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Palliativversorgung sterbender Kinder. Fallbeispiele zu Erfahrungen und Erwartungen der Eltern

AutorKatja Burkhardt
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl64 Seiten
ISBN9783656676355
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis23,99 EUR
Akademische Arbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Gesundheit - Pflegewissenschaft - Sonstiges, Note: 1,0, Universität Bremen, Sprache: Deutsch, Abstract: Aufgrund aktueller Entwicklungen im Gesundheits- und Sozialsystem der Bundesrepublik Deutschland vollziehen sich unterschiedliche Wandlungen in der Versorgung gesunder, kranker, pflegebedürftiger und auch sterbender Menschen. Viele sterbende oder schwerstkranke Menschen fühlen sich nicht nach ihren Wünschen versorgt, obwohl die sogenannte Palliativversorgung in Deutschland in den letzten Jahren an Relevanz und Interesse gewonnen hat. Das Ziel dieser Arbeit ist es, anhand von Fallbeispielen zu ermitteln, aufgrund welcher Erwartungen und Erfahrungen welche Hilfsangebote der ambulanten Versorgung, unter spezieller Berücksichtigung der Pflege von Angehörigen/Eltern sterbender Kinder als wirksam, hilfreich und sinnvoll wahrgenommen werden, so dass auch Aussagen zur NutzerInnenzufriedenheit abgeleitet werden können. Daraus können zum einen bestehende Versorgungsbedarfe aus der Sicht der NutzerInnen analysiert und reflektiert und zum anderen Pflegende ihr berufliches Handeln als professionelles Handeln besser begründen sowie umsetzen, wenn sie wissen, welche Erwartungen von NutzerInnen an ihre Dienstleistungen gestellt werden.

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Leseprobe

3. Die fallimmanente Auswertung: Die Fallportraits


 

Zwei Elterinitiativen und ein Verein für trauernde Eltern lehnten eine Mitarbeit ab und baten um Verständnis für diese Entscheidung. Der Vorsitzenden des anderen Vereins hatte dagegen großes Interesse an der geplanten Arbeit, hatte aber keine verwaisten Eltern in ihren Gruppen, die den Kriterien entsprachen. Die AnsprechpartnerInnen des Kinderhospizes und zweier Elterninitiativen sagten ihre Mithilfe zu. Es gestaltete sich derart, dass die AnsprechpartnerInnen direkt Kontakt zu Familien aufnahmen, von denen sie sich vorstellen konnten an einer Mitwirkung interessiert zu sein, den aufgestellten Kriterien entsprachen. Alle angesprochenen Eltern stimmten einem Interview zu, so dass in erneutem Kontakt Telefonnummern übermittelt wurden um den ersten Kontakt herzustellen, sich vorzustellen und einen Termin zu vereinbaren.

 

Diese primär indirekte Kontaktaufnahme erwies sich als ausgesprochen geeignet für diesen doch sehr sensiblen Forschungsbereich. Somit konnten zum einen Eltern erreicht werden, die sich nicht mehr im sehr akuten Trauerprozess befinden und zum anderen konnten sie im Gespräch mit einer ihnen vertrauten Person ungezwungen entscheiden, ob sie sich die Mitwirkung an einem Interview wirklich vorstellen können.

 

Für die Datenerhebung haben sich Kontakte zu acht Personen ergeben, die großes Interesse zeigten und sich zu ausführlichen Interviews bereit erklärten. Alle sechs Interviews wurden auf Audiocassetten aufgenommen, wobei drei Interviews transkribiert und als so genannte Fallportraits aufbereitet wurden. Die weiteren drei Interviews wurden lediglich protokolliert und mit den Aspekten, die sich in den Fallportraits als relevant erwiesen, überprüft, um eventuelle Lücken in der Analyse zu schließen.

 

Die GesprächspartnerInnen sind zwischen 39 und 42 Jahren alt, die Kinder zum Zeitpunkt ihres Todes zwischen einem und Jahre alt. Die Kinder hatten unterschiedliche (potentiell) zum Tode führende Erkrankungen und wurden über einen kürzeren oder längeren Zeitraum, mit Unterstützung eines ambulanten (Kinder )Krankenpflegedienstes, zu Hause betreut.

