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Pressefrühling und Profit

Wie westdeutsche Verlage 1989/1990 den Osten eroberten

AutorMandy Tröger
VerlagHerbert von Halem Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl360 Seiten
ISBN9783869624761
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Mandy Tröger deckt auf, wie nach dem Mauerfall westdeutsche Wirtschaftsinteressen und das Eigeninteresse der Bundesregierung eine basisdemokratische Wende in der Presselandschaft der ehemaligen DDR verhinderten. Basierend auf umfangreicher Archivarbeit und Zeitzeugen-Interviews dokumentiert sie, wie westdeutsche Großverlage bereits Ende 1989 aktiv Lobbyarbeit betrieben. Über die Reform des DDR-Postzeitungsvertriebs und die Übernahme der ehemaligen SED-Bezirkszeitungen strebten sie nach Monopolstellungen in Ostdeutschland. Die DDR-Regierung konnte dem Druck aus der Wirtschaft nichts entgegensetzen und die Bundesregierung wollte dies nicht. Durch diese kapital- und parteienorientierte Wendepolitik hatten geplante basisdemokratischer Reformen in Ostdeutschland keine Chance.

Mandy Tröger, PhD, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie hat am Institute of Communications Research der Universität Illinois in den USA studiert und wurde dort 2018 promoviert. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Kritischen Theorie und der historischen Aufarbeitung der Medienwende in Ostdeutschland nach 1989.

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EINLEITUNG


»Niemand hatte nach dem Ende des Kommandojournalismus der DDR erwartet, daß die Gliederung des Pressemarkts […] den Grenzziehungen der SED nachgebildet sein würde – natürlich nicht aus politischen Gründen, sondern aus wirtschaftlichen Gründen.«

Walter A. Mahle, Pressemarkt Ost, 19921

Am 8. Mai 1990, sechs Monate nach dem Fall der Berliner Mauer, trafen sich Vertreter der vier Großverlage Heinrich Bauer, Axel Springer, Gruner+Jahr und Burda im frisch gegründeten Ministerium für Medienpolitik (MfM) der DDR in Ost-Berlin. Die Verlagsvertreter hofften, rückwirkend die offizielle Genehmigung für das Pressevertriebssystem zu bekommen, das die Verlage seit Anfang März ohne Genehmigung in der DDR auf deren Gebiet aufgebaut hatten.

Empfangen wurden sie vom damaligen DDR-Medienminister Dr. Gottfried Müller. Er überreichte den Anwesenden vor Gesprächsbeginn eine Verordnung, die nur Tage zuvor verabschiedet worden war. Nachdem alle das Dokument studiert hatten, wurde Empörung laut. Ein verlagsabhäniger Pressevertrieb war laut Verordnung rechtswidrig. Es folgten hitzige Diskussionen. Die Vertreter argumentierten, die Verlage hätten bereits beträchtliche Investitionen getätigt und Infrastrukturen für den Pressevertrieb »aus dem Nichts« aufgebaut.2 Sie hätten mitgeholfen, eine freie Presse in die DDR zu bringen. Der Vertreter des Axel Springer Verlags sprach von einem »massiven Eingriff in die Pressefreiheit«, andere bezweifelten, ob die Verordnung überhaupt demokratisch war, und gemeinsam drohten sie, jegliche Investitionen zu stoppen und die DDR sofort zu verlassen.3 Nach dem Treffen schrieb Müller nicht ohne Genugtuung in sein Ministertagebuch: Für die »Großen Vier« seien die Maßnahmen gegen ihr Eindringen »in die Grauzone DDR« wie eine »Ohrfeige« gewesen.4

