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Pädagogische Psychologie - Diagnostik, Evaluation und Beratung

AutorBirgit Spinath, Roland Brünken
VerlagHogrefe Verlag GmbH & Co. KG
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl332 Seiten
ISBN9783844422221
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis26,99 EUR
Das Lehrbuch behandelt zentrale Anwendungsfelder der Pädagogischen Psychologie -pädagogisch-psychologische Diagnostik, Evaluation von Lehre sowie pädagogisch-psychologische Beratung. Einleitend werden Grundlagen und Methoden behandelt, wie Skalenniveaus und verschiedene Arten von Bezugsnormen. Die weiteren Kapitel betrachten typische Anwendungsfelder individueller Diagnostik, wie Hochbegabung, Lese-Rechtschreibschwäche und ADHS. Neben Begriffsbestimmungen und theoretischen Konzepten werden jeweils Möglichkeiten des diagnostischen Vorgehens und der Förderung beschrieben. Weitere Fragestellungen im Bereich der psychologisch-pädagogischen Diagnostik betreffen Entscheidungen entlang der Schullaufbahn, die in den anschließenden Kapiteln thematisiert werden. Dazu gehören Fragen zu Schuleintritt und beim Grundschulübergang, die Diagnose spezifischer Förderbedarfe, aber auch der schulischen Leistungsbeurteilung. Als Beispiele pädagogisch-psychologischer Systemdiagnostik werden Evaluationen in Schule und Hochschule sowie deren Folgen behandelt. Den Abschluss bildet ein Überblick über pädagogische-psychologische Handlungsfelder, bei denen Diagnostik, Evaluation und Beratung zentrale Rollen einnehmen.

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Leseprobe

|11|Kapitel 1
Einleitung


|12|1.1 Einführung


In diesem Band der zweibändigen Einführung in die Pädagogische Psychologie geht es um Fragen der pädagogisch-psychologischen Diagnostik, Beratung und Evaluation. Damit in Zusammenhang stehen einerseits methodische Fragen des Wie, andererseits Fragen des Wann, also Fragen nach spezifischen Anlässen für Diagnostik, Beratung und Evaluation. Dabei stehen naturgemäß solche Anlässe im Vordergrund, die mit pädagogisch-psychologischen Beratungs- und Entscheidungsanlässen in Zusammenhang stehen, insbesondere mit solchen schulischer Bildungsfragen. Die dabei verwendeten Methoden und Verfahren sind jedoch in der Regel nicht auf schulische Anwendungen beschränkt, sondern finden in gleicher oder ähnlicher Form auch in anderen Kontexten Verwendung. Dennoch werden wir hier weitgehend auf den schulischen Bereich fokussieren, da er einerseits pars pro toto für pädagogisch-psychologische Diagnostik, Beratung und Evaluation steht, andererseits derzeit von besonderem wissenschaftlichen und praktischen Interesse ist, was nicht zuletzt anhand der anhaltenden Debatte um die Reform unseres schulischen Bildungssystems sichtbar ist (Spinath et al., 2012; vgl. auch Kap. 9, 10).

Im Rahmen dieser anhaltenden bildungswissenschaftlichen und bildungspolitischen Debatte nimmt die Pädagogische Psychologie eine Schlüsselstellung ein, liefert sie doch wesentliche Methoden der empirischen Analyse von Ergebnissen von Bildungsprozessen (Klieme & Leutner, 2006). Für viele Pädagogische Psychologen stellt denn auch der Kontext der Bildungsforschung ein attraktives und zunehmend bedeutsames Arbeitsfeld dar, sei es in der Wissenschaft oder der Praxis in Bildungsadministration oder schulpsychologischen Diensten (vgl. auch Kap. 12).

Die enge Verbindung der Pädagogischen Psychologie mit Fragen der schulischen Bildung ist dabei keineswegs neu, sondern stellt – wie Krapp, Prenzel und Weidenmann (2006) betonen – ein konstituierendes Element des Faches dar. So weisen sie darauf hin, dass die Einrichtung der ersten Lehrstühle für Psychologie an deutschen Universitäten zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit der universitären Lehrerbildung verknüpft war (vgl. auch Kap. 1 im Band Pädagogische Psychologie – Lernen und Lehren; Brünken & Spinath, in Vorb.) – einen dieser Lehrstühle hatte der Gründervater der Psychologie, Wilhelm Wundt (1832 – 1920), in Leipzig inne. Ebenso zeigen sie die enge |13|Verbindung des Faches zur Nachbardisziplin der (empirischen) Erziehungswissenschaft auf. Die Pädagogische Psychologie war also von Anfang an mit praktischen Fragen der Gestaltung erfolgreicher Lern- und Bildungsprozesse und ihrer Rahmenbedingungen befasst.

