Nachdem Inhalte und Ziele ökonomischer Bildung herausgearbeitet wurden (vgl. Kap. II.2), müssen hierfür tragfähige (Unterrichts-)Konzepte identifiziert werden. Damit ist nicht gemeint, dass Inhalte, Ziele und Methoden unabhängig voneinander behandelt werden können.[96] In Anlehnung an die „Inderdependenzthese“ oder die These vom „Implikationszusammenhang“ stehen Unterrichtsziele, -inhalte und Methoden in Wechselwirkung zueinander.[97]
Für den Aufbau einer den Strukturbedingungen der modernen Gesellschaft angemessenen Handlungskompetenz erscheinen solche Lehr-Lern-Prozesse viel versprechend, die die Aneignung von Fachwissen und die Fähigkeit, dieses Wissen in realen Situationen anwenden zu können, verbinden.[98] „Wissen, welches durch learning by doing auf diese Weise vermittelt wird, bleibt somit kein träges Wissen, sondern kann aktiv umgesetzt und an wechselnde Anforderungen angepasst werden.“[99] Im Folgenden soll gezeigt werden, dass Praxiskontakte ein solches handlungsorientiertes Lehr-Lern-Konzept darstellen können. Sofern richtig angewandt, können sie als Schnittstelle zwischen Lern- und Lebenswelt für eine enge Verzahnung von Wissenserwerb und Wissensanwendung sorgen und sich somit als ein effektives Vehikel der ökonomischen Bildung erweisen.[100]
Allgemein bildende Schulen und Wirtschaftspraxis waren lange Zeit voneinander abgeschottete Welten; ihre Beziehung war durch Distanz und gegenseitige Skepsis geprägt. Mittlerweile sind Kooperationen zwischen Schule und außerschulischen Partnern allerdings keine Ausnahme mehr.[101] Krol gliedert die vielfältigen Kooperationsformen in drei Gruppen:
Kooperationen zur Verbesserung der ökonomischen Rahmenbedingungen von Schule (Sponsoringaktivitäten und Public Private Partnership),
Kooperationen, die sich gezielt an die Lehrkräfte richten (Lehrerfortbildungen und Begegnungen zwischen Lehrern und Unternehmen),
Kooperationen, die sich an die Schüler richten und ihnen Erfahrungen in der Auseinandersetzung mit ökonomischen Problemen und Sachverhalten ermöglichen.[102]
Der Begriff Praxiskontakte meint in erster Linie Kooperationsformen der dritten Gruppierung. Praxiskontakte im Wirtschaftsunterricht, die zumeist im Rahmen von Betriebspraktika stattfinden, sind dabei häufig primär auf die Bereiche Berufswahlorientierung und Berufswahlvorbereitung ausgerichtet. Die in dieser Arbeit zugrunde gelegte Konzeption von Praxiskontakten geht darüber hinaus. Auch wenn die Berufswahlorientierung und -vorbereitung zweifelsohne ein wichtiges pädagogisches Anliegen ist[103], soll nicht die unmittelbare Vorbereitung der Schüler auf die Berufswelt, sondern vielmehr das durch Realbegegnungen initiierte handlungsorientierte ökonomische Lernen als Bestandteil von Allgemeinbildung im Mittelpunkt stehen. Praxiskontakte sollen eine ökonomische Bildung transportieren, die die Schüler zur Bewältigung ökonomisch geprägter Lebenssituationen befähigt und sie außerdem mit einem fach- und wertebasierten Verständnis von Wirtschaft und Gesellschaft ausstattet.[104] Dieses Verständnis von Praxiskontakten basiert auf der Konzeption des oben vorgestellten Projektes „PRAWIS“. Eine so verstandene unmittelbare Auseinandersetzung mit der sozioökonomischen Umwelt ist nicht nur mit den Erwartungen verbunden, die verzerrte Wahrnehmung wirtschaftlicher Phänomene korrigieren und mehr Wissen über die Funktionsweise von Wirtschaft vermitteln zu können. Durch die exemplarische Integration außerschulischer Praxis in den Ökonomieunterricht kann eine auf Theorie basierende Auseinandersetzung mit Realität angereichert werden, um bessere Lernergebnisse und die Fähigkeit, erworbenes Wissen in konkreten Handlungssituationen anwenden zu können, zu fördern.[105]
