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E-Book

Politik der Gabe

Für ein anderes Zusammenleben. Nautilus Flugschrift

AutorFrank Adloff
VerlagEdition Nautilus
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl320 Seiten
ISBN9783960540922
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Die moderne kapitalistische Gesellschaft produziert Ungerechtigkeit und Ausbeutung ungeahnten Ausmaßes und zehrt unsere natürlichen Lebensgrundlagen auf. Doch wie lässt sich eine tragfähige Alternative entwickeln? Ausgehend von Marcel Mauss' Gabentheorie zeigt sich, dass der Mensch an sich ein gebendes Wesen ist, dass nur die Gabe Vertrauen und damit Sozialität schaffen kann: Sie ist die Grundlage jeder Gesellschaft. Frank Adloff postuliert die Idee des ?homo donator? als Ersatz für den ?homo ?conomicus?: Menschen sind fähig, zum Wohle aller zu kooperieren, wenn die Logik der Nutzenmaximierung in Kapitalismus und Alltag gebrochen wird. Für eine Konvivialität, die auf Solidarität und Selbstbegrenzung abzielt - für globale Gerechtigkeit als Alternative zum Streben nach Gewinn, Wachstum und Konsum.

Frank Adloff ist Professor für Soziologie - insbesondere Dynamiken und Regulierung von Wirtschaft und Gesellschaft - im Fachbereich Sozialökonomie der Universität Hamburg. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Sozialtheorie, Gabe und Konvivialität, Zivilgesellschaft, Postwachstum und Nachhaltigkeit. Zuletzt erschien im Jahr 2016 sein Buch 'Gifts of Cooperation, Mauss and Pragmatism' im Routledge Verlag. Er ist zudem Mitherausgeber der deutschen Ausgabe des 'Konvivialistischen Manifests' (2014) und des Bandes 'Konvivialismus. Eine Debatte' (2015).

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Leseprobe

1.


Von der Doppelkrise des Kapitalismus zur Konvivialität?


Nicht nur im globalen Norden, auch in vielen anderen Regionen der Welt lebt man heute länger, gesünder, sicherer, friedlicher und wohlhabender denn je. Und dennoch haben nicht Wenige den Eindruck, dass wir uns weltweit in einer enorm krisenhaften Situation befinden. Nur ein paar Beispiele reichen zur Verdeutlichung: Der Krieg in Syrien und die damit verbundene Flucht vieler Menschen hat uns gezeigt, dass Not und Krieg nicht überwunden sind, sondern uns unmittelbar tangieren. Und hierzulande erstarken rechte Bewegungen, die sich abschotten und das »deutsche Volk« vor »Überfremdung« oder »Umvolkung« schützen wollen. Die für den Kampf gegen die Erderwärmung dringend gebotene globale Kooperation stagniert seit Jahren, und der Klimawandel wird allenthalben in Form von ökologischen Katastrophen sicht- und spürbar. Große Teile Afrikas werden von Kriegen, korrupten Regierungen, Hunger und Vertreibung zerrüttet. Die sozialen Ungleichheiten wachsen in vielen Ländern dramatisch und die Wirtschafts-, Staatsverschuldungs- und Finanzkrise ist längst nicht überwunden. Laut Oxfam haben Anfang des Jahres 2018 die 42 reichsten Menschen der Welt so viel Vermögen wie die 3,7 Milliarden Menschen der ärmeren Hälfte zusammen. Und die Vermögensunterschiede werden immer größer: 2018 gingen 82 Prozent des weltweiten wirtschaftlichen Wachstums an das reichste Prozent der Weltbevölkerung. Nie hat es mehr Dollar-Milliardäre gegeben als heute. Und während wir Zeugen von Terrorismus, Bürger- und ethnischen Kriegen sind, ist das Projekt Demokratie vielerorts auf entkernte formale Prozeduren geschrumpft, die vom Lobbyismus mächtiger Konzerne geschickt für eigene Zwecke genutzt werden. Schließlich regiert in den USA ein Präsident, der liberale Errungenschaften mit Füßen tritt und einen neoliberalen Kurs verfolgt, der stark autoritäre und nationale Züge annimmt.

