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E-Book

Pflege in der Rehabilitation

Medizinische Rehabilitation und Pflegeinterventionen

VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl340 Seiten
ISBN9783170264588
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis40,99 EUR
Die Rehabilitation ist aus pflegerischer Sicht ein sehr interessanter Aufgabenbereich. Pflegerische Interventionen sind Teil des Rehabilitationskonzepts und nutzen die alltagsnahen Aktivitäten für Aktivierung, Selbstständigkeitsförderung und Anleitung. Das Buch beschreibt Aufgaben der Pflege in der Rehabilitation mit dem Schwerpunkt auf Interventionen der Rehabilitationspflege in den Bereichen der Orthopädie, Inneren Medizin/Kardiologie, Geriatrie und Neurologie. Wichtige Krankheitsbilder, interdisziplinäre Teamarbeit sowie Strategien zur Patientenüberleitung und Nachsorge sind weitere wesentliche Inhalte. Der Leser kann sich ein Bild machen, welche Kompetenzen und Qualifizierungen nötig sind, um den verschiedenen Aspekten pflegerischen Handelns in der Rehabilitation gerecht zu werden. Das Buch gibt dabei auch Empfehlungen zur Pflegepraxis außerhalb der Rehabilitation.

Ralf Schmidt, Pflegedienstleiter, Fachklinik Herzogenaurach. Heike Thiele, stellv. Stationsleitung neurologische Rehabilitation, Fachklinik Herzogenaurach und Kursleitung der Fachweiterbildung Rehabilitation, Akademie für Gesundheits- und Pflegeberufe, Universitätsklinikum Erlangen. Armin Leibig, Leitung Aus- und Fachweiterbildungen, Akademie für Gesundheits- und Pflegeberufe, Universitätsklinikum Erlangen.

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Leseprobe

1 ICF – Die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit: Eine praxisrelevante Zusammenfassung


Michael Schilder

Einleitung

Klassifikationssysteme in den Gesundheitsberufen dienen dazu, in verschlüsselter und systematischer Form diejenigen Begriffe und deren Beziehungen zueinander zu bündeln, die für den jeweiligen Beruf zur Abbildung des beruflichen Handlungsprozesses von Bedeutung sind. Als interdisziplinäre Fachsprache soll die ICF dazu beitragen, Phänomene im Zusammenhang mit funktionaler Gesundheit bzw. funktionalen Problemen eindeutig für alle professionellen Berufsgruppen im Gesundheits- und Sozialwesen zu definieren, was die Voraussetzung für deren einheitliches Verständnis und darauf bezogenes Handeln darstellt. Gesellschaftliche Entwicklungen in den Industrieländern, wie die steigende Lebenserwartung und die Zunahme chronischer Erkrankungen mit Zuständen, die zumeist nicht medizinisch therapiert und ausgeheilt werden, sondern mit länger währenden funktionalen Folgeproblemen verbunden sind, machten in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Ergänzung der bestehenden medizinischen Nomenklatur ICD durch die ICF erforderlich (DIMDI 2005; Schuntermann 2009). Diese ergänzt als Klassifikation der Gesundheitscharakteristiken die medizinische Klassifikation (ICD) und die pflegerischen (wie z. B NANDA-I), indem vor allem die sozialen Folgen einer Erkrankung in den Blick genommen werden. Mit der Zusammenführung der biologischen, individuellen und sozialen Ebenen basiert die ICF auf einem bio-psychosozialen Modell. Dieses beschreibt „die Wechselwirkung zwischen einer Person mit einem Gesundheitsproblem (ICD) und ihren Kontextfaktoren auf ihre Körperfunktionen und -strukturen, ihre Aktivitäten und ihre Teilhabe an Lebensbereichen“ (DIMDI 2005, Schuntermann 2009).

Mit der ICF ist der Anspruch einer gemeinsamen Sprache aller Gesundheitsberufe verbunden. Als solche kann sie vor allem eine Perspektive im diagnostischen Prozess, zur interdisziplinären Strategiefindung und Erfolgsmessung bieten. Im Rahmen dieses Beitrags soll aufgezeigt werden, was die ICF im Kern ausmacht. An einem Fallbeispiel wird exemplarisch die Anwendung der ICF veranschaulicht, um daraus Anhaltspunkte für ihre Verwendung im Rahmen der Rehabilitation abzuleiten.

