Sie sind hier
E-Book

Polizeiarbeit im 19. Jahrhundert. Verbrecherprofile, Ermittlungsstrategien und Sicherheitsdiskurse

AutorFranziska Völkel
VerlagStudylab
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl106 Seiten
ISBN9783960954965
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Die Polizeiarbeit verband im 19. Jahrhundert traditionelle Ermittlungsformen mit einem progressiven Ausbau der Verwaltungsstrukturen. So waren verschiedene staatliche, kommunale und zivile Ordnungskräfte an der Polizeiarbeit beteiligt. Sie verwendeten ein breites Spektrum an Ermittlungsmethoden. Welche Möglichkeiten und Grenzen lokaler Ordnungsgewalten bestanden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts? Welche Strategien wendeten Ermittler an und welche Personengruppen kamen als Verbrecher in Betracht? Franziska Völkel geht in ihrer Publikation auf Spurensuche. Dazu untersucht sie Polizeihandbücher aus den Jahren 1818 bis 1837 und zeigt, wie die polizeiliche Arbeit Theorie und Praxis miteinander verwoben hat. Diesen Zusammenhang verdeutlicht sie anhand der Ermittlungen zu einer Mühlhäuser Räuberbande von 1834. Aus dem Inhalt: - Diskurs; - Zeugenvernehmung; - Beweissicherung; - Kriminalistik; - Kriminalitätsgeschichte

Universitärer Werdegang: 2010 - 2013 Bachelor-Studiengang Geschichtswissenschaft und Kulturanthropologie/ Europäische Ethnologie an der Georg-August-Universität Göttingen, Abschluss 1,0 mit Auszeichnung; 2013 - 2015, 2017 - 2018 Master-Studiengang Geschichtswissenschaft an der Georg-August-Universität Göttingen, Abschluss 1,0 mit Auszeichnung; Förderung: 2013 - 2014 Stipendiatin im Rahmen des "Deutschlandstipendiums"; 2012, 2014, 2017 Stipendiatin im Rahmen des "Niedersachsenstipendiums".

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

2 Die „Polizei“? Konfigurationen von Polizei im frühen 19. Jahrhundert


 

2.1 Von der Policey zur Polizei


 

Der Begriff der „Policey“ leitet sich etymologisch vom griechischen Wort „politeia“ ab, was in der Antike die Bedeutung von „Staatwesen“ besaß. Im deutschsprachigen Raum ist das Wort „Policey“ erstmals in einer Handwerksordnung aus dem Jahr 1451 von Kaiser Friedrich III. zu finden.[42] Die Begrifflichkeit trat ab dem 15. Jahrhundert sukzessive in obrigkeitlichen Verordnungen und Gesetzen auf, die das Gemeinwohl in den Mittelpunkt stellten und Verstöße gegen die „gute Ordnung“ mit Strafen belegten. Die frühneuzeitliche „gute Policey“ bezeichnete die Gesetze, den Zustand sowie die instrumentellen Möglichkeiten zur Realisierung der „guten Ordnung“.[43] Die Policeyordnungen regelten verschiedenste Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Beispielsweise erließen die Obrigkeiten Kleiderordnungen, um die Distinktion der unterschiedlichen sozialen Gruppen mittels Bekleidungsrichtlinien zu wahren und somit die ständische Gesellschaft zu stabilisieren.

 

Ab Mitte des 17. Jahrhundert entstanden in vielen Staaten Europas zunehmend „sicherheitspoliceyliche“ Verordnungen, die den Zweck der Policey in der Gefahrenabwehr verorteten.[44] Staatswissenschaftliche Überlegungen, wie unter anderem von den Johann Heinrich Gottlob von Justi (1717 – 1771), unterstrichen die Gewährung der Wohlfahrt, die Abwendung von Gefahrenpotential und die Herstellung von Sicherheit als genuine Aufgaben der Polizei.[45]

 

