Sie sind hier
E-Book

Pro-Age oder Anti-Aging?

Altern im Fokus der modernen Medizin

VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl376 Seiten
ISBN9783593412344
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Der Einfluss der Medizin darauf, wie wir das Alter sehen und damit umgehen, wird immer größer. Medizinische Theorien und Behandlungen prägen das Selbstverständnis und die Erwartungen älterer Menschen. In diesem Band diskutieren Autorinnen und Autoren aus Sicht von Ethik und Philosophie, Sozial- und Geschichtswissenschaft, Medizin, Psychologie, Recht und Theologie die Folgen dieser Entwicklung. Die Themen reichen vom Umgang mit Demenz über die medizinische Versorgung am Lebensende und die gerechte Verteilung von Ressourcen in alternden Gesellschaften bis zur Kontroverse um die Anti-Aging-Medizin. In allen diesen Bereichen zeigt sich: Die moderne Medizin beeinflusst nicht nur, wie alt wir werden - sie bestimmt vor allem, auf welche Weise wir alt werden.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe
Bioethische Reflexion über die Technisierung unseres Lebens tendierte lange dazu, sich auf heikle ?Grenzfälle? wie die Manipulation von Lebens-anfang und -ende zu konzentrieren (z.B. Singer 1994). Hierzu gehören einerseits die seit Jahren intensiv geführten Debatten um die Embryonen-forschung, In-vitro-Fertilisation, Präimplantations- und Pränataldiagnostik sowie den moralischen Status des Embryos. Auf der anderen Seite des Spektrums sind Auseinandersetzungen um Lebensverlängerung und Thera-piebegrenzung, passive und aktive Sterbehilfe, terminale Sedierung sowie die Bedeutung verschiedener Todeskriterien zu verorten (Hilt u.a. 2010). Erst mit der Eröffnung eines weiteren Blickwinkels auf die moderne Medizin wurde deutlich, dass diese Fokussierung weder empirisch noch normativ angemessen ist. Die Medikalisierung sämtlicher Lebensbereiche (Illich 1975: 9f.) erfordert vielmehr eine gesteigerte ethische Sensibilität: Medizinisch-technische Eingriffe verändern unser gesamtes Verständnis des menschlichen Lebens und seines Verlaufes derart nachhaltig, dass die existenziellen Grundbedingungen von Handeln, Entscheiden, Autonomie, Verantwortung und Zukunftsplanung in nahezu allen Lebenslagen ständig aufs Neue hinterfragt werden können. Diese radikale Erweiterung des Blicks - von den extremen Grenzfällen auf das gesamte ?normale Leben? - führt dazu, dass auch dem Prozess des Alterns und seinen Folgen mehr Aufmerksamkeit zuteilwird. Die Medizin hat das Altern als Forschungs- und Praxisfeld entdeckt, das biologisch-kausal aufzuschlüsseln und zu verändern ist. Entsprechend stellt sich aus bioethischer Sicht die Frage, welche Bedeutung und Konsequenzen diese Entwicklung für Patienten und Konsumenten ebenso wie für das ärztliche Ethos und die Politik haben kann. Allerdings werden die verschiedenen bereits existierenden medizinethischen Debatten über das Altern bislang meist separat geführt: Auf der einen Seite geht es um den moralisch richtigen Umgang mit hoch-betagten Menschen und die damit zusammenhängenden Themen wie etwa Bedingungen der Langzeitpflege oder Entscheidungen am Lebensende (Hahnen 2009; Bauer/Endreß 2007; Schildmann u.a. 2006; Mittelstraß 2005; für kulturelle Vergleiche siehe z.B. Prado 2008; Blank/Merrick 2005). Auf der anderen steht die gegenwärtig boomende Anti-Aging-Medizin im Kreuzfeuer ethischer Auseinandersetzung (Maio 2011; Knell/Weber 2009). Dieser getrennte Debattenverlauf könnte nicht zuletzt darauf zurückzu-führen sein, dass (vermeintlich) unterschiedliche Gruppen betroffen sind. Im vorliegenden Band soll diese Trennung kritisch hinterfragt werden. Dabei sollen Verbindungslinien und Überschneidungen aufgezeigt werden, die sich in der Konzipierung des Alterns theoretisch wie normativ ergeben. Einen Ausgangspunkt bildet die prägnante sozialwissenschaftliche These zum wachsenden Einfluss der Medizin auf individuelle und gesellschaft-liche Verständnisse von und Umgangsweisen mit dem Altern. Diese These einer (Bio-)Medikalisierung des Alterns (Kaufmann u.a. 2004; Zola 1991; Estes/Binney 1989) besagt, dass 'the medical model - with its emphasis on clinical phenomena - takes precedence over, and in many cases defines, the basic biological, social, and behavioral processes and problems of aging' (ebd.: 588). Mit diesem Vordringen des ?medizinischen Modells? wird demnach sowohl die individuelle als auch die gesellschaftliche Weise, wie man heute allgemein über das