Müller, der grundsätzlich einen ›kleinen Staat‹ in Medienangelegenheiten bevorzugte, betonte, dass nur ein verlagsunabhängiger Vertrieb Neutralität und gleiche Marktchancen für alle Verlage sicherstelle. Die Verleger seien mit dem bereits erfolgten Aufbau eines eigenen, exklusiven Vertriebssystems »bewußt in eine Grauzone, in rechtsfreie Räume, vorgestoßen.«5 »Man habe hier«, so Müller bei dem Treffen, »nach dem Scheitern des real existierenden Sozialismus wohl den real existierenden Kapitalismus demonstrieren wollen.«6 Eine sich entwickelnde freie Presse in der DDR könne durch eine Flut westdeutscher Presse zudem erstickt werden. Außerdem gäbe es »zweifelhafte Formen einer grenzüberschreitenden Produktion, wobei ein Herstellungsort in der DDR genannt wird, obwohl die wirkliche Produktion in der Bundesrepublik erfolgt.«7 All diese Marktmethoden hätten gravierende Folgen für eine sich gerade frei entfaltende DDR-Presse. Diese sei in vieler Hinsicht benachteiligt. »Die Verordnung«, so schloss Müller, »richtet sich nicht gegen, sondern schützt die Pressefreiheit [Hervh. durch die Autorin].«8

Diese Episode scheint weniger spektakulär, als es sie es tatsächlich war. Sie war Höhepunkt intensiver Verhandlungen, Lobbyarbeit, breit gestreuter Informationskampagnen sowie politischer und wirtschaftlicher Manöver verschiedenster Interessengruppen; und das in kürzester Zeit.

Seit dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 waren gerade sechs Monate vergangen. Die Sozialistische Einheitspartei Deutschland (SED) hatte ihr Machtmonopol zwar verloren, aber die DDR war weiterhin ein souveräner, sozialistischer Staat. Die ersten freien Wahlen am 18. März 1990 hatten eine neue (konservative) Regierung hervorgebracht, deren neu geschaffenes Ministerium für Medienpolitik (MfM) einen »kultivierten Übergang in die Medienfreiheit« gewährleisten sollte.9 Parallel dazu hatten sich seit November 1989 auch verschiedene Wirtschaftsgruppen in der DDR engagiert, Geschäftsbeziehungen aufgebaut, Kooperationen geschlossen und nicht selten Fakten ohne rechtliche Grundlagen geschaffen.

Im Pressebereich fand das auf drei Ebenen statt: erstens durch die Einfuhr und Preispolitik westdeutscher Presseprodukte, zweitens durch den Abschluss von Kooperationsverträgen zwischen ost- und westdeutschen Verlagen und, drittens, durch die Reform des Pressevertriebssystems. Zunächst gedacht als Reform des DDR-Postzeitungsvertriebes (PZV) war das Ziel, westdeutsche Presseprodukte in die DDR großflächig zu vertreiben. Hierfür hatten Verhandlungen mit den Großverlagen stattgefunden; diese scheiterten. Anfang März hatten die ›Großen Vier‹ so die DDR in vier Vertriebszonen aufgeteilt und bauten fortan den Vertrieb vor allem eigener Produkte aus. Sollte die Mai-Verordnung also in Kraft treten, wären Monate der Arbeit der Verlage umsonst, Millionen an DM in bereits geschaffene Infrastruktur dahin.

Minister Müller waren weder die genaue Entstehungsgeschichte des Verlagsvertriebs noch die Regeln des Zeitungsgeschäfts bekannt. Der einstige Chefredakteur der Kirchenzeitung Heimat und Glaube hatte, wie viele DDR-Politiker der Wende-Monate, wenig oder keine Erfahrung mit Märkten. Er glaubte an Reformen und wollte die Demokratisierung des DDR-Pressesektors. Das hieß, eine basisdemokratische Presse und ein umfassendes Mediengesetz, das jegliches Informationsmonopol für die Zukunft verhindern sollte. Ziel war, Monopolstrukturen ehemaliger SED-Bezirkszeitungen aufzubrechen und Pressevielfalt aufzubauen.

