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E-Book

Papier

Wie eine chinesische Erfindung die Welt revolutionierte

AutorAlexander Monro
VerlagC. Bertelsmann
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl544 Seiten
ISBN9783641148089
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Die faszinierende Kulturgeschichte des Papiers
Ob Bibel, Gemälde, Kaffeebecher, Toilettenpapier, Pamphlet oder Bestseller, sie alle wären ohne Papier nicht denkbar. Seit vor ungefähr 2000 Jahren im China der Han-Dynastie die Erfolgsstory des Papiers begann, wurde es zum herausragenden Übermittler für Wissen, Ideen und Information - billig, leicht zu transportieren, für jeden erreichbar. Doch geht diese einzigartige Geschichte der Verbreitung von Gedanken, Überzeugungen und Erkenntnissen mit der Digitalisierung zu Ende? Ist das Zeitalter des Papiers vorbei? Alexander Monro folgt den Spuren des Papiers von Asien nach Europa, wo es erst im 13. Jahrhundert ankommt und die Basis schafft für Aufklärung, Veränderung, Bildung. Milliarden Leser halten heute bedrucktes Papier in der Hand, und in vielen Regionen der Erde ist es immer noch das machtvollste Informationsmedium, trotz Radio, Fernsehen, und digitalen Medien.

Alexander Monro lebte in Beijing and Shanghai als Student und Journalist, studierte Mandarin und chinesische Politik in Cambridge, war Korrespondent bei Reuters und arbeitet als Chinaexperte bei einer Beratungsgesellschaft in London.

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Leseprobe

2

Alpha und Omega

Die Seiten sind noch leer, doch da ist dieses wundervolle Gefühl, dass die Wörter schon da sind, geschrieben mit unsichtbarer Tinte, und danach verlangen, sichtbar gemacht zu werden.

VLADIMIR NABOKOV,
»The Art of Literature and Commonsense«6

Erst durch Beschreiben wurde Papier zu Papier. Im Rückblick auf zwei Jahrtausende erkennt man, dass seine Frühgeschichte, bevor es zum Medium des geschriebenen Wortes wurde, nur das Präludium zu einer wesentlich bedeutenderen Entwicklung gewesen war. Aus dem späten 2. Jahrhundert v. d. Z. haben chinesische Verpackungspapiere aus Hanf überlebt – eine Spur, die zum Zeitalter des unbeschriebenen Papiers zurückführt. Aus dem frühen 2. Jahrhundert v. d. Z. blieb eine Landkarte erhalten (sie wurde in Fangmatan, rund zweihundert Meilen westlich der alten chinesischen Hauptstadt Chang’an, dem heutigen Xi’an, entdeckt), die einen ersten Hinweis auf die Vielfalt der Rollen liefert, welche das Papier künftig spielen sollte. Beschriftete Papiere fanden sich zwar bereits aus dem späten 1. Jahrhundert v. d. Z., doch solche Funde sind außerordentlich selten und das Papier für gewöhnlich nur in winzigen Fragmenten erhalten.

Marco Polos Bericht zufolge hatten Chinesen Papier nicht nur für Drachen (»Papiervögel«) oder zur Signalisierung von militärischen Positionen verwendet, sondern auch als Fensterscheiben und zu Dekorationszwecken, bevor es schließlich zu den ersten konzertierten Versuchen gekommen war, diesen Stoff auch für das Wort einzusetzen. Selbst unbeschrieben hätte dem Papier demnach eine erfolgreiche, wenn auch unspektakuläre Laufbahn bevorgestanden. Im Rückblick auf diese holprigen Anfänge geht es uns wie Nabokov an seinem Schreibtisch: Angesichts der leeren Seite haben wir bereits dieses wundervolle Gefühl, dass die Wörter schon da sind und nur sichtbar gemacht werden müssen. Das Beschreiben von Papier war also nicht der ursprüngliche Grund für seine Erfindung gewesen, sondern ein Ereignis, das irgendwann in seiner Frühgeschichte stattgefunden hat und zum Auslöser für seine einzigartig transformative und weltumspannende spätere Rolle wurde. Der Akt des Schreibens selbst ist eine der seltsamsten und genialsten Erfindungen der Menschheit, denn allein ihr verdanken wir unsere Möglichkeit, das Allerflüchtigste bewahren zu können – das Wort.