1.1 Die Perspektive der ICF und ihre Grundelemente


Die ICF bietet als Gesundheitsklassifikation Elemente zur Beschreibung von funktionaler Gesundheit bzw. funktionalen Problemen. Wo die ICD Krankheiten und deren verursachende Faktoren beschreibt, nimmt die ICF die negativen Auswirkungen dieser auf das Leben eines Betroffenen in den Blick. Damit erweitert sie die Perspektive um die sozialen Folgen, die aus der Wechselwirkung des von einem Gesundheitsproblem betroffenen Individuums mit der gesellschaftlichen Reaktion resultieren und die sich darin zeigen, ob und in welcher Weise der Betroffene von der Teilhabe an Lebensbereichen wie Arbeit, Bildung und Gemeinschaftsleben ausgeschlossen ist. Mit dieser Schwerpunktsetzung verspricht die ICF auch einen Beitrag zur Verwendung in der beruflichen Pflege zu leisten, wenn der American Nurses Association (ANA)-Definition von Pflege – als die „Diagnose und Therapie menschlicher Reaktionen auf aktuelle oder potenzielle Gesundheitsprobleme“ – gefolgt wird, da sich auch die berufliche Pflege innerhalb des Lebens der Betroffenen abspielt (Gordon & Bartolomeyczik 2001). Wenn sich die Rehabilitation bei einer drohenden oder bestehenden Störung der Teilhabe des Menschen auf „das multi- und interdisziplinäre Management der Funktionalen Gesundheit einer Person“ in Form von Wiederherstellung oder Besserung dieser Gesundheit ausrichtet, erfasst die ICF eben diesen Gegenstand (Schuntermann 2009). So enthält die ICF als Klassifikation diejenigen Elemente, die zur Abbildung von funktionaler Gesundheit oder deren Einschränkung erforderlich sind. Demgemäß ist der Mensch funktional gesund, wenn

  • die körperlichen Strukturen und Funktionen einschließlich geistiger und seelischer Aspekte allgemein anerkannten statistischen Normen entsprechen (dieser Sachverhalt wird in den Teilklassifikationen der „Körperfunktionen“ und „Körperstrukturen“ abgebildet),
  • der Mensch all das tut oder tun kann, was von einem Menschen ohne Gesundheitsprobleme erwartet wird und
  • die Person damit zu all den Lebensbereichen Zugang hat, die für sie wichtig sind, und innerhalb derer sie sich entfalten kann (die beiden letztgenannten Sachverhalte finden sich in der Teilklassifikation der „Aktivitäten und der Teilhabe“) (DIMDI 2005, Schuntermann 2009).

Körperfunktionen und -strukturen beziehen sich auf den menschlichen Organismus einschließlich des mentalen Bereichs (Schuntermann 2009). Stellen Körperfunktionen auf die physiologischen und psychologischen Funktionen von Körpersystemen ab, bilden Körperstrukturen innerhalb der ICF anatomische Teile des Körpers, wie Organe, Gliedmaßen, und ihre Bestandteile, wie z. B Strukturen des Nervensystems, ab. Die individuelle Ebene des einzelnen handelnden Menschen in seiner Daseinsentfaltung in der Gesellschaft und Umwelt findet sich hingegen in den Teilklassifikationen der „Aktivitäten“ (wie z. B Mobilität) und der „Partizipation“ (z. B. Teilhabe am Lebensbereich Beruf) wieder (DIMDI 2005; Schuntermann 2009). Die soziale Dimension der funktionalen Gesundheit ist durch die Kontextfaktoren in Form von Umweltfaktoren (Klassifikation „Umweltfaktoren“) repräsentiert, wie z. B gesellschaftliche Einstellungen. Zu den Kontextfaktoren zählen außerdem personbezogene Faktoren, die gegenwärtig noch kein definierter Bestandteil der ICF sind und die besonderen Gegebenheiten der Person wie Alter, Geschlecht und Motivation bei der Therapiemitwirkung umfassen. Beide Kontextfaktoren wirken in positiver (dann als Förderfaktor) oder in negativer Hinsicht (dann als Barriere) auf die funktionale Gesundheit des Menschen ein. Daraus wird ersichtlich, dass sich ein und dasselbe Krankheitsbild durchaus sehr unterschiedlich in der Beeinträchtigung der funktionalen Gesundheit widerspiegeln kann, da sich diese letztlich aus der Wechselwirkung des Individuums mit dessen gesellschaftlichen Kontext konstituiert. Dies soll nachfolgend an einem Fallbeispiel erläutert werden.

