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E-Book

Politisches Grundwissen für die Soziale Arbeit

AutorDierk Borstel, Ute Fischer
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl212 Seiten
ISBN9783170305977
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis25,99 EUR
Politischem Grundwissen kommt im Studium der Sozialen Arbeit, aber auch in der Praxis ein zentraler Stellenwert zu. Mehr noch: Soziale Arbeit selbst muss sich als politische Arbeit verstehen. Das betrifft zum einen die eigenen Arbeits- und politisch gesetzten Rahmenbedingungen. Zum anderen betrifft es auch die Adressaten Sozialer Arbeit, denen sie u. a. auch Hilfe für politische Beteiligung und Artikulation bietet. In diesem Lehrbuch werden diejenigen politischen Themen, Zusammenhänge und Erklärungskonzepte entlang der praktischen Gestaltungsfragen entwickelt, die in der Sozialen Arbeit relevant sind. Neben dem Fachwissen werden dabei auch Methoden-, Handlungs- und Urteilskompetenzen vermittelt.

Dr. Dierk Borstel ist Professor für Praxisorientierte Politikwissenschaft an der Fachhochschule Dortmund. Dr. Ute Fischer ist dort Professorin für Politik- und Sozialwissenschaften.

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Leseprobe

2          Kommunalpolitik


 

 

 

Kommunalpolitik ist die Politik, die sich um das unmittelbare Umfeld in den Wohnorten kümmert. Sie spielt auf der Ebene der Kreise, Städte, Bezirke, Gemeinden und Dörfer, wird formal jedoch zur Landespolitik gezählt. Es ist somit keine selbständige Ebene im deutschen Föderalismus, sondern die Kommunen gehören zu den Ländern – was sich in der Praxis u. a. in der Kontrolle durch die jeweiligen Landesverwaltungen zeigt.

Generell sollen sich Kommunen vor allem um jene Fragen kümmern, die vor Ort bedeutend sind und keiner zentralen Steuerung durch den Bund oder das Land bedürfen. Dazu gehören auch viele Bereiche der Sozialpolitik – vor allem die Organisation der konkreten Umsetzung. Für die Soziale Arbeit ist die Kommune oft erste Ansprechpartnerin auf der politischen Ebene. Zumeist gibt es auch finanzielle oder organisatorische Abhängigkeiten von politischen Entscheidungen auf kommunaler Ebene. Dabei tritt ein Problem auf, was sich aus den Aufgaben der Kommunen ergibt: Viele Arbeitsfelder der Sozialen Arbeit sind nicht verpflichtend, sondern stehen unter Finanzierungsvorbehalt.

Sara Tuna und Alex Bogdanow sitzen im Rahmen einer Fortbildung im Kreis ihrer Kolleg*innen aus anderen Städten und berichten von ihrer Sorge über die geplante Schließung ihres Jugendclubs. Kopfschüttelnd ernten sie Solidarität. Eine erfahrene Kollegin merkt an, dass ihr das auch schon passiert sei und sie sich geschworen habe, lieber präventiv aufzupassen als einer Entscheidung hinterherzurennen. Dazu widme sie jetzt viel Zeit der kommunalen Vernetzung. Gespannt verfolgen die Kolleg*innen, was und vor allem wer alles dazugehört. Dazu braucht es jedoch einige Vorkenntnisse, die im Folgenden geliefert werden: Von den allgemeinen Aufgaben über den Aufbau kommunaler Entscheidungsstrukturen bis hin zu wichtigen Akteur*innen in der Kommune.

2.1       Grundlagen der Kommunalpolitik


Kommunen haben ein Recht auf Selbstverwaltung und besitzen damit auch eigene Gestaltungsspielräume, um ihren Aufgaben gerecht zu werden (vgl. Gisevius 1997, S. 27). Dazu zählen

•  Personalhoheit: das Recht, Personal auszuwählen, anzustellen, zu befördern und zu entlassen;

•  Organisationshoheit: das Recht, die eigene Verwaltungsorganisation zu gestalten;

•  Planungshoheit: das Recht, das eigene Gemeindegebiet zu gestalten, z. B. durch Flächennutzungspläne und Bebauungspläne;

•  Rechtssetzungshoheit: das Recht, kommunale Satzungen zu erlassen;

•  Finanzhoheit: das Recht zu eigenwirtschaftlicher Einnahmen- und Ausgabenwirtschaft;

•  Steuerhoheit: das Recht, im Rahmen der Gesetze Steuern zu erheben.

Generell lassen sich in den meisten deutschen Kommunen drei größere Aufgabenbereiche unterscheiden.

•  Pflichtaufgaben für Bund und Land: Oft übernimmt die Kommune Aufgaben des Bundes oder der Länder, wenn diese vor Ort konkretisiert werden müssen. Innere Sicherheit ist beispielsweise Landesaufgabe. Sie wird u. a. durch Polizeidienststellen sichergestellt.

•  Pflichtaufgaben per Gesetz: Zu manchen Aufgaben werden Kommunen schlicht verpflichtet. Die Einführung von Arbeitslosengeld II ist z. B. eine Bundesentscheidung gewesen – unabhängig davon, ob das vor Ort politisch gewollt ist oder nicht. Die Kommune darf sich damit verbundener Aufgaben nicht verweigern und muss sich an exakte Vorgaben halten. Zu anderen Aufgaben ist sie ebenfalls gesetzlich verpflichtet, hat jedoch Spielräume in der konkreten Ausführung. Beispielsweise ist Bildungspolitik Landessache. Die Architektur bestehender Schulgebäude ist eine kommunale Aufgabe. Auch diese darf sie nicht verweigern, kann aber für sich gestalten, wie die Schulen aussehen sollen, welche Schule wann wie renoviert wird oder eben auch nicht. Ähnlich verhält es sich mit dem Schulentwicklungsplan.

