„Das Hundert-Milliarden-Risiko – DAX-Unternehmen gaukeln Aktionären heile Welt vor“[1], „Die Zeitbombe in den Bilanzen“[2], „Der große DAX-Bluff“[3] oder „Mächtig aufpoliert“[4] – diese Schlagzeilen renommierter Wirtschaftsmagazine deuten, stellvertretend für das Pressebild der Rechnungslegung, auf die aktuelle Relevanz und vor allem auf die Kritik an der Goodwill-Bilanzierung deutscher kapitalmarktorientierter Unternehmen hin. Die Goodwill-Bilanzierung, sowie der mindestens einmal im Jahr nach dem Impairment-Only-Approach (im Folgenden IOA) durchzuführende Wertminderungstest, werden auch von Wirtschaftswissenschaftlern regelmäßig kritisch diskutiert. Auch hier bestimmen Schlagzeilen wie „Wider dem Impairment-Only-Approach oder die Goodwillblase wächst“[5] die vorherrschende Sichtweise auf den Goodwill. Insbesondere vor dem Hintergrund stetig steigender Unternehmensübernahmen durch die Globalisierung und der weltweiten Vernetzung der Märkte, nimmt der Goodwill, als Residualgröße aus der Differenz zwischen Kaufpreis und Nettozeitwert des erworbenen Unternehmens[6], in der Rechnungslegung seit Jahren einen hohen Stellenwert ein. In einer Analyse von 135 kapitalmarktorientierten Unternehmen[7] betrug der Goodwill bei Akquisitionen durchschnittlich mehr als 44 % des Kaufpreises. In der Technologiebranche betrug der Goodwill durchschnittlich mehr als 67 % des Kaufpreises.[8] Ein Anstieg des Goodwills in den Konzernbilanzen kann daher u. a. aufgrund gestiegener M&A-Transaktionen erklärt werden. Die erste Jahreshälfte 2015 ist gemessen am Transaktionsvolumen der weltweiten Unternehmensübernahmen, mit über 2,2 Billionen USD, die wertmäßig stärkste erste Jahreshälfte seit 2007.[9] Dabei betrugen weltweit mehr als 48 % der M&A-Transaktionen einen Wert von über 5 Milliarden USD.[10] Relativ große M&A-Deals konnten auch in jüngster Vergangenheit beobachtet werden. Im Oktober 2015 kündigte DELL die Übernahme von EMC an. Der Kaufpreis für EMC wird sich dabei auf ca. 67 Milliarden USD belaufen.[11] Bei einem 45 Milliarden USD schweren Nettovermögen von EMC, welches bereits über 16 Milliarden USD aus aktivierten Goodwill besteht, ist davon auszugehen, dass nach Abschluss des M&A-Deals, ein relativ hoher Goodwill bei DELL in der Konzernbilanz verbleibt.[12] Ein weiteres Beispiel für eine relativ große M&A-Transaktion ist die Übernahme von WhatsApp durch Facebook im Jahr 2014. Der Kaufpreis belief sich auf rund 19 Milliarden USD, davon alleine 15,3 Milliarden USD an aktiviertem Goodwill.[13] Auch für die Zukunft ist mit einem Anstieg von M&A Transaktionen zu rechnen. Laut einer aktuellen Umfrage der Unternehmensberatung Ernst & Young im April 2015, planen mehr als die Hälfte der 1600 befragten internationalen Konzerne in den kommenden 12 Monaten einen Zukauf zu tätigen.[14] Die Motivation der Unternehmen bevorzugt anorganisch zu wachsen, kann auf das derzeit niedrige Zinsumfeld und die damit verbundenen günstigen Refinanzierungskosten der M&A-Transaktionen, sowie auf aktuell hohe Liquiditätsbestände zurückzuführen sein.[15] Das Resultat solcher hohen Übernahmeprämien sind überproportional steigende Goodwill-Bestände, welche regelmäßig keinen materiellen respektive greifbaren Wert für die Aktionäre aufweisen. Zudem können durch das Unterlassen notwendiger Wertminderungen auf den Goodwill eine Vielzahl von klassischen Bilanzanalysekennzahlen wie z. B. das KGV[16] verfälscht werden.[17] Eine Vergleichbarkeit der Unternehmen wird daher regelmäßig erschwert. Der Goodwill kann daher auch als zentrale Größe im Rahmen von Bilanzanalysen angesehen werden.[18] Im Einzelfall kann zudem ein hoher Goodwill-Bestand das bilanzielle Eigenkapital übersteigen und würde bei einer Totalabschreibung zu einer bilanziellen Überschuldung führen.[19] Eine Kapitalerhöhung zu Lasten der Anteilseigner[20] ist dann i. d. R. zwingend für die Existenzerhaltung der betroffenen Unternehmung erforderlich. Ein wertmäßig hoher aktivierter Goodwill kann daher zu hohen ergebniswirksamen außerplanmäßigen Abschreibungen führen. Aus diesem Grund gab die Deutsche Bank im Oktober 2015 eine Gewinnwarnung für das dritte Quartal raus.[21] Die Wertminderung auf den Goodwill betrug mehr als 5,8 Milliarden Euro. Das Resultat war ein Quartalsverlust von 6,2 Milliarden Euro nach Steuern.[22] Die Folgen derartiger Abschreibungen tragen primär die Anteilseigner. Die Dividende wird aller Wahrscheinlichkeit nach für die Anteilseigner der Deutschen Bank in den nächsten Jahren ausfallen. Zudem kündigte die Deutsche Bank die Streichung von 9000 Stellen an.[23]