Altern nachdenkt, mit ihm umgeht und sich selbst und andere als alte Menschen ?behandelt?, maßgeblich geprägt. In dieser Blickrichtung lassen sich dann zwei Grundannahmen ausmachen: die der Naturalisierung bzw. Biologisierung des Alterns und die seiner Pa-thologisierung. Die Anti-Aging-Medizin kann hierfür insofern als ?proof of concept?, das heißt als Beleg für die Gültigkeit der Grundannahme gelten, als sie die Beseitigung des ?Problems? an sich mit medizinisch-naturwissen-schaftlichen Methoden verspricht (Trüeb 2006). Doch bei näherer Betrach-tung der durchaus durch innere Pluralität gekennzeichneten Medizin kann die Biomedikalisierungsthese nicht alle Phänomene angemessen erklären. Vielmehr lassen sich empirisch und normativ zugleich zahlreiche Pro-Age-Bestrebungen identifizieren, die bestehende Kategorisierungen des Alterns hinterfragen, auf Alternativen innerhalb wie außerhalb der Medizin ver-weisen und positive Seiten des Alterungsprozesses zur Geltung bringen. Gerade im Zuge einer ethisch motivierten interdisziplinären Auseinander-setzung erscheint es erforderlich, beide Ansätze in den Blick zu nehmen. Seit einiger Zeit mehren sich Abhandlungen über das Altern merklich, seien sie (bio-)medizinischer oder sozial- bzw. geisteswissenschaftlicher Art (Akademiengruppe Altern in Deutschland 2009; Gruss 2007; Baltes u.a. 1994). Viele erliegen indes der Versuchung, die steigende Lebenserwartung, den demografischen Wandel und somit die größere Anzahl an ?Alten? als Beleg für die Relevanz ihres Anliegens anzuführen (Pruchno/Smyer 2007). Dabei greift dieses mehrheits- oder massenorientierte Argument zu kurz: Zum einen scheint das, was ?Alter? und ?Altern? ist und künftig sein wird, gerade mit zunehmender Erforschung immer vager, ambivalenter und subjektiver zu werden. Und zum anderen kann man sich durchaus auf den Standpunkt stellen, dass die medizinische und ethische Aufmerksamkeit für das Altern auch dann gerechtfertigt wäre, wenn es nicht so viele Personen unmittelbar beträfe, aber entweder die Eingriffstiefe medizini-scher Maßnahmen oder die Reichweite individueller bzw. gesellschaftlicher Konsequenzen es notwendig erscheinen ließe. Hier setzt unser Band ebenfalls an, indem er das Spannungsfeld zwischen Problemwahrnehmung, Eingriffsmöglichkeiten, verfügbaren Alternativen sowie den vielschichtigen ethischen Implikationen zunächst einmal aufzeigt. Dahinter steht nicht zuletzt das Bemühen, auf die eigentlich normativen Hintergrundannahmen in den oftmals als empirisch-deskriptiv ausgegebenen demografischen Szenarien hinzuweisen. Das Vorhaben, dieses Spannungsverhältnis neu zu vermessen, erfordert notwendigerweise einen fächerübergreifenden, interdisziplinären Ansatz. Praktische, empirische, theoretische und normative Perspektiven müssen sich ergänzen. Insofern wäre es wünschenswert, zukünftig (ähnlich etwa den Gender Studies) ein interdisziplinäres Feld der Aging Studies zu etablieren, in dem weder allein medizinische noch nur sozialwissenschaftliche Zu-gänge dominieren, sondern ethische, anthropologische, epistemologische und methodologische Perspektiven systematisch hinzugezogen werden. Dieser Band beansprucht keineswegs, dies bereits zu leisten, weil hier letzt-lich die ethische Blickrichtung dominiert. Allerdings zieht er historische, soziologische, psychologische, rechtlich-politische, theologische und medi-zinische Perspektiven hinzu und ist zudem bestrebt, verschiedene Formen und Ebenen medizinischer Ansätze bzw. Eingriffe auseinanderzuhalten, um so der Pluralität innerhalb der Medizin Rechnung zu tragen. Darüber hinaus besteht ebenso die Notwendigkeit, die breiteren kulturellen, sozioökonomischen und gesundheitspolitischen Zusammenhänge zu beachten, mit denen die Medizin als nur eine Größe im Austausch steht. Deshalb war es uns auch wichtig, verschiedene internationale Perspektiven einzubinden, die nicht nur auf Unterschiede im Gesundheitswesen (wie in den USA), sondern ebenfalls auf unterschiedliche kulturelle Kontexte (z.B. mit Bezug auf Recht und Religion) wie etwa in der Schweiz oder in Israel verweisen. Und schließlich geht es um die wissenschaftstheoretische und ethische Fragestellung, inwiefern nicht nur die Medizin auf das Altern einwirkt, sondern auch umgekehrt der soziale und normative Blick auf das Altern die Medizin selbst verändert oder noch weiter verändern könnte und sollte.
Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Einführung - Religion - Philosophie