 

Die Fallportraits dienen dazu ein komprimiertes Bild zum Fallverständnis zu vermitteln und die wichtigsten Aspekte des Falles und dessen Verlauf wiederzugeben. In der Falldiskussion werden die Aussagen der InterviewpartnerInnen analysiert, synthetisiert und reflektiert. Zum besseren Verständnis sind die Falldiskussionen der jeweiligen Interviews nach den relevanten Unterpunkten, die sich aus der Codierung und Kategorisierung sowie der Fragestellung ergeben, strukturiert. Abschließend folgt jeweils ein kurzes Fazit, das die fallbezogene Nutzerperspektive aus der Außensicht zusammenfasst.

 

Die in der Grounded Theory typischen Memos werden in dieser Arbeit als Strukturhilfe genutzt, um der Kategorieentwicklung besser folgen zu können. Aus diesem Grunde folgt nach jedem Fallportrait sowie der Darstellung und Analyse der Protokolle jeweils ein Memo, wobei diese als theoretische Notizen und Zusammenfassung im Forschungsprozess konzipiert sind.

 

Der Interviewleitfaden hat sich bewährt. Viele der darin aufgeführten Inhalte sind ohne konkrete Nachfragen in die Interviews eingebracht worden. Er hat sich als gute Strukturhilfe in der Gesprächsführung erwiesen und wesentliche Aspekte zum Themenkomplex aufgeworfen.

 

3.1 Fallportrait 1 (F1): Frau und Herr B.


 

Frau B. ist 42 Jahre und Herr B. 34 Jahre alt und sie sind verheiratet. Er arbeitet vollzeit, sie stundenweise. Frau B. hat aus vorheriger Beziehung drei Söhne mitgebracht, von denen einer erwachsen und zwei jugendlich sind. Zudem haben sie einen gemeinsamen Sohn von vier Jahren, die gemeinsame Tochter ist 2004 im Alter von vier Jahren gestorben. Sie leben mit ihrer so genannten Patchwork Familie in einem kleinen Dorf.

 

3.1.1 Fallverlauf


 

Ende 2003, kurz vor ihrem dritten Geburtstag, wird bei der Tochter T. von Frau und Herrn B. ein Hirntumor diagnostiziert. Nach anfänglich gutem Chemotherapieverlauf und gutem Befinden des Kindes verschlechtert sich ihr Zustand zusehends, da der Tumor trotz Behandlung an Größe zunahm. Vor diesem Hintergrund entscheiden sich die Eltern auf weitere Chemotherapie und Bestrahlung zu verzichten. Danach ist es T. möglich bis wenige Wochen vor ihrem Tod in einen heilpädagogischen Kindergarten zu gehen, was ihr großen Spaß bereitet und ein fast normales Leben ermöglicht hat.

 

Aufgrund der Entscheidung ihr sterbendes Kind zu Hause pflegen zu wollen, wird durch eine, auch ambulant arbeitende, Kinderkrankenpflegende der bis dato betreuenden Kinderklinik die häusliche Betreuung geplant und Hilfsmittel organisiert. So wird der Kontakt zu einem ambulanten, auf onkologisch erkrankte Kinder spezialisierten, Kinderkrankenpflegedienst hergestellt.

 

Die Familie beschließt den Anbieter zu wechseln, da sich die Versorgung durch den Kinderkrankenpflegedienst nicht nach ihren Vorstellungen gestaltet. Der folgende Krankenpflegedienst ist nicht speziell auf Kinder ausgerichtet, was Familie B. akzeptiert, weil sich aufgrund der ländlichen Wohnumgebung kein anderer Kinderkrankenpflegedienst in Reichweite befindet. Aufgrund unterschiedlicher Erfahrungen entscheidet sich Familie B. anschließend die Betreuung des Kindes zukünftig alleine zu übernehmen.

