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E-Book

Politisches Framing

Wie eine Nation sich ihr Denken einredet - und daraus Politik macht

AutorElisabeth Wehling
VerlagUllstein
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783843718578
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Politisches Denken ist bewusst, rational und objektiv - davon sind viele Menschen überzeugt. Doch die moderne Neuro- und Kognitionsforschung hat die ?klassische Vernunft? längst zu Grabe getragen. Nicht Fakten bedingen politische Entscheidungen, sondern kognitive Deutungsrahmen, in der Wissenschaft Frames genannt. Dieses Buch deckt auf, welche Frames unsere politischen Debatten bestimmen, und gewährt überraschende Einblicke in unser kollektives politisches Denken.

Elisabeth Wehling, geboren 1981 in Hamburg, leitet seit 2013 am International Computer Science Institute in Berkeley Forschungsprojekte zu Ideologie, Sprache und unbewusster Meinungsbildung. Sie lebt in Berkeley, Kalifornien, und ist in den USA und Europa als Beraterin für Politik und Wirtschaft tätig.

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Leseprobe

Kapitel Zwei
Wie Sprache die Geschicke unserer Nation lenkt: Politisches Framing


Wie ist das nun mit Sprache in der Politik? Wenn Worte über Frames begriffen werden, gilt das dann auch für die politischen Debatten? Und was bedeutet es für unser politisches Denken und Handeln?

Nun, jedes Wort erhält seine Bedeutung durch die Semantik des aufgerufenen Frames – also ist auch in der politischen Debatte jedes Wort in einen sinngebenden Frame eingebettet.

Und dabei sind Frames in der Politik in aller Regel ideologisch selektiv. Sie heben bestimmte Fakten und Realitäten hervor und lassen andere gedanklich unter den Tisch fallen. Das ist ein Problem für die Politik und eine Herausforderung für jeden Bürger, denn kein Frame stellt je eine ›objektive‹ und ›allumfassende‹ Abbildung politischer Fakten und ihrer Deutung dar. Und da wir nicht außerhalb von Frames über Politik sprechen und denken können, wird zur einzig wesentlichen Frage, welche Frames wir in Diskursen nutzen und ob diese unserer jeweiligen Weltsicht entsprechen.

Noch mehr Dringlichkeit bekommt das Ganze dadurch, dass Menschen – entgegen herkömmlicher Mythen – nicht aufgrund von Faktenlagen, sondern aufgrund von sinngebenden Frames ihre sozialen, ökonomischen und politischen Entscheidungen treffen. Und dies generell nicht einmal wahrnehmen: Nur geschätzte 2 Prozent unseres Denkens sind bewusste Vorgänge.

Und da der alltägliche politische Sprachgebrauch unser Gehirn ›lehrt‹, wie es über politische Fakten und Themen zu denken hat, kann langfristig kognitive Pluralität nur über sprachliche Pluralität bestehen.

Es ist also wichtig, in sozialen und politischen Diskursen diejenigen Frames zu nutzen, die der eigenen Weltsicht gerecht werden. Nur so können ideologische Vielfalt und transparente, ehrliche Diskurse langfristig gesichert werden. Bewusstes politisches Framing ist eine Überlebensstrategie für unsere Demokratie.

Zwei.Eins
Immer nur ein Teil vom Ganzen: Politische Frames sind selektiv


In Kapitel 1 habe ich die wichtigsten Grundlagen zum Thema ›Frames‹ umrissen. Zum Beispiel habe ich dargelegt, wie über Sprache aufgerufene Frames sich unmittelbar auf unsere Wahrnehmung auswirken und bestimmen, mit welcher Leichtigkeit unser Gehirn Fakten und Informationen begreift.

Frames haben aber noch eine andere Auswirkung auf unser Denken, wie natürlich schon durchgeschimmert ist. Nun gilt es, sie klar und deutlich zu benennen – und sich dann ihren Implikationen zu stellen.

Frames haben einen selektiven Charakter. Sie heben immer bestimmte Gegebenheiten hervor, indem sie ihnen eine kognitive Bühne bereiten, und blenden andere Gegebenheiten aus, indem sie ihnen keine Rolle in dem Stück zuweisen, das auf dieser Bühne gespielt wird.

Das ist in der Alltagssprache der Fall, und das ist in der Politik, wo es um kollidierende Weltsichten und Wertvorstellungen geht, nicht anders.

Nehmen wir als Beispiel den Begriff ›Euro-Rettungsschirm‹, der in unseren Debatten sehr gängig ist. »Mit der jüngsten Karlsruher Entscheidung kann Deutschland dem permanenten Euro-Rettungsschirm [...] beitreten« (Tagesschau, 12.9.2012), berichtete beispielsweise die Tagesschau im September 2012.

Der Begriff ›Schirm‹ aktiviert einen Frame, dessen Semantik sich aus unseren alltäglichen Erfahrungen speist. Er hat folgende semantische Rollen und Schlussfolgerungen: Es gibt eine Gefährdung von außen, verursacht durch eine Naturgewalt, Regen oder brennende Sonne. Ein Schirm hat die Funktion, uns Menschen gegen naturbedingte Gefährdungen zu schützen – sprich, eine Gefährdung von außen, die nicht durch andere Menschen und auch nicht durch uns selbst verursacht ist. Das alles steckt in dem Frame.

