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Pazifismus als Diskurs

AutorGertrud Brücher
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl306 Seiten
ISBN9783531917856
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis40,00 EUR
Die Provokation unserer Zeit lautet: Mit Globalisierung, 'neuen Kriegen' und internationalem Terrorismus sind Krieg und Frieden, Innen- und Außenpolitik, Kämpfer und Zivilisten ununterscheidbar geworden. Der konflikt- und friedensbezogenen Forschung scheint die Wirklichkeit weggebrochen zu sein, für die sie ihre Modelle entwickelt hatte. Wie reagiert eine dem Frieden verschriebene Theorie und Bewegung auf diese Herausforderung? Das Buch verfolgt die Paradoxien, aber auch die Auswege dieses Denkens der Friedenspraxis in ihren Stadien.

Dr. Gertrud Brücher ist Privatdozentin für Sozialtheorie und Friedenswissenschaft an der FernUniversität Hagen.

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Leseprobe
"4 Friedensphilosophischer Pazifismus (S. 87-88)

4.1 Rechtspazifismus

Neben dem behandelten negatorischen Pazifismus finden wir einen pazifistischen Typus, der gewissermaßen die besondere Dynamik unterscheidenden Bezeichnens von Pazifismus und Bellizismus so in das eigene Begriffsverständnis aufgenommen hat, dass es nicht mehr die Negation ist, die das Verhältnis der beiden Seiten zueinander regelt. An die Stelle der Negation tritt die Produktion, die Gestaltung eines „Friedenszustandes"" im Sinne eines rechtlich geordneten Gemeinwesens, das im Endergebnis Krieg und kriegerische Gesinnung überwindet. Diese in der einen oder anderen Form immer auf Immanuel Kant84 zurückgehende Art der Betrachtung wird in der Friedens- und Konfliktforschung als „konfigurativ"" bezeichnet.

Das Denken des Friedens ist identisch mit dem Machen des Friedens.85 Während sich im kriegsphilosophischen Pazifismus die Gewalt auf kompliziertem Wege durch die Dynamik des unterscheidenden Bezeichnens einschleicht, ist sie im situativen Pazifismus des konfigurativen Friedensverständnisses in einer indirekten Weise präsent und akzeptiert. Da es nämlich nunmehr um die Herstellung eines Friedenszustandes geht, der gewisse Formen des Konfliktaustrags aufgrund seiner institutionellen Verfasstheit (Parlamentarismus, Rechtsstaatlichkeit, Partizipation) ausschließt, scheint das Problem im Ansatz beseitigt, an dessen Bewältigung dem Pazifismus gelegen ist.

Es handelt sich gewissermaßen um ein anderes Paradigma. Dieses wechselt in Bezug auf die Frage nach den handlungsleitenden Bedingungen die Blickrichtung. Der kriegsphilosophische Pazifismus folgt der ethischen Fragestellung nach den Bedingungen, unter denen Gewalt legitim und/oder notwendig ist. Seine Antwort fällt im Prinzip negativ aus, weil er die Bedingungen so einschätzt, dass weder Effizienz noch Legitimität einzulösen sind. Von diesem „im Prinzip"" gibt es dann wieder Einschränkungen, die sich auf die pazifistischen Strategien und Taktiken auswirken. Dieses Fragen nach den Bedingungen, unter denen Gewalt legitim ist, geht aus von der Einsicht, dass es Dilemmasituationen gibt, in denen die Gegensätze so groß sind, dass eine friedliche Einigung nicht erfolgreich sein kann.

Erst jetzt, im Hinblick auf die Dilemmasituation, scheiden sich die Geister im Bekenntnis zu Idealtypen, zum pazifistischen „Dennoch gewaltloser Strategien"" und zum Ultima-ratio-Denken. Wir sprechen hier vom friedensphilosophischen und nicht einfach vom „organisatorischen"" Pazifismus, weil in dieser Terminologie der unterschiedliche Charakter der Hauptrichtungen weniger im strategischen Kalkül und mehr im unterscheidenden Bezeichnen verortet werden kann. Damit gewinnen wir ein sehr viel exakteres Analyseinstrument angesichts der vielfältigen Überschneidungen in Bezug auf die proklamierten Ziele und die gewählten Handlungsschritte.

Der organisatorische Pazifismus86 erwächst aus der bürgerlichen Friedensbewegung, wie sie sich seit dem neunzehnten Jahrhundert formiert hat. Diese folgt dem Ziel einer globalen Friedensordnung souveräner Staaten und stützt sich darin auf die Rechtslehre von Kant. Hinweise und Richtlinien finden sich einmal in der Schrift „Zum ewigen Frieden"" von 1795, aber auch in der stärker moral- und rechtsphilosophischen Abhandlung zur „Metaphysik der Sitten"" von 1797, insbesondere im ersten Teil mit dem Titel „Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre"".

Von dort kommen die entscheidenden Anregungen zum kontinentaleuropäischen Rechtsdenken, das die Grundlage sowohl des Völkerbunds nach dem Ersten Weltkrieg und der Vereinten Nationen nach dem Zweiten Weltkrieg liefern wird. Kant war es um die Einhegung der kriegerischen Auseinandersetzungen absolutistischer Staaten gegangen und zugleich um die Berücksichtigung des Vernunftprinzips im geltenden Recht. Dies sollte durch die Kodifizierung der Menschen- und Bürgerrechte gewährleistet werden. Die im eigentlichen Sinne pazifistische Frage, mit welchen Mitteln das Friedensziel erreicht werden könnte, tritt nun partiell in den Hintergrund. "
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis5
Einleitung7
Struktur des Lehrbuches8
Lehr- und Lernziele10
Wichtige Literatur zum Pazifismus10
Literatur zur Methodik11
1 Der Pazifismus als historisches Phänomen12
2 Typologien des Pazifismus18
3 Kriegsphilosophischer Pazifismus31
3.1 Pazifismus und politischer Realismus31
3.2 Pazifismus und bellum-iustum-Lehre47
3.3 Tötungstabu oder Tötungsverbot68
3.4 Zur Leistungsfähigkeit von Kriegsphilosophien78
4 Friedensphilosophischer Pazifismus87
4.1 Rechtspazifismus87
4.2 Atompazifismus109
5 Postmoderner Pazifismus151
5.1 Historisch-gesellschaftliche Kontextverschiebungen des pazifistischen Diskurses151
5.2 Postmoderne Tendenzen der Zwischenkriegszeit154
5.3 „Politischer Pazifismus“160
5.4 Entdifferenzierung und Kampf gegen privatisierte Gewalt187
6 Paradoxer Pazifismus194
6.1 Moralphilosophische Axiome des Pazifismus194
6.2 Probleme politisierter Religion239
6.3 Säkularer und religiöser Pazifismus im Vergleich255
Schlussbetrachtung279
Differenztheoretischer Ausblick284
Literaturnachweis297

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