Mehr als 25 Jahre nach Ende des Kalten Krieges und der Systemkonkurrenz von Kapitalismus und real existierendem Sozialismus ist dies die fatale globale Lage. Von dem angeblichen »Ende der Geschichte« (Francis Fukuyama) in Demokratie und Menschenrechten kann keine Rede sein. Viele fordern deshalb eine Umkehr, eine radikale Transformation der gegenwärtigen Welt – weg vom neoliberalen, ungerechten und nichtnachhaltigen Finanzkapitalismus, weg von abwertenden Stereo-typisierungen und Abschottungen, hin zu anderen Formen des Zusammenlebens.

Anders zusammenleben: Konvivialität


Auch ich möchte in diesem Buch für andere Formen des Zusammenlebens plädieren. Dazu werden verschiedene Anläufe unternommen, um die Grundlagen für ein Verständnis anderer Formen des Miteinanders und für neue Institutionenordnungen zu legen. Dabei wird der Begriff der Konvivialität (von lat. convivere: zusammenleben) eine große Rolle spielen, der wiederum auf ein soziologisches Konzept verweist, das den Dreh- und Angelpunkt meiner Thesen bildet: das Konzept der Gabe. Ausgehend von alltäglichen Handlungsweisen des Gebens und der damit verbundenen Wechselseitigkeit sollen Möglichkeiten einer Politik der Gabe erprobt werden, die einen anderen Umgang untereinander und mit der Natur anvisieren.

Inspiriert hat mich ein 2013 erschienenes Büchlein, ein Manifest, das von hauptsächlich französischen Wissenschaftler/innen und Intellektuellen verfasst wurde und von einer positiven Vision des Zusammenlebens spricht: das konvivialistische Manifest. Der Text will deutlich machen, dass eine andere Welt möglich – denn es gibt schon viele Formen der Konvivialität –, aber auch absolut notwendig ist. Eine Besonderheit des Manifests besteht darin, dass eine große Gruppe von 64 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ganz unterschiedlicher politischer Überzeugungen die Fehlentwicklungen zeitgenössischer Gesellschaften benennt und ihre Differenzen zurückgestellt hat. Das Manifest identifiziert zwei Hauptursachen für die gegenwärtige Malaise: den Primat des utilitaristischen, also eigennutzorientierten Denkens und Handelns, und den unbeirrbaren Glauben an die selig machende Wirkung wirtschaftlichen Wachstums. Zum anderen wird diesen Entwicklungen eine positive Vision des guten Lebens entgegengestellt: Es geht zuallererst darum, auf die Qualität sozialer Beziehungen und der Beziehung zur Natur zu achten. Gelingendes Zusammenleben beruht auf dem Zyklus von Geben, Annehmen und Erwidern.

Die Initiative zu dem Manifest geht auf ein Kolloquium in Japan aus dem Jahr 2010 zurück. Unter dem Titel De la convivialité. Dialogues sur la societé conviviale à venir erschienen dazu 2011 die Kolloquiumsbeiträge von Alain Caillé, Marc Humbert, Serge Latouche und Patrick Viveret. Zusammen mit Alain Caillés kleinem Band Pour un manifeste du convivialisme (ebenfalls 2011 erschienen) gaben die Beiträge den Anstoß zur Debatte um den Konvivialismus. Auf dem Kolloquium in Tokio wurden die Begriffe Konvivialität und Konvivialismus diskutiert, unter starker Bezugnahme auf die Schriften von Ivan Illich (1926–2002). Der österreichisch-amerikanische Theologe, Philosoph und Autor war ein radikaler Technik- und Wachstumskritiker. 1975 führte er in seinem Buch Selbstbegrenzung den Begriff der Konvivialität ein. Das Buch fand eine große internationale Resonanz und wurde in Frankreich von André Gorz bekannt gemacht. Ähnlich wie dem mit Illich befreundeten Erich Fromm ging es Illich um die technik- und kapitalismuskritische Wiederherstellung des Primats des »Seins« vor dem »Haben«. Konvivial ist für Illich eine Gesellschaft dann, wenn sie ihren Techniken und Institutionen eine vernünftige Selbstbegrenzung auferlegt. Werden Techniken nicht in ihrem Wachstum beschränkt, verkehren sich rasch ihre Leistungen ins Gegenteil, verselbstständigen sich und schaffen mehr Probleme, als sie lösen.

