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Postnatale Depression und ihre Auswirkungen auf die Mutter-Kind-Interaktion. Möglichkeiten sozialpädagogischer Einflussnahme

Möglichkeiten sozialpädagogischer Intervention

AutorMarianne Moratz-Buß
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2004
Seitenanzahl89 Seiten
ISBN9783638319157
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2003 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: 1,3, Fachhochschule Potsdam, 39 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Diese Arbeit ist geeignet für interessierte Eltern, Studenten und Mitarbeiter sozialer Einrichtungen, die einen Überblick über die Formen postnataler Depression bekommen wollen und darüber hinaus die Auswirkungen verstehen lernen möchten. Sie soll eine Hilfe sein für alle, die sich nicht durch die überwiegend englischsprachige Fachliteratur arbeiten können oder wollen und sich dennoch einen Verständniszugang zu dem Thema wünschen. Sie soll einen Beitrag leisten zur Aufklärungsarbeit unter Säuglingsschwestern, Hebammen, Frauenärzten und allen anderen, die mit der schwangeren bzw. entbundenen jungen Mutter häufigen Kontakt haben. Zudem möchte sie möglichst viele Menschen sensibilisieren, damit echte Wochenbettdepressionen künftig rechtzeitig erkannt werden und angemessen darauf reagiert werden kann. Zum Inhalt: Zunächst wird der Begriff geklärt und von anderen Phänomenen abgegrenzt. Danach wird kurz auf die möglichen Ursachen einer postnatalen Depression eingegangen. Einen größeren Teil nehmen die Auswirkungen der Depression auf die Mutter, die Familie und den Säugling selbst ein. Es folgt ein Exkurs in die Bindungsforschung. Danach geht die Arbeit auf die Interaktion zwischen Eltern und dem Baby ein und auf ihre Bedeutung für die Entwicklung eines Selbstkonzeptes beim Kind. Anschließend werden präventive Faktoren und Risikofaktoren für die Entstehung einer postnatalen Depression untersucht. Die Arbeit schließt mit einigen Gedanken zu Interventionsmöglichkeiten und einer persönlichen Ermutigung, die sich an alle Eltern in der Leserschaft richtet.

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Leseprobe

3. Gedanken zur Bindungstheorie


 

Um die Auswirkungen mütterlicher Depression auf die kindliche Entwicklung in der frühen Zeit umfassend verstehen zu können, ist es unumgänglich, sich mit der Bindung zwischen Mutter und Kind auseinanderzusetzen.

 

So hat beispielsweise eine Meta-Analyse neuester Studien über die Auswirkungen mütterlicher Depression auf das Kind gezeigt, dass unsichere Bindung zu den häufigsten negativen Folgen von Störungen der mütterlichen Emotionalität gehört (vgl. Martins und Gaffan, 2000; zit. n. Murray, Dymond, Cooper; 2002, S.i325).

 

Cicchetti et al (1999) vertreten sogar die Ansicht, dass nur eine Behandlung, welche die Bindungssicherheit erhöht, bei depressiven Müttern die Interaktion dauerhaft verbessern kann (vgl. Deneke, 2001, S.i151).

 

Aus diesem Grund habe ich einen beträchtlichen Teil dieser Diplomarbeit der Bindungstheorie gewidmet, obwohl das Thema sich etwas von der Thematik „mütterliche Depression“ unterscheidet. Ohne einen rudimentären Einblick in die Entwicklung der Bindungsbeziehung würde es jedoch schwerfallen, dem eigentlichen Thema gerecht zu werden.

