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Postnatale Depressionen und andere psychische Probleme

Ein Ratgeber für betroffene Frauen und Angehörige

AutorAnke Rohde
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl202 Seiten
ISBN9783170259676
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Baby blues, postnatal depression, a traumatic birth - affected women and their families can often not correctly classify their psychological problems. If women are unhappy during pregnancy or after the birth of a child, the question arises as to whether this is still 'normal' or whether this is the manifestation of symptoms of depression or another mental disorder. There is a considerable need for information about this. The guide offers knowledge about the symptoms and causes of postnatal depression and psychosis, anxiety and compulsive disorders, as well as providing treatment options, possible aids and support. It also answers frequently asked questions, and offers case studies and experiences of those affected.

Prof. Dr. med. Anke Rohde, Psychiatrist and Psychotherapist, Director of the 'Gynaecological Psychosomatics' Department at the Centre for Obstetrics and Gynaecology, University Hospital Bonn.

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Leseprobe

1          Welche Probleme können nach einer Geburt auftreten?


 

»Ich hatte eine wundervolle Schwangerschaft, war stolz auf meinen Bauch, führte eine glückliche Ehe, und dieses Kind, mit dem wir fast schon nicht mehr gerechnet hatten, war ein sogenanntes Wunschkind. Auch die Entbindung war nicht schwer. Deshalb habe ich die Welt nicht mehr verstanden, als es mir bereits 36 Stunden nach der Entbindung psychisch sehr schlecht ging. . . . . «

So begann ein Brief, den ich zu Beginn meiner Tätigkeit an der Universitätsfrauenklinik in Bonn und der Einrichtung der Abteilung »Gynäkologische Psychosomatik« von einer betroffenen Frau bekam. Sie berichtete in ihrem Brief über die schwere Depression nach ihrer ersten Entbindung und den Versuch, ihrem Leben ein Ende zu setzen, der nur mit viel Glück nicht zum Ziel geführt hatte. Wir werden diese betroffene Mutter bei den Fallbeispielen noch einmal wiedertreffen.

In der Zwischenzeit haben meine Mitarbeiterinnen und ich in der Gynäkologischen Psychosomatik der Universitätsfrauenklinik in Bonn über tausend Patientinnen mit Depressionen und anderen psychischen Störungen nach der Entbindung gesehen. Fast immer berichten sie über bestimmte Symptome und Erlebnisweisen; und auch die daraus entstehenden Probleme in der Familie sind sich sehr ähnlich. Immer wieder hören wir von Veränderungen in der Selbstwahrnehmung, von Verunsicherung, von Problemen im sozialen Umfeld bis hin zu dauerhaften Familienkrisen. Es werden fast immer die gleichen Fragen gestellt, wie etwa nach den Ursachen, nach Behandlungsmöglichkeiten oder auch nach der Wahrscheinlichkeit, dass eine solche Depression bei einer weiteren Schwangerschaft noch einmal auftreten kann. Diese und ähnliche Fragen zu beantworten, Hintergründe zu erhellen und damit Ängste zu nehmen, ist das Ziel der folgenden Kapitel. Die Lektüre ersetzt nicht die Behandlung, wenn eine solche erforderlich ist. Vielmehr soll damit Unterstützung beim Erkennen von Art und Ausmaß bestehender Probleme geboten werden. Und es sollen Wege aufgezeigt werden, wie und wo man sich frühzeitig Hilfe holen kann.

Im Mittelpunkt dieses Buches stehen die postnatalen Depressionen, weil sie das häufigste Problem rund um die Geburt darstellen und oftmals einen erheblichen Leidensdruck erzeugen. Aber um postnatale Depressionen verstehen und richtig einordnen zu können, ist es sinnvoll, auch verwandte Störungsbilder zu kennen, die ebenfalls in der Zeit nach einer Entbindung zu starken Einschränkungen in der Lebensqualität führen können. Nicht selten kommt es übrigens auch zur Mischung verschiedener Problembereiche.

Postnatale Störungen – ein Überblick


Psychische Störungen nach der Geburt eines Kindes können bereits ab dem ersten Tag nach der Entbindung beginnen; rückblickend erkennt man dann nicht selten, dass bereits in der Schwangerschaft erste Symptome da waren. In solchen Fällen ist der Zusammenhang mit der Geburt für Betroffene viel einfacher herzustellen, als wenn die Symptome erst Wochen und Monate nach der Entbindung beginnen.

Für die einzelnen Arten von Störungen gibt es unterschiedliche Zeitpunkte, zu denen sie typischerweise auftreten. So ist für die »Heultage« (»Baby blues«) typisch, dass sie zwischen dem 3. und 5. Tag nach der Entbindung ihren Höhepunkt haben, nämlich dann, wenn die Hormonumstellung die stärksten Auswirkungen hat ( S. 17). In den ersten 14 Tagen nach der Entbindung beginnen insgesamt etwa ¾ aller postnatalen Psychosen. Postnatale Depressionen beginnen dagegen eher schleichend in den ersten Wochen und Monaten. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die häufigsten psychischen Probleme nach der Entbindung, den Zeitpunkt ihres Auftretens, den üblichen Verlauf und typische erste Symptome.

