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Phädon oder über die Unsterblichkeit der Seele

Leben und Charakter des Sokrates + Phädon in drei Gesprächen

AutorMoses Mendelssohn
Verlage-artnow
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl329 Seiten
ISBN9788026820055
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Dieses eBook: 'Phädon oder über die Unsterblichkeit der Seele' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Moses Mendelssohn (1729-1786) war ein deutscher Philosoph der Aufklärung und gilt als Wegbereiter der Haskala. 1767 veröffentlichte er Phädon oder über die Unsterblichkeit der Seele - einen viel gelesenen philosophischen Text, der in mehreren Auflagen erschien und in zehn Sprachen übersetzt wurde. Dieses Werk ist eine Interpretation des platonischen Dialogs Phaidon, 'modernisiert und in Wolffische Metaphysik verwandelt' (Hegel). Seinen Dialogen stellte Mendelssohn - von Zeitgenossen als 'deutscher Sokrates' bezeichnet - eine lesenswerte Biographie zu 'Leben und Charakter des Sokrates' voran.

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Leseprobe

Phädon, oder über die Unsterblichkeit der Seele.



Erstes Gespräch.



ECHEKRATES, PHÄDON, APOLLODORUS, SOKRATES, CEBES, KRITO, SIMMIAS.

ECHEKRATES
Warst du selbst mein Phädon! denselben Tag beym Sokrates, als er im Kerker den Gift zu sich nahm, oder hat es dir jemand erzählet?

PHÄDON
Ich selbst, Echekrates! war da.

ECHEKRATES
Was sprach der Mann vor seinem Tode? wie starb er? Wenn mir doch jemand alles umständlich erzählen wollte! die Phliasischen Bürger kommen itzt selten nach Athen, und auch von daher ist schon lange kein Gast zu uns gekommen, der uns dergleichen Nachrichten hätte überbringen können. So viel haben wir vernommen: Sokrates hat Gift getrunken und ist gestorben; nicht den geringsten Umstand mehr.

PHÄDON
Nichts von seiner Verurtheilung?

ECHEKRATES
O ja! Das hat uns jemand erzählet. Wir verwunderten uns noch, daß man ihn, nachdem er bereits verurtheilet gewesen, noch so lange hat leben lassen. Wie kam dieses, Phädon?

PHÄDON
Ganz von ungefähr, Echekrates. Es traf sich eben, daß das Schiff, welches die Athenienser jährlich nach Delos zu schicken pflegen, den Tag vor seiner Verurtheilung bekränzt wurde.

ECHEKRATES
Und dieses Schiff –

PHÄDON
soll, wie die Athenienser sagen, dasselbe Fahrzeug seyn, in welchem einst Theseus die sieben Paar Kinder unbeschädigt nach Kreta hin und wieder zurück gebracht hatte. Die Stadt soll, wie man hinzusetzt, dem Apollo damals das Gelübde gethan haben, ihm jährlich in diesem Schiffe stattliche Geschenke nach Delos zu schicken, wenn diese anders ohne Schaden zurück kommen würden; und seit der Zeit hat man dem Gotte noch immer Wort gehalten.

Wenn das heilige Schiff abgehen soll, so behänget der Priester des Apollo das Hintertheil desselben mit Kränzen, und sofort nimmt die Feyer der Theorie ihren Anfang. Dieses Fest dauert so lange, bis das Schiff zu Delos angelangt, und von da wieder zurück gekommen ist, binnen welcher Zeit die Stadt gereiniget wird, und nach dem Gesetze niemand öffentlich hingerichtet werden darf. Wenn das Schiff von widrigen Winden aufgehalten wird, so können die Verurtheilten hiedurch lange Frist gewinnen.

Der Zufall fügte es, wie ich schon vorhin gesagt, daß die Bekränzung des Schiffes einen Tag vorher geschahe, ehe Sokrates verurtheilet worden; und darum verstrich eine so geraume Zeit zwischen seiner Verurtheilung und seinem Tode.

