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Paris. Eine Stadt in Biographien

MERIAN porträts

AutorMarina Bohlmann-Modersohn
VerlagMerian / Holiday, ein Imprint von GRÄFE UND UNZER Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783834215345
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Paris. Eine Stadt in Biographien - Eine Stadt wird nicht nur von Gebäuden und Straßenzügen geprägt, die Identität von Paris entsteht erst mit den Geschichten seiner Bewohner. Denn was wäre die Stadt ohne Louis XIV., Victor Hugo oder Coco Chanel? 20 ausgewählte Biographien zeichnen ein lebendiges, historisches wie auch aktuelles Bild der Stadt. Die Porträts werden durch Adressen ergänzt, die eine Stadterkundung auf den Spuren der porträtierten Personen ermöglichen. Dieser Band umfasst Porträts von: Abélard & Héloïse, Henri IV, Louis XIV, Voltaire, Marie Antoinette, Napoléon, Honoré de Balzac, Victor Hugo, Claude Monet, Auguste Rodin, Auguste Escoffier, Marie Curie, Sidonie-Gabrielle Colette, Pablo Picasso, Coco Chanel, Jean-Paul Sartre & Simone de Beauvoir, Edith Piaf, Boris Vian, Francois Truffaut und Yves Saint Laurent. Autorin: Marina Bohlmann-Modersohn

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Leseprobe
ABÉLARD
10791142
HÉLOÏSE
10951162

Eine der großen tragischen Romanzen des Mittelalters: Berühmter Theologe liebt 16 Jahre jüngere Klosterschülerin. Das Mädchen wird schwanger, die beiden heiraten heimlich. Es geht nicht gut aus …

Auf der Kuppe des sanft ansteigenden Hügels Montagne-Sainte-Geneviève südlich des ländlichen Seine-Ufers, dort, wo Rue Saint-Jacques und Rue Soufflot sich kreuzen und heute das Panthéon 36 ( ? F 6) steht, sind die schmalen Gassen mit eisernen Ketten für Kutschen und Karren gesperrt.

Zahlreiche Studenten aus den umliegenden Abteien und Klöstern haben sich hier oben versammelt; sie sitzen auf Heu- oder Strohballen. Viele stehen, den Blick erwartungsvoll auf ein Fenster gerichtet, hinter dem jeden Augenblick Pierre Abélard erscheinen und mit seiner Vorlesung beginnen wird. Hochschulbetrieb unter freiem Himmel. Gemeinschaftliches Lernen außerhalb der Klostermauern. Das ist im Paris des Jahres 1114 etwas ganz Neues.

Der Philosoph und Theologe Pierre Abélard, geboren als Sohn eines bretonischen Ritters in Le Pallet bei Nantes, ist bei den Studenten nicht nur wegen seiner glänzenden Rhetorik so beliebt. Er ist ein streitbarer Geist. Ein Lehrer, der sich der bischöflichen Autorität nicht länger fügen will: »Durch Zweifeln nämlich kommen wir zum Hinterfragen. Durch das Hinterfragen aber erfahren wir die Wahrheit«, lautet seine These, die das Motiv des Zweifels als Weg zur Wahrheit betont und zu einer kritischen Analyse der kirchlichen Texte auffordert.

Mit 35 Jahren hat Pierre Abélard das Höchste erreicht, was ein Absolvent des Philosophie- und Theologiestudiums zu dieser Zeit erreichen kann: Er ist Leiter der Klosterschule von Notre-Dame 33 ( ? F/G 5) in der Rue du Cloître-Notre-Dame ( ? F/G 5) geworden und hat den Lehrstuhl für Dialektik inne. Obgleich er von zahlreichen Kirchenvätern als »Ketzer« kritisiert wird, will der Zustrom seiner Schüler nicht abreißen. Abélard gilt als Revolutionär, Jahrhunderte vor der Aufklärung vertritt er die Auffassung, dass die Vernunft nicht nur in der Philosophie, sondern auch in Glaubensfragen Vorrang haben müsse.

