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Praxisforschung in der Kinder- und Jugendhilfe

Theorie, Beispiele und Entwicklungsoptionen eines Forschungsfeldes

VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl234 Seiten
ISBN9783531913940
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis22,99 EUR
Die zunehmende Schnittstellenposition der Kinder- und Jugendhilfe, ihre Vernetzung mit dem Bildungs- und Gesundheitswesen etwa, verlangt die stetige Klärung ihrer Rollen und Funktionen. Praxisforschung als Kontext- und Prozessforschung kann dabei im begleitenden Kontakt zwischen Wissenschaftler(inne)n und Praktiker(inne)n eine wesentliche Funktion übernehmen. Welche neuen Fragestellungen und Erwartungen, zugeschriebenen Ziele und Funktionen ergeben sich für die Praxisforschung im Kontext einer sich ändernden Praxis der Kinder- und Jugendhilfe? Welchen aktiven Beitrag leistet andererseits Praxisforschung für die Entwicklung der Kinder- und Jugendhilfe? Anhand theoretischer und methodischer Überlegungen sowie praktischer Beispiele wird in diesem Band untersucht, ob das für die Praxisforschung konstituierende Verhältnis zur Praxis - der wechselseitige Transfer von Erkenntnissen - eine neue Qualität bekommt und welche Entwicklungsoptionen sich für die Praxisforschung und die dort tätigen Institutionen ergeben.

Dr. Stephan Maykus ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im ISA Institut für soziale Arbeit e.V. in Münster.

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Leseprobe
4 Besonderheiten der Untersuchung von „Praxis" (S. 74-75)

Das (sozial-) pädagogische Handeln kann verstanden werden als Teil einer menschlichen Gesamtpraxis, die auf die Ermöglichung von Humanität ausgerichtet ist. Der Forschung ist dieses Handeln (und sein Kontext) nicht nur als Faktum und als soziale Tatsache gegeben, sondern auch als Praxis im emphatischen Sinne. Die Ausgangssituation ist insofern zu vergleichen beispielsweise mit der Literaturwissenschaft, die ja nicht nur Sätze und Worte feststellt, sondern den spezifischen Sinn von Texten rekonstruiert bzw. hermeneutisch interpretiert.

Die Totalität der möglichen Sinnzusammenhänge ist dabei immer umfassender und übergreifender als die einzelne Interpretation erfassen kann. Aber die einzelne Interpretation stellt immer auch einen Beitrag zur Erarbeitung eines nur denkbaren Kosmos von geordneten Interpretationen dar. Forschung ist also diskursiv angelegt und breitet sich aus. Ihre Erkenntnisse verschmelzen mit den Strukturen von Lebenswelten, kultivieren die Auffassungen von Mensch und Welt.

Dies gilt in der Regel nicht für naturwissenschaftliche Forschung. Ihre Fragestellungen ergeben sich aus einem deduktiven Ableitungszusammenhang, der sich grafisch in die Form einer nach unten gerichteten Dolde mit immer weiter verzweigten Verästelungen darstellen lässt. Zur Entwicklung einer neuen Verzweigung mit mehreren möglichen Richtungen ist theoretische Kreativität erforderlich, ein Großteil der normal science besteht darin, die empirische Konsistenz der theoretisch entworfenen Verzweigungen zu prüfen.

Viele empirische Versuche zielen auch auf eine Addition neuer Verzweigungsmöglichkeiten, gelegentlich auch auf das Finden eines neuen Verzweigungsknotens ab. Besonders kreative – und seltener geniale – Vorgehensweisen folgen nicht dem jeweils konkreter werdenden Detaillierungszwang, sondern gehen auf allgemeinere Ebenen von bereits anerkannten Verzweigungen und Unterscheidungen zurück und revidieren dort Auffassungen, die bisher als gültig und bewährt galten.

Albert Einstein hat so etwas getan, als er auf die Unterscheidung von Raum und Zeit zurückging, diese neu definierte und damit eine Revision des Aufbaus der Physik erzwang. Am anderen Ende, an den Grenzen des Wissens, werkeln täglich Tausende von Doktoranden weltweit an dem Faden, den sie aus dem Gewebe der Physik oder Chemie oder Medizin herausgedröselt haben oder der ihnen zur Untersuchung zugewiesen wurde. Auch in den Sozial- und Geisteswissenschaften werden Fragestellungen aus dem schon vorhandenen wissenschaftlich gesicherten Wissen heraus theoriegeleitet abgeleitet.

Dies läuft auf die Untersuchung einer bestimmten theoretischen Hypothese oder auf die Applikation eines Konstrukts auf ein noch nicht bearbeitetes Feld hinaus. Die Einzeluntersuchung verweist auch hier auf einen allgemeinen Horizont von Bedeutungen der jeweiligen Disziplin. Dieser Horizont wird punktuell im Ergebnis der einzelnen Studie repräsentiert. Der referierten Vorstellung („Dolden-Modell") kann ein „Mosaik-Modell" gegenübergestellt werden. Nach diesem Modell wird der Typus der sozialpädagogischen Praxisforschung rekonstruiert. Dabei wird der üblicherweise höchst missverständlich verwendete Terminus der „Praxisforschung" in der Weise verstanden, dass es um eine auf Praxis gerichtete Forschung geht.

