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E-Book

Pflege alter Menschen

Mit Schwerpunktkapitel Altersverwirrtheit und Demenz

AutorIngrid Bruckler
VerlagFacultas / Maudrich
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783990306918
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Die Pflege und Betreuung alter und hochbetagter Menschen ist eine große Herausforderung. In diesem Lehrbuch erfahren Sie alles über Theorien, Modelle und Betreuungskonzepte des Alterns, Biografiearbeit und Versorgungsarten. Anhand der AEDL werden die Bedürfnisse alter Menschen thematisiert und die wichtigsten Pflegeinterventionen dargestellt. Mit vielen Fallbeispielen, Wiederholungsfragen und Übungsbeispielen sowie einem umfangreichen Glossar. Neu in der 2. Auflage ist das Schwerpunktkapitel zu Altersverwirrtheit und Demenz, ihren Einflussfaktoren und Auswirkungen. NEU: Mit Übungs-App!

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Leseprobe

1 Allgemeine Grundlagen


1.1 Der alte Mensch in der Gesellschaft


1.1.1 Persönliche Einstellungen und Erfahrungen in Bezug auf Alter und Altern


„Jede Blüte will zur Frucht,

Jeder Morgen Abend werden,

Ewiges ist nicht auf Erden

Als der Wandel, als die Flucht.

Auch der schönste Sommer will

Einmal Herbst und Welke spüren. Halte, Blatt, geduldig still,

Wenn der Wind dich will entführen.

Spiel dein Spiel und wehr dich nicht, Laß es still geschehen.

Laß vom Winde, der dich bricht, Dich nach Hause wehen.“

Hermann Hesse

Fallbeispiel: Meinungsverschiedenheiten
Die 18-jährige Vera und die 20-jährige Klara sitzen im Gastgarten eines Cafés und beobachten eine alte, krank aussehende Frau auf der anderen Straßenseite. Sie ist offensichtlich gehbehindert und hält sich krampfhaft an ihrem Rollator fest. Auch unter größter Anstrengung gelingt es ihr nicht, mit ihrer Gehhilfe die einzige Stufe zu einem Lebensmittelgeschäft zu überwinden. Sie hält den Kopf gesenkt und schüttelt ihn immer wieder. Lange steht sie so vor dem Eingang. Viele Menschen hasten an ihr vorbei, manche werfen ihr einen flüchtigen Blick zu, andere schauen abgehetzt oder erwartungsvoll ins Innere des Geschäftes. Vera schlägt vor, hinüberzugehen und der alten Frau zu helfen. Da dreht sie sich trippelnd und langsam um und geht, nach mehrmaligen erfolglosen Versuchen, die Stufe zu überwinden, um die Ecke des Hauses und damit aus dem Blickfeld der beiden jungen Frauen.

Klara spricht sofort ihre Freundin an: „So etwas möchte ich nicht erleben. Schau dir die Quälerei dieser alten Frau an. Die kann kaum noch und keiner hilft ihr. Ja, ich möchte nicht so alt werden! Was bringt das Leben noch, wenn man mal so alt ist? Lieber intensiv und kurz leben und früh sterben. Das ist immer noch besser als sich einmal so abmühen zu müssen und so allein zu sein.“

Vera sagt darauf eher zögerlich: „Was heißt schon ‚alt sein‘? Vielleicht gäbe es ja Hilfen für diese Frau … Meine Großmutter mit ihren 73 Jahren macht noch viele Reisen, sie genießt ihr Leben und ihre große Familie. Sie sagt oft zu mir: ‚Man muss selbst etwas dafür tun, dass man im Alter nicht alleine ist und selbstständig bleiben kann.‘ Vielleicht gibt’s doch auch ganz schöne Zeiten im Alter – und Hilfen gibt’s ja auch, oder? Man könnte viel mehr für die Alten tun … Schau dir doch die zwei Frauen da drüben am Tisch an: Sie sind bestimmt beide schon über 80. Ich bin mir sicher, sie genießen ihr Zusammensein. Sie reden und lachen die ganze Zeit. Es ist so viel möglich im Alter …“

Fragen:

  • Wie mag sich die alte Frau vor dem Lebensmittelgeschäft fühlen?
  • Sollte der alten Frau geholfen werden? Wenn ja, wie?
  • Und wie fühlen sich die beiden Damen im Café?