Dabei dürfen Praxiskontakte aber nicht voraussetzungslos und als simples Addendum zum bisherigen Unterricht angelegt werden. Denn nicht die Begegnung allein, sondern nur deren Einbettung in ein durchdachtes Lehr-Lern-Arrangement kann die Bildungswirksamkeit sicherstellen.[106] Die außerschulische Realität ist im Vergleich zum didaktisch reduzierten Unterrichtsgegenstand sehr viel komplexer und kann die Schüler schnell überfordern. Das Aufsuchen außerschulischer Lernorte erfordert daher die systematische Einbettung in den wirtschaftswissenschaftliche Strukturen und Theorien vermittelnden Unterricht, um durch Fachwissen die Vorausetzungen zum sachgerechten und reflexiven Verständnis der in Praxiskontakten gemachten Erfahrungen zu schaffen und die Aufmerksamkeit der Schüler auf das aus curricularer Perspektive Wesentliche zu lenken.[107] Aber nicht nur die fachtheoretische Vor-, sondern vor allem die Nachbereitung ist bedeutsam, da nur so das in Praxiskontakten exemplarisch Erfahrene an bewährtes Wissen rückgekoppelt, auf seine Allgemeingültigkeit hin untersucht und übergeordneten Sach- und Sinnzusammenhängen zugeordnet werden kann. Dies ist dringend notwendig, um verallgemeinerungsfähige Erkenntnisse gewinnen und damit einen tragfähigen Wissens- und Erkenntniszuwachs sicherstellen zu können (vgl. Kap. III.2.2.1). [108] Es verdeutlicht zugleich die Notwendigkeit hinreichenden Fachwissens sowie methodischer Grundfähigkeiten. Praxiskontakte als Lernbaustein bedürfen also eines theoriegestützten Fundaments.[109]
Abb. 3: Die drei Phasen eines Praxiskontaktes
Quelle: Kaminski, H./Krol, G.-J./u.a. (2005), S. 57.
Praxiskontakte sollen bewährtes Theoriewissen mit unmittelbarer Praxiserfahrung verknüpfen. Dies schafft einerseits die Möglichkeit, theoriegeleitete Kenntnisse über wirtschaftliche Zusammenhänge an der Realität exemplarisch zu prüfen, erlaubt andererseits aber auch, die gemachten Erfahrungen und Beobachtungen theoriegeleitet einer Verallgemeinerung zuzuführen, auf ihre grundlegende Struktur hin zu analysieren und so bestimmte Sachverhalte überhaupt als problembehaftet wahrzunehmen.[110] Praxiskontakte liefern nach diesem Verständnis nicht nur Antworten, sondern sind auch Ausgangspunkt für vertiefende Fragestellungen. Theorie und Praxis befragen sich gegenseitig.[111]
So verstandene Praxiskontakte sind keine spezifische Methode, sondern eher ein Unterrichtskonzept oder ein Oberbegriff für methodische Zugriffe auf die außerschulische Realität. Dabei können Praxiskontakte in verschiedenen Formen durchgeführt werden (vgl. Abb. 4). Als mögliche Kooperationspartner für Praxiskontakte im Ökonomieunterricht kommen u.a. Produktions- und Dienstleistungsunternehmen, organisierte Interessensvertretungen und staatliche Institutionen in Frage.
Abb. 4: Formen von Praxiskontakten.
Quelle: Kaminski, H./Krol, G.-J./u.a. (2005), S. 83.
Es wurde die These zugrunde gelegt, dass Praxiskontakte lern- und bildungswirksam sind, sich also dazu eignen, die Anwendungsfähigkeit des Erlernten zu erhöhen und die Handlungsfähigkeit der Schüler zu verbessern. Im Zusammenhang mit diesen allgemeindidaktischen Potenzialen ist der Begriff der Handlungsorientierung zentral. Handlungsorientierung ist ein in der didaktischen Diskussion vielfältig interpretiertes Konzept.[112] Es existieren diverse oberflächliche Deutungen des Handlungsbegriffs, von denen sich viele auf das praktische Tun beschränken. Das didaktisch gewollte Handeln im Unterricht impliziert aber ebenso die eigenaktive, kognitive Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgegenstand und die Reflexion über das Handeln.[113] Für Kaiser und Kaminski umfasst der Begriff Handlung drei Dimensionen: erstens das theoretische Lernen, das auf Handeln vorbereitet; zweitens das Lernen durch Handeln, also das Handeln im engeren Sinne; und drittens die kritische Reflexion über das Handeln.[114]
Handlungsorientierung hat Bezug zu zwei Ebenen. Einmal betont der Begriff die lerntheoretische Notwendigkeit, dass effektives Lernen handlungsorientiert ablaufen muss (Lernen durch Handeln), um die Bildung trägen Wissens zu vermeiden und die „Anwendungsqualität des Wissens zu erhöhen“[115] (vgl. Kap. III.2.1). Darüber hinaus verweist Handlungsorientierung auch auf ein übergeordnetes Bildungsziel: den Erwerb von Handlungskompetenz (Lernen zum Handeln) (vgl. Kap. III.2.2).[116] Auf diese beiden...