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E-Book

Philosophie des Geistes zur Einführung

AutorJasper Liptow
VerlagJunius Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl218 Seiten
ISBN9783960600060
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Was heißt es, ein denkendes, wahrnehmendes und empfindendes - kurz: ein »geistiges« Wesen zu sein? Das ist die Grundfrage der Philosophie des Geistes. In dieser Einführung wird im Gegensatz zu üblichen Darstellungen nicht die Frage nach dem Verhältnis von Körper und Geist in den Mittelpunkt gestellt, sondern die Explikation unseres alltäglichen Verständnisses unserer selbst als geistiger Wesen. Was sind überhaupt geistige Zustände und Vorgänge? Wie lassen sie sich von anderen Zuständen und Vorgängen abgrenzen? Und nach welchen Prinzipien lassen sie sich in unterschiedliche Arten wie Gedanken, Wahrnehmungen oder Empfindungen einteilen? Im Nachdenken über diese Fragen werden die zentralen Probleme und Positionen der gegenwärtigen Philosophie des Geistes verständlich gemacht.

Jasper Liptow vertritt zur Zeit den Lehrstuhl für Theoretische Philosophie an der Universität Basel.

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Leseprobe

2. Eine kleine Ontologie des Mentalen


Ich habe, um mich auf Mentales insgesamt zu beziehen, bisher zwei Arten von Aufzählungen verwendet, die implizieren, dass sich der Bereich des Mentalen in unterschiedlichen Weisen in grundlegende Arten einteilen lässt. Zum einen habe ich von »Gedanken, Wahrnehmungen, Empfindungen usw.« geredet, zum anderen von »mentalen Zuständen, Ereignissen usw.«. Das mag für die Zwecke einer Einleitung in eine Einführung noch gerade durchgehen, sobald man aber auf ein genaueres Verständnis der Fragen, Probleme und Positionen der Philosophie des Geistes aus ist, muss man sich Klarheit verschaffen über die Prinzipien, nach denen man den Bereich des Mentalen in grundlegende Arten einteilt, und über die Begriffe, mit denen man diese Arten bezeichnet.

Auf Fragen wie die nach dem Unterschied zwischen Gedanken, Wahrnehmungen, Empfindungen usw. werden wir in späteren Kapiteln noch eingehen. In diesem Kapitel wollen wir uns mit Unterschieden der zweiten Art beschäftigen. Hier handelt es sich um Unterschiede, die durch den Gebrauch von ontologischen Begriffen getroffen werden, von Begriffen also, deren Funktion es ist, ›Dinge‹ – im weitesten Sinn des Wortes genommen – in den grundlegendsten und allgemeinsten Hinsichten überhaupt zu charakterisieren und zu klassifizieren. Die in der philosophischen Diskussion übliche Unterscheidung zwischen substanz- und eigenschaftsdualistischen Positionen etwa ist ebenso eine ontologische Unterscheidung wie die zwischen mentalen Zuständen, Ereignissen und Prozessen. In diesem Kapitel möchte ich diese Begriffe so weit klären, wie das für ein Verständnis der anstehenden philosophischen Probleme im Zusammenhang mit dem Mentalen wichtig ist. Nicht zuletzt soll dabei die in der Philosophie des Geistes weit verbreitete pauschale Rede von mentalen Zuständen als Sammelbegriff für so unterschiedliche ›Dinge‹ wie Überzeugungen, Urteile, Wahrnehmungen, Absichten, Schmerzerlebnisse und Stimmungen einerseits erläutert, andererseits aber vor allem durch eine differenziertere Rede ersetzt werden, die es erlaubt, diese verschiedenen ›Dinge‹ hinsichtlich ihrer zeitlichen Form zu unterscheiden. Diese Unterscheidung ist kein Selbstzweck. Sie hilft uns, phänomenologisch und alltagspsychologisch wichtige Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen Arten des Mentalen zu artikulieren und im Blick zu behalten, und ermöglicht uns dadurch, philosophische Scheinfragen zu vermeiden, die durch eine Verwechslung dieser Phänomene entstehen.

2.1 Geistige Substanzen, Eigenschaften und Zustände


Ich hatte einleitend gesagt, dass heute unter Philosophinnen und Philosophen weitgehende Einigkeit besteht, dass man die Rede von »dem Geist« eines Wesens nicht so verstehen sollte, dass etwa »mein Geist« der Name für einen einzelnen Gegenstand wäre, der ein Teil von mir ist oder in irgendeiner Weise von mir ›besessen‹ wird. Das war nicht immer so. In der platonischchristlichen Tradition ist es der Begriff der Seele, in dem sich die Idee ausdrückt, dass das geistige Leben eines Wesens auf die Existenz eines einzelnen Gegenstands einer besonderen Art angewiesen ist, der zusätzlich zu seinem Körper existiert und der der eigentliche Ort des geistigen Lebens dieses Wesens ist.

Ihren einflussreichsten philosophischen Ausdruck hat diese Idee im 17. Jahrhundert durch René Descartes erfahren. Descartes begreift den Menschen als eine Verbindung zweier fundamental unterschiedlicher ›Dinge‹, eines Körpers bzw. »ausgedehnten Dings« (res extensa) und eines Geistes bzw. »denkenden Dings« (res cogitans). Ontologisch gesehen handelt es sich bei diesen beiden ›Dingen‹ um Substanzen.14 Substanzen als solche sind für Descartes durch zwei Merkmale definiert. Sie hängen hinsichtlich ihrer Existenz von nichts anderem ab;15 und sie sind diejenigen ›Dinge‹, denen einerseits Eigenschaften zugeschrieben werden können, die aber andererseits nicht selbst anderen ›Dingen‹ als Eigenschaften zugeschrieben werden können. Meine Größe und mein Gewicht sind Eigenschaften der Substanz, die mein Körper ist, meine Feigheit, meine Gedanken und meine Empfindungen Eigenschaften der Substanz, die mein Geist ist.