•  Freiwillige Aufgaben: Ihre letzten Aufgaben sind freiwillig. Dazu gehören große Bereiche der Sozialen Arbeit – vereinfacht gesagt vor allem jene Projekte, die besonders Spaß machen und relativ frei von staatlichen Vorgaben sind. Dazu gehören z. B. niedrigschwellige Jugendeinrichtungen jenseits der Jugendhilfe oder Altentreffs. Freiwillige Ausgaben stehen unter striktem Finanzierungsvorbehalt. Kommunen können sie sich ›gönnen‹, wenn sie das Geld dafür haben. Fehlt das Geld oder der politische Wille, können diese Leistungen nicht unmittelbar eingeklagt werden.

Für viele Bereiche der Sozialen Arbeit hat das entscheidende Folgen: Ihre Finanzierung ist selten nachhaltig gesichert – trotz aller Beteuerungen. Darüber hinaus stehen große Bereiche vor Ort in Konkurrenz zu anderen Akteur*innen und Angeboten, die auch alle finanziert werden sollen und inhaltlich sinnvoll sind. So gehören zu den konkreten Aufgaben folgende Bereiche:

•  Straßenbau, Verkehrswesen,

•  Erziehung: Schulen, Kindertagesstätten,

•  Öffentliche Sicherheit: Feuerschutz, Gewerbeaufsicht, Baupolizei,

•  Sozialhilfe: soziale Fürsorge, Altersheime, Obdachlosenwohnheime,

•  Bildung/Kultur: VHS, Bücherei, Theater, Museen, Orchester,

•  Versorgung/Wohnungswesen: Wasser, Strom, Gas, Wohnungsbau, Stadtplanung,

•  Wirtschaftsförderung,

•  Gesundheits- und Jugendpflege,

•  Abfallentsorgung, Kanalisation,

•  Grünanlagen, Naherholung, Friedhöfe,

•  Krankenhäuser,

•  Spielplätze, Sportstätten,

•  staatliche Aufgaben: Standesamt, Lebensmittelkontrolle, Einwohnermeldeamt.

Aufgrund dieser Konkurrenz um Gelder ist es für Projekte und Träger der Sozialen Arbeit enorm wichtig, sich vor Ort dauerhaft – und eben nicht nur, wenn das Geld gestrichen wurde – gut aufzustellen und intensiv vernetzt zu sein. Dabei gilt es drei Bereiche zu unterscheiden:

1.  (Ober-)Bürgermeister*in bzw. Landrat/Landrätin und kommunale Verwaltung,

2.  Gemeinde-, Stadt-, Kreistag,

3.  weitere kommunale Akteur*innen von Bedeutung.

Die Bezeichnungen der Akteur*innen variieren je nach Größe der Kommune und z. T. auch nach Bundesland. Der Einfachheit halber wird deshalb hier von Bürgermeister*innen, dem Rat und der Verwaltung gesprochen und die Kreisebene ausgeblendet.

Grundsätzliche Systematik der kommunalen Ebene


Die kommunale Selbstverwaltung basiert auf Art. 28 GG. Die Landesausführungen finden sich in den jeweiligen Landesverfassungen und -gesetzen, die konkrete Umsetzung in den Gemeindeordnungen und Kommunalverfassungen. Hinzu kommen zahlreiche Gesetze und Rechtsverordnungen, die zusätzlich zu beachten sind. Die folgende Liste ( Tab. 2) gibt einen Eindruck der wichtigsten Rechtsgrundlagen für einzelne kommunale Ämter.

Tab. 2: Übersicht wichtiger Rechtsgrundlagen des Handelns kommunaler Ämter

Die Idee der kommunalen Politik folgt der Vorstellung, Politik, soweit es geht, dezentral zu ermöglichen. Dies hat folgende Vorteile:

•  Entscheidungen für das tägliche Leben können so konkret, auf den jeweiligen Ort und Gegenstand bezogen gefällt werden. Auf der kommunalen Ebene geht es nicht nur darum, ob z. B. eine Straße gebaut wird, sondern auch darum, welcher Belag dafür besonders geeignet ist, ob eine Ampel nötig ist, Parkplätze möglich sind oder eine Unterwanderung für Kröten mitgeplant werden muss.

•  Bewohner*innen können unmittelbarer in konkrete Planungen vor Ort eingebunden werden. Ihr Sachverstand wird so mit einbezogen. Oft betrifft das auch ganz kleine Dinge, z. B. ob eine Parkbank in der Sonne steht oder im Schatten.

•  Die Bevölkerung hat dadurch für konkrete Fragen ortsnahe Ansprechpartner*innen, die auch mal auf der Straße getroffen und gefragt werden können. Das entlastet das Gesamtsystem, schafft Vertrauen und reduziert oft schon Protest.

•  Kommunalpolitik wird oft auch als »Schule der Demokratie« bezeichnet. Der oder die politisch Interessierte lernt hier sein und ihr Handwerkszeug kennen, kann sich erproben und lernen, politische Verantwortung zu übernehmen.

Die Erwartungen an kommunale Politik sind somit hoch. In der Praxis vieler Bundesländer gibt es derzeitig jedoch einen Trend zur...

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