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Paulus - Das Kapital eines Reisenden

Die Apostelgeschichte als sozialhistorische Quelle

VerlagVerlag Katholisches Bibelwerk
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl158 Seiten
ISBN9783460510470
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis20,99 EUR
Die Apostelgeschichte lässt als Teil des lukanischen Doppelwerks ein ebenso klares historiographisches wie theologisches Profil erkennen. Trotzdem ist sie bis heute bevorzugter Gegenstand literarischer, historischer und theologischer Kritik. Im Kontext gegenwärtiger Debatten versammelt der vorliegende Band interdisziplinäre Beiträge von Theologen und Althistorikern, die anhand der in der Apostelgeschichte dargestellten Mobilität des Paulus historiographischen, wirtschaftsgeschichtlichen und sozialhermeneutischen Fragestellungen nachgehen. Sie eröffnen kulturwissenschaftlich und historisch neue Perspektiven auf einen alten Text.

Dr. Stefan Alkier, Professor für Neues Testament und Geschichte der Alten Kirche am Fachbereich Ev. Theologie der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/Main, Herausgeber der Zeitschrift für Neues Testament.

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Leseprobe

Sozialgeschichtliche Aspekte der Apostelgeschichte


Alexander Weiß

Im weiten Feld der sozialhistorischen Forschungen zum frühen Christentum sticht eine Frage heraus, zu der immer noch vielfach eine eigentlich mittlerweile überholte Ansicht reproduziert wird. Es geht um die Frage nach der sozialen Zusammensetzung des frühen Christentums bzw. der frühchristlichen Gemeinden. Das Christentum sei, zumindest in seinen Anfängen, eine Religion der Mühseligen und Beladenen, der Sklaven und Freigelassenen, der Armen und Unterdrückten, kurz eine Unterschichtenreligion gewesen. Diese Vorstellung vom Christentum als einer Unterschichtenreligion ist ein zählebiger und schwer auszurottender historischer Mythos. Die sozialhistorische Forschung hat sich mittlerweile von dieser Vorstellung gelöst. Umstritten bleibt allerdings die Frage, inwieweit tatsächlich schon Personen aus der Spitze der Gesellschaft des römischen Reiches unter den frühen Christen zu finden sind. Um diesen Punkt soll es in dem vorliegenden Beitrag gehen.1

1.Von Deißmann zum new consensus: Keine Oberschichtangehörige unter den frühen Christen


Die These von der sozial niedrigen Herkunft der frühen Christen ist verbunden mit dem Namen Gustav Adolf Deißmann. Deißmann formulierte, so kann man bis heute lesen, den zu seiner Zeit herrschenden Consensus in seinem berühmten Buch „Licht vom Osten“2. Dieser alte Consensus, so lautet die Erzählung oft, wurde durch den Althistoriker Edwin Judge überwunden mit seinem Essay „The social pattern of the Christian groups in the first century“3, Original erschienen 1960, in deutscher Übersetzung 1964. Beide Versionen finden sich wieder abgedruckt in zwei Sammelbänden mit den Werken Judges aus dem Jahr 2008.4 Judges Essay markiere den Beginn einer neuen Ära und den Beginn des sogenannten ‚new consensus‘ in der sozialgeschichtlichen Exegese des Neuen Testaments.5 Dieser ‚new consensus‘ lautet: Der soziale Status der frühen Christen sei durchaus höher anzusiedeln als dies vormals behauptet wurde. Wie hoch genau, damit werden wir uns noch beschäftigen. Ich will die Verdienste Edwin Judges keineswegs schmälern, aber die Wissenschaftsgeschichte muss meines Erachtens etwas anders erzählt werden.6 Es gab meines Erachtens keinen ‚old consensus‘. Dies müssen wir hier aber nicht weiter verfolgen. Gerd Theißen hat kürzlich behauptet, es gäbe auch keinen ‚new consensus‘7, aber da schüttet er vielleicht doch das Kind mit dem Bade aus.

Worin besteht der ‚new consensus‘ genauer? Er lautet zusammengefasst etwa folgendermaßen: Die frühen Christen stammten nicht ausschließlich aus den unteren Schichten, sondern die frühen Gemeinden waren in ihrer sozialen Zusammensetzung wahrscheinlich ein Spiegelbild der Gesellschaft ihrer Zeit und die ersten Christen entstammten im Wesentlichen allen Schichten der Gesellschaft. Zwei weitere Punkte kennzeichnen daneben den new consensus.

Vor allem Meeks, der jüngere Entwicklungen aus der Soziologie aufgenommen hatte, und daneben Theißen, vertreten den Standpunkt, für die frühen Christen wären ‚Statusdissonanzen‘ charakteristisch gewesen.8 Vereinfacht gesagt heißt dies: Eine einzelne Person hat keine klar zuzuordnende Position innerhalb einer gesellschaftlichen Hierarchie, beispielsweise „obere Mittelschicht“, sondern der soziale Status einer Person ist nach verschiedenen Kriterien unterschiedlich zu bemessen. Dieselbe Person konnte nach dem einen Kriterium einen relativ hohen Status besitzen, nach einem anderen Kriterium jedoch einen relativ niedrigen Status. Innerhalb der römischen Gesellschaft wären die reichen Sklaven oder Freigelassenen ein passendes Beispiel für Statusdissonanzen. Sklaven und mehr noch Freigelassene konnten sehr reich sein, und in der Kategorie Besitz galt die simple Regel: Je reicher man war, desto höher der soziale Status. Sklaven galten jedoch im Personenrecht als res, als Sachen, nicht als Personen, und waren demzufolge nur eingeschränkt rechtsfähig. Sie konnten also nach einer sozialen Kategorie, dem Vermögen, einen sehr hohen Rang haben, waren aber gemäß einer anderen wichtigen sozialen Kategorie, der des Bürgerrechts, ganz unten anzusiedeln. Daraus entstehen, so die Soziologen, ‚Statusdissonanzen‘ und dies war laut Meeks und Theißen ein Charakteristikum der frühen Christen.