Der Goodwill wird von dem IASB als Vermögenswert[24] mit unbestimmter Nutzungsdauer klassifiziert, welcher gemäß IFRS 3 B69(d) i. V. m. IAS 36 mindestens einmal im Jahr auf Werthaltigkeit zu prüfen ist. Die Werthaltigkeitsprüfung des Goodwills obliegt dabei der Einschätzung des Managements, welches gemäß der herrschenden Prinzipal-Agent-Theorie regelmäßig den Anreizen für opportunistisches Handeln unterliegt.[25] Opportunismus bei der Goodwill-Bilanzierung kann dann dazu führen, dass notwendige Goodwill-Abschreibungen unterlassen respektive aufgeschoben werden.[26] Leibfried, Professor für Rechnungslegung an der Universität S. Gallen, deklariert den Goodwill daher „… zum Spielball der Vorstände ..“[27] Die Goodwill-Bestände in den Bilanzen der deutschen kapitalmarktorientierten Unternehmen hatten daher im Jahr 2012 mit einem Restbuchwert von mehr als 237 Milliarden Euro einen neuen Höchststand erreicht. Wertminderungen auf den Goodwill fallen dazu im Vergleich nur marginal aus. Das Abschreibungsvolumen betrug 2012 gemessen am Restbuchwert der Goodwills 1,68 %.[28] Auch zu Zeiten der Finanzkrise blieben die Abschreibungen auf einem niedrigen Niveau.[29] Dies führt dazu, dass es sich „nach den aktuellen Bilanzierungsregelungen … ohne Übertreiben von einer Goodwillblase sprechen [lässt], die stetig wächst.“[30]
Zunehmend stieg auch der nationale Handlungsdruck an. Die DPR hatte im Jahr 2014 erneut die Werthaltigkeitsprüfung des Goodwills als einer der Prüfungsschwertpunkt festgelegt. Dabei wurden insbesondere die Cash-Flow-Prognosen der zahlungsmittelgenerierenden Einheiten (Cash Generating Units, im Folgenden CGU)[31], sowie der für die Werthaltigkeitsprüfung notwendige Abzinsungssatz geprüft. Zudem war die Goodwill-Bilanzierung in den Jahren 2007-2013 einer der Prüfungsschwerpunkte. Auch für das aktuelle Jahr 2016 erfolgt durch die DPR eine indirekte Prüfung des Goodwills, indem Unternehmenserwerbe unter Marktwert untersucht werden.[32] Die Bilanzierung des Goodwills erfährt zudem stetige gesetzliche Aktualität. Durch das am 23.07.2015 national in Kraft getretene BILRUG hat der deutsche Gesetzgeber auf internationale Goodwill-Kritik reagiert und dem Goodwill nun eine festgelegte Nutzungsdauer von 10 Jahren vorgeschrieben.[33] Über diesen Zeitraum ist der Goodwill für Unternehmen, welche nach dem HGB bilanzieren, ab dem 31.12.2015 planmäßig abzuschreiben.[34] Da kapitalmarktorientierte Unternehmen seit 2005 ihre Konzernabschlüsse nach den Vorschriften der IFRS aufzustellen haben[35], erfährt diese Neuregelung international derzeit keine verpflichtende Relevanz. Im Vergleich zur nationalen Regelung unterliegt der Goodwill nach IFRS seit 2005 keiner planmäßigen Abschreibung mehr.[36]
Im September 2012 äußerte Naumann, CEO des IDW, in einen Schreiben an Flores, ehemalige Vorsitzende der EFRAG, seine Bedenken bezüglich der aktuellen Entwicklung des Goodwills, sowie der Umgang mit dem nach IAS 36[37] vorgeschriebenen IOA. Für Naumann ist der IOA „…overall highly subjective and open to abuse.”[38] Laut Naumann sollte demnach der Goodwill nach Entstehung kontinuierlich abgeschrieben werden und nicht, wie es in der Bilanzierungspraxis scheinbar Normalität ist, durch die Unterlassung notwendiger Abschreibungen mit selbst erstellten, originären Goodwill ersetzt werden.[39] Auch die ESMA forderte nach einer Analyse von 235 europäischen Unternehmen aus 23 Ländern, die kumuliert einem Goodwill von mehr als 800 Milliarden Euro auswiesen, neue Kriterien für die Goodwill-Bilanzierung nach IFRS 3 und IAS 36.[40] Aufgrund der kritischen internationalen Resonanz, sowie im Zuge der Überprüfung des für den Goodwill maßgeblichen Standard IFRS 3, hatte das IASB im Jahr 2015 mit zwei neuen Forschungsprojekten erneut den Fokus auf den Goodwill gelegt. Geprüft wurde vor allem der Impairment-Test nach IAS 36. Dabei wurden die Forschungsprojekte mit „assessed significance: high“ eingestuft.[41] Die internationale Kritik an der Goodwill-Bilanzierung tangierte auch den IASB-Vorsitzenden Hoogervorst. Hoogervorst kritisierte in seiner Rede: „The Concept of Prudence: dead or alive?“ auf der FEE Conference im September 2012, das konstant niedrige...