Die kleine Rue du Cloître-Notre-Dame flankiert die Nordseite der Kathedrale Notre-Dame und führt in ihrer westlichen Verlängerung zum Krankenhaus Hôtel Dieu. Im Mittelalter befand sich hier das Armenhospital von Paris, zu dem die Kirche Saint-Christophe gehörte. Sie stand dort, wo sich heute die Menschen auf der Place du Parvis Notre-Dame ( ? F 5) drängen.

In das Pflaster des Platzes ist eine Bronzeplatte mit einem Messingstern eingelassen, der zum einen das geografische Zentrum Frankreichs symbolisieren soll, auf das alle Nationalstraßen des Landes sternförmig zulaufen, und zum anderen den »point zéro« markiert, den Nullpunkt, die Mitte von Paris.

Wenn von Pierre Abélard die Rede ist, fällt in unmittelbarem Zusammenhang auch der Name Fulbert. Er war Domherr in Saint-Christophe und wohnte gleich neben der Kirche. Zeitgenossen schildern ihn als geschäftstüchtigen Kirchenmann, der aber zu Jähzorn und Rachsucht neigte. Dieser Fulbert hatte seine 20-jährige Nichte Héloïse als Pflegetochter zu sich ins Haus genommen. Eine Halbwaise, die ihre Kindheit im Kloster von Argenteuil verbracht hatte, wo sie wegen ihrer überdurchschnittlichen Intelligenz und hervorragenden Kenntnis in Latein, Griechisch und Hebräisch aufgefallen war. Der ehrgeizige Onkel will das junge Mädchen unter seiner Obhut weiter ausbilden lassen.

Es muss Ende 1116 sein, als Pierre Abélard zum ersten Mal Fulberts Haus betritt. Er soll Héloïse Unterricht in Philosophie erteilen. Für das ungestörte Lernen ziehen sich der Lehrer und seine Schülerin in eine stille Studierstube zurück. Bevor sich die Tür jedoch hinter den beiden schließt, gibt Fulbert dem Theologen noch eine Instruktion mit auf den Weg: Sollte Héloïse keine Fortschritte machen, dürfe er auch eine körperliche Strafe nicht scheuen. So beginnt, vermutlich mit einem kleinen Klaps, eine der leidenschaftlichsten Liebesgeschichten des Mittelalters. Abélard schreibt später: »Es war zärtliche Verliebtheit, die mir die Hand führte – und ihr war diese Züchtigung linder als kostbare Salbe. In unserer Gier genossen wir jede Abstufung des Liebens, wir bereicherten unser Liebesspiel mit allen Reizen, welche die Erfinderlust ersonnen.«

Es dauert nicht lange, bis der Onkel auf die Romanze unter seinem Dach aufmerksam wird. Wilder Zorn packt ihn, er verweist Abélard wegen Unzucht mit einer Abhängigen des Hauses. Da ist Héloïse bereits schwanger. Mithilfe des Geliebten gelingt ihr die Flucht aus Paris in sein Elternhaus in Le Pallet.

Es müssen qualvolle Wochen und Monate gewesen sein. Während sich Abélard um Wiedergutmachung bei Fulbert in Paris bemüht und ihm verspricht, Héloïse zu heiraten, vorausgesetzt, die Ehe bliebe geheim, bringt sie einen Sohn, Petrus Astralabius, zur Welt. Dennoch widersetzt sie sich aus Rücksicht auf Abélards Ruf und Karriere zunächst einem Heiratsangebot.

Irgendwie kommt es doch noch zu einer heimlichen Heirat, die auch der erboste Onkel geheim zu halten verspricht. Aber seine Wut auf diese verbotene Liebe sitzt tief, er macht Héloïse das Leben zur Hölle: Abélard sieht sich gezwungen, die junge Frau vor Fulbert zu schützen und in das Kloster von Argenteuil zu schicken. Eine Entscheidung, die verhängnisvolle Konsequenzen hat.

