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E-Book

Pflege von Menschen mit Multipler Sklerose

VerlagHogrefe AG
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl335 Seiten
ISBN9783456752853
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis35,99 EUR

Halper und Holland bieten das umfangreichste und detailreichste Praxishandbuch für die Pflege von Menschen mit multipler Sklerose (MS). Es hilft, den Pflegebedarf von Menschen mit MS professionell einzuschätzen und zu erkennen, um Leiden zu lindern, Symptome zu behandeln und Risiken zu minimieren. Es bietet praxisorientiertes Wissen, um psychosoziale Folgen zu bewältigen, Kenntnisse und Fertigkeiten zu lernen, Funktionen wiederzuerlangen sowie Ressourcen und Fähigkeiten zu fördern.

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Leseprobe

1 Multiple Sklerose im Überblick


June Halper und Nancy Joyce Holland

Fallstudie ...

Janet, eine 21-jährige, alleinstehende Frau, kommt mit anamnestisch bekannter Optikusneuritis und anhaltenden Gesichtsschmerzen in die Praxis ihres Neurologen. In der Notaufnahme des nahegelegenen Krankenhauses war sie vom Notarzt und von einem Neurologen untersucht worden. Zusammen mit Blutuntersuchungen wurde ein MRT angeordnet. Sie erhielt intravenös Medikamente und man sagte ihr, sie möge sich von ihrem Neurologen weiterbehandeln lassen. Sie ist sehr ängstlich und versteht den Grund dieser Konsultation nicht. Sie ist sehr verängstigt, weil man ihr weder die Testergebnisse erläutert noch die Bedeutung ihrer Symptome erklärt hat.

Einleitung


Seit ihrer ersten ausführlichen Beschreibung durch Charcot im Jahre 1868 galt die Multiple Sklerose (MS) als eine chronische und oft zu Behinderung führende neurologische Erkrankung, die junge Erwachsene in der Blüte ihres Lebens trifft (Murray, 2005). Die Diagnose war mühselig und schwierig. Die Betroffenen sahen einer düsteren Zukunft entgegen. Diese Vorstellung von MS herrschte noch bis vor kurzem. Im ausgehenden 20. Jahrhundert erleichterten technische Fortschritte, wie etwa diagnostische Bildgebung (MRT) und neurophysiologische Tests (evozierte Potenziale) sowie sensitivere biologische Tests, wie die Liquoranalyse, die Diagnose der MS, was dazu führte, dass Gesundheitsfachpersonen früher darauf aufmerksam wurden und die Behandlung früher einsetzte. Dies steht in direktem Gegensatz zur Pflege und Versorgung zu Beginn und in der Mitte des 20. Jahrhunderts, die oft als die «Diagnose-und-Tschüss»-Ära bezeichnet wurde (L. Scheinberg, pers. Mitt., 1980–1990). In der Folge verschob sich der Schwerpunkt der MS-Therapie von der episodischen Akutversorgung mit rudimentärem Symptommanagement zur frühzeitigen Behandlung mit Krankheitsmodifikation und zu der Möglichkeit, einen Verlauf zu ändern, von dem man früher dachte, er führe geradewegs in schwere Behinderung. Darüber hinaus sind in der gesamten Gemeinschaft der MS-Fachleute ein größeres Verständnis und eine höhere Akzeptanz des Wertes umfassender symptomatischer Pflege und Versorgung, psychologischer Interventionen und von Reha-Dienstleistungen als Leitmotiv der MS-Pflege und -Versorgung entstanden.

Angesichts der Fokussierung auf den Bedarf an Akutpflege- und -versorgung des Patienten, auf den technologischen und chirurgischen Fortschritten sowie den Interventionen der Primärversorgung wurde die Pflege chronisch Kranker oder Behinderter in der Pflegeausbildung traditionell nicht besonders betont. Die komplexe Natur der MS und deren lebenslange Probleme erfordern außer den Neurologen auch die Fertigkeiten und direkten Leistungen zahlreicher weiterer Fachkräfte der Gesundheitsversorgung. Pflegende, die sich auf dieses Gebiet begeben, sind oft mit Informationslücken hinsichtlich der Krankheit, ihrer Verlaufsformen und der aktuellen Behandlung konfrontiert.