Damit hängt der zweite Punkt zusammen. Die frühen christlichen Gemeinden, so die meisten new consensus-Vertreter, bildeten nämlich keinen exakten Querschnitt durch die Gesellschaft, denn aus der Spitze der Gesellschaft wäre keiner der frühen Christen gekommen. Die hochrangigsten Christen stammten, wie Theißen es formuliert hat, aus der „Peripherie der lokalen Oberschicht“9. Dies wären Personen mit einem relativ hohen sozialen Status gewesen, die aber aus verschiedenen Gründen nicht völlig in die führenden Kreise der Gesellschaft integriert worden wären und die aufgrund der dadurch entstandenen Statusdissonanzen sich den christlichen Gemeinden zugewandt hätten, in denen sie die soziale Akzeptanz gefunden hätten, welche ihnen durch die Gesellschaft verweigert worden wäre.

Im Kern geht es nun um diese beiden Annahmen des new consensus: Dass es keine Angehörigen der sozialen Elite unter den ersten Christen gegeben hätte, und dass wir in den christlichen Gemeinden im besten Fall Personen aus der „Peripherie der lokalen Oberschicht“ finden können, die unter Statusdissonanzen gelitten hätten.

2.Soziale Elite im römischen Sinne: Die ordo-Angehörigen


Nun stellt sich zunächst die Frage: Wer oder was soll denn überhaupt mit dem Begriff der ‚Oberschicht‘ oder der ‚sozialen Elite‘ gemeint sein? Ganz oft ist der Begriff in den Arbeiten zur Sozialgeschichte des frühen Christentums gar nicht genauer definiert worden. Er bleibt diffus und schwammig, und nach welchen Kriterien man denn die Oberschicht im römischen Reich definieren soll, wird vielfach nicht weiter bedacht. Und in der Tat ist die Oberschicht im römischen Reich gar nicht so einfach zu definieren. Geht man die einschlägigen althistorischen Arbeiten zur römischen Sozialgeschichte durch, dann schält sich trotz unterschiedlichster Vorstellungen über die Struktur der römischen Gesellschaft doch eine Übereinstimmung in den unterschiedlichen Modellen heraus: Wie auch immer man die soziale Elite definiert, in jedem Fall sind ihr die Angehörigen der drei sogenannten ordines (versuchsweise zu übersetzen mit ‚Stände‘) zuzurechnen. Um Géza Alföldys Definition zu zitieren: „Man mußte reich sein, höhere Funktionen und dadurch Macht ausüben, man mußte über Ansehen in der Gesellschaft verfügen und vor allem – da Reichtum, höhere Funktionen und Ansehen damit fast gleichbedeutend waren – Mitglied eines führenden ordo, eines korporativ organisierten privilegierten Standes, sein. Nur wer alle diese Voraussetzungen erfüllte, gehörte wirklich in vollem Sinne zu den sozialen Oberschichten, nämlich – vom Kaiserhaus abgesehen – die Mitglieder des ordo senatorius, des ordo equester und des ordo decurionum der einzelnen Städte.“10 Wer waren nun die Mitglieder dieser drei ordines? Dies waren zum einen die Senatoren als Mitglieder des ordo senatorius. Zum Senatorenstand gehörten darüber hinaus die Ehefrauen und Nachkommen der Senatoren über drei Generationen. Es waren zum zweiten die equestres, die sogenannten Ritter (die man freilich nicht mit mittelalterlichen Rittern verwechseln darf) als Mitglieder des ordo equester. Die Ritter hatten vielfach hohe Posten in der Reichsverwaltung inne. Schließlich die Dekurionen, die Stadtratsmitglieder, die zum ordo decurionum der jeweiligen Städte gehörten. Sollten sich also ordo-Angehörige unter den frühen Christen finden, so wäre die These des new consensus, dass die Spitze der Gesellschaft nicht in den frühchristlichen Gemeinden zu finden gewesen sei, hinfällig.

Es gibt nun unter den frühen Christen drei Kandidaten für eine ordo- Zugehörigkeit:

1) Sergius Paullus, Statthalter von Zypern und damit Senator, der in Apg 13 erwähnt wird.

2) Dionysios, der in Apg 17 als Mitglied des athenischen Rates des Areopags genannt wird. Der Areopag war im 1. Jh. eine Art Stadtrat, in jedem Fall das höchste politische Gremium Athens. Dionysios wäre somit in gewissem Sinn als Mitglied eines ordo decurionum zu verstehen.

3) Erastos, der oikonomos tês póleôs, der Stadtkämmerer von Korinth, den der Apostel Paulus am Ende seines Briefes an die Römer erwähnt (16,23). Ist er ein Magistrat, ein städtischer Beamter, dann war er auch...

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