trend nimmt zu – eine Behandlung mit Viagra und/oder seinen Konkurrenzprodukten hinter sich gebracht, waren damit aber aus den unterschiedlichsten Gründen nicht zufrieden, sodass sie bei uns um Behandlung nachsuchten ▶ [25], ▶ [75]. Beispiele dafür sind die Fallvignetten ▶ 1, ▶ 3 und ▶ 9.

Viel mehr PatientInnen haben heute Erfahrungen mit psychotherapeutischer Behandlung, teils langfristig, teils mehrfach, sei es einzeln oder als Paar, sei es im Hinblick auf die sexuelle Symptomatik oder wegen anderer psychischer oder psychosomatischer Probleme.

1.2.3 Demographische Zusammensetzung


Es ist erfreulicherweise immer noch so, dass wir PatientInnen aus den unterschiedlichsten sozialen Schichten mit unserem paartherapeutischen Konzept erreichen, auch solche, die sonst oft durch die Raster psychotherapeutischer Angebote fallen.

1.2.4 Fallvignetten


Wir möchten zunächst eine Reihe von Fallvignetten vorstellen, um einen plastischen Eindruck davon zu geben, welche Frauen und Männer sich an uns wenden. Alle im Folgenden beschriebenen Paare sind im Verlauf der letzten Jahre mit dem hier vorgestellten Konzept psychotherapeutisch behandelt worden.

Fallbeispiele

Paar 1: Herr und Frau B., beide 44 Jahre alt, er ist Einsatzleiter bei der Feuerwehr, sie Hausfrau. Sie sind seit acht Jahren verheiratet, kennen sich seit neun Jahren und haben einen 4-jährigen Sohn. Im ersten Jahr ihrer Bekanntschaft hatten sie Petting und vermieden den Geschlechtsverkehr. Der erste Geschlechtsverkehr fand auf ihrer Hochzeitsreise statt, der letzte vor drei Jahren, ...

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