Der Kundenwertbegriff wird in der Literatur in vielfältiger Weise verwendet und soll daher nachfolgend kurz ausgeführt werden, um das Verständnis des Kundenwertes, welches dieser Arbeit zugrunde liegt, zu verdeutlichen.
Eine grundsätzliche Unterscheidung des Kundenwertes lässt sich zunächst hinsichtlich der zugrunde liegenden Perspektive in Nachfrager- und Anbieterperspektive vornehmen, welche wiederum im engen Zusammenhang zueinander stehen.[18] „Der Kundenwert aus Nachfragersicht („customer value“) ist der Indikator des Ausmaßes, in dem ein Anbieter dazu beiträgt, die monetären bzw. nicht-monetären Ziele des betrachteten Kunden zu erfüllen.“[19] Der Customer-Value bezeichnet den vom Kunden wahrgenommenen Wert, der im Rahmen eines wertorientierten Marketing auch als Input-Größe betrachtet werden kann, welche durch den Anbieter positiv beeinflussbar ist.[20]
Da der Schwerpunkt dieser Arbeit nicht auf der Analyse der Beeinflussung der Input-Größe Customer-Value liegt, sondern vielmehr auf der Bestimmung des Kundenwertes aus Anbietersicht und der Möglichkeit der Integration des Kundenwertes als Ziel- und Steuerungsgröße des Unternehmens im Sinne einer wertorientierten Unternehmensführung, kann die Nachfragerperspektive zunächst für die weiteren Ausführungen vernachlässigt werden.[21]
Allgemein formuliert, kann der Kundenwert aus Anbieterperspektive als ein quantifizierbarer Nutzen beschrieben werden, den das Unternehmen durch den Kunden erfährt.[22] Bei näherer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass in der Literatur für den Kundenwert aus Anbietersicht keine einheitliche, konsensfähige Definition existiert. Bei dem Versuch, die Vielzahl existierender Kundenwertdefinitionen zu systematisieren, lässt sich erkennen, dass eine Klassifizierung der Ansätze primär über die verwendeten Bestimmungsgrößen[23], den zugrunde gelegten Zeitbezug[24] und die betrachtete Aggregationsebene[25] möglich ist.[26] Eine Systematisierung hängt also im Wesentlichen von der Definition des Konstrukts Kundenwert[27] ab.
Insgesamt ist festzustellen, dass in der Literatur die definitorische Auseinandersetzung mit dem Kundenwertbegriff zugunsten methodischer Fragestellungen im Hinblick auf die Messung des Kundenwertes eher vernachlässigt wird.[28]
Als Ausgangsbasis für die vorliegende Arbeit wird in Anlehnung an Rudolf-Sipötz (2001) eine Definition des Kundenwertes aus Anbietersicht zu Grunde gelegt, die einerseits die Mehrdimensionalität des Kundenwertes in Rechnung stellt und andererseits den Aspekt der unterschiedlichen Werthaltigkeit von Kunden fokussiert.
„Der Kundenwert ist die kundenindividuelle Einstufung auf einer (unternehmens-) spezifischen Messskala für die ökonomische Gesamtbedeutung eines Kunden, d.h. dessen direkten und indirekten Beitrag zur Zielerreichung eines Anbieterunternehmens.“[29]
In der Literatur hat sich bisher keine einheitliche Systematisierung der Verfahren zur Kundenbewertung[30] durchgesetzt. Dies ist insbesondere unter dem Aspekt nachvollziehbar ist, dass eine mögliche Systematisierung im Wesentlichen von der Definition des Konstrukts Kundenwert abhängt. Nachfolgend wird eine Systematisierung der Kundenbewertungsverfahren gewählt, die einerseits dazu dienen soll, den CLV-Ansatz gegenüber den anderen Kundenbewertungsmethoden abzugrenzen und andererseits die praktische Relevanz des CLV-Ansatzes hervorzuheben.
Die folgende Grafik zeigt die Zuordnung einiger ausgewählter Kundenbewertungsverfahren[31] zu den im Anschluss erläuterten Klassifizierungskriterien: Bestimmungsfaktoren, Konkretisierung des Betrachtungshorizontes und Art des Lösungsweges.