Durch den Begriff ›Euro-Rettungsschirm‹ werden also die Ursachen für die finanziellen Nöte derjenigen Länder, die Hilfe in Anspruch nehmen, in die Umwelt verlagert. Menschliche Akteure – ob nationale Regierungen, internationale politische Bündnisse, Banken oder die Bevölkerung – werden durch den Frame gedanklich ausgeblendet. Denn der Frame vom Schirm sieht keine menschlichen Akteure als Gefährdung vor. Oder wann haben Sie sich das letzte Mal mit einem Schirm vor vermeintlichen Faulenzern und Schwächlingen, Bankenkriminalität oder mangelhafter Kontrolle internationaler Märkte durch politische Instanzen geschützt?

Summa summarum, der Schirm-Frame hält nicht die Rolle eines menschlichen Übeltäters und auch keinen gedanklichen Slot für das Fehlverhalten einzelner oder kollektiver Akteure bereit. Nun, eine semantische Rolle, die gar nicht existiert, kann man auch nicht besetzen. Egal, wen man aus der eigenen politischen Sicht heraus für den möglichen Verursacher der Situation hält: In diesem Frame kann er keine ›Rolle spielen‹.

Nun mag man sagen: »So what! Wird schon nicht so wichtig sein, ob da jetzt ›Euro-Rettungsschirm‹ steht oder ›Euro-Rettungsbanane‹. Die Fakten sind ja dieselben, und auf die kommt es am Ende des Tages an, wenn wir uns über die Sachlage informieren und uns eine Meinung bilden wollen.« Nun, diese Annahme ist so weit verbreitet, wie sie falsch ist – und zwar rundherum, ohne Einschränkung falsch. Nicht Fakten, sondern Frames sind die Grundlage unserer alltäglichen sozialen, ökonomischen und politischen Entscheidungen.

Zwei.Zwei
Der Mythos des vernünftigen Menschen:
Frames und Rationalität


Denken ist, entgegen landläufigen Meinungen und Mythen, nicht faktenbezogen und rational im klassischen Sinne. Wir treffen nie Entscheidungen, indem wir ›rein sachlich und objektiv‹ Fakten gegeneinander abwägen. Nie. Das gilt auch für die Politik. Frames, nicht Fakten, bedingen unser Entscheidungsverhalten.

Die besondere Bedeutung von Frames für das Entscheidungsverhalten wurde bereits in den 1970er-Jahren von den Psychologen Amos Tversky und Daniel Kahneman erkannt. Ihre Forschung kann als Grundsteinlegung für zentrale Bereiche der heutigen Kognitionswissenschaften gesehen werden. Im Jahre 2002 erhielt Kahneman für seine Forschung den Nobelpreis in Wirtschaftswissenschaften. Übrigens wurde in den 1970er-Jahren die Bedeutung von Frames in drei weiteren Disziplinen erforscht: Der Kognitionswissenschaftler Marvin Minsky formulierte sie für die Künstliche Intelligenz, der Soziologe Erving Goffman für soziale Wahrnehmung und Sozialverhalten und der Linguist Charles Fillmore für die kognitive Linguistik. Heute ist Frame-Forschung wesentlicher Bestandteil der modernen Kognitionswissenschaften, die auch Bereiche der Psychologie, Computerwissenschaften und Soziologie umfassen.

Dass Menschen nicht fähig sind, Entscheidungen außerhalb sinngebender Frames allein aufgrund rationaler, also ›rein sachlicher und objektiver‹ Einschätzungen von Fakten zu treffen, zeigen Studien wie diese: Probanden mussten entscheiden, ob Patienten, die an einer schweren Krankheit litten, einen potenziell heilenden Eingriff durchführen lassen sollten oder nicht. Das Risiko, bei dem Eingriff zu sterben, lag bei 10 Prozent. Jene Probanden, denen dieser Fakt als 90-prozentige Überlebenschance kommuniziert wurde, entschieden sich für den Eingriff. Jene aber, denen der Fakt als 10-prozentiges Sterberisiko vermittelt wurde, entschieden sich dagegen (vgl. Kahneman 1991). Man bedenke, dass es sich hier um einfachste Prozentrechnung handelte! 10 Prozent versus 90 Prozent. Wirklich ganz simpel. Wäre es also tatsächlich so, dass Menschen sich ihre Meinung aufgrund der reinen Faktenlage bilden könnten, so hätten die Teilnehmer der Studie ihre Entscheidungen sicherlich nicht aufgrund der ihnen sprachlich angebotenen Frames von Sterben und Leben getroffen. Nun, genau das taten sie aber. Sie entschieden sich aufgrund der Frames, nicht aufgrund einer ›rationalen‹ Einschätzung der Fakten.

Noch eine weitere zentrale Erkenntnis der Kognitionsforschung ist an dieser Studie gut zu verdeutlichen: die Tatsache, dass es schier unmöglich ist, über Worte zu kommunizieren, mit denen wir uns nicht gedanklich auf den einen oder anderen Frame festlegen. Denn wie hätte man die Fakten anders an die Teilnehmer herantragen können? Hätte man gesagt: ›10 Prozent versus 90 Prozent‹, hätten die Teilnehmer keinesfalls verstanden, worum es ging. Hätte man gesagt: ›10 Prozent Sterberisiko und 90 Prozent Überlebenschance‹, so hätte man sich immer noch zumindest ein Stück weit auf einen der beiden Frames festgelegt – denn jene Frames, die in Diskursen zuerst gesetzt werden, dominieren allgemein das Denken (Thibodeau/Boroditsky 2011). Und da Sprache ein lineares System ist, ein Wort immer dem anderen folgt, ist es nicht vermeidbar, immer einem bestimmten Frame den Vorrang zu lassen.

Kurzum, bei gleicher Faktenlage – seien es Arbeitslosenzahlen, Fakten zur Umweltverschmutzung oder auch Fakten zu Löhnen und Steuern – machen Frames die Musik. Und nicht...

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