Sein neu gegründetes Ministerium sah sich allerdings massiven Problemen gegenüber. Die DDR-Medien waren im Reformprozess, viele Zeitungen kämpften ums Überleben. In seinem Ministertagebuch notierte er: »[D]er PZV versagt« (23. April), was ein schnelles und wirksames Handeln der Regierung erforderte (16. April / 23. Mai), dabei würde die Position des MfM schwierig sein (11. April), da es sich ständiger Kritik ausgesetzt sähe und seine Rolle immer wieder erklären müsse (27. April / 10. Mai).10 Tatsächlich sollte die Arbeit des MfM anfangs vor allem durch Rechtfertigungsdruck definiert sein.

Zwei Tage vor Amtsantritt resümierte Müller in Bezug auf die DDR-Presse: Deren Probleme seien weniger politischer, sondern vor allem wirtschaftlicher Natur. Sie würden verursacht durch den »Verdrängungsund Vernichtungswettbewerb der Westgrossisten [Bauer, Burda, Springer und Gruner+Jahr].«11 Diese Verlage waren zwar keine Grossisten im eigentlichen Sinne, da Grossisten in der Bundesrepublik grundsätzlich verlagsunabhängig arbeiteten (s. Kap. 3.5.1). Müllers Punkt macht aber deutlich, dass westdeutsche Großverlage in einer noch souveränen DDR eine andere Rolle einnahmen, als sie es in der BRD getan haben oder hätten tun können.

Das vorliegende Buch fragt nach dieser Rollenverschiebung und deren Hintergründen. Also, wer hatte auf dem DDR-Pressemarkt welche Rolle inne und was machte das Agieren der Großverlage im DDR-Pressevertrieb überhaupt möglich? Es dokumentiert, wie Müller, das MfM und andere DDR-Medienreforminitiativen wie der Medienkontrollrat (MKR) sich in kürzester Zeit inmitten verschiedenster politischer und wirtschaftlicher Manöver wiederfanden. Diese erlaubten anstelle von Handlungsspielraum bestenfalls Korrekturmaßnahmen. Die DDR-Medienpolitik reagierte also mehr, als dass sie agierte. Laut MKR war das vor allem den »frühkapitalistischen Wild-West Praktiken« der BRD-Verlage geschuldet.12 Dieses Buch zeigt, wie viel ›Wilder Westen‹ im Osten wirklich stattfand und wie verschiedene DDR-Akteure damit umgingen. Der MKR beispielsweise legte Beschwerden ein, bezog öffentlich Stellung und appellierte an die DDR-Regierung. Die Proteste blieben in einem schwachen, sich transformierenden Staat unwirksam.

So war auch die von Müller beschworene ›Ohrfeige‹ eher ein kleiner Schubs für die Großverlage. Denn die so viel diskutierte Verordnung blieb letztlich wirkungslos; einmal geschaffene Vertriebsstrukturen konnten nur schwerlich abgebaut werden. Dennoch war die Verordnung nicht bedeutungslos. Vielmehr eröffnet die Frage nach den Gründen ihrer Wirkungslosigkeit Einblicke in konkurrierende Interessen und Strategien ost- und westdeutscher Akteure. Wie war es den Verlagen gelungen, ihren eigenen Vertrieb in der DDR aufzubauen? Welche Strategien nutzten sie, was waren die Konsequenzen? Wie gestalteten sich reformpolitische Konzepte und Initiativen für eine ›freie Presse‹ in der DDR? Wie bedingten sich also ost- und westdeutsche Interessen gegenseitig, wie standen sie sich gegenüber? Die Antworten auf diese Fragen geben Einblick in die vielschichtige DDR-Presselandschaft der Wendezeit und erlauben einen Blick hinter die Kulissen öffentlicher Debatten. Müller fügte rückblickend hinzu, vor allem musste damals »alles ganz schnell, schnell, schnell gehen.«13 Denn das »immer schneller werdende Tempo...

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