Kapitel 2
Im Zentrum der Preis
Alles dreht sich um den Preis
Der Preis ist das zentrale Scharnier der Ökonomie. Um ihn dreht sich alles. Preise sorgen für den Ausgleich von Angebot und Nachfrage. Kein anderes Marketinginstrument eignet sich besser, um den Absatz schnell und effektiv zu steuern. Der Preis ist bei typischen industriellen Kostenkonstellationen der stärkste Gewinntreiber. Im Wettbewerb ist der Preis die am häufigsten eingesetzte und wirksamste Angriffswaffe. Preiskriege bilden in vielen Märkten die Regel und nicht die Ausnahme, meistens mit verheerenden Gewinnwirkungen. Sonderangebote und Preispromotions sind im Handel allgegenwärtig. 2012 entfielen in Deutschland 70 Prozent des Bierumsatzes im Einzelhandel auf Sonderangebote, mit Rabatten von bis zu 50 Prozent.
7 Zwei Jahre vorher machten Sonderangebotsverkäufe weniger als die Hälfte aus.
8 Manager haben Angst vor dem Preis, speziell wenn es um Preiserhöhungen geht. Denn es lässt sich nie mit absoluter Sicherheit prognostizieren, wie die Kunden reagieren. Werden sie tatsächlich mehr kaufen, wenn man die Preise senkt? Bleiben sie nach einer Preiserhöhung bei der Stange oder laufen sie in Scharen zur Konkurrenz über? Solche Fragen verursachen Managern höchstes Unwohlsein. Im Zweifel lassen sie lieber die Finger vom Preis und wenden sich einer weiteren Kostensenkungsrunde zu. Denn bei Kosten hat man es im Wesentlichen mit betriebsinternen Gegebenheiten und Lieferanten zu tun. Mit denen kann man anders umspringen als mit den Kunden.
Und trotz Tausender Bücher und Millionen von Artikeln wissen wir nach wie vor erstaunlich wenig über den Preis und seine Wirkungen. Dennoch haben wir in den letzten 30 Jahren im Verständnis und in der Anwendung von Preisaktionen, -strategien, -taktiken und -tricks enorme Fortschritte gemacht. Gerade in den letzten Jahren hat die ökonomische Verhaltensforschung (Behavioral Economics) zahlreiche neue Phänomene entdeckt, die die klassische, auf Rationalitätsannahmen basierende Ökonomie nicht erklären kann. Und wie in allen Wissensgebieten gilt: Je mehr wir den Preis erforschen und verstehen, desto mehr neue Fragen und Aspekte tun sich auf. Dieses Buch wird Sie überzeugen, dass dem so ist. Es enthält (fast) alles, was Sie über Preise wissen müssen – egal, ob Sie Produzent, Händler oder Konsument sind. Sie werden über die Vielfalt von Preisphänomenen staunen.
Preis? Was ist das überhaupt?
Eigentlich ist die Sache ganz einfach: Der Preis ist die Zahl der Geldeinheiten, die Sie für eine Einheit eines Gutes bezahlen müssen. Für einen Liter Benzin zahlen Sie 1,30 Euro, ein Pfund Kaffee kostet 4,99 Euro. Für eine Kinokarte müssen Sie 9 Euro hinlegen. Ja, so eindeutig und klar ist das bei vielen Produkten und Dienstleistungen. Doch oft lässt sich der Preis nicht einfach als eindimensionale und eindeutige Größe darstellen. Was zahlen Sie für eine Minute mobiltelefonieren? Oder für eine Kilowattstunde unter Einrechnung aller Gebühren? Was kostet Sie der gefahrene Bahnkilometer mit einer Bahncard? Und wie hoch sind die Gebühren (ein anderes Wort für Preis), wenn Sie über Ihre Bank Aktien kaufen? Was kostet Sie ein Kilometer mit Ihrem Auto? Wie viel zahlen Sie bei einem Ratenkauf tatsächlich? Ich wette, dass Sie mir diese Preise spontan nicht nennen können.
In der Realität erweisen sich Preise häufig als äußerst komplex. Denn Preise können aus mehreren oder sogar zahlreichen Komponenten bestehen, die zudem zu verschiedenen Zeitpunkten anfallen. Abbildung 2.1 listet eine Auswahl von häufig vorkommenden Preisparametern und -strukturen auf.
Preise sind Kinder der Komplexität. Kaum jemand überschaut die Preisstrukturen von Anbietern in der Telekommunikation, bei Banken, Fluggesellschaften oder Energieversorgern. Das Internet hat die Preistransparenz zwar massiv erhöht, indem es Preisvergleiche erleichtert. Gleichzeitig trägt es aufgrund der Informationsfülle sowie der Angebots- und Preisvielfalt zur weiteren Preisverwirrung bei. Der Versuch, im Internet Preisklarheit zu gewinnen, endet oft in der resignativen Feststellung: »I am still confused, but on a higher level.«
Die Preisliste einer Bank umfasst Hunderte von Positionen, man schaue sich nur die Seite bankrate.com an. Im Handel trifft man Sortimente von mehreren Zehntausend Artikeln mit entsprechender Preisvielfalt. Ersatzteilsortimente von Autoherstellern oder Maschinenbauern gehen in die Hunderttausende von Artikeln und Preispositionen. Fluggesellschaften führen im Lauf eines Jahres Millionen von Preisänderungen durch.