Pflegende, die in der Patienten- und Familieninteraktion oft eine zentrale Stellung einnehmen, sind sich unter Umständen über ihre Rolle und Verantwortlichkeit sowie über die für eine effektive Pflege nötigen Fertigkeiten im Unklaren. Je nachdem, welche Informationen und Unterstützung eine Pflegeperson erhält, wenn sie sich auf dieses Fachgebiet begibt, kann die Pflege bei MS als überwiegend schwierig oder als lohnend angesehen werden. Aus der Perspektive der Autorinnen betrachtet können die Pflege und Versorgung von Patienten mit MS, die Interaktion mit verschiedenen Gesundheitsfachpersonen (z.B. Kollegen aus der Pflege, Reha-Spezialisten, Sozialarbeiter, Berater) und die Interaktion mit verschiedenen Fachärzten, wie Neurologen, Urologen, Orthopäden und Ophthalmologen, sowie mit Vertretern von Naturheilverfahren eine Pflegeperson über viele Jahre hinweg in dieser beruflichen Sphäre halten.

Für eine Pflegefachperson ebenso wie für Mitglieder des MS-Teams gibt es viele Gelegenheiten, um die Pflege und Versorgung aller von MS Betroffenen zu verbessern. Ziel dieses Buches war es, die Pflege von Menschen mit MS zu unterstützen und zu stärken und deren Familien im Laufe eines ganzen Lebens mit dieser Erkrankung zu unterstützen.

Epidemiologie, Inzidenz und Prävalenz


In den USA gibt es schätzungsweise 400000 Menschen mit MS und weltweit sind es etwa zwei Millionen. In Deutschland wird die MS-Prävalenz auf 150000–180000, in Österreich und der Schweiz auf jeweils 10000–15000 geschätzt. Die Diagnose MS wird heute häufiger als früher gestellt, die Gründe dafür sind jedoch unklar. Wahrscheinlich tragen ein höherer Bekanntheitsgrad der Krankheit, besserer Zugang zu medizinischer Versorgung und eine verbesserte Diagnostik dazu bei. Es ist nicht definitiv belegt, dass die MS-Rate generell ansteigt. Bei den meisten Menschen wird die Diagnose im Alter zwischen 20 und 50 Jahren gestellt, wobei MS aber auch bei Kleinkindern und deutlich älteren Erwachsenen auftreten kann (www.nmss.org).

Weltweit tritt MS deutlich häufiger oberhalb des 40. Breitengrades als näher am Äquator auf. Allerdings können die Prävalenzraten innerhalb eines geographischen Bereichs mit ziemlich übereinstimmendem Breitengrad und Klima erheblich schwanken. Diese Unterschiede zeigen, dass nicht nur geographische Faktoren beteiligt sind (www.nmss.org).

MS kommt unter Kaukasiern (vor allem nordeuropäischer Abstammung) häufiger vor als in anderen Ethnien, aber auch Menschen afrikanischer, asiatischer und hispanischer Herkunft erkranken daran. In manchen Populationen, darunter Inuit, Jakuten, Hutterer (konservative christliche Glaubensgemeinschaft in Nordamerika mit wenig Austausch nach außen), ungarische Roma, norwegische Lappen, die Aborigines Australiens und die Maoris in Neuseeland, ist MS unabhängig von dem Breitengrad, auf dem sie leben, nahezu unbekannt. Dies zeigt, dass ethnische Zugehörigkeit und geographische Lage auf komplexe Weise interagieren und sich damit auf die Prävalenzzahlen in verschiedenen Teilen der Welt auswirken (Compston/Coles, 2008).