Konfrontiert mit dem Vorwurf, untreu zu sein und sich aus der ehelichen Verantwortung stehlen zu wollen, wird Abélard im Auftrag von Fulbert Opfer einer schaurigen Aktion: Eines Nachts dringen maskierte Männer in sein Zimmer ein, schlagen ihn nieder und kastrieren ihn. Schwer verletzt und zutiefst gedemütigt überlebt er den Anschlag und zieht sich als Mönch in die Abtei Saint-Denis vor den Toren von Paris zurück, während Héloïse im Kloster von Argenteuil ihr Gelöbnis ablegt und Nonne wird. Herzergreifende Liebesbriefe gehen von Kloster zu Kloster.

Héloïse rückblickend an Abélard:

»Nichts habe ich je bei Dir gesucht – Gott weiß es – als dich selbst: dich schlechthin begehrte ich, nicht das, was dein war. Kein Ehebündnis, keine Morgengabe habe ich erwartet; nicht meine Lust und meinen Willen suchte ich zu befriedigen, sondern den deinen, das weißt du wohl. Mag dir der Name Gattin heiliger und ehrbarer erscheinen, mir war allzeit reizender die Bezeichnung Geliebte, oder gar verarg es mir nicht – deine Konkubine, deine Dirne. Je tiefer ich mich um deinetwillen erniedrigte, desto mehr wollte ich dadurch Gnade bei dir finden, und um so weniger gerade auf diese Weise dem Ruhm deiner Vorzüglichkeit schaden.«

Abélards Ruf als Philosoph und Prediger ist nicht unumstritten, vielleicht lauern deshalb die Feinde überall, besonders unter seinen Mitbrüdern in Saint-Denis. Dessen überdrüssig, bricht der Mönch nach Mittelfrankreich auf und gründet südlich von Nogent-sur-Seine den Orden »Paraclet«. Der Zufall will es, dass etwa um dieselbe Zeit Héloïse und ihre Schwestern aus dem Kloster Argenteuil vertrieben werden. Abélard reagiert umgehend: Er schenkt ihnen sein kleines Kloster, verfasst Ordensregeln, Lieder und Predigten und unterstützt die Nonnen beim Aufbau ihres Hauses. Unter der Leitung von Héloïse, die inzwischen zur Äbtissin berufen wurde, entwickelt sich »Le Paraclet« zu einem blühenden Klosteranwesen mit umfangreichem Grundbesitz.

Hätte Jean-Jacques Rousseau nicht seinen erfolgreichen Briefroman »La Nouvelle Héloïse« geschrieben, der 1761 veröffentlicht wurde, wer weiß, ob die Liebes- und Leidensgeschichte von Abélard und Héloïse und ihr passionierter Briefwechsel, der dem Buch zugrunde liegt, je so berühmt geworden wären.

Der Theologe war um 1133 wieder nach Paris auf den Genoveva-Berg ins heutige Universitätsviertel Quartier Latin ( ? F/G 6) zurückgekehrt, wo ihm als wissenschaftlicher Lehrer ein grandioses Comeback gelang. Immer mehr wurde er zum theologischen Gegenspieler des mächtigen Benediktinerabtes Bernard de Clairvaux, der ihn schließlich der Häresie bezichtigte. Auf Anordnung des Papstes Innozenz II. wurde er im Juni 1141 zu lebenslanger Klosterhaft und ewigem Schweigen verurteilt. Seine Werke wurden öffentlich in Rom verbrannt.

IM TOD SIND BEIDE WIEDER VEREINT

Abélard erkrankte, fand Zuflucht in der burgundischen Großabtei von Cluny und starb am 21. April 1142 im Priorat Saint-Marcel bei Chalon-sur-Saône. Sein Leichnam wurde auf Wunsch von Héloïse in das Paraclet-Kloster überführt; sie wurde 1164 neben ihm bestattet. Als das Kloster während der Französischen Revolution aufgelöst wurde, brachte man die sterblichen Überreste des Paares nach Paris, wo sie seit 1817 auf dem Friedhof Père Lachaise 11 ( ? K 4) ruhen.

Der nach dem Jesuitenpater...

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