Im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten (ALR) von 1794 kamen diese Ideen zum Vorschein: Die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit, und Ordnung, und zur Abwendung der dem Publico, oder einzelnen Mitgliedern desselben, bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist das Amt der Polizey.[46] Die Idee von der Gefahrenabwehr war ein unverzichtbarer Bestandteil von Polizeiarbeit in Preußen zum Ende des 18. Jahrhunderts geworden. Der Wohlfahrtsgedanke ist in dem Auszug aus dem Gesetzestext nicht expressis verbis formuliert, gleichwohl stellte er ein immanentes Element der zeitgenössischen staatlichen Regierungstätigkeit dar.[47] Sukzessive entwickelte sich durch Institutionalisierungs- und Verrechtlichungsprozesse die Policey zur Polizei[48]. Sie war charakterisiert als die bereiteste Macht im Staate, deren Aufgabe es ist, alle der inneren Sicherheit und Wohlfahrt drohende Gefahr abzuwenden oder zu vermindern.[49]

 

Die Aufgaben der preußischen Polizei wurden in der „Verordnung für die Provinzregierungen“ aus dem Jahr 1815 festgelegt und zwei Jahre später durch die „Instruktion zur Geschäftsführung der Regierungen“ von 1817 präzisiert[50]. Das Aufgabenspektrum erstreckte sich unter anderem über die Sicherheits-, Medizinal- sowie Gewerbepolizei. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts gliedern sich die einzelnen Tätigkeitsfelder in selbstständige Verwaltungs- und Rechtsbereiche aus.[51] Ab den 1880er Jahren ging die Rechtsprechung von einem eng definierten Polizei-Begriff des Allgemeinen Preußischen Landrechts aus und beschränkte die Aufgabe der Polizeiarbeit ausschließlich auf den Bereich der Gefahrenabwehr.[52]

 

2.2 Polizeiliches Personal: Spektrum lokaler Ordnungskräfte


 

„Le métier de commissaire n' est évidemment pas une invention du XIXe siècle“[53], konstatiert Kalifa über die Entstehung des polizeilichen Personalwesens in Frankreich. Beispielsweise richtete Ludwig XIV. im 17. Jahrhundert das Amt des „lieutenant général de police de la ville“[54] ein. In den Territorien des Alten Reichs gab es verschiedene Ordnungskräfte, wie die sogenannten „Bütteln“ und „Schergen“, die als Gerichtsdiener, Wächter oder Boten im Namen der Obrigkeit policeyliche Tätigkeiten ausführten. Im 18. Jahrhundert wurden vielerorts Polizeibehörden geschaffen und Posten von staatlich oder kommunal angestellten „Polizei-Kommissaren“ und „Polizei-Dienern“ etabliert.[55] Ferner entstand in Preußen im Jahr 1811 eine der ersten deutschen Kriminalpolizeibehörden, die sich ausschließlich mit der Ermittlung von Kriminalfällen beschäftigte.[56]

 

Mit der Städteordnung von 1808 wurde den kleineren und mittleren Städten der preußischen Provinzen die Polizeigewalt übertragen; sie übten im Namen der Regierung polizeiliche Tätigkeiten aus.[57] Das Aufgabenspektrum erstreckte sich auf verschiedene Bereiche, wie unter anderem auf die Sitten-, Markt-, Bau-, Medizinal- und Sicherheitspolizei. In der revidierten Städteordnung von 1831 wurde die Polizeihoheit für die Städte erneut festgelegt:

 

In sofern Wir es nicht für nöthig erachten, besondere Polizei-Behörden zu bestellen, ist der Magistrat, und insbesondere der Bürgermeister oder Ober-Bürgermeister, oder dasjenige andere Magistratsmitglied, welches damit etwa speciell beauftragt werden möchte, verbunden, auch die Polizeiverwaltung in dem Stadtbezirke zu übernehmen. Er handelt dabei aber blos im Auftrage der vorgesetzen Regierung, unabhängig von seinem Verhältnisse als Gemeinevorsteher.[58]

 