Anleitung zum Philosophieren

E-Book Anleitung zum Philosophieren
Selber denken leicht gemacht Format: PDF

Mit diesem Buch werden Sie Ihren Intelligenzquotienten steigern. Sie lernen die wichtigsten Philosophen aus Ost und West privat kennen, werden mit philosophischen Gedanken über Themen wie…

Nietzsche

E-Book Nietzsche
Eine philosophische Einführung (Reclams Universal-Bibliothek) Format: PDF

Günter Figal nähert sich dem Philosophen Nietzsche von außen, von seiner Biographie und von den Positionen her, die die Nachwelt ihm zugewiesen hat, um den Leser sodann behutsam, anregend und…

Benedictus de Spinoza

E-Book Benedictus de Spinoza
Eine Einführung (Reclams Universal-Bibliothek) Format: PDF

Spinozas Philosophie ist vor allem (rationale) Metaphysik. Auch seine Ethik, die Psychologie der Affekte, die Lehre von Recht und Staat und seine Religionsphilosophie beruhen auf metaphysischen…

Benedictus de Spinoza

E-Book Benedictus de Spinoza
Eine Einführung (Reclams Universal-Bibliothek) Format: PDF

Spinozas Philosophie ist vor allem (rationale) Metaphysik. Auch seine Ethik, die Psychologie der Affekte, die Lehre von Recht und Staat und seine Religionsphilosophie beruhen auf metaphysischen…

Immanuel Kant

E-Book Immanuel Kant
Vernunft und Leben (Reclams Universal-Bibliothek) Format: PDF

Die ebenso originelle wie fundierte Studie ermöglicht einen neuen Zugang zu Kant, indem sie 'Vernunft und Leben' in einen systematischen Zusammenhang stellt. Aus dem Inhalt: Die Programmatik des…

Das Unendliche

E-Book Das Unendliche
Mathematiker ringen um einen Begriff Format: PDF

Philosophen und Theologen haben über das Unendliche nachgedacht. Doch die wahre Wissenschaft vom Unendlichen ist die Mathematik.Rudolf Taschner gelingt es, diesen zentralen Begriff auch dem…

Das Unendliche

E-Book Das Unendliche
Mathematiker ringen um einen Begriff Format: PDF

Philosophen und Theologen haben über das Unendliche nachgedacht. Doch die wahre Wissenschaft vom Unendlichen ist die Mathematik.Rudolf Taschner gelingt es, diesen zentralen Begriff auch dem…

Philosophiegeschichte

Format: PDF

Wie eine Geschichte der Philosophie zu schreiben ist, ist nicht nur selbst ein systematisches Problem der Philosophie, eine entsprechend verfasste Philosophiegeschichte hat Konsequenzen für die…

Paris - Wien

E-Book Paris - Wien
Enzyklopädien im Vergleich Format: PDF

Eines der zentralen Anliegen des 'Wiener Kreises' ist heute aktueller denn je. Es bestand darin sichtbar zu machen, wie ganz unterschiedliche, weit auseinanderliegende Bereiche wissenschaftlicher…

Weitere Zeitschriften

aufstieg

aufstieg

Zeitschrift der NaturFreunde in Württemberg Die Natur ist unser Lebensraum: Ort für Erholung und Bewegung, zum Erleben und Forschen; sie ist ein schützenswertes Gut. Wir sind aktiv in der Natur ...

Baumarkt

Baumarkt

Baumarkt enthält eine ausführliche jährliche Konjunkturanalyse des deutschen Baumarktes und stellt die wichtigsten Ergebnisse des abgelaufenen Baujahres in vielen Zahlen und Fakten zusammen. Auf ...

Courier

Courier

The Bayer CropScience Magazine for Modern AgriculturePflanzenschutzmagazin für den Landwirt, landwirtschaftlichen Berater, Händler und generell am Thema Interessierten, mit umfassender ...

DGIP-intern

DGIP-intern

Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Individualpsychologie e.V. (DGIP) für ihre Mitglieder Die Mitglieder der DGIP erhalten viermal jährlich das Mitteilungsblatt „DGIP-intern“ ...

building & automation

building & automation

Das Fachmagazin building & automation bietet dem Elektrohandwerker und Elektroplaner eine umfassende Übersicht über alle Produktneuheiten aus der Gebäudeautomation, der Installationstechnik, dem ...

Euphorion

Euphorion

EUPHORION wurde 1894 gegründet und widmet sich als „Zeitschrift für Literaturgeschichte“ dem gesamten Fachgebiet der deutschen Philologie. Mindestens ein Heft pro Jahrgang ist für die ...