1.1.2 Bild und Rolle, Stellenwert und Bedeutung des alten Menschen in unserer Gesellschaft in Medien, Arbeitswelt und Familie


„Das Altwerden ist ja nicht bloß ein Abbauen und Hinwelken, es hat, wie jede Lebensstufe, seine eigenen Werte, seinen eigenen Zauber, seine eigene Weisheit, seine eigene Trauer, und in Zeiten einer einigermaßen blühenden Kultur hat man mit Recht dem Alter eine gewisse Ehrfurcht erwiesen, welche heute von der Jugend in Anspruch genommen wird. Wir wollen das der Jugend nicht weiter übelnehmen. Aber wir wollen uns doch nicht aufschwatzen lassen, das Alter sei nichts wert.“

Hermann Hesse

Wir leben in einer kapitalistischen Gesellschaftsform, ausgerichtet auf Wettbewerb, Produktivität und Gewinn, in einer sogenannten freien Marktwirtschaft.

Die Bilder von alten Menschen, die wir in der Werbung finden, sind vielfältig. Wir sehen und hören Aufnahmen zur Anpreisung von Zahnprothesenhaftcreme, Hörgeräten oder auch Produkten der Pharmaindustrie, die eine gesteigerte Vitalität, Schmerzfreiheit und ein gesteigertes Wohlbefinden suggerieren. Da das Älterwerden notgedrungen mit Faltenbildung einhergeht, hat die Kosmetikindustrie dieses Thema ebenfalls für sich entdeckt.

Regelmäßig ist in Fernsehen und Presse von alten Menschen zu lesen und zu hören, wenn diese Opfer ihrer Pflege- und Betreuungspersonen oder Opfer von Raubüberfällen werden. Derartige Vorfälle gibt es nicht nur in Häusern und Wohnungen von Betagten, sondern auch in Pflegeheimen. Solche Berichte tragen mit dazu bei, welches Bild die Gesellschaft sich von alten Menschen macht.

In letzter Zeit hört man immer häufiger, wie teuer die Alten zu werden drohen, wenn sie so früh pensioniert werden. Werden sie krank und pflegebedürftig, wird es auch nicht billiger. Doch weder die Medizin noch die Pharmaindustrie noch die Pflege lebt gut davon, dass alte Menschen gesund und selbstbestimmt alt werden. So gesehen sind ja kranke alte Menschen auch ein nicht zu unterschätzender Wirtschaftsfaktor.

Die Tatsache, dass sich bereits 20-Jährige kosmetischen Operationen unterziehen, lässt vermuten, dass Altwerden offenbar bei vielen Menschen mit Angst besetzt ist. Der Zeitgeist unserer modernen Gesellschaft hat es mit sich gebracht, dass alles schneller, besser und schöner sein muss. Wenn 40-Jährige bereits um ihre Jobs bangen müssen und 50-Jährige als nicht mehr lernfähig betrachtet werden, kann man sich ausrechnen, welchen Stellenwert 80-Jährige in unserer Gesellschaft noch haben. Es drängt sich der Verdacht auf, dass es wohl nichts Schlimmeres gibt, als älter zu werden. Und doch wollen alle alt werden. Es will nur keiner alt sein, wie schon Johann Nepomuk Nestroy sagte.

Die ständig steigende Lebenserwartung ist auch ein Verdienst einer High-Tech-Medizin, die alles tut, um uns am Leben zu halten und dies oft auch erreicht. Die Qualität dieses so „verlängerten“ Lebens ist viel seltener ein Thema.

Für alte Menschen scheint es im Beruf kaum Aufgaben zu geben, denn sie sind entweder zu teuer oder zu langsam, so die landläufige Meinung. Doch es gibt auch die anderen, die gesunden, vitalen, aktiven Alten. Menschen wie Ute Bock, Elfriede Ott, Jean Ziegler oder Harald Serafin leben uns vor, dass man auch im Alter noch engagiert, kreativ und revolutionär sein kann.

