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E-Book

Peter Stein

ein Portrait

AutorRoswitha Schieb
VerlagBerlin Verlag
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl540 Seiten
ISBN9783827072092
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Peter Stein begann 1967 in München mit der ersten selbstständigen Inszenierung, »Gerettet« von Edward Bond. Es war ein beeindruckender Erfolg und der erste Schritt einer steilen Karriere. Aufgrund des Erfolgs erhielt Stein eine Einladung nach Bremen, um dort »Kabale und Liebe« zu inszenieren. Hier kam es zur Begegnung und einer ersten Zusammenarbeit mit den Schauspielern, die später die Schaubühne in Berlin prägen sollten: Edith Clever, Bruno Ganz und Jutta Lampe. Zurückgekehrt nach München, arbeitete er als Assistent mit Fritz Kortner zusammen, dem er, wie er selbst betont, viel verdankt. Die wichtigste und erfolgreichste Phase seiner Karriere wurde die Schaubühnenzeit in Berlin von 1970 bis 1985 mit den berühmten Inszenierungen von »Peer Gynt«, »Prinz von Homburg«, den Antikenprojekten, Shakespeare und Tschechow. Lange und gründliche Proben, ein enges Verhältnis zu den Schauspielern, die er stark in die Regiearbeit einbezog, die Betonung des Bühnenbildes, Authentizität des Gefühls - das waren die Prinzipien, unter denen Steins Arbeit in Berlin stand. Nach der Berliner Zeit arbeitete Stein, von der deutschen Theaterszene und der Kritik enttäuscht, vor allem im Ausland, inszenierte zunehmend Opern, verwirklichte sein großes Faust-Projekt, mit dem er auch noch einmal nach Deutschland zurückkehrte.

Roswitha Schieb wurde 1962 in Recklinghausen geboren. Sie veröffentlichte 1996 «Das teilbare Individuum. Körperbilder bei Ernst Jünger, Hans Henny Jahn und Peter Weiss». 1999 erschien «Rügen. Deutschlands mytische Insel» (Berlin Verlag) und im Jahre 2000, «Reise nach Schlesien und Galizien. Eine Archäologie des Gefühls». Ein Buch zu Peter Steins Faust-Inszenierung kam ebenfalls 2000 heraus. Roswitha Schieb lebt mit ihrer Familie in Borgsdorf bei Berlin.

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Leseprobe

KINDHEIT UND JUGEND


Peter Stein wurde am 1. Oktober 1937 in Berlin geboren. Seine Familie wohnte zunächst in Berlin-Frohnau in der Straße Im Fischgrund, später im Wiesengrund, wo Peter Stein einige Jahre lebte. Als Berlin während des Krieges als zu gefährlich für Kinder galt, wurde er zunächst nach Westpreußen/Pommern verschickt und dann zusammen mit seinem Cousin Hubertus von Stolzmann in Altwarp am Stettiner Haff untergebracht. Der sieben Jahre ältere Bruder Peter Steins, Paulus, ging während des Krieges in Misdroy (Wollin) aufs Gymnasium.

Steins Mutter stammte aus einer Soldatenfamilie. Ihr Vater, Paulus von Stolzmann, war der Mitbegründer der Reichswehr, nach Steins Aussagen ein schlimmer »Kommunistenkiller« im Mansfeldischen. Einer ihrer Brüder, Hans-Joachim von Stolzmann, der Vater von Steins Cousin Hubertus, war General unter Hitler. Daher besaß die Frau dieses Generals, Steins Tante, während des Krieges etliche Privilegien. Da sich während der Bombardierung Berlins keine Kinder unter sechs Jahren in der Stadt aufhalten durften, zog die Mutter mit ihrem Sohn Peter wie oben erwähnt nach Altwarp, wo es einen Truppenübungsplatz gab. Dort waren sie als Gast der Tante, der Generalsfrau, in einem Häuschen einquartiert. Dieser Status als Gast muß für Steins Mutter äußerst belastend gewesen sein. Heute ist Stein der Überzeugung, daß die ihn prägendste Zeit die Kriegs- und unmittelbare Nachkriegszeit gewesen sei, aus der sich seine wichtigsten Eindrücke und Erinnerungen speisen, gegen die alles andere verblasse.

