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Philosophie der Renaissance

AutorHeinrich C. Kuhn
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783170236028
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Stärker als vorangehende Epochen ist das Zeitalter der Renaissance (ca. 1350 bis ca. 1650) durch zahlreiche wirtschaftliche, künstlerische, politische, technische, literarische, theologische, soziale und philosophische Neuorientierungen geprägt. Kaum etwas ist am Ende dieses Zeitabschnitts so wie es am Anfang war. Die 11 Kapitel dieser 'Philosophie der Renaissance' (Prag 1356, Padua 1408, Florenz 1434, Wien 1489, Florenz 1519, Wittenberg 1560, Ingolstadt 1577, Montaigne 1588, Ciudad de Mexico 1599, Peking 1601, Paris 1625 / München 2013) gehen von einer spezifischen örtlichen und geistesgeschichtlichen Situation aus und stellen jeweils relevante Texte und deren Voraussetzungen, Kontexte und Wirkungen vor. So kommt die Philosophie dieser Zeit in ihrer Vielschichtigkeit und Vielseitigkeit in den Blick. Dr. Heinrich C. Kuhn ist akademischer Geschäftsführer des Seminars für Geistesgeschichte und Philosophie der Renaissance der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Heinrich C. Kuhn ist akademischer Geschäftsführer des Seminars für Geistesgeschichte und Philosophie der Renaissance der Ludwig-Maximilians-Universität München.

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Leseprobe

Prag 1356


Prag, das ist die Stadt Kaiser Karls IV., von ihm gefördert und geformt; 1356, das ist das Jahr der Goldenen Bulle, aber auch das Jahr, in dem sich Petrarca – mäßig begeistert1 – für kurze Zeit in Prag aufhält.

Prag ist 1356 bereits eine durch Karl2 geprägte, umgestaltete Stadt: abgesehen vom Neubau des Veitsdoms vor allem durch das Projekt der Errichtung der Prager Neustadt3 als steingebauter Stadt für Christen und Juden ab spätestens 13484 und durch die Gründung der Prager Universität (der heutigen Universitas Carolina / Univerzita Karlova v Praze) 1347/1348/1349.5

Vor der Universitätsgründung wird ein päpstliches Privileg erwirkt, doch in den eigentlichen Gründungsurkunden werden Gründung und Privilegierung durch den Kaiser ohne Bezug auf dieses Privileg bezeugt – aus eigenem Amt, eigener Kraft6 –, wie auch in der Goldenen Bulle die Angelegenheiten des Reiches ohne Einbeziehung des Papstes geregelt werden.

Die zentrale Urkunde, das Gründungsdokument vom 7. April 1348, erlässt Karl in seinen beiden Funktionen, als König des Heiligen Römischen Reichs und als König von Böhmen. Erstes Ziel ist der kunstvolle Schmuck des Königreiches Böhmen mit einer großen Anzahl von Männern, die sich durch praktische Weisheit auszeichnen. Als nächstes wird bereits die regionale Selbstversorgung mit Gelehrten genannt – ein erster Schritt zur Entwicklung von „Landesuniversitäten“, deren Durchsetzung zum Zusammenbruch des gemeinsamen europäischen Hochschulraums am Ende der Renaissance7 mit beitragen wird –, dann jedoch auch gleich der Gewinn Auswärtiger. Die Universität wird als studium generale – sich auf alle Fächer erstreckend – gegründet, und den an ihr Unterrichtenden wie Lernenden werden mindestens die gleichen Privilegien versprochen, wie sie in Paris und Bologna üblich sind.

Philosophische Vorlesungen werden zunächst als kurzen Textpassagen folgende Auslegung des vorgeschriebenen Textes (z.B. der Physik des Aristoteles) gehalten; sie wurden im 15. Jahrhundert durch den modus quæstionis ersetzt, bei dem nicht mehr Textpassagen, sondern Fragen und Probleme diskutiert wurden – zum Teil unter Nutzung von Texten aus anderen Universitäten.8 Das inhaltlich Geforderte unterscheidet sich in mehrerem von Pariser Vorbildern: So legt man in Prag weniger Gewicht auf Latein- und mehr Gewicht auf Logikkenntnisse als in Paris und betrachtet (ebenfalls im Unterschied zu Paris) Aristoteles’ Physik als Text für Studierende im Grundstudium (bis zum Bakkalaureat) und Aristoteles’ Topik als Text für Fortgeschrittenere, die sich auf das Lizenziat vorbereiten.9 Sowohl Wien als auch Erfurt werden diesem Modell folgen. Die meisten für das Artes-Studium vorgeschriebenen Texte sind wenig außergewöhnlich, doch finden sich auch explizit vorgeschrieben die Œconomica (philosophische Hausund Staatswirtschaftlehre) und die Parva naturalia (die eine im Vergleich zu den meistgelesenen naturphilosophischen Schriften des Aristoteles eine offenere, metaphysikärmere, unsystematischere Behandlung natürlicher Phänomene bieten). Selbstverständlich folgte auch in Prag die Studienpraxis nicht immer exakt den Vorschriften, aber ein Beispiel von 1389 (Bakkalaureus Johann Jahenstarfer) zeigt, dass es zwar „Kürzungen“ an anderer Stelle gab, aber sowohl die Vorlesungen zur Topik als auch die zu den Œconomica und den Parva naturalia besucht wurden. Mindestens einige der Professoren folgen Buridan. Wycliff wird früh (vielleicht schon 1378/79) rezipiert. Was sich hingegen zu dieser Zeit nicht findet, ist die Aufnahme radikal „neuer“ Gegenstände (studia humanitatis, Geschichte …) in den Lehrplan der Artes-Fakultät.