Mit dieser „Brückenfunktion“ (Krapp, Prenzel & Weidenmann, 2006) der Pädagogischen Psychologie zwischen psychologischer Grundlagenforschung und pädagogischer Praxis verbunden ist ein Perspektivendualismus, der das Fach von Anfang an prägte und der bis heute kennzeichnend ist (übrigens auch für die Aufteilung dieses Einführungsbuches in zwei Bände). Wallach (2013) sieht diesen methodischen Dualismus bereits bei Wilhelm Wundt angelegt:

So haben wir also bereits bei Wundt die grundlegende methodische Dichotomie vorliegen, die die heutige Psychologie auch in ihrer empirischen Ausprägung durchzieht: nämlich die Gliederung in experimentelle empirische Vorgehensweisen, bei denen ein Eingriff des Forschers handlungs- und erkenntnisleitend für die Erfahrung wird, und die rezeptive, nicht-experimentelle Empirie der Beobachtung im Feld, bei der der Forscher das, was er in natürlicher Weise vorfindet, erfahrungsgemäß zur Kenntnis nimmt und analysiert. (S. 209)

Für die Pädagogische Psychologie besonders prägnant hat diesen Dualismus Lee J. Cronbach (1916 – 2001) in seiner presidential address der American Psychological Association (APA) im Jahr 1957 formuliert (Cronbach, 1957), in der er von „the two disciplines of scientific psychology“ (so der Titel des Vortrags) spricht. Cronbach unterscheidet hier prototypisch zwei Arten psychologischer Forscher, den „experimenter“ und den „correlator“. Beide Forscher betrachten ihren Gegenstandsbereich dabei aus ganz unterschiedlichen Perspektiven:

While the experimenter is interested only in the variation he himself creates, the correlator finds his interest in the already existing variation between individuals, social groups and species. (Cronbach, 1957, S. 671)

Diese unterschiedliche Sichtweise hat nun – so Cronbach – bedeutsame Folgen für die Art des wissenschaftlichen Arbeitens und den Umgang mit unabhängigen Variablen:

Individual differences have been an annoyance rather than a challenge to the experimenter. His goal is to control behaviour, and variation within treatments is proof that he has not succeeded. Individual variation is cast |14|into the outer darkness known as „error variance“. … Just as individual variation is a source of embarrassment to the experimenter, so treatment variation attenuates the results of the correlator. His goal is to predict variation within a treatment. His experimental design demands uniform treatment for every case contributing to a correlation, and treatment variance means only error variance to him. (Cronbach, 1957, S. 674)

Innerhalb der Pädagogischen Psychologie (zu der auch Lee Cronbach gehörte) fallen nun in Bezug auf viele der dort adressierten Forschungsfragen beide Perspektiven zusammen. Aus einer allgemeinpsychologischen Perspektive interessiert sie sich – wie alle anderen psychologischen Teildisziplinen auch – für die Aufdeckung genereller Prinzipien und Wirkmechanismen in Hinblick auf psychologisch relevante Aspekte pädagogischer Handlungsfelder. Hierzu gehören beispielsweise viele Fragestellungen pädagogisch-psychologischer Lehr-, Lern- und Trainingsforschung. In diesem Feld überwiegt auch eher ein allgemeinpsychologischer „Experimenter“-Ansatz. Aus differenzieller Perspektive stellt sich für die Pädagogische Psychologie aber auch in besonderer Weise die Frage nach dem Zusammenhang zwischen individuellen Voraussetzungen und pädagogisch-psychologischen Interventionen. Hier geht es – jenseits eines allgemeinpsychologischen One-size-fits-all-Modells – sowohl um Fragen spezieller, pädagogisch relevanter Bedarfe, etwa bei Personen mit besonderen Begabungen oder zum Ausgleich spezifischer Defizite, als auch um die Aufdeckung differenzieller Zusammenhänge zwischen instruktionalen Angeboten und individuellen Nutzungsbedingungen.

Dieser Fragestellung liegt eine in der Pädagogischen Psychologie weit verbreitete „Passungshypothese“ zugrunde. Danach sind instruktionale Unterstützungsangebote (wie Erklärungen, Unterricht oder Trainings) nur insoweit wirksam, wie die dafür notwendigen Voraussetzungen beim Lernenden gegeben sind. Diese Passungshypothese ist in verschiedensten Formulierungen in der Pädagogische Psychologie explizit oder implizit zu finden, ihre vielleicht prominenteste Ausformulierung stellt Wygotskys Zone der proximalen Entwicklung (Wygotsky, 1978) dar, worunter der Bereich zwischen dem gegenwärtigen Entwicklungsstand des Kindes und dem Entwicklungsstand, den es durch Unterstützung erreichen könnte, verstanden wird. Lew Wygotsky (1896 – 1934) war ein Entwicklungspsychologe aus der damaligen UdSSR, der sich insbesondere mit soziokulturellen Einflüssen auf die kognitive Entwicklung, und dabei speziell mit der Bedeutung von Sprache und Kommunikation, befasst hat. Aufgrund |15|politischer Umstände (Wygotskys Schriften wurden in den 1930er Jahren in der damaligen UdSSR verboten) wurden seine Schriften erst spät in der westlich geprägten Psychologie bekannt und rezipiert. In den 1990er Jahren erfuhren seine Arbeiten eine gewisse Renaissance im Rahmen der sogenannten Konstruktivismusdebatte (Anderson, Reder & Simon, 1996; Greeno, 1997; vgl. Kap. 3 im Band Pädagogische Psychologie – Lernen und Lehren; Brünken & Spinath, in Vorb.). Heute gilt Wygotsky als einer der Väter der pädagogisch einflussreichen soziokonstruktivistischen Lerntheorien (O’Donnell, 2012). Dieses Konzept hat weiten Anklang gefunden und gehört – wenn auch oft etwas trivialisiert – zu den weit verbreiteten pädagogischen Passungskonzepten im Umgang mit heterogenen Lernvoraussetzungen. Ähnliche, entwicklungspsychologisch vor allem in der Tradition der Piaget’schen Theorie kognitiver Entwicklung (vgl. Pinquart, Schwarzer & Zimmermann, 2011) begründete...

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