ECHEKRATES
Aber den letzten Tag, Phädon! wie gieng es da? Was hat er gesprochen? Was hat er gethan? Welche Freunde waren in der Todesstunde bey ihm? Oder wollten die Archonten niemanden zu ihm lassen? und verschied er, ohne einen Freund um sich zu haben?

PHÄDON
Keinesweges! es waren ihrer viele zugegen.

ECHEKRATES
Halten dich keine Geschäffte ab, Phädon, so erzähle mir, was sich dabey zugetragen. Ich bin sehr begierig, alle Umstände von dieser wichtigen Begebenheit zu erfahren.

PHÄDON
Und ich eben so willig, sie dir zu berichten. Ich habe niemals Geschäffte, so oft ich mich vom Sokrates unterhalten kann. Was ist angenehmer, als sich dieses Mannes zu erinnern, von ihm zu reden oder reden zu hören?

ECHEKRATES
Deine Zuhörer, Phädon, sind der nehmlichen Gesinnung. Erzähle also alles, so genau und so umständlich, als es dir möglich ist.

PHÄDON
Ich war zugegen, Freund! aber mir war wunderbar zu Muthe. Ich fühlte kein Mitleiden, kein solches Beklemmen, als wir zu empfinden pflegen, wenn ein Freund in unsern Armen erblasset. Der Mann schien mir glückselig, beneidenswerth, Echekrates! so sanft, so ruhig war sein Betragen in der Todesstunde, so gelassen waren seine letzten Worte. Sein Thun dünkte mich, nicht wie eines Menschen, der vor seiner Zeit zu den Schatten des Orkus hinunter wandelt; sondern wie eines Unsterblichen, der versichert ist, da wo er hinkömmt, so glückselig zu seyn, als je einer gewesen. Wie konnte ich also die bangen Empfindungen haben, mit welchen der Anblick eines gemeinen Sterbenden unser Gemüth zu verwunden pflegt? Gleichwohl hatten die philosophischen Unterredungen unsers Lehrers damals die reine Wollust nicht, die wir an ihnen gewohnt waren. Wir empfanden eine seltsame, nie gefühlte Mischung von Lust und Bitterkeit; denn das Vergnügen ward beständig von der nahenden Empfindung unterbrochen: »Bald werden wir ihn auf ewig verlieren

Wir Anwesenden befanden uns alle in diesem sonderbaren Gemüthszustande, und die entgegengesetzten Wirkungen desselben zeigten sich gar bald eben so sonderbar auf unsern Gesichtern. Man sah uns jetzt lachen, jetzt Thränen vergießen, und öfters zeigte sich ein Lächeln um die Lippen, und heiße Zähren in den Augen. Jedoch übertraf Apollodorus hierinnen uns alle. Du kennest ihn, und sein empfindliches Wesen.

ECHEKRATES
Wie sollte ich ihn nicht kennen?

PHÄDON
Dieser machte die seltsamsten Bewegungen. Er empfand alles weit feuriger, war entzückt, wenn wir lächelten, und wo uns die Augen wie bethauet waren, da schwamm er in Zähren. Wir wurden durch ihn fast mehr gerührt, als durch den Anblick unsers sterbenden Freundes.

ECHEKRATES
Wer waren denn die Anwesenden alle?

PHÄDON
Von den hiesigen Stadtleuten: Apollodorus, Kritobulus und sein Vater Krito, Hermogenes, Epigenes, Aeschines, Antisthenes, Ktesippus, Menexenus und noch einige andere. Plato, glaube ich, war krank.

ECHEKRATES
Waren auch Fremde da?

PHÄDON
Ja! Aus Theben; Simmias, Cebes und Phädondes, und aus Megara; Euklides und Terpsion.

ECHEKRATES
Wie? waren denn Aristippus und Kleombrotus nicht da?

PHÄDON
O nein! Diese sollen sich damals zu Aegine aufgehalten haben.

ECHEKRATES
Sonst war also niemand dabey?