Damit ist die neugegründete Universität durchaus modern – aber auf eine Bestehendes nutzende und moderat umformende, nicht revolutionäre Weise.

Neues unter Nutzung von Vorhandenem, das auf neue Weise realisiert wird, ist auch das, was die Bulla Aurea kennzeichnet, die Goldene Bulle, die unter allen mit Gold gesiegelten Bullen den Ehrennamen Goldene Bulle erhalten hat, die die Angelegenheiten des Reiches in einigen Aspekten für die nächsten 450 Jahre regeln sollte.

Älteres, wie die Bezugnahmen auf die Bibel10 und mindestens Parallelen zu Texten Kaiser Friedrichs II., waren mehr als ein Jahrhundert früher entstanden. Anderes hingegen findet sich – wie später erkennbar werden wird – bewusst nicht: kein universaler Anspruch des Kaisertums (wie in Dantes Monarchia),11 keine Grundlegung durch (weltliches und/oder kirchliches) Römisches Recht, keine Bezugnahme auf das Verhältnis weltlicher und geistlicher Macht, von Kaiser und Papst.12

Auch Neueres findet sich: das Streben nach Frieden und Einheit bzw. deren Bewahrung als Ausgangspunkt zu Beginn der Goldenen Bulle – wie auch im Defensor pacis13 des Marsilius von Padua in den ersten beiden Paragraphen des ersten Kapitels der ersten Diccio. Die Bezugnahme auf eine große Teilnehmerzahl bei der Gesetzesverkündigung14 (bei der jedoch bemerkenswerterweise keine Bauern – damals nach aller Vermutung die mit Abstand personenreichste Gruppe der Einwohner des Reiches! – erwähnt werden) und die Entscheidung über den künftigen König durch eine herausgehobene Gruppe, die Kurfürsten in der Goldenen Bulle – man vergleiche Marsilius’ Lob der Wahlmonarchie und seine berühmte Aussage zur „valencior pars“15: Die Regeln der Goldenen Bulle für das Gerichthalten über den König (Anklage und Urteil durch den Pfalzgrafen bei Rhein, aber nur in der curia imperialis in Anwesenheit des Königs oder Kaisers) entsprechen zumindest formal den Forderungen des Marsilius, insbesondere der nach einer gesetzlichen Regelung für solche Fälle. Ob dabei Marsilius’ Defensor pacis direkt oder indirekt16 den Text der Goldenen Bulle beeinflusst hat, kann dahingestellt bleiben.17 Dass das, was sich in Karls Bulle findet, größere Ähnlichkeit hat mit dem, was sich in der „neueren“ Sicht auf Reich und Politik des Marsilius findet und in der (nicht sehr viel) „älteren“ Dantes, ist hingegen deutlich.

Und doch befinden sich am Hofe Karls auch Personen, Autoren, die diese „ältere“ Sicht vertreten: Cola di Rienzo18 und Francesco Petrarca.19

Cola di Rienzo scheint Dantes Monarchia dem Hof Karls vermittelt zu haben,20 ist u.U. auch Autor eines Kommentars zu selbigem Text, der durchaus Positionen Karls IV. enthält, steht für Preis des antiken Rom und Beklagen der derzeitigen Situation Roms.21 Er versuchte sich Karl in Prag als dessen Onkel zu präsentieren – da er, Cola, ein Sohn Heinrichs VII. sei – und Karl zu schleunigem und weltveränderndem Romzug zu bewegen. Aber Karl lehnt eine Mitwirkung an einer Weltveränderung mit einem Colas besondere Einsichten bestreitenden „non est vestrum nosse tempora vel momenta“ ab. Was Colas wie seine eigenen Ahnen betrifft, verweist er auf die gemeinsame Abstammung von Adam. Karls Erzeugung eines eigenen Bildes seiner selbst für die Mit- und Nachwelt durch eigene Texte – insbesondere seine Autobiographie22 –ist wohlbekannt. Die Erzeugung eines eigenen Bildes findet sich auch bei Cola, mit Brandis Worten: „Dieser Literat malt an sich selber in unendlicher Gestaltungskraft; halb in Anpassung an den Augenblick, halb aus innerem Drang“.23

Wirkmächtig bis heute in der Verbreitung seines von ihm selbst in seinen selbst zusammengestellten, redigierten, herausgegebenen Briefen24 und anderen Texten geschaffenen Bildnisses seiner selbst war Francesco Petrarca.25 Die folgenden Ausführungen bieten eine Erzählung, die – ob zu Recht oder zu Unrecht, kann in einer solchen Erzählung wohl dahingestellt bleiben – das in diesen Texten Berichtete als wahr unterstellt, und zwar stets in dem Bewusstsein, dass es alles andere als ausgeschlossen ist, dass etwa Gesprächspartner und/oder Ohrenzeugen von durch Petrarca geschilderte Gespräche in Bezug auf diese andere Erinnerungen gehabt haben können, u.U. andere Berichte davon hätten geben können, ja sogar (auch wenn ich keine Kenntnis davon hätte) gegeben haben.26

Im Februar 1351 fordert Petrarca Karl IV. wortreich, inständig und unter Verweis auf antike Vorbilder und auf Kaiser Heinrich VII. auf, schleunigst nach Italien zu kommen und das Romanum Imperium wieder atmen zu lassen, ein Reich, das durchaus als weltumspannend gesehen wird27:

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