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Politisierte Rezeption des Hofjuden Joseph Süß Oppenheimer in der Weimarer Republik

In den Arbeiten Sterns, Elwenspoeks, Feuchtwangers und Kornfelds

AutorThorsten Beck
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl104 Seiten
ISBN9783638479790
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2004 im Fachbereich Judaistik, Note: 1,3, Freie Universität Berlin (Institut für Judaistik), 82 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Ein Schabkunstblatt aus dem Jahr 1738, das die Gestalt des im selben Jahr in Stuttgart hingerichteten Finanzexperten Joseph Süß Oppenheimer gleich doppelt abbildet, fasst dessen Bedeutung für seine Zeit aus christlicher Perspektive zusammen. Gezeigt wird auf der einen Seite der ehemalige Hofjude in Dreispitz, Galanteriedegen und Schoßrock. In Schnallenschuhen und mit Spazierstock repräsentiert er das modische Bild des Hochadels, seine Haltung strahlt Selbstbewusstsein und amtliche Würde aus. Eine Bildüberschrift verziert das Blatt mit einer Aufzählung seiner Titel des Jahres 1736, zeichnet ihn aus als gewesenen 'Württembergischen Geheimen Rath, Cabinets-Minister und Financien-Directorie'. Diesem 'Glücksstand' steht auf der anderen Seite der 'Unglücksstand' entgegen, dem fürstlichen Titel des ersten Bildes entspricht hier eine Kurzfassung des Todesurteils. Die Haltung Joseph Oppenheimers drückt Ratlosigkeit aus, seine Kleidung verrät nichts mehr von der vergangenen Würde, ein dunkler Bart wächst an seinem Kinn und die Hände sind ihm als Zeichen der Hilflosigkeit vor der Brust gefesselt. Wo er sich auf der einen Seite noch auf ebenem Palastboden präsentiert, steht er auf der anderen in der Natur, ein verwachsener Baumstumpf drängt sich rechts aus dem Bild, als flöhe dieser vor dem Anblick des durch das Urteil Gezeichneten...

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Leseprobe

Einleitung

 

Ein Schabkunstblatt aus dem Jahr 1738, das die Gestalt des im selben Jahr in Stuttgart hingerichteten Finanzexperten Joseph Süß Oppenheimer gleich doppelt abbildet, fasst dessen Bedeutung für seine Zeit aus christlicher Perspektive zusammen. Gezeigt wird auf der einen Seite der ehemalige Hofjude in Dreispitz, Galanteriedegen und Schoßrock. In Schnallenschuhen und mit Spazierstock repräsentiert er das modische Bild des Hochadels, seine Haltung strahlt Selbstbewusstsein und amtliche Würde aus. Eine Bildüberschrift verziert das Blatt mit einer Aufzählung seiner Titel des Jahres 1736, zeichnet ihn aus als gewesenen „Württembergischen Geheimen Rath, Cabinets-Minister und Financien-Directorie“.[1] Diesem „Glücksstand“ steht auf der anderen Seite der „Unglücksstand“ entgegen, dem fürstlichen Titel des ersten Bildes entspricht hier eine Kurzfassung des Todesurteils. Die Haltung Joseph Oppenheimers drückt Ratlosigkeit aus, seine Kleidung verrät nichts mehr von der vergangenen Würde, ein dunkler Bart wächst an seinem Kinn und die Hände sind ihm als Zeichen der Hilflosigkeit vor der Brust gefesselt. Wo er sich auf der einen Seite noch auf ebenem Palastboden präsentiert, steht er auf der anderen in der Natur, ein verwachsener Baumstumpf drängt sich rechts aus dem Bild, als flöhe dieser vor dem Anblick des durch das Urteil Gezeichneten. Die Bildunterschrift erzählt schließlich die Moral der Geschichte und richtet sich direkt an die Juden Württembergs:

 

„Ihr Juden die Ihr Euch müßt meinetwegen schämen. Ihr könet jetzt an mir ein guts Exempel nehmen. Betriegt ihr Land und leut, und mischt euch in den Staat, so wider fähret euch auch eine solche That.“[2]

 