Peter Stein (links) mit Bruder Paulus, 1939

Die meisten Erinnerungen an diese frühe Zeit auf dem Lande, in der Natur von Altwarp, sind freundlich. Es sind Erinnerungen an einen Garten, in dem Mohrrüben wuchsen, an »ein großes Paradies« (Stein). Deutlich steht Stein aber auch eine lebensbedrohliche Begebenheit vor Augen. Beim Bötchen-Spielen fiel er einmal ins Wasser des Haffs, ertrank fast, versuchte, sich in Todesangst an den Holzpollern festzuhalten, versank aber immer wieder im grünschlierigen Wasser, bis er schließlich von Wehrmachtssoldaten, die sich in einer kleinen Hütte aufhielten, gerettet wurde. Nie wird er vergessen, daß diese, nachdem er zitternd wieder an Land war und literweise Wasser ausspuckte, sich über sein Mißgeschick köstlich amüsierten und ihn auslachten. Direkt nach der Wende 1990 fuhr Stein zusammen mit seinem Bruder Paulus und seinem Cousin Hubertus von Stolzmann nach Altwarp, wo er starke Déjà-vu-Erlebnisse hatte: Der kleine Ort Altwarp, das Haff, sogar die Hütte sahen fast genauso aus wie im Jahr 1944. Allerdings wirkte alles etwas heruntergekommener. Als dann plötzlich noch ein Soldat aus der Hütte trat – ein NVA-Soldat –, war es um Stein geschehen. Hemmungslos erzählte er dem verwirrten Soldaten in einem Ausbruch von Sentimentalität seine alten Geschichten, mit denen dieser natürlich nichts anfangen konnte. An ein Picknick mit Bruder und Cousin mit Blick über das Haff erinnert sich Stein voller Innigkeit. Als sie aber in dem Hof des Hauses, in dem sie damals untergebracht waren und das jetzt ganz verfallen war, die vergrabene Kiste mit Silber und Adelsdiplomen suchten, die sie damals dort versteckt hatten, wurden sie von den Bewohnern Altwarps mit Steinen beworfen und verjagt. Die Kiste hatten sie nicht mehr auffinden können. In Prenzlau wiederholte sich dieser Vorgang: Beim Aussteigen aus dem Auto wurden die drei von Ortsansässigen ebenfalls mit Steinen beworfen.

Im Februar 1945 floh die Familie mit dem Pferdeschlitten über das gefrorene Stettiner Haff Richtung Westen. Geschützdonner ertönte im Osten, »im Osten wurde es wieder rot« (Stein). Der siebenjährige Peter Stein ging als Frischoperierter auf die Flucht. Kurz zuvor war er nämlich nach Berlin eingeschmuggelt worden, wo ein Freund seiner Mutter als Chefarzt an der Charité arbeitete. Stein wurde dort an einem Hoden- oder Leistenbruch operiert. Er erlebte einen Volltreffer auf die Charité mit und kommentiert heute dieses Erlebnis spröde: »Das war unschön.« Er befand sich in einem Zimmer mit lauter erwachsenen Männern, mit Kriegsverletzten, Generälen und Hauptleuten. Aufgrund der Privilegien war Stein »natürlich« erster Klasse untergebracht, aber auch in einem Erste-Klasse-Zimmer lagen zehn Personen. Wenn dann die Sirenen heulten und die Angriffe begannen, fingen alle Patienten an zu schreien, sprangen aus dem Bett und liefen durcheinander. Einbeinige humpelten herum. Stein erinnert sich dieser Szenen als einer einzigen Hölle. Wenn dann die Sirenen ertönten, wurden nicht etwa alle, sondern nur die Privilegierten durch das Treppenhaus in den Luftschutzkeller gebracht. Einmal machte es »Rums!«, eine Seite des Treppenhauses war weggebombt, und Stein konnte den Berliner Nachthimmel mit den Sternen sehen. Die Männer brüllten laut. Stein erinnert sich daran als »ganz, ganz furchtbar«. Dann sagte er: »Davon könnte ich stundenlang erzählen, aber das wollen wir bleibenlassen.«

