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E-Book

Peter Tschaikowsky

AutorConstantin Floros
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783644406056
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis3,99 EUR
Peter Tschaikowsky (1840-1893) ist bis heute einer der meistgespielten russischen Komponisten. Constantin Floros beschreibt auf der Grundlage neuester Forschungen und Quellenpublikationen die enge Verquickung von Biographie und Werk Tschaikowskys. Und er zeigt die ganze Vielseitigkeit des Musikers, der mit nur 53 Jahren unter noch immer umstrittenen Umständen in St. Petersburg starb.

Constantin Floros, emeritierter Professor für Musikwissenschaft an der Universität Hamburg, entzifferte die ältesten byzantinischen und slawischen Notationen und entwickelte eine Methode musiksemantischer Analyse, die er an zahlreichen Werken exemplifizierte. Die Schwerpunkte seiner Forschungen liegen in der Musik des Mittelalters und der des 18., 19. und 20. Jahrhunderts. Er publizierte mehr als zwanzig Bücher, darunter Monographien über Johannes Brahms, Anton Bruckner, Gustav Mahler (vier Bände), Alban Berg (zwei Bände) und György Ligeti. Zu seinen bedeutendsten Veröffentlichungen gehören die dreibändige «Universale Neumenkunde» (Kassel 1970), ein dreibändiges Standardwerk über Gustav Mahler (Wiesbaden 1977-1985) sowie unter anderem die Bücher «Musik als Botschaft» (Wiesbaden 1989) und «Der Mensch, die Liebe und die Musik» (Zürich / Hamburg 2000). Er ist Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Erfurt, der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste, Präsident der Gustav Mahler Vereinigung Hamburg, Ehrenmitglied mehrerer Institutionen und mehrfacher Ehrendoktor.

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Leseprobe

Jugend und Studienjahre


Die musikalisch-schöpferische Begabung Peter Iljitsch Tschaikowskys grenzt an ein Wunder. Erklären kann man sie nicht, denn keiner unter seinen Vorfahren hatte eine ausgesprochen musische Veranlagung. Geboren wurde Tschaikowsky am 25. April (7. Mai) 1840 in Wotkinsk, einer Bergbaustadt westlich des Urals, als zweiter Sohn von Ilja Petrowitsch Tschaikowsky und dessen zweiter Ehefrau Alexandra Andrejewna. Wotkinsk lag rund 1300 Kilometer östlich von St. Petersburg, der Hauptstadt des großen Zarenreiches. Um von St. Petersburg nach Wotkinsk mit der Kutsche zu gelangen, brauchte man damals nahezu drei Wochen. In Wotkinsk wirkte Ilja Petrowitsch (1795–1880) als Chefinspektor der Kamsko-Wotkinsker Berg- und Metallwerke. Als solcher verwaltete er auch die ländliche Umgebung. Er wird als herzlich, jovial, großzügig und charmant beschrieben, doch dürfte er nicht besonders ehrgeizig gewesen sein, denn er brachte es innerhalb von zwanzig Jahren nur bis zum Rang eines Oberstleutnants.

Als er seine zweite Frau heiratete, war er 38 Jahre alt. Alexandra Andrejewna, geborene Assier (eigentlich d’Assière, 1813–54), war achtzehn Jahre jünger als er. Sie kam aus St. Petersburg, ihr Großvater stammte aus Frankreich, ihr Vater war Staatsrat. Nach dem frühen Tod ihrer Mutter wurde sie zehn Jahre lang in einem Internat erzogen, wo sie eine gründliche Ausbildung in Rhetorik, Arithmetik, Geographie, Literatur und Sprachen genoss. Sie sprach Französisch und Deutsch, spielte Klavier und sang. Sie scheint introvertiert gewesen zu sein. Auf Daguerreotypien glaubt man zu erkennen, dass sie einen Hang zur Melancholie hatte. Ihr Großvater, Michel Marquis d’Assière, und ihr Vater litten an einer Nervenkrankheit, möglicherweise Epilepsie.