 

Das Kapitel über die Bindungstheorie möchte ich einleiten durch eine, wie ich meine, sehr schöne Zusammenfassung, die ich bei Brisch auf einer der ersten Seiten gefunden habe:

 

„Die Bindungstheorie begreift das Streben nach engen emotionalen Beziehungen als spezifisch menschliches, schon beim Neugeborenen angelegtes, bis ins hohe Alter vorhandenes Grundelement. Im Säuglings- und Kleinkindalter sichert uns die Bindung an die Eltern (bzw. entsprechende Ersatzfiguren) neben Schutz und Zuwendung den Beistand dieser Personen; selbst bei gesunder psychischer Entwicklung bleibt sie bis weit ins Erwachsenenleben bestehen, ergänzt durch neue, meist heterosexuelle Bindungen. Trotz der großen Bedeutung des Nahrungs- bzw. Sexualtriebes ist die Bindung, ihrer lebenswichtigen Schutzfunktion wegen, als solche eigenständig.“ (Bowlby, Elternbindung und Persönlichkeitsentwicklung; zit. n. Brisch 1999, S. 6)

 

3.1 Bindung und Bindungsforschung


 

Laut Bowlby ist der Mensch genetisch daraufhin angelegt, von Geburt an Bindungsbeziehungen aufzubauen. Aus der Perspektive der Evolution macht dies auch Sinn, da nur die Nähe zu einer Bezugsperson das Überleben des im Gegensatz zu vielen Tierarten noch sehr hilflosen Kleinstkindes sicherstellen kann.

 

„Unter normalen Umständen fördert die bloße Anwesenheit einer Person, an das [!] ein kleines Kind gebunden ist, die Exploration, das Spiel und das soziale Engagement. Spürt es jedoch Gefahr, so sucht es die Nähe dieser Person auf, um von ihr Schutz und Vergewisserung zu erhalten. Bindung an eine oder einige spezifische Personen wird deshalb besonders augenfällig, wenn sich ein Kind bedroht fühlt, aber ihre regulierende Wirkung ist ununterbrochen vorhanden. Allerdings bestimmt die Qualität der Interaktionen zwischen Kind und Bindungspersonen, inwieweit die Bindung dem Kind psychische Sicherheit gewähren kann.“ (Bretherton, 2002, S.i13)

 

Eine solche „Gefahrensituation“ stellte Mary Ainsworth in einem Experiment künstlich her, das als „Fremde Situation“ bekannt wurde.

 

Dabei begab sich jeweils die Mutter mit dem zwölf Monate alten Kleinkind in einen ihm unbekannten Raum, der mit für das Baby interessantem Spielzeug ausgestattet war.

 

Kurze Zeit später trat eine fremde Person in den Raum, begann eine Unterhaltung mit der Mutter und wandte sich danach dem Kind zu.

 

Wieder ein paar Minuten später verließ die Mutter für kurze Zeit den Raum. Die fremde Person sollte das Kind beschäftigen und beruhigen.

 

Die Mutter kam wieder herein, und die erste Wiedervereinigung von Mutter und Kind wurde beobachtet, während die fremde Person den Raum verließ.

 

Nachdem das Kind sich wieder beruhigt und erneut dem Spiel zugewandt hatte, verließ die Mutter ein zweites Mal den Raum. Das Kind war dieses Mal ganz allein.

 

Nach einigen Minuten erschien wieder die fremde Person. Dann kam die Mutter erneut zurück (vgl. Main, 2002, S.i176).

 

Der gesamte Ablauf wurde durch eine einseitig durchsichtige Spiegelwand beobachtet. Heute werden oftmals auch versteckte Videokameras verwendet.

 

Anhand der unterschiedlichen Reaktionen der Kleinkinder wurden sie in drei Kategorien eingeteilt:

 

A: („avoiding“) unsicher - vermeidend gebunden

B: („balanced“) sicher gebunden

C: („crying“) unsicher - ambivalent gebunden

 

Später wurden diese Kategorien von Mary Main und Mitarbeitern noch ergänzt durch

 

D: („disoriented“) desorganisiert - desorientiert gebunden

CC: („cannot classify“) unklassifizierbar (deutsch: U).

 

Wird das Experiment mit beiden Eltern durchgeführt, so kann es durchaus sein, dass das Kind beim Vater andere Bindungsreaktionen zeigt als bei der Mutter. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass nicht das Temperament des Kindes die Ergebnisse bestimmt, sondern die Beziehung zur Pflegeperson.

 

Sicher gebundene Kinder

 

Ainsworth erwartete, dass die Kinder spätestens bei der zweiten Trennung weinen und bei der Rückkehr ihrer Bezugsperson erleichtert auf diese zueilen würden.