Baby blues – störend, aber harmlos


Wir beginnen deshalb mit dem sogenannten »Baby blues«, weil der im Ge-gensatz zu den folgenden Störungsbildern nicht behandlungsbedürftig ist,

Tabelle 1: Beginn, Dauer und erste Symptome

Begriffsklärung postnatal/postpartal

Postnatal und postpartal werden in der psychiatrischen Fachsprache praktisch gleichgesetzt: »post« bedeutet »nach« in der lateinischen Sprache, »natus« ist die »Geburt«. »Partus« kommt ebenfalls aus dem Lateinischen und bedeutet »Entbindung«. »Postpartal« bedeutet also »nach der Entbindung«, »postnatal« dagegen ganz korrekt »nach der Geburt«, nämlich aus der Sicht des Kindes. In der Praxis wird es aber auch für »nach der Entbindung« verwendet.

Im englischen Sprachraum und besonders in der dortigen Umgangssprache wird üblicherweise die Bezeichnung »postnatal« verwendet. Obwohl in der deutschen Fachsprache der Begriff »postpartal« korrekter ist, setzt sich auch bei uns in der Umgangssprache und in der Wissenschaftssprache immer mehr die Bezeichnung »postnatal« durch. Deshalb wird in diesem Buch durchgängig dieser Begriff verwendet.

Umgangssprachlich ist oft von der »Wochenbettdepression« die Rede. Der Begriff »Schwangerschaftsdepression« ist dagegen nicht korrekt: den würde man nur verwenden, wenn es tatsächlich um eine Depression in der Schwangerschaft geht.

sondern ganz normale Folge der sehr abrupten Hormonumstellung nach der Geburt. Etwa um den dritten bis fünften Tag nach der Entbindung fallen die Hormonspiegel, die sich in der Schwangerschaft gebildet hatten, sehr plötzlich wieder ab. Wie alle ausgeprägten hormonellen Veränderungen können auch diese Hormonschwankungen zu psychischer Labilität führen.

Wie »Heultage« im Deutschen ist der »Baby blues« ein umgangssprachlicher Begriff aus der englischen Sprache. Er leitet sich von dem englischen Wort »blues« ab (umgangssprachlich für Melancholie; findet sich auch in der Musiksprache). Die Tatsache, dass es auf Deutsch für die »Heultage« keine allgemein akzeptierte Fachbezeichnung gibt, zeigt schon, dass es sich hier nicht um eine Krankheit handelt. Von Müttern habe ich wiederholt gehört, dass sie den Begriff »Heultage« diskriminierend finden; seitdem verwende ich ihn nur noch selten. Allgemein setzt sich im deutschen Sprachgebrauch – sowohl in der Fachsprache als auch in der Laiensprache – der Begriff »Baby blues« immer mehr durch.

Nur sehr selten ist ein ausgeprägter »Baby blues« zugleich der Beginn einer postnatalen Depression. Die Stimmungslabilität mit raschem Wechsel zwischen Glücklichsein und Weinen, erhöhter Empfindlichkeit, manchmal einhergehend mit Schlafstörungen oder sonstigen Verhaltensveränderungen, ist nicht behandlungsbedürftig. Ruhe, Abschirmung vor allzu viel Außenreizen und Verständnis und Fürsorge vonseiten der Angehörigen reichen in der Regel aus. Wenn die Symptome allerdings länger als 2 oder 3 Tage bestehen oder andere Auffälligkeiten hinzukommen, sollte an den Beginn einer Depression oder auch einer Psychose gedacht werden.

Postnatale Depressionen – das Gefühl, eine schlechte Mutter zu sein


Die Symptomatik einer postnatalen Depression kann von einer leichten depressiven Verstimmung bis hin zur schweren Depression reichen. Alle Arten depressiver Symptome kommen vor; die häufigsten Symptome einer Depression nach der Entbindung sind in Tabelle 2 zusammengefasst.

Tabelle 2: Mögliche Symptome der postnatalen Depression

Besonders häufig leiden depressive Mütter unter dem Gefühl, eine schlechte Mutter zu sein, woraus Schuld- und Versagensgefühle entstehen. Diese Symptome gehen nicht selten einher mit der Überzeugung, dass die Gefühle dem Kind gegenüber unzureichend sind, dass sie nicht den erwarteten Muttergefühlen entsprechen. Eine Störung der Mutter-Kind-Bindung ist Teil der Depression, wird aber von den betroffenen Frauen nicht als Krankheitssymptom, sondern vielmehr als eigenes Versagen gewertet.

Treten im Rahmen der postnatalen Depression Zwangsgedanken oder Zwangsimpulse ( S. 101) auf mit dem Inhalt, dem Kind etwas anzutun, führt dies zu ausgeprägten Scham- und Schuldgefühlen.

Fast jede von schweren depressiven Symptomen betroffene Frau berichtet, dass es zu irgendeinem Zeitpunkt auch zu lebensmüden und schließlich suizidalen Gedanken gekommen ist oder auch zur Überlegung, das Kind zur Adoption freizugeben. Und all das vielleicht sogar, obwohl es sich um ein Wunschkind handelt. Besonders in der Möglichkeit des erweiterten Suizids bei schweren Depressionen (Selbsttötung mit...

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