Es sind Wörter, in die wir unsere Ideen und Erfahrungen verpacken und mit denen wir sie einander vermitteln. Als Kommunikationswerkzeuge sind sie natürlich mangelhaft – »weil die menschliche Sprache«, schrieb Gustave Flaubert, »wie ein gesprungener Kessel ist, auf dem wir Melodien trommeln, als gälte es, Bären tanzen zu lassen, während wir doch die Sterne rühren wollten«.7 Und doch sind diese stumpfen Werkzeuge nach wie vor die wendigsten, die uns zur Verfügung stehen. Wörter sind noch immer das Medium unserer Kommunikation. Sie retten unsere Gedanken und Erfahrungen vor dem schnellen Vergehen und erhalten unsere Geschichte länger am Leben.

Dennoch ist die größte Schwäche von Wörtern nicht ihre Ungenauigkeit, sondern ihre Sterblichkeit. Wörter verhauchen oft ebenso schnell wie der Atem, der sie ausgestoßen hat. Das Leben einiger Wörter endet bereits nach wenigen Jahrzehnten, andere werden über Generationen hinweg weitergegeben, wenngleich nie, ohne dabei ihre Gestalt zu verändern. Der unkontrollierte Prozess einer mündlichen Weitergabe ist, als spielten ganze Völker stille Post.

Doch als Wörter vor fünftausend Jahren eine physische Form als geritzte oder gemeißelte Kerben anzunehmen begannen, änderte sich alles. Plötzlich war es denkbar, dass sie Jahre, Jahrzehnte, ja, sogar Jahrhunderte überleben könnten. Und das taten sie, sogar bis in Zeiten hinein, in denen sich niemand mehr an ihre ursprünglichen Bedeutungen erinnerte.

Das Schreiben auf Oberflächen begann im mesopotamischen Sumer (heute Südirak), dem Prototypen sesshaft gewordener Zivilisationen. Dort machten die Menschen erstmals ausgiebig Gebrauch vom Rad, dort bewässerten und pflügten sie Felder und dort wurde auch der architektonische Bogen erfunden. Vor achttausend Jahren waren die »Schwarzköpfe«, wie sich die Sumerer selbst nannten, auf ungeklärten Wegen in diese Region eingewandert (ihre Herkunft ist nach wie vor umstritten), ließen sich nieder und erbauten Städte, darunter das berühmte Uruk, wo sie im 4. Jahrtausend v. d. Z. mit Kerben ihre wörtliche Rede zu bewahren begannen.

Selbst die Felszeichnung eines Bisons und Jägers kann eine Geschichte erzählen, und auch solche Geschichten blieben uns erhalten, sogar aus Zeiten, die mehr als dreißigtausend Jahre zurückliegen. Doch erst als sich das Volk von Sumer in der Sesshaftigkeit vergrößerte, mussten sich seine Herrscher etwas einfallen lassen, um Eigentumsverhältnisse, Handelsabschlüsse, Tempelkosten und dergleichen protokollieren zu können. Somit war es die Komplexität der sumerischen Gesellschaft, die zur Erfindung von Kerben und von diesen dann weiter zu Piktogrammen nicht nur von konkreten Objekten führte, sondern auch von etwas so Abstraktem wie den hörbaren Lauten beim Aussprechen ihrer Bezeichnungen. Peu à peu fügten die Sumerer Adjektive, Verben und Konjugationsformen hinzu, bis sie schließlich bei einer aufkeimenden Schrift angelangt waren. Diese phonetische Genesis von einer Nachahmung der Gestalt hin zum abstrakten Lautzeichen wird als Rebus-Prinzip bezeichnet, das es zum Beispiel ermöglicht, die Darstellung eines Auges generell für den Laut »i« zu verwenden, unabhängig von der jeweiligen inhaltlichen Bedeutung des Wortes. Diese entscheidende Verknüpfung kann man nicht später als ca. 3400 v. d. Z. gemacht haben, vermutlich ebenfalls in der bedeutenden sumerischen Stadt Uruk. Der Streit um die Frage, wie sich »Schreiben« definieren lässt, ist allerdings bis heute nicht beigelegt. Die einen betrachten bereits die ersten Kerben als »Schrift«, andere meinen, dass Zeichen erst dann als die Bestandteile einer Schrift bezeichnet werden könnten, wenn sie auch in irgendeiner Form Laute (Phoneme) darstellten. Doch dass der Wechsel zu einer phonetischen Form eine bahnbrechende Erfindung in der Kommunikationsgeschichte war, dürfte wohl niemand bezweifeln.8