 

Die Mehrheit der untersuchten Kinder (13 von 23, die spätere Gruppe B) verhielt sich auch so. Sie ließen sich von der Mutter trösten und konnten schon bald wieder entspannt spielen.

 

Unsicher-vermeidend gebundene Kinder

 

Die später mit „A“ (unsicher - vermeidend) klassifizierten Kinder zeigten zu Ainsworth’ großer Verwunderung keine sichtbaren Zeichen von emotionaler Bedrängnis. Bei der Rückkehr der Mutter vermieden sie den Kontakt zu ihr durch Abwenden und Kontaktabwehr. Dies wird als kindlicher Versuch interpretiert, die Angst vor der Trennung abzuwehren, indem die Aufmerksamkeit auf leblose Gegenstände gerichtet wird.

 

Unsicher-ambivalent gebundene Kinder

 

Die „C“ – Kinder (unsicher-ambivalent) dagegen reagierten auf die Trennung mit hoher emotionaler Beunruhigung. Sie waren auch durch die Rückkehr der Mutter nicht zu trösten und konnten sich kaum wieder ihrem Spiel zuwenden (vgl. Beebe, Jaffe, Lachmann, Feldstein, Crown, Jasnow; 2002, S.i63).

 

Desorganisiert gebundene Kinder

 

In der später durch Mary Main hinzugefügten Kategorie „D“ (desorganisiert-desorientiert) findet man Kinder, die aufgrund von Unterbrechungen und Anomalien in der Organisation und Orientierung ihres Verhaltens in der „Fremden Situation“ auffallen.

Die desorganisierten Kinder zeigten zahlreiche unerklärliche, seltsame und widersprüchliche Verhaltensweisen, z. B. Erstarren mitten in der Bewegung oder Annäherungsversuche an die Bindungsperson, die von fluchtartigem Rückzug unterbrochen werden.

 

Main und Hesse stellten daher folgende These auf:

 

„Desorganisiertes / desorientiertes Verhalten ist immer dann zu erwarten, wenn das Kind sich besonders vor seinen primären, sicheren Zufluchtsorten, d. h. den Bindungsfiguren, fürchtet.“ (Hesse, Main; 2002, S.i224)

 

Die beiden Autoren schildern ein Fallbeispiel, um das desorganisierte Verhalten zu beschreiben:

 

„Das kleine Mädchen krabbelt mit schnellen Bewegungen auf den Vater zu, um ihn in der Tür zu begrüßen. Plötzlich hält es inne, dreht den Kopf ganz zur Seite, starrt mit ausdruckslosem Gesicht und halb geschlossenen Augen an die Wand und schlägt mit seiner Hand dreimal auf den Boden. Diese Gesten sehen aggressiv aus, haben aber etwas Rituelles an sich. Der Säugling wendet dann den Blick wieder nach vorn, lächelt, nimmt seine Annäherung zum Vater wieder auf und möchte auf den Arm genommen werden (Main und Morgan, 1996, S.i108-109).“ (Hesse, Main; 2002, S.i222)

 

Die desorganisierte Kategorie wird nochmals unterteilt in desorganisiert - kontrollierend und desorganisiert - ängstlich. Bei Sechsjährigen war das im Kleinkindalter desorganisierte Verhalten meistens zu kontrollierendem Verhalten geworden, was sich in „altkluger Fürsorglichkeit“ oder in beleidigender Zurückweisung bei übertrieben fröhlicher oder angespannter Stimmung äußerte (vgl. Freitag, 2000, S.i3).

 

Nahezu 80 % aller misshandelten Kinder zeigen desorganisiertes Bindungsverhalten. Doch auch bei Stichproben mit geringem Risiko liegt der Anteil der desorganisiert gebundenen Kinder mit durchschnittlich 15 %, in manchen Stichproben aber sogar bis zu 30 % erschreckend hoch (vgl. Hesse, Main; 2002, S.i225).

 

Nicht klassifizierbare Kinder

 

In diese Kategorie werden Kinder eingeordnet, die sich nicht eindeutig einer der anderen vier Kategorien zuordnen lassen (vgl. Hesse, Main; 2002, S.i221).

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