Körper und Geist sind zwei Substanzen fundamental unterschiedlicher Art: Der Körper ist ausgedehnt und aus Teilen zusammengesetzt, der Geist nicht; der Körper ist daher auch vergänglich, der Geist nicht; der Geist empfindet, denkt, fühlt, der Körper nicht. Die einzige echte Gemeinsamkeit zwischen Körper und Geist besteht darin, dass sie beide Substanzen sind. Es ist daher angemessen, Descartes’ Auffassung des Mentalen und seines Verhältnisses zum Körper als einen Substanz dualismus zu bezeichnen.

Descartes hat den Substanzdualismus nicht nur begrifflich ausgearbeitet, ihm verdanken wir auch wichtige und subtile Argumente für diese Auffassung, deren Studium sich immer noch lohnt.16 Dennoch gilt der Substanzdualismus heute allgemein als diskreditiert. Das hat vor allem zwei Gründe. Erstens birgt die Annahme, dass der Geist eines Wesens eine nicht-körperliche Substanz ist, eine Reihe kaum zu bewältigender philosophischer Probleme, von denen das gewichtigste darin besteht zu erklären, wie eine Wechselwirkung zwischen Ereignissen wie einem Stoß und einem Schmerz oder einer Injektion und dem Verschwinden des Schmerzes stattfinden kann, wenn diese sich in zwei fundamental unterschiedlichen Substanzen ereignen. Mit diesem »Problem der mentalen Verursachung« – der Existenz von Kausalbeziehungen, bei denen mindestens eines der Relata etwas Mentales ist – werden wir uns gegen Ende dieser Einführung etwas eingehender beschäftigen. Es ist ohnehin ein vertracktes Problem, aber unter der Voraussetzung des Substanzdualismus wird es, so die gängige Meinung, zu einem unlösbaren.17 Zweitens scheint die Annahme, dass der Geist eines Wesens eine Substanz ist, einfach überflüssig: Zu sagen, dass ein Wesen »einen Geist hat«, bedeutet, wie wir uns bereits einleitend klargemacht hatten, zunächst nichts anderes, als zu sagen, dass es Gedanken, Wahrnehmungen, Gefühle, Erlebnisse, Stimmungen usw. hat oder haben kann. Die einzige Substanz, die hier erkennbar eine Rolle spielt, ist das Wesen selbst. Ihm, nicht seinem Geist als einer weiteren Substanz, schreiben wir diese ›Dinge‹ zu. Solange es keine zwingenden Argumente für die Annahme der Existenz des Geistes als einer weiteren Substanz gibt, brauchen wir uns um diese Annahme daher nicht zu kümmern.18 Da der Substanzdualismus heute nur noch vereinzelt ernsthaft vertreten wird19 und in den Debatten der gegenwärtigen Philosophie des Geistes praktisch keine Rolle mehr spielt, werden wir in dieser Einführung auf eine weitergehende Darstellung und Kritik verzichten und stattdessen etwas genauer überlegen, wie wir den ontologischen Status der mentalen ›Dinge‹ selbst genauer begreifen sollen.

Ich hatte gesagt, dass heute allgemein davon ausgegangen wird, dass die einzigen Substanzen, die in unserem alltäglichen Denken und Reden über Mentales eine Rolle spielen, die Wesen sind, denen wir ›Dinge‹ wie Empfindungen, Gedanken, Gefühle usw. zuschreiben. Dies wird oft so ausgedrückt, dass der Geist keine Substanz, sondern eine Menge von Eigenschaften oder Zuständen sei. Insbesondere der Ausdruck »mentaler Zustand« wird heute zumeist so verwendet, dass er unterschiedslos auf alles Mentale zutrifft. Nun ist es sicherlich zweckmäßig, über einen Ausdruck dieser Art zu verfügen. Denn ansonsten muss man, wie ich eben, umständliche Konstruktionen wie »›Dinge‹ wie Empfindungen, Gedanken, Gefühle usw.« verwenden. Aber hier ist Vorsicht geboten. Denn die Rede von »mentalen Eigenschaften und Zuständen« ist, was selten bemerkt wird, unkommentiert nicht viel weniger irreführend als die Rede von »dem Geist« eines Wesens. Versuchen wir also, uns die Rede von »mentalen Eigenschaften und Zuständen« klarzumachen. Paradigmatische Aussagen, mit denen von dem mentalen Leben eines Wesens berichtet wird, sind Aussagen wie

(1) Hans glaubt, dass Wale Fische sind.

(2) Hans empfindet Schmerzen.

(3) Hans ist niedergeschlagen.

Diese Aussagen haben die Form »a ist ψ« oder »a ψt« und bestehen aus einem Ausdruck – »a« –, der auf das Wesen Bezug nimmt, von dessen mentalem Leben berichtet wird, und einem Ausdruck – »ist ψ« oder »ψt« –, den wir »mentales Prädikat« nennen können und der dazu dient, ›Dinge‹ in mentaler Hinsicht zu charakterisieren.

Die deutsche Sprache erlaubt es nun, aus schlichten prädikativen Aussagen dieser Form Aussagen abzuleiten, die wir...

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