 

Zuvor erfolgt, aufgrund einer unzureichenden Ernährungssituation, ein Aufenthalt im Kinderhospiz, wo eine künstliche Ernährung begonnen und die Eltern entsprechend angeleitet werden sollen. Aufgrund der zunehmenden Gesundheitsverschlechterung des Kindes bleibt Familie B. im Hospiz, wo T. wenig später stirbt.

 

Die gesammelten Erfahrungen der Familie mit der ambulanten Pflege über den gesamten Verlauf werden in folgenden Aussagen deutlich:

 

„Ja, auf jeden Fall kamen die (der ambulante Kinderkrankenpflegedienst, K.B.) dann und das war eben so das Schlimmste, was eigentlich an dieser ganzen Krankheit gewesen ist“ (F1: 95 97).

 

3.1.2 Falldiskussion


 

a) Belastungen

 

Die Belastungen der Eltern gehen aus dem Interview in vielfältiger Weise hervor. Sie werden in vielen Aspekten sehr deutlich.

 

Sorge, Leid, Trauer

 

Besonders deutlich werden die Belastungen der Mutter darin, dass sie in steter Sorge sowohl um T. als auch um die anderen Kinder ist, wie diese die Situation bewältigen. Leiden diese durch die häufigen und regelmäßigen Krankenhausaufenthalte anfangs stark unter der Abwesenheit der Mutter und Schwester (F1: 403ff, 438ff), ist ihr Alltag seit der häuslichen Betreuung durch die tägliche Ungewissheit geprägt, ob sie ihre Schwester möglicherweise das letzte Mal lebend gesehen haben:

 

„Auch die Zeit, das ist schon, obwohl die Kinder, wie mir die Lehrer sagten, die sind jeden Tag aus dem Bus gestiegen und wussten nicht, lebt sie noch oder lebt sie nicht“ (F1: 509 511)

 

 „Man hat es auch gesehen, wie die Türen aufgingen, es wurde so ganz vorsichtig, so hmm, erst mal Stimmung abpeilen, erst mal gucken was los ist oder wie es geht und so“ (F1: 511 514).

 

Seit Diagnosestellung ist die Situation der gesamten Familie durch die Ungewissheit geprägt, ob T. „heute, morgen oder in zehn Jahren“ (F1: 12; 465 466) sterben würde: „das konnte eben keiner sagen“ (F.2a: 466). Dazu gehören auch aufkeimende Hoffnung auf eine mögliche Heilung (F1: F1: 16 19) und die schlussendliche Gewissheit, dass ihr Kind sterben wird. Mit dem Wissen um den nahen Tod ihrer Tochter kommt belastend hinzu, dass ihr Kind wahrscheinlich ganz plötzlich sterben wird:

 

 na gut, die haben immer gesagt, sie fällt einfach um“ (F1: 74)

 

 dann wurde halt extra immer gesagt, die hört auf zu atmen und ist dann einfach weg“ (F1: 76 77).

 

Für alle Familienmitglieder ist der Gedanke, dass T. sterben wird, längere Zeit irreal, da es ihr im Grunde gut geht:

 

„Sie war halt ein quietschvergnügtes Kind mit einem acht Zentimeter großen Tumor im Kopf. Es war einem selber so unvorstellbar“ (F1: 1031 1032).

 

T. lebt ein fast normales Leben, „sie hatte eben einfach nur diesen Makel, dass sie eben bald sterben muss. Das war das einzige“ (F1: 1443 1444). Als sehr belastend wird allerdings erlebt, dass T. dieses normale Leben verwehrt werden sollte, da es von einige der anderen Eltern als unzumutbar für ihre Kinder betrachteten, falls T. während der Betreuungszeit stürbe (F1: 1377ff; 1388ff).

 

Die relative Gewissheit um den plötzlichen, nicht vorhersehbaren Tod prägt den Alltag der ganzen Familie. Frau B. schildert dies eindrucksvoll:

 

„Das war dann halt schon, man ging halt duschen und wusste nicht, lebt sie noch,...

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