Die ausführliche Beschreibung seines ehemals wohlhabenden, nun aber jeden Reichtums beraubten Lebens kann die Schadenfreude nicht verheimlichen, die sozialen Neid und lange unterdrückte Rachegefühle offenbart. Die Hinrichtung des Stuttgarter Hofjuden ist gemessen an den Möglichkeiten der Zeit ein mediales Ereignis, jedenfalls zieht sie eine große Menge Schaulustiger an, die den „Juden Süß“ sterben sehen will. Die gefeierte Exekution kennzeichnet aber nicht das Ende der Beschäftigung mit einer Person, die das öffentliche Bewusstsein der Zeit wie kaum eine andere beschäftigt. Die Auseinandersetzung mit dem spektakulären Fall, der die Phantasie der Zeitgenossen und Nachgeborenen in Atem hält, bricht nicht ab und reicht in der Tat bis zum heutigen Tag.[3] Dabei ist es nicht nur der umstrittene Rechtsfall, der die Gemüter beschäftigt, sondern die Gestalt des Verurteilten selber, dessen unbekannte Jugend und steiler Aufstieg, sowie sein sagenumwobenes Leben in Luxus und Genusssucht, was die Gemüter zu immer neuen Spekulationen und Interpretationen reizt. Der überwiegende Teil aller literarischen und auch wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Thema konnte und kann sich der mythenumwobenen Kraft dieser Figur nicht entziehen.

 

Joseph Süß Oppenheimer[4] (vermutlich 1692 oder 1698-1738) ist in eine Zeit geboren, als das jüdische Leben in Deutschland erst beginnt sich äußerlich sichtbar dem Leben der christlichen Gesellschaft anzunähern. Zwar gab es schon vor seiner Zeit Handel treibende Juden, die es durch besonderes Talent und Fleiß bis zu den Höfen brachten, aber die Konsequenz, mit der er seine jüdische Sozialisation in den Hintergrund spielt und die Sitten und Gebräuche des christlichen Adels annimmt, sucht seinesgleichen.[5] Joseph Oppenheimer hat in wenigen Jahren erreicht, wovon in jener Zeit enormer sozialer Ungleichheit weite Teile des Volkes nur träumen konnten, er durchläuft eine glänzende Karriere, bis er schließlich Finanzberater[6] des Prinzen Karl Alexander von Württemberg wird. Aber es ist sicher nicht nur die außergewöhnliche Karriere, die den Zeitgenossen das Staunen lehrt, sondern die Leichtigkeit, mit der Oppenheimer scheinbar auch die Grenzen zwischen Judentum und Christentum überspringt, ohne dabei zu konvertieren. Eine derartige „Ausnahmeerscheinung“ muss seiner Umgebung unerklärlich scheinen. Das heißt jedoch nicht, dass die Zeitgenossen ihm indifferent entgegentreten, dazu ist der Finanzienrat im politisch-wirtschaftlichen Betrieb zu sehr exponiert erlässt er doch ununterbrochen Anordnungen, die nicht nur den einfachen Mann, sondern das gesamte Spektrum des Volkes selbst die hohen Beamten – (teils) unbarmherzig treffen. Als der Herzog, dessen Macht die gesellschaftliche Stellung seines Hofjuden garantierte, unter mysteriösen Umständen stirbt, wird Oppenheimer der Prozess gemacht.

 

Nach der Hinrichtung des Hofjuden hat es immer wieder Versuche gegeben, sich seiner Gestalt zu nähern, ihn entweder als „Verderber“ des Landes Württemberg, oder als „Sündenbock für die Christenschelmen“ darzustellen. Besondere Aufmerksamkeit wird dem Thema nach dem Ersten Weltkrieg entgegengebracht, als sich die gesellschaftliche Stimmung in Deutschland mehr und mehr gegen den jüdischen Teil der deutschen Bevölkerung wendet.[7]

 

In nicht allzu großer zeitlicher Entfernung voneinander entstehen sowohl dramatische Entwürfe (Lion Feuchtwanger, 1916; Paul Kornfeld, 1930), populärwissenschaftliche und wissenschaftliche Abhandlungen (Curt Elwenspoek, 1926; Selma Stern, 1929) und ein erfolgreicher Roman (Lion Feuchtwanger, 1922 vollendet, veröffentlicht 1925).[8] Diese Häufung von Bearbeitungen ist es, der hier Aufmerksamkeit geschenkt werden soll, d.h. es wird zu erörtern sein, weshalb der Stoff für die Rezipienten in der Weimarer Republik derart attraktiv wird. Welche Aspekte sind es, die vor allem betont werden, um welche Topoi wird gestritten und was lässt sich daraus über die Funktion der historisch-literarischen Figur sagen? Es liegt dabei natürlich auf der Hand, dass das Schicksal Oppenheimers vor dem Hintergrund der schwieriger werdenden gesellschaftlichen Lage der Juden in Deutschland aufgefasst werden konnte. Eine derartige Untersuchung muss sich also der bedrängenden politischen Umstände dieser Epoche für die jüdischen Bürger bewusst sein.[9]