Abbildung 1: Systematisierung ausgewählter Kundenbewertungsverfahren
(modifiziert und erweitert in Anlehnung an Eberling (2002), S. 165)
Die Verfahren zur Kundenbewertung lassen sich hinsichtlich der zugrunde liegenden Bestimmungsfaktoren in monetäre Verfahren und nicht-monetäre Verfahren klassifizieren.[32] Zu den monetären Determinanten werden beispielsweise Umsatz, Gewinne aus Weiterempfehlung oder Kosten der Kundengewinnung gezählt, zu den nicht-monetären Determinanten zählen Meinungsführerschaft und Risikobereitschaft.[33]
Hinsichtlich der zugrunde liegenden Bestimmungsfaktoren kann eine weitere Differenzierung in eindimensionale und mehrdimensionale Verfahren vorgenommen werden. Die eindimensionalen Verfahren beruhen entweder auf monetären Kriterien oder auf nicht-monetären Kriterien und lassen einen direkten Vergleich von Ergebnisgrößen (z.B. Umsatzwert, Zufriedenheitswert, Referenzwert) zu.[34] Mehrdimensionale Bewertungsverfahren zeichnen sich dadurch aus, dass sie mehrere Bewertungskriterien, also verschiedene monetäre Kriterien, nicht-monetäre Kriterien oder Kombinationen aus monetären und nicht-monetären Kriterien, berücksichtigen und somit für eine ganzheitliche Abbildung der Kundenbeziehung sorgen. Die Mehrdimensionalität bezieht sich folglich nicht auf die Ergebnisgröße Kundenwert, sondern vielmehr auf den zugrunde liegenden Entstehungszusammenhang.[35]
Eine weitere Systematisierung der Methoden kann darüber hinaus anhand der Konkretisierung des Betrachtungshorizontes erfolgen. Unterschieden werden periodenbezogene Analysen, deren Nachteil insbesondere in der willkürlichen Zerschneidung von Kundenbeziehungen[36] zu sehen ist, periodenunabhängige Analysen[37], die Kundenbeurteilungen ohne die Fokussierung eines bestimmten Zeitraums ermöglichen und periodenübergreifende Analysen, welche alle Perioden der Kundenbeziehung berücksichtigen und daher die Kundenbeziehung in ihrer Gesamtheit abbilden.[38]
Ebenfalls unter Berücksichtigung des Zeitbezugs können gegenwartsbezogene Methoden, welche i. d. R. periodenbezogen sind, retrospektive Methoden, die i. d. R. periodenübergreifend sind und prospektive Methoden unterschieden werden, die dann vorliegen, wenn die Prognose zukünftiger Entwicklungen der Wertbeiträge von Kunden im Mittelpunkt steht.[39] Für periodenübergreifende prospektive Analysen ist des Weiteren die zeitbezogene Unterscheidung in statische Verfahren und dynamische Verfahren – also die Abgrenzung zwischen Zeitpunktbetrachtung und Zeitraumbetrachtung - von Bedeutung.[40]
Im Hinblick auf die Art des Lösungsweges lassen sich heuristische Verfahren von quasi-analytischen Verfahren unterscheiden. Heuristische Verfahren geben insbesondere Aufschluss über ein möglichst Erfolg versprechendes Suchverhalten und richtige Lösungswege. Allerdings verfehlen sie ihren Zweck hinsichtlich der Ableitung optimaler Entscheidungen. Dagegen können quasi-analytische Verfahren für die Ableitung optimaler Entscheidungen eingesetzt werden, da sie auf mathematischen Berechnungen basieren und somit eine exakte wertmäßige Vergleichbarkeit von Kunden ermöglichen.[41]
Die Klärung der Frage, warum dem CLV-Ansatz in dieser Arbeit der Vorzug vor anderen Bewertungsmethoden gegeben wird, ergibt sich aus dem Anspruch einer adäquaten Abbildung der zunehmenden Beziehungsorientierung sowie einer möglichst ganzheitlichen Abbildung von Kundenbeziehungen und folgt somit der bereits eingeführten Kundenwertdefinition[42].
Dynamische Verfahren sind insbesondere für die Abbildung von langfristigen Kundenbeziehungen im Wege einer zunehmenden Beziehungsorientierung sinnvoll anwendbar, da sie im Gegensatz zu statischen Verfahren zukünftige, potentielle Entwicklungen von Kundenbeziehungen mit einbeziehen.[43] „[Sie] integrieren [somit] den Faktor Zeit respektive die Zukunftsdimension. Dadurch sind sie besser geeignet, die Langlebigkeit einer Kundenbeziehung und folglich den Kundenwert abzubilden.“[44] Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Beurteilung von Kunden anhand ihres langfristigen zukünftigen Potentials weitaus sinnvoller, als eine vergangenheitsbezogene Bewertung.[45]
Der...