PHÄDON
Ich weiß mich auf keinen mehr zu besinnen.

ECHEKRATES
Nun, mein Lieber! was für Unterredungen sind dabey vorgefallen?

PHÄDON
Ich werde dir alles vom Anfange bis zum Ende erzählen.

Wir waren gewohnt, so lange Sokrates im Gefängnisse saß, ihn täglich zu besuchen. Wir pflegten zu diesem Ende in der Gerichtsstube zusammen zu kommen, in welcher das Urtheil über ihn gesprochen worden, (denn diese ist sehr nahe am Gefängnisse) und allda uns so lange mit Gesprächen zu unterhalten, bis die Kerkerthüre aufgethan ward, welches denn nicht sehr früh zu geschehen pflegt. So bald diese aufgieng, begaben wir uns zum Sokrates, und brachten mehrentheils den ganzen Tag bey ihm zu. Den letzten Morgen fanden wir uns früher als gewöhnlich ein, denn wir erfuhren Abends vorher, als wir nach Hause giengen, daß das Schiff von Delos angekommen sey, und beschlossen, das letzte mal uns so früh als möglich einzustellen.

Als wir zusammen waren, kam uns der Schließer, der die Kerkerthüre zu öffnen pflegte, entgegen, bat uns, zu verziehen, und nicht hinein zu gehen, bis er rufen würde. Denn die eilf Männer, sprach er, nehmen itzt dem Sokrates die Fessel ab, und melden ihm, daß er heute sterben müsse. Nicht lange hernach kam er, uns zu rufen. Als wir hinein giengen, fanden wir den so eben losgebundenen Sokrates auf dem Bette liegen. Xantippe, du kennest sie, saß neben ihm in stiller Betrübniß, und hielt ihr Kind auf dem Schooße. Als sie uns erblickte, fieng sie an, nach Weiberart, überlaut zu jammern. Ach! Sokrates! du siehest heute deine Freunde, und ihr sehet heute den Sokrates zum letzten male! und ein Strom von Thränen folgte auf diese Worte. Sokrates wandte sich zum Krito, und sprach: Freund, laß sie nach Hause bringen. –

Kritons Bedienten führten sie hinweg: sie gieng und heulete, und zerschlug sich jämmerlich die Brust. Wir standen wie betäubt. Endlich richtete sich Sokrates im Bette auf, krümmte das Bein, das vorhin gefesselt war, und indem er die Wunden mit der Hand rieb, sprach er: O meine Freunde! welch ein seltsames Ding scheinet das zu seyn, was man Vergnügen nennet! wie wunderbar! Dem ersten Anblicke nach ist es den Schmerzen entgegen gesetzt, indem kein Mensch zu gleicher Zeit aus einer Sache Schmerz und Vergnügen schöpfen kann; und dennoch kann niemand eine von diesen Empfindungen haben, ohne unmittelbar darauf die entgegengesetzte zu fühlen, als wenn sie an beiden Enden an einander befestiget wären. Hätte Aesopus dieses bemerkt, fuhr er fort, so hätte er vielleicht folgende Fabel erdichtet. »Die Götter wollten die streitenden Empfindungen mit einander vereinigen: als aber dieses sich nicht thun ließ, knüpften sie zwischen ihnen ein festes Band; und seit der Zeit folgen sie sich einander beständig auf dem Fuße nach.« So ergehet es mir auch itzt. Die Fessel hatten mir Schmerzen verursacht, und itzt, da sie hinweg sind, folgt die angenehme Empfindung nach.

Beym Jupiter! ergriff Cebes das Wort, gut, daß du mich erinnerst, Sokrates! Du sollst, wie man sagt, hier im Gefängnisse einige Gedichte verfertiget, nehmlich Aesopische Fabeln poetisch ausgeführet, und eine Hymne an den Apollo aufgesetzet haben. Nun fragen mich viele, und vornehmlich der Dichter Evenus, was dich hier auf die Gedanken...

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