 

Bereits im Verlauf des 19. Jahrhunderts war ein rassisch argumentierender Antisemitismus begründet worden, der nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg von deutschen Antisemiten gebraucht wurde, um die Juden als Sündenböcke, als eigentlich Verantwortliche der politischen und sozialen Probleme der Zeit zu entlarven.[10] Die zunehmende Popularität dieser Weltanschauung und der mit ihr verbundenen Stereotype zwang die Juden Deutschlands dazu, sich mit ihr auseinander zu setzen. Indem der Traum von Emanzipation und Akkulturation unter Druck geriet, mussten die jüdischen Bürger Stellung beziehen, mussten sie den erhobenen Anwürfen begegnen. Im Rahmen dieser Arbeit bedeutet das auch, dass die Diskurse, die das Selbstverständnis der Juden in Weimar herausforderten (durch die das „jüdische Wesen“ angegriffen wurde), benannt und problematisiert werden. In diesen Kontext gehört unter anderem die umstrittene Abstammung Oppenheimers, aber auch sein Äußeres, also der sogenannte „Körperdiskurs“ (Punkte 1 und 2). Ähnliche Stereotype wie gegenüber dem Körperlichen sind auch über das „Wesen“ des Juden en vogue, die damit verbundene Kontroverse hat für die hier besprochenen Werke nachhaltige Bedeutung. Zunächst aber wird zu erörtern sein, wie Oppenheimers Beziehung zum Judentum seiner Zeit gestaltet ist, in welchem Maße er selbst als „jüdisch“ oder „unjüdisch“ geschildert wird.[11] Aus den Übereinstimmungen und Differenzen der Darstellungen ergibt sich das Bild einer politisierten Rezeption, die in Oppenheimer weit mehr findet als einen Romanhelden, mehr als ein Stück deutsch jüdischer Geschichte. Es geht demnach in dieser Analyse nicht primär um „die Wahrheit“ über die „historische Person“ Oppenheimer, sondern vielmehr sollen Einsichten aus den Spannungen und Widersprüchen der (inzwischen selbst bereits historischen) Bearbeitungen resultieren.

 

Der zweite Teil der Arbeit ist der Frage gewidmet, wie am Fall Oppenheimer das fortdauernde, bzw. neu entfachte Gefühl von Fremdheit der deutschen Juden[12] sichtbar wird und wie das Verhältnis Oppenheimers zum christlichen, bzw. jüdischen Teil der Bevölkerung dargestellt ist. Die Art und Weise, in der sein Verhältnis zur Umwelt beschrieben wird, zeigt, wie sehr die Vorurteile und Stereotypen, die in diesem Zusammenhang erwähnt werden, noch (oder schon wieder) die Lebenswirklichkeit der Rezipienten bestimmen. Anschließend wird ausgelotet, in welchem Sinne die historische Gestalt Symbolcharakter trägt, und wie sich dies in der Rezeption niederschlägt.[13]

 

Gegenstand der Analyse werden die oben erwähnten literarischen und wissenschaftlichen Bearbeitungen sein. Dabei sollen die Unterschiede, die zwischen den verschiedenen Genres hier der prosaischen, der dramatischen und der wissenschaftlichen Literatur nicht verleugnet, oder verwischt werden. Zunächst aber handelt es sich bei allen hier zitierten Werken um Auseinandersetzungen mit der historischen Person, und als solche sind sie Zeugnis einer Aneignung, einer Stellungnahme. Es ist offensichtlich, dass der Dichter sich eines historischen Stoffes freier bedient, als der den Fakten verpflichtete Wissenschaftler, doch auch die/der Historiker/in muss Stellung beziehen zu dem behandelten Gegenstand, muss...

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