Peter Iljitsch hatte insgesamt sechs Geschwister; vier Brüder – Nikolaj (1838–1911), Ippolit (1843–1927), die Zwillinge Anatol (1850–1915) und Modest (1850–1916) –, eine Schwester namens Alexandra (1842–91) und eine Halbschwester aus der ersten Ehe seines Vaters, Sinaida Iljinitschna (1829–78). Sein ältester Bruder, genannt Kolja, wurde Bergbauingenieur und lebte in Charkow. Er verheiratete sich, blieb aber kinderlos. Tschaikowsky charakterisierte ihn als einen guten Menschen, aber nicht sehr zärtlich. (F66) Ippolit, Kosename Polja, trat 1854 bereits als Elfjähriger in die Marine ein, wurde Offizier und brachte es bis zum Rang eines Admirals. Er war gleichfalls kinderlos verheiratet und zunächst in Odessa, später in Tiflis ansässig, wo Tschaikowsky ihn dann häufiger besuchte. Anatol, genannt Tolja, wurde Staatsanwaltsgehilfe in St. Petersburg. Modest oder Modja hatte wie Peter Iljitsch musische Interessen, liebte Bücher, die bildende Kunst und die Musik, lernte im Ausland Erziehungsmethoden für taubstumme Kinder und versuchte sich auch als Schriftsteller. Eine innige Beziehung hatte Peter Iljitsch zu seiner Schwester Alexandra, genannt Sascha, die 1860 den Gutsbesitzer Lew Wassiljewitsch Dawydow heiratete. Tschaikowsky hielt sich oft und gern auf dessen Gut in Kamenka in der Ukraine auf.

Wesentliche Informationen über die Kindheit von Peter Iljitsch verdanken wir den Erinnerungen seiner französischen Gouvernante Fanny Dürbach. (B18ff.) Sie kam 1844 ins Haus der Familie, um die Kinder zu unterrichten, und blieb dort bis 1848. Von Anfang an spürte sie «eine besondere Zuneigung» zu Peter, «dem jüngsten ihrer Schüler», nicht nur weil er im Unterricht besonders eifrig war, sondern auch, weil «etwas Zauberhaftes» von ihm ausging. Seine enorme Sensibilität und Verwundbarkeit fielen ihr auf. «Seine Empfindsamkeit war außerordentlich groß, und man mußte äußerst behutsam mit ihm umgehen. Jede Kleinigkeit konnte ihn bestürzen oder verletzen. Er war ein Kind wie aus Porzellan.» Fanny brachte ihm vor allem die französische Sprache bei und meinte seine dichterische Begabung erkannt zu haben. Zwischen seinem sechsten und seinem achten Lebensjahr schrieb Tschaikowsky zahlreiche Gedichte in französischer Sprache, die um die Themen Gottes Güte, Heimatliebe, Liebe zu den Tieren und Mitgefühl für die Schwachen kreisen.

Eine besondere Rolle in Tschaikowskys Jugend spielten seine um zehn Jahre jüngeren Brüder, die Zwillinge Anatol und Modest. Nach dem frühen Tod der Mutter (sie starb am 13. Juni 1854 im Alter von 41 Jahren an Cholera) nahm sich der vierzehnjährige Peter ihrer an. Vor allem Modest wurde zu seinem engsten Vertrauten. Er wird später auch die erste umfängliche Biographie des großen Komponisten verfassen. Von ihm erfahren wir, dass Tschaikowsky seine Mutter über alles liebte und lange Jahre nach ihrem Tod nicht ohne Tränen von ihr sprechen konnte.

In seinen Briefen an seine Mäzenin Nadeschda von Meck kommt Peter Iljitsch des Öfteren auf seine geliebte Mutter zu sprechen. Am 23. November 1877 nennt er sie eine hervorragende, kluge Frau, die ihre Kinder leidenschaftlich liebte (F65), und bekennt: Nie werde ich mich mit dem Gedanken abfinden, daß meine Mutter, die ich so geliebt habe und die ein so hervorragender Mensch gewesen ist, nicht mehr existiert und daß ich ihr nie mehr werde sagen können, daß ich sie nach einer Trennung von dreiundzwanzig Jahren ebenso liebe wie einst. (F101) Im selben Brief spricht er von seiner Fürsorge für seine Zwillingsbrüder und schreibt: Aber von dem Augenblick an, da sie Waisen geworden waren, bemühte mich ich, sie mit der Liebe einer Mutter zu umgeben, denn aus Erfahrung weiß ich, wie tiefe Spuren die Zärtlichkeit und Liebe einer Mutter in Kinderseelen hinterläßt. (F66) Und am 13. Juni 1879 berichtet er der Freundin: Heute vor fünfundzwanzig Jahren ist meine Mutter gestorben. Das war mein erster großer Schmerz. Ihr Tod hat mein Schicksal und das meiner Familie stark beeinflußt. Sie starb in der Blüte ihres Lebens ganz plötzlich an Cholera, zu der noch eine andere Krankheit hinzugekommen war. Jeder Augenblick dieses grauenvollen Tages ist mir noch so gegenwärtig, als hätte ich ihn erst gestern erlebt. (F288) Des Sterbetages seiner Mutter gedachte Tschaikowsky auch in seinen Tagebüchern, so am 13. Juni 1886 und am 13. Juni 1889.