1.2 Die Anwendung der ICF auf ein Fallbeispiel


Der 75-jährige Rentner Herr Fritz (fiktiver Name) ist vor drei Wochen mit einem akuten Schlaganfall (cerebri-media-Infarkt, links) in ein Krankenhaus eingeliefert worden. Er lebte bis zum Krankheitseintritt mit seiner berenteten Ehefrau zusammen in einer Mietwohnung im dritten Stock eines Mehrfamilienhauses ohne Aufzug. Die zwei Kinder des Ehepaars leben 200 km entfernt in anderen Städten. Der Betroffene, auch in Rente, übte den Beruf des Schlossers aus, war bis zum Krankheitseintritt Hobbygärtner und aktiv im Vorstand eines Fußballvereins tätig. Während der akuten Krankheitsphase unterstützte ihn seine Ehefrau im Krankenhaus, was besonders wichtig für ihn war, da er eher pessimistisch eingestellt ist und dazu neigt, schnell aufzugeben. Nach zwei Wochen intensiver Therapie und Frührehabilitation, verbesserten sich seine Fähigkeiten zur Bewegung, Wahrnehmung und Kommunikation und er wurde im Anschluss an seinen Krankenhausaufenthalt in eine Rehabilitationsklinik eingeliefert.

Der Abbildung 1.1 kann die Struktur dieses Falls innerhalb der ICF entnommen werden (vgl. BAR 2006, 2008). Ausgangspunkt der Betrachtung der mit dem Fall verbundenen funktionalen Probleme bildet die medizinische Diagnose Cerebri-media-infarkt links (ICD), welche Voraussetzung für die Anwendung des Falls in der ICF ist und sich außerhalb dieses Klassifikationssystems befindet. Die eigentliche Struktur der ICF ist mittels der grau schattierten Kästchen abgebildet. Der Schlaganfall manifestiert sich auf der Ebene der Körperstrukturen als Schädigung in Form eines linksseitigen Hirninfarkts. Schädigungen in den Körperfunktionen liegen in Form rechtsseitiger Schädigungen der Muskelkraft, des Muskeltonus, des Körperschemas sowie als Empfindungsstörungen, halbseitigen Gesichtsfeldausfall und Beeinträchtigungen im Redefluss und Sprechrhythmus vor.

Abb. 1.1: Fallstruktur in der ICF

Auf der individuellen Ebene der Aktivitäten erschließen sich aus Beobachtungen der Interaktionen des Betroffenen u. a. Beeinträchtigungen in mobilitätsbezogenen Aktivitäten wie Bewegungsdefizite der rechten Körperhälfte, die wiederum Folgen in Form von Fähigkeitsstörungen beim Gehen und bei der Körperpflege bedingen. Als Beeinträchtigung der Teilhabe zeigt sich, dass Herr Fritz seine vor dem Krankheitseintritt gewohnten Rollen, wie die des Gärtners oder Vorsitzenden eines Fußballvereins, derzeit nicht mehr ausüben kann. Auf die genannten Teilklassifikationen wirken als Kontextfaktoren Förderfaktoren in Form des zugänglichen und genutzten Gesundheitsdienstes der Rehabilitation und der motivierenden und Selbstvertrauen spendenden Ehefrau ein. Barrieren für die Teilhabe des Betroffenen nach der Entlassung in den häuslichen Bereich zeigen sich in folgenden Punkten:

  • Die Mietwohnung stellt durch das Fehlen eines Aufzugs angesichts der erwartbaren Mobilitätseinbußen eine infrastrukturelle Barriere dar.
  • Die Tatsache, dass die Kinder der Familie einen weit entfernten Wohnsitz haben, ist insofern eine Barriere, als dass sie die Ehefrau im Rahmen der Angehörigenpflege wenig kontinuierlich vor Ort unterstützen können.
  • Schließlich...
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