Wie gehen Kunden mit der großen Zahl und der Unübersichtlichkeit von Preisen, Preisparametern und Preisänderungen um? In einem Workshop bat ich einmal einen Manager von Emirates, einer der größten Airlines der Welt, mir die Preise zwischen Deutschland und Dubai zu erklären. »Das ist eine schwierige Aufgabe«, war seine Antwort. Ich entgegnete, genau diese Aufgabe müssten aber Millionen von Reisenden jeden Tag lösen. Manuell ist das in der Tat schwierig, aber mithilfe von spezialisierten Angebots- und Preisvergleichsseiten wie kayak.com lässt sich das Problem bewältigen. Wie steht es um die Preistransparenz? Wie sehen die Wirkungen des Preises auf Absatz, Umsatz und Gewinn aus? Die Komplexität und die Vieldimensionalität von Preisen deuten auf große Chancen hin – aber auch auf viele Gelegenheiten, das Falsche zu tun, sei es als Kunde oder als Anbieter. Es gibt nur einen richtigen Preis, aber viele falsche Preise. Treffend haben das die Russen in einem Sprichwort ausgedrückt: »In jedem Markt gibt es zwei Narren. Der eine hat zu hohe, der andere zu niedrige Preise.« Wenn Sie den Preis verstehen, können Sie vielleicht vermeiden, einer der beiden Narren zu sein. Für Anbieter wie Nachfrager ist es gleichermaßen lohnend, sich mit Preisheiten – den Weisheiten zum Preis – zu beschäftigen.
Die vielen Namen des Preises
Der Preis hat viele Namen. Nur bei »normalen« Gütern und Dienstleistungen verwendet man den schnöden Begriff »Preis«. Hersteller und Händler geraten regelmäßig aneinander, wenn es um die sogenannten Konditionen geht. In Wirklichkeit feilschen sie wie die Kesselflicker um Preise. Versicherungen sprechen nicht von Preisen, sondern von Prämien, was dezenter und harmloser klingt. Gehobene Dienstleister verwenden noch feinere Ausdrücke wie Honorare (Rechtsanwälte, Architekten) oder Gebühren (Notare). Auch im öffentlichen Bereich heißen Preise »Gebühren«, etwa für Straßenreinigung, Müllabfuhr oder Wasserver- und -entsorgung. Die GEZ spricht seit kurzem nicht mehr von »Rundfundgebühren«, sondern von »Beiträgen«, was wieder nur ein anderes Wort für Preis ist. Bei Autobahnen heißt der Preis für die Benutzung »Maut«. Viele Ärzte wären beleidigt, wenn man sie nach dem »Preis« für ihre Leistungen fragte. Wenn sie eine Rechnung schicken, nennen sie diese Liquidation. Ein Steuerberater stellt mir seine Leistungen per »Nota« in Rechnung (so heißt Rechnung auf Italienisch), und selbstverständlich hat er keine Preise pro Stunde, sondern Stundensätze. Auch im Beratungsgeschäft spricht man von Tagessätzen und nicht Tagespreisen. Eine englische Privatbank nennt ihre Preisliste »Schedule of Charges«, was weit vornehmer klingt als »Price List«. Vergütung ist ein weiterer Begriff, der die Nähe zu Ökonomie und Preis vernebelt. Auch Tarife, Zuschläge, Raten (etwa Leasingraten) sind Termini, die den unfeinen Ausdruck Preis vermeiden. Die Preise von Aktien heißen Kurse. Und im Bereich des Arbeitsmarkts spricht man von Lohn, Gehalt, Tantiemen oder Sold. Zins ist der Preis eines Kredits. Auch Miete ist nur ein anderes Wort für den Preis von Wohn- oder Gewerberaum. Pacht nennt man den Preis für die Überlassung von Land oder Gewerbebetrieben. Selbst die Einkommensteuer kann man als einen Preis für das Recht, Einkommen zu erwirtschaften, interpretieren.
Wie immer das Kind genannt wird, in all diesen Fällen handelt es sich um Preise und nichts anderes. Denn immer geht es um die monetäre Gegenleistung, die der Käufer für den Erhalt eines Produkts, einer Dienstleistung oder eines Rechts bezahlen muss. Lassen Sie sich also nicht von der Begriffsvielfalt vernebeln. Alles hat seinen Preis
Das neue Verb »preisen«
Im Englischen sind das Verb »to price« und das aus ihm abgeleitete Substantiv Pricing populär und weitverbreitet. Für »to price« erscheinen in Google 2,3 Millionen Einträge, für »Pricing« sind es sogar 435 Millionen. Auch in der deutschen Sprache gibt es das Verb preisen. Es hat jedoch eine andere Bedeutung, die in Wendungen wie »die Engel preisen den Herrn« oder »sich glücklich preisen« zum Ausdruck kommt. »Preisen« bedeutet also loben oder rühmen. Auch »Preis« im Sinne von Auszeichnung (etwa Nobelpreis) hat hier seinen Ursprung und trotz eines »Preisgeldes« nichts mit unserem ökonomischen Preis zu tun.
Es gibt allerdings im Deutschen mehrere Worte, die in unsere Richtung weisen. Das Wort »einpreisen« wurde 2009 erstmalig in den Duden aufgenommen.
9 Dort lautet die Definition: »Aussicht auf Gewinne oder Verluste beim Bestimmen der Preis- bzw. Kurshöhe mit berücksichtigen.« Typische Sätze sind: »Die Börse hat die erwartete Konjunkturbelebung bereits in die Kurse eingepreist« oder »der Gewinnrückgang des Unternehmens ist im Aktienkurs noch nicht eingepreist«. Das zugehörige Substantiv heißt »Einpreisung«. Ein weiteres Wort ist...