Erst langsam, bedingt durch geburtenschwache Jahrgänge und explodierende Pensionskosten, setzt sich die Auffassung durch, alte Menschen länger im Erwerbsleben halten zu wollen. In Österreich stehen wir hier noch am Anfang.

Die Großelternrolle ist da, wo sie sich noch anbietet, ebenfalls gefährdet, einerseits durch den Zerfall der Großfamilie, der schon seit Längerem zu beobachten ist, andererseits durch die großen räumlichen Entfernungen, die bereits Kleinfamilien überwinden müssen, wenn sie beispielsweise in einer Stadt arbeiten, während sie in einer anderen leben.

Aufgabe:
Überlegen Sie, welche Rolle heute alten Menschen zukommt.
Weisheit und Lebenserfahrung: Werte oder Lasten? Wer fragt bzw. wer fragt heute noch danach?

Übung:
Sammeln Sie über zwei Wochen Zeitungsartikel zu den Themen und Problemen alter Menschen. Hören Sie sich Sendungen im Rundfunk und Fernsehen an.

Wiederholungsfrage:
Welches Bild alter Menschen wird in den Medien sichtbar? Deckt sich das mit Ihren persönlichen Erfahrungen?

1.1.3 Sozialhistorischer Hintergrund und Normalitätsverständnis: kulturelle, finanzielle und alltägliche Situation


„Lernen Sie Geschichte, …!“

Bruno Kreisky

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) spricht bei Menschen ab dem 60. Lebensjahr von Alter. Wenn man davon ausgeht, dass Menschen heute bereits ein sehr hohes Alter erreichen können – 90, 100 Lebensjahre sind keine Seltenheit mehr – kann man sich vorstellen, wie vielfältig und differenziert unser Wissen als Pflegeperson sein sollte, um diesen Menschen gerecht zu werden. Bei Erwin Böhm haben wir erfahren, dass der Normalitätsbegriff in den ersten 25 Lebensjahren – der sogenannten Prägungszeit – gebildet wird. Heute haben wir es mit alten Menschen zu tun, die etwa im Zeitraum zwischen 1920 und 1950 geboren sind. Doch was für Zeiten waren das? Was war damals normal in Österreich, in der Stadt, auf dem Land und im Alltag? Wie haben die Menschen gelebt?

„Reich ist man nicht durch das, was man besitzt,
sondern mehr noch durch das, was man mit Würde zu entbehren weiß.“

Epikur

Das scheint auf die Generation der heute 80 bis 90-Jährigen zuzutreffen, denn diese haben einiges erlebt. Hier wesentliche Punkte aus der österreichischen Geschichte, die das Leben vieler Menschen stark beeinflusst haben.

  • 1918 war der Erste Weltkrieg zu Ende.
  • 1925 gab es den Währungswechsel von der Krone zum Schilling. Wie wir von der Umstellung des Schillings auf den Euro wissen, gehen solche Zeiten stets mit einer gewissen Geldentwertung einher. Das hat dazu geführt, dass auch Leute mit Vermögen von Armut bedroht waren.
  • 1929 ist als das Jahr einer Weltwirtschaftskrise in die Geschichte eingegangen. Wien war voll von arbeitssuchenden Menschen, die aus allen Teilen Österreichs und den ehemaligen Ländern der Monarchie kamen. Wohnungsnot und Geldmangel waren an der Tagesordnung. In dieser Zeit begann sich auch der Antisemitismus verstärkt bemerkbar zu machen, die nationalsozialistische Partei begann sich zu formen und zu organisieren.
  • Adolf Hitler wurde 1933 zum Reichskanzler ernannt und marschierte 1938 in seinem Vernichtungs- und Rassenwahn in Österreich ein.
  • 1939 begann der Zweite Weltkrieg, an dessen Ende die Vernichtung von mehr als sechs Millionen Menschen stand. Hunger, Angst und Bombenalarm waren alltäglich....
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