Die revidierte Städteordnung galt ab 1832 auch in Mühlhausen, da diese Stadt mit circa 11 500 Einwohnern unter die Rubrik der mittleren Stadt fiel.[59] Der Magistrat der Stadt Mühlhausen, der von der Stadtverordnetenversammlung gewählt wurde und aus dem Bürgermeister und den Stadträten bestand, hatte gemäß dem Gesetzestext die Polizeihoheit inne. Er besaß die Leitung und Aufsicht in Polizeiangelegenheiten und war gleichwohl an die Vorgaben der Provinzregierung disziplinarisch gebunden.[60] In dem Polizeihandbuch des Polizeibeamten Zeller kommt polemisch zum Ausdruck, dass Personen, denen die Kenntnis der Polizeiwissenschaft fehlt, die Stellen der Polizeibürgermeister besetzen würden.[61] Es wird deutlich, dass die Führungspersonen in der Polizeiverwaltung nicht über eine auf diesen Beruf zugeschnittene Ausbildung verfügten.

 

In Mühlhausen organisierte der Bürgermeister Karl Theodor Gier[62] die polizeilichen Ermittlungen. Zudem schaltete sich der Landrat Carl von Hagen[63] aufgrund der Brisanz des Kriminalfalls in die Polizeiarbeit ein. Der Landrat besaß die administrative Hoheit über die im Landkreis befindlichen Ortschaften: Gegenstände, sofern sie den ganzen Kreis betreffen, werden in der Regel von den Landräthen in erster Instanz verwaltet, wogegen die Verwaltung der bloß örtlichen Polizei und der Gemeindegüter von Magisträten, Schulzenämtern und Domainen, jedoch unter landräthlicher Oberaufsicht, zusteht[64]. Das Amt war disziplinarisch der jeweiligen Provinzregierung untergeordnet. Die nächst höhere Instanz war für den Landrat des Mühlhäuser Kreises die Regierung in Erfurt.[65].

 

In der Akte über die Mühlhäuser Räuberbande werden des Weiteren die Schulzen[66] als lokale Ordnungskräfte benannt. Sie waren ortsansässige Personen, die soziale Anerkennung genossen und für den Schutz und die Sicherheit der dörflichen Gemeinschaft verantwortlich waren.

 

Die Polizeiverwaltung setzte sich des Weiteren aus Polizeibediensteten zusammen, die entweder Beamte oder Angestellte waren.[67] Die sogenannten Offizianten übten verwaltungstechnische Aufgaben aus und waren teilweise am Schreibtische wie gefesselt[68]. Zudem waren sie im Außendienst tätig. Die Polizei-Offizianten waren Exekutivkräfte und wurden als Polizei-Sergeanten oder Polizeidiener aus versorgungsberechtigten und brauchbaren Invaliden und mit Wachtmeistern, Feldwebeln und Unteroffizieren[69] rekrutiert. Sie besaßen zumeist eine geringe Schulbildung und einen niedrigen Alphabetisierungsgrad, sodass das Anfertigen von Schriftstücken oftmals eine schwierige Angelegenheit darstellte.[70] Durch ihre körperlichen Gebrechen konnten sie nur bedingt einsatzfähig sein. Zudem gab es im Untersuchungszeitraum keine ausschließlich auf diesen Beruf zugeschnittene Ausbildung. Die Polizei-Offizianten verfügten über Wissen aus der militärischen Laufbahn oder über sonstige vorherige Berufserfahrungen. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit lag im Vollzug der ihnen erteilten Aufträge, in der Benachrichtigung der disziplinarisch höher gestellten Beamten sowie in der Abwendung unmittelbar drohender Gefahren.

 

Als Unter-Offizianten galten die Nachtwächter. Ihr genuines Aufgabenfeld war die Überwachung der nächtlichen Ruhe in der Gemeinde. In der Personalauswahl war zu beachten, dass nur anerkannt sittliche, dem Trunke nicht ergebene, gesunde und rüstige Personen[71] als Nachtwächter arbeiteten. Aufgrund der nächtlichen Dunkelheit und der teilweise nur spärlichen Beleuchtung der Straßen waren die öffentliche Sicherheit und Ordnung besonders gefährdet. Die Nacht war die Zeit, in der die Bürger unter anderem vor lärmenden Betrunkenen aus den Wirtshäusern oder vor...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Deutschland - Historie - Geschichte

Drei Mal Stunde Null?