Die For schung zielt u.a. auf die Untersuchung von Handlungen, die als sozialpädagogisch verstanden werden, von dabei verwendetem Wissen, von personellen, organisatorischen, institutionellen oder situativen Bedingungen dieses Handelns oder die sinnhaften Konstruktionen dieses Handelns ab. Weil, was „sozialpädagogisch" sein soll, nicht vorab und nicht nur theoretisch definiert werden kann, leistet Forschung, wenn sie gelingt, immer einen Beitrag zur Erweiterung des Verständnisses von „sozialpädagogisch". Sie ist also diskursiv.
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis5
Vorwort8
Was ist Praxisforschung? Begrifflich-konzeptionelle Klärungen und Einordnung in den Kontext der Kinder- und Jugendhilfe13
1 Forschung und Verwissenschaftlichung sozialer Praxis – ein Ordnungsversuch14
2 Thesen zur definitorischen Klärung und Konturierung von Praxisforschung18
3 Dimensionen und Problemfelder von Praxisforschung23
4 Fazit: Praxisforschung – unordentliche Form der Forschung?25
Literatur26
Aktuelle Herausforderungen der Kinder- und Jugendhilfe: Standortbestimmungen und Ausblicke28
1 Worum geht es?28
2 Aktuelle Herausforderungen der Kinder- und Jugendhilfe30
3 Ausblicke: Herausforderungen an eine praxisorientierte Forschung40
Literatur41
Praxisforschung und Kinder- und Jugendhilferecht44
1 „Wir brauchen bessere Gesetze“44
2 Gesetzesfolgen und ihre Abschätzung in der Kinder- und Jugendhilfe45
3 Forschung im Dienst der Rechtsfolgenabschätzung und der Praxisentwicklung48
4 Aktuelle Praxisprojekte50
5 Der Auftrag zur Evaluation des Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetzes55
6 Praxisforschung und politischer Gestaltungswille56
Praxisforschung und ihre Bedeutung für die Kinder- und Jugendhilfepolitik57
1 Vorbemerkungen57
2 Das Kinder- und Jugendhilfegesetz hat der Praxis eine neue Fachlichkeit gegeben58
3 Veränderungen in den Lebenswelten erfordern mehr Praxisforschung60
4 Praxisforschung als Chance, den Alltag der Kinder- und Jugendhilfe zu stärken und ihren gesellschaftlichen Stellenwert zu verdeutlichen61
5 Auch die Politik braucht die Ergebnisse der Praxisforschung64
6 Abschluss65
Literatur66
Grundlagenforschung und Praxisforschung: Gegensatz oder unverzichtbares Wechselverhältnis?67
1 Forschung67
2 Sozialpädagogische Forschung68
3 Forschung und Praxis69
4 Besonderheiten der Untersuchung von „Praxis“70
5 Forschung als Praxisforschung72
6 Abschließende Bemerkungen73
Literatur73
Praxisforschung und ihre Bedeutung für die Praxisentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe aus der Sicht freier Träger75
1 Forschende Praxis – erfolgreiche Praxis77
2 Es geht um Forschungspartnerschaften zwischen Trägern der freien, der öffentlichen Jugendhilfe und Forschungseinrichtungen82
Literatur84
Praxisforschung und ihre Bedeutung für die Praxisentwicklung in der Kinder- und Jugendhilfe aus der Sicht öffentlicher Träger85
1 Einleitung oder Die Steuerungsprobleme öffentlicher Jugendhilfe85
2 Praxisforschung und ihre Bedeutung für die Praxisentwicklung – zwei Beispiele88
3 Fazit oder Was soll und was muss Praxisforschung leisten?93
Literatur95
Methodenanwendung in der Praxisforschung: Besonderheiten und Entwicklungsbedarf97
1 Die besonderen Rahmenbedingungen der Methodenanwendung in der Praxisforschung97
2 Methodenverwendung in der Praxisforschung100
3 Die Suche nach dem methodischen Goldstandard101
4 Wege und Ansätze zur Sicherstellung der methodischen Qualität in der Praxisforschung102
5 Fazit104
Literatur104
Spannungsfelder der Praxisforschung107
1 Referenzsysteme108
2 Spannungsverhältnisse und ihre Auflösung in Forschungsprozessen112
3 Fazit117
Literatur117
Multiperspektivität als methodische Antwort auf die Komplexität Sozialer Arbeit?119
Einleitung119
1 Multiperspektivität im weiteren Sinne120
2 Multiperspektivität im engeren Sinne122
Literatur130
Praxisforschung zwischen Erkenntnisgewinn und praktischer Nützlichkeit: Transfer und Transformation als integrale Bestandteile einer „widersprüchlichen Einheit“132
1 Praxisforschung zwischen Anspruch und Wirklichkeit132
2 Praxisforschung als intermediäre Instanz zwischen Forschung und Praxis135
3 Transfer als eigenständige Aufgabe von Praxisforschung137
4 Erkenntnisgewinn versus Entwicklungsgewinn: Vom Transfer zur Transformation142
5 Und es geht doch! Erkenntnisgewinn und praktische Nützlichkeit als „widersprüchliche Einheit“145
Literatur146
Praxisforschung in der Kinder- und Jugendhilfe147
1 Differenzierungen von sozialpädagogischer Praxisforschung in der Fachdebatte148
2 Versuch einer Typologie von Praxisforschung in der Kinder- und Jugendhilfe156
3 Entwicklungsthemen einer anwendungsorientierten Forschung in der Kinder- und Jugendhilfe: Schule und Bildung als exemplarischer Irritationsimpuls für Jugendhilfeentwicklungen161
4 Fazit165
Literatur166
Forschungsgruppe PETRA gGmbH, Schlüchtern Forschungsgruppe PETRA gGmbH, Schlüchtern168
Kurzportrait168
Beispiele aus der Forschungspraxis169
Institut für soziale Arbeit e.V. (ISA), Münster186
Kurzportrait186
Beispiele aus der Forschungspraxis187
Institut für sozialpädagogische Forschung Mainz e.V. (ism) Institut für196
Kurzportrait196
Beispiele aus der Forschungspraxis197
Literatur202
Praxisforschung in der Kinder- und Jugendhilfe – internationale Perspektiven206

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