Eine zweite, viel ältere Wurzel des Begriffs der Konvivialität findet sich an einer ganz anderen Stelle: Der Begriff wurde zuerst im frühen 19. Jahrhundert von dem Gastronomen und Philosophen Jean Anthelme Brillat-Savarin geprägt. Brillat-Savarin benennt damit in seinem Buch La physiologie du goût, ou Méditations de gastronomie transcendante (1825) die Freude des Beisammenseins, der guten und freundschaftlichen Kommunikation im Rahmen einer Tischgesellschaft. »Convivialité« und »convivial« sind im Französischen denn auch gebräuchliche, positiv konnotierte Worte. Konvivialität beschreibt also den freundlichen Umgang, den Menschen untereinander pflegen können, sowie ein freiheitliches Verhältnis, das sie zu den »Dingen« (seien es Gegenstände, Infrastrukturen, Institutionen oder Techniken) haben können.

Dem Band De la convivialité lassen sich noch zwei weitere Diskursstränge entnehmen, die in die Formulierung der konvivialistischen Vision einflossen. Zum einen das anti-utilitaristische Denken von Alain Caillé (und Marcel Mauss), zum anderen die Wachstums- und Ökonomiekritik von Patrick Viveret und Serge Latouche. Für den Philosophen Viveret (geb. 1948) besteht die Wurzel der gegenwärtigen Krise in der strukturellen Maßlosigkeit des Produktivismus der Moderne, sowohl in seiner kapitalistischen als auch in seiner sozialistischen Variante (Viveret 2011). Andere Kriterien des guten Lebens und des Wohlstands seien nun dringend gefordert, um die Fixierung auf ökonomisches Wachstum zu durchbrechen. Insbesondere die Maßzahl des Bruttoinlandsprodukts (BIP) muss nach Viveret neu überdacht werden. Prominentester Vertreter der Forderung nach einer Wachstumsrücknahme (décroissance, degrowth) ist der Ökonom Serge Latouche (geb. 1940). Er tritt ein für eine Gesellschaft des einfachen Wohlstands (societé d’abondance frugale) und wie Viveret für eine Neudefinition von Reichtum, der bislang allein materiell und monetär definiert wird (Latouche 2015). Eine konviviale Gesellschaft muss aus seiner Sicht die Idee des ökonomischen Wachstums radikal in Frage stellen und sich selbst begrenzen. Neue Formen des Wirtschaftens sind gefordert, die den Kreislauf der permanenten Kreation von immer mehr und prinzipiell unbegrenzten Bedürfnissen durchbrechen. Wachstum bloß um des Wachstums willen kann hingegen als Religion der Ökonomie bezeichnet werden. Deshalb geht es ihm auch um die mentale Überwindung der Religion des Ökonomischen und des Konzepts des homo oeconomicus.

Die Idee des Wachstums und materiellen Wohlstands ist eine Projektionsfläche für alle möglichen Hoffnungen und Ängste. Hoffnungen auf Prosperität halten Gesellschaften zusammen, auch wenn sich diese Hoffnungen zunehmend als irreführend erweisen. Was passiert, wenn hohe Wachstumsraten (zumindest in den westlichen Gesellschaften) ein für alle Mal der Vergangenheit angehören, wenn Arbeitslosigkeit nicht durch Wachstum minimiert werden kann, wenn die sozialen Ungleichheiten weiter steigen, wenn Arbeitseinkommen kaum zum Leben reichen (vgl. Nachtwey 2016)? Die Antwort kann für die Konvivialistinnen und Konvivialisten nur lauten, dass die Vorstellung vom guten Leben vom materiellen...

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