Die Fahrt mit dem Pferdeschlitten über das zugefrorene Haff hat sich ihm tief ins Gedächtnis eingegraben. Die Familie floh nicht in einem Treck, sondern zunächst allein. In den Treck gerieten sie erst später. »Da war natürlich Schluß für jemanden wie mich, da kann man dann die Erwachsenen nicht mehr in irgendeiner Weise als besonders interessant betrachten« (Stein). Denn er sah im Treck Hunderte, Tausende von – wie ihm schien – wahnsinnig gewordenen Erwachsenen. Der allergrößte Skandal war für ihn der Anblick von Leuten in Schlafanzügen, die mit einer Stehlampe in der Hand herumliefen. Anscheinend waren diese Hals über Kopf geflüchtet. Als Kind aber mußte er denken, daß sie verrückt geworden seien, da man doch nicht im Schlafanzug bei dieser Kälte mit einer Stehlampe in der Hand herumlaufen kann, »entsprechend waren das alles Spinner für mich, diese Erwachsenen, totale Spinner, meine Eltern eingeschlossen«. Die Flucht dauerte ungefähr drei, vier Wochen. Wenn noch Züge fuhren, wurden die benutzt, sonst ging es zu Fuß durch das zusammenbrechende Deutschland.

Da Steins Tante, die Generalsfrau, mit ihnen floh, waren sie »am Anfang noch privilegiert«. Die Familie kam immer in den Gepäckwagen direkt hinter der Lokomotive unter, während die nicht-privilegierten Flüchtlinge auf dem Dach der hinteren Waggons saßen und sich an dem Zug anklammerten. Als der Zug in Halle einfuhr, wurde die Stadt gerade von einem Luftangriff erschüttert. Immer, wenn die Sirenen heulten, setzte der Lokführer den Zug sofort in Bewegung, egal, ob die Leute eingestiegen waren oder nicht, und fuhr aus dem Bahnhof heraus. Stein schaute sich von vorne zum hinteren Zugteil um, und plötzlich war dieser ganze hintere Zug weggebombt. Immer wieder gerieten die Züge in Tieffliegerangriffe. Gepäck hatten die Steins keines dabei. Als Frischoperierter wurde Peter Stein von seinem älteren Bruder auf den Schultern getragen. Auch hier wehrt er sich wieder gegen die Erinnerung: »Na ja, lassen wir das, das geht ja nun mächtig in die Tiefenschichten.«

Auf der Flucht gelangte die Familie auch nach Salzburg. Noch heute rührt aus den Erinnerungen Steins an diese Zeit geradezu eine Art Salzburg-Phobie. In Salzburg erlebte er das Kriegsende mit, und fürchterliche Dinge prägten sich dem Siebenjährigen ein. Sofort nach dem Ende des NS-Regimes, nach dem Zusammenbruch des »Tausendjährigen Reichs«, beging die Schwester von Steins Vater, eine weitere Tante Steins, die äußerst hitlerbegeistert war, Selbstmord. Sie erschoß sich auf dem Abort einer Burg und hinterließ einen zwei-, dreijährigen Jungen, Stefan, der als Ziehkind in Steins Familie aufgenommen wurde. Am schlimmsten, geradezu alptraumartig hat Stein zu Kriegsende die Salzach in Erinnerung. Der Fluß führte Hochwasser. Auf der einen Seite fuhren die Panzer der Amerikaner, und die Salzach-Auen bei Wildshut waren überschwemmt. Da trieben Baumstämme, Tierleichen und auch Menschenleichen an, mit denen Stein und andere Kinder spielten. Manchmal blieben die Leichen an Sträuchern hängen und wurden dann mit Stöcken »weggestiekst«. Viele Leute waren damals in der Salzach ertrunken, als sie über die Grenze schwimmen wollten. Viele begingen Selbstmord.

Dort, wo sich in Salzburg heute die Mönchsberg-Tiefgaragen befinden, waren damals Luftschutzkeller. Kaum war Stein mit seiner Familie in Salzburg angekommen, bekam Salzburg den letzten großen schweren Fliegerangriff ab, bei dem auch der Dom zerbombt wurde. Während dieses vernichtenden Angriffs hielt sich Steins Familie in den Luftschutzkellern unter dem Mönchsberg auf.

Als Reichsdeutsche mußten die Angehörigen von Steins Familie Salzburg nach Kriegsende verlassen. Sein Vater erkrankte an Gelbsucht und starb fast daran. Zwei Monate vor Kriegsende, im März 1945, als die Russen nach Berlin kamen, hatte Steins Vater, der Maschinenbauingenieur war, seine Maschinen in drei Züge verladen. Einer dieser Züge kam nie an, der zweite tauchte beschädigt in Blumberg (Baden) auf und der dritte unbeschädigt in Salzburg. In dem Stollen, der heute der Autobahn-Tunnel nach Golling ist, hatte Steins Vater noch kurz vor Kriegsende...

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