Inzwischen ist man der Ansicht, MS sei das Ergebnis einer Wechselwirkung genetischer wie umweltbedingter Faktoren (Sadovnick, 1994; Stewart/Kilpatrick, 2006). Es gibt die Theorie, dass die Anfälligkeit für MS von verschiedenen Genen kontrolliert wird. Indem er diese Gene erbt, wird jemand anfällig für einen Immunstimulus (möglicherweise ein Virus), der wiederum zur Schädigung des Myelins und zur klinischen MS führt (Oksenberg/Hauser, 2006; Sadovnik, 1994). Die spezifischen Gene und die Art ihrer Interaktion müssen noch identifiziert werden. Aus diesem Grund sind die Daten zur geographischen Verteilung der MS nur schwierig zu interpretieren (Oksenberg/Hauser, 2006; Sadovnik, 1994) und bleiben ein umstrittenes Thema. De Jager et al. veröffentlichten 2009 eine Arbeit, in der die Integration genetischer Risikofaktoren in einen klinischen Algorithmus zur Vorhersage der MS beschrieben wurde, aber es bedarf auf diesem sehr komplexen Forschungsgebiet noch weiterer Arbeit.

Zusammen mit einigen anderen wahrscheinlichen Kandidaten von Interesse gilt das humane Herpes-Virus (HHV; Epstein-Barr-Virus [EBV]) als Auslöser der MS. Lünemann und Münz veröffentlichten 2009 einen interessanten Artikel und viele weitere Forschende vermuten, dass das EBV potenziell an der Pathogenese der MS beteiligt ist. Weitere Viren, wie etwa das der Hundestaupe, das Masernvirus sowie HHV-6, galten im Laufe der vergangenen Jahrzehnte als wahrscheinliche Kandidaten, jedoch ohne sicheren Nachweis, um eines dieser Viren als auslösendes Agens mit MS in Verbindung zu bringen.

Die Krankheit scheint eine ausgesprochen ungleichmäßige Verteilung zu haben. Kurtzke (1985) stellte je nach Breitengrad Bereiche mit hohem, mittlerem und geringem Risiko fest. In den USA zeigten südlich des 37. Breitengrades nördlicher Breite gelegene Bundesstaaten niedrigere Sterberaten als nördlich dieser Linie gelegene Bundesstaaten, die deutlich über dem Landesdurchschnitt lagen. Prävalenzstudien an Gruppen von Nordeuropäern und Nordamerikanern, die aus Gegenden mit hohem Risiko in Gegenden mit geringem Risiko migrierten, zeigen, dass das hohe Risiko fortbesteht, wenn die Auswanderung in einem Alter über 15 Jahre erfolgt (Alter et al., 1971; Dean, 1967; Moffie, 1966). Diejenigen, welche mit weniger als 15 Jahren emigrierten, übernahmen das niedrige Risiko der Länder, in die sie einwanderten. Diese Unterschiede haben die Hypothese entstehen lassen, es gebe ein kritisches Expositionsalter für unbekannte kausale oder auslösende Faktoren (möglicherweise ein Virus), und sprechen für eine lange Latenzphase zwischen Exposition und Ausbruch der Erkrankung (Ebers, 1998; Granieri et al., 1993).

Dieses geographische Verteilungsmodell wurde mit der Begründung kritisiert, der Vergleich von Prävalenzraten sei «aus sehr unterschiedlichen Gegenden, Ländern und Regionen zu unterschiedlichen Zeiten dokumentiert» worden (Granieri et al., 1993: S17). Granieri et al. wiesen auch darauf hin, dass neuere europäische Prävalenzstudien früheren Studien widersprechen. Eine Studie in Italien zeigte, dass die Prävalenz auf den südlichen Inseln Sizilien und Sardinien sogar höher ist (Rosati, 1990; Savettieri, 1983). Ähnliche Resultate zeigen Studien in Jugoslawien (Sepcic et al., 1989) und Spanien (Martín et al., 1988).

Granieri et al. (1993) zufolge «mag die einem niedrigeren Breitengrad zugeschriebene geringere MS-Prävalenz teilweise Unterschiede im Niveau, in der Qualität und in der Organisation des Gesundheitssystems sowie in der Zugänglichkeit und Fallsicherung widerspiegeln – Variablen, die...

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