Die Erfindung der Schrift bedeutete nun aber natürlich nicht, dass plötzlich ein jeder schreiben konnte. Sumerische Schreiber drückten mithilfe eines Flachgriffels Kerben in eine weiche Ton- oder Lehmtafel – jene waagrechten, senkrechten und schrägen »Keile«, denen die sumerische Schrift ihren Namen verdankt. Sie sieht aus wie eine rechtwinklige Aneinanderreihung von Golf-Tees, obwohl sie sich doch aus der stilisierten Abbildung von realen Dingen und Gestalten wie zum Beispiel der Form eines Kopfes entwickelt hat.

Abb. 3: Die Entwicklung des sumerischen Keilschriftzeichens sag (Kopf) zwischen Anfang des 3. und Anfang des 2. Jahrtausends v. d. Z.

© Alexander Monro

Tontafeln waren schwer und üblicherweise rechtwinklig, hatten manchmal aber auch die Form eines abgerundeten Quadrats oder eines sechs- bis achteckigen Prismas mit Text auf beiden Seiten. Manche waren kleiner als eine Kreditkarte, sodass man sie leicht mit sich führen konnte, und wurden üblicherweise für Quittungen verwendet, etwa beim Ankauf eines Schafes oder eines Feldes oder als Belege für Steuerzahlungen. Aus dem 21. Jahrhundert v. d. Z. hat die Quittung für die Lieferung eines Lamms überlebt (heute im British Museum), die knapp 2,5 × 3 Zentimeter misst und 28 Gramm wiegt.

Für die Niederschrift von Gedichten oder Geschichten waren natürlich weit größere Tafeln nötig. Wer historische Ereignisse oder politische Strategien festhalten sollte, der verwendete meist 12 Millimeter dicke und rund 30 × 45 Zentimeter große – also fast doppelt so lange wie ein DIN-A4-Blatt. Als Schreiboberflächen waren Ton oder Lehm wenigstens einigermaßen haltbar: Sobald er getrocknet war, war auch der Text gehärtet. Aber Tontafeln ließen sich ihrer Größe, ihres Gewichts und ihrer Zerbrechlichkeit wegen nicht gut transportieren. Außerdem waren zwar gewiss die Kosten für winzige Quittungstafeln erschwinglich, aber kaum jemand, der nicht dem Hof oder der Elite angehörte, dürfte sich den Besitz bedeutender Texte geleistet haben können.

Auch wenn das Gros der Sumerer den Nutzen ihrer Erfindung also nicht voll ausschöpfen konnte, hatte sich dieses Volk damit doch eine faszinierende Technik erdacht. Schreiben veränderte die Art und Weise, wie wir regiert werden, wie wir kommunizieren, uns Geschichten erzählen, uns wichtiger Begebenheiten erinnern, Verlässlichkeit herstellen, unsere Arbeitsleistung nachweisen, uns selbst ausdrücken und innerhalb einer Gesellschaft die Gemeinsamkeiten verschiedener Gruppen entdecken. Für die ersten Kulturen, die über das geschriebene Wort verfügten, war die Erfindung oder Entdeckung des Schreibens sogar etwas derart Magisches gewesen, dass sie dafür nach einer ebenso göttlichen Erklärung suchten wie für die Jahreszeiten, das landwirtschaftliche Wachsen und Gedeihen, die menschliche Fortpflanzung und die Sonne. Unzählige Kulturen zwischen Skandinavien, Ägypten und China widmeten sich der Aufgabe, dieses Wunder zu erklären.

In der nordischen Mythologie galt die Schreibfähigkeit als eine vom Göttervater Odin verliehene Gabe: Odin hatte die Runen ersonnen, als er für die Menschheit ein Opfer brachte, indem er sich neun Tage und Nächte lang vom Weltenbaum hängen ließ. W. H. Auden übertrug die »Hávamál, des Hohen Lied«...

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