Seine ersten musikalischen Anregungen am Klavier erhielt er von seiner Mutter. Eines Tages brachte sein Vater aus St. Petersburg ein Orchestrion (ein mechanisches Musikwerk mit durchschlagenden Zungen und Schlagwerk) mit, und die Eltern kamen nicht aus dem Staunen heraus, als sie wahrnahmen, dass der Fünfjährige die vom Orchestrion gehörten Stücke spontan nachspielen konnte. Man beschloss, den Musikunterricht zu intensivieren, und ließ eine Klavierlehrerin für ihn kommen. Fanny Dürbach weiß zu berichten, dass der kleine Peter sich gleich nach dem Sprachunterricht ans Klavier setzte, statt die gewünschten gymnastischen Übungen zu machen. Wie empfänglich er für Musik, ja, wie buchstäblich musikbesessen er war, illustriert eine Anekdote, der zufolge er nach einem musikalischen Abend nicht schlafen konnte und Fanny weinend bat, ihm die zuvor gehörte Musik fortzuschaffen, weil sie ihn nicht in Frieden lasse. (B23)

Das Jahr 1848 brachte für die Familie Tschaikowsky gravierende Veränderungen. Im Februar trat Ilja von seinem Amt zurück und ließ sich pensionieren. Fanny Dürbach gab ihre Tätigkeit als Hauslehrerin auf. Die Familie verließ Wotkinsk und reiste im Oktober zuerst nach Moskau und dann weiter nach St. Petersburg. Doch erst im Mai 1849 fand Ilja Petrowitsch als Leiter von privaten Fabriken in Alapajewsk eine neue Tätigkeit, die ihn befriedigte. Alapajewsk lag in der Provinz Perm, ein wenig östlich des Urals und dicht an der sibirischen Grenze. Im Dezember 1849 wurde eine neue Hauslehrerin, Nastassja Petrowna Petrowa, angestellt. «Petja» – dies war Peters Kosename – fing wieder an zu lernen, spielte stundenlang Klavier, improvisierte viel, kurz: Er fand Trost in der Musik, wie er im März 1850 an Fanny schrieb. (W23)

Seine Passion für die Musik blieb seinen Eltern nicht verborgen. Gleichwohl konnten sie sich für ihn eine Zukunft als Musiker nicht vorstellen. Um 1850 genoss der Musikerberuf bei den höheren sozialen Schichten im zaristischen Russland kaum Ansehen, und die Eltern entschieden, dass Peter Iljitsch – wie bereits sein älterer Bruder Nikolaj – die renommierte Schule für Rechtswissenschaft besuchen sollte, um später Beamter im Justizministerium zu werden. Im Herbst 1850 reiste der noch nicht Elfjährige in Begleitung seiner Mutter nach St. Petersburg, Anfang Oktober wurde er dort für einen zweijährigen Vorbereitungskurs aufgenommen. Der Abschied von seiner geliebten Mutter hatte für Petja so schwere traumatische Auswirkungen, dass er noch Jahrzehnte später mit Erschütterung darüber sprach.

Die Petersburger Schule für Jurisprudenz – Gymnasium und Universität in einem – gehörte zu Russlands Eliteschulen. Peter, der fast zehn Jahre dort verbrachte, freundete sich vor allem mit Wladimir Gerard (1839–1903) und Alexej Apuchtin (1841–93) an. Gerard wurde später ein bedeutender Anwalt, und Apuchtin avancierte zu einem berühmten Dichter. Aller Wahrscheinlichkeit nach erwachten Tschaikowskys homosexuelle Neigungen im Internat der Rechtsschule. Im Mittelpunkt seiner Studien standen naturgemäß die juristischen Fächer. In seiner Freizeit spielte er jedoch weiterhin Klavier, improvisierte (eine Zeitlang leitete er die Chorproben) und schrieb Aufsätze für die Schülerzeitung. Außerdem besuchte er mit seinen Freunden oft die Italienische Oper und das Französische Theater.

Von 1855 bis 1858 nahm Tschaikowsky...

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