E-Book Drei Mal Stunde Null?
1949 - 1969 - 1989 Format: ePUB/PDF

1949 entstanden aus dem Deutschen Reich zwei Republiken. Der tiefste Einschnitt in unserer Geschichte führte uns hart an eine Stunde Null. Für vier Jahrzehnte war die Teilung Deutschlands und Europas…

Drei Mal Stunde Null?

E-Book Drei Mal Stunde Null?
1949 - 1969 - 1989 Format: ePUB/PDF

1949 entstanden aus dem Deutschen Reich zwei Republiken. Der tiefste Einschnitt in unserer Geschichte führte uns hart an eine Stunde Null. Für vier Jahrzehnte war die Teilung Deutschlands und Europas…

Drei Mal Stunde Null?

E-Book Drei Mal Stunde Null?
1949 - 1969 - 1989 Format: ePUB/PDF

1949 entstanden aus dem Deutschen Reich zwei Republiken. Der tiefste Einschnitt in unserer Geschichte führte uns hart an eine Stunde Null. Für vier Jahrzehnte war die Teilung Deutschlands und Europas…

Kalte Heimat

E-Book Kalte Heimat
Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945 Format: ePUB/PDF

Nicht willkommen. Die Vertriebenen nach 1945 in DeutschlandMit diesem Buch erschüttert Andreas Kossert den Mythos von der rundum geglückten Integration der Vertriebenen nach 1945. Erstmals erhalten…

Kalte Heimat

E-Book Kalte Heimat
Die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945 Format: ePUB/PDF

Nicht willkommen. Die Vertriebenen nach 1945 in DeutschlandMit diesem Buch erschüttert Andreas Kossert den Mythos von der rundum geglückten Integration der Vertriebenen nach 1945. Erstmals erhalten…

Informationskultur und Beziehungswissen

E-Book Informationskultur und Beziehungswissen
Das Korrespondenznetz Hans Fuggers (1531-1598) - Studia AugustanaISSN 16 Format: PDF

Hans Fugger (1531-1598) wrote over 4,800 letters to correspondents in a Europe-wide network. These letters give an insight into domains of the life of the Fuggers and are at the same time valuable…

Weitere Zeitschriften

BEHINDERTEPÄDAGOGIK

BEHINDERTEPÄDAGOGIK

Für diese Fachzeitschrift arbeiten namhafte Persönlichkeiten aus den verschiedenen Fotschungs-, Lehr- und Praxisbereichen zusammen. Zu ihren Aufgaben gehören Prävention, Früherkennung, ...

Berufsstart Gehalt

Berufsstart Gehalt

»Berufsstart Gehalt« erscheint jährlich zum Sommersemester im Mai mit einer Auflage von 50.000 Exemplaren und ermöglicht Unternehmen sich bei Studenten und Absolventen mit einer ...

Card Forum International

Card Forum International

Card Forum International, Magazine for Card Technologies and Applications, is a leading source for information in the field of card-based payment systems, related technologies, and required reading ...

küche + raum

küche + raum

Internationale Fachzeitschrift für Küchenforschung und Küchenplanung. Mit Fachinformationen für Küchenfachhändler, -spezialisten und -planer in Küchenstudios, Möbelfachgeschäften und den ...

DULV info

DULV info

UL-Technik, UL-Flugbetrieb, Luftrecht, Reiseberichte, Verbandsinte. Der Deutsche Ultraleichtflugverband e. V. - oder kurz DULV - wurde 1982 von ein paar Enthusiasten gegründet. Wegen der hohen ...

rfe-Elektrohändler

rfe-Elektrohändler

rfe-Elektrohändler ist die Fachzeitschrift für die CE- und Hausgeräte-Branche. Wichtige Themen sind: Aktuelle Entwicklungen in beiden Branchen, Waren- und Verkaufskunde, Reportagen über ...