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Probleme der Bemessung von Pflegebedürftigkeit in gesetzlichen Versicherungen (SGB XI und SGB VII)

Erweiterte Fassung

AutorAdalbert Rabich
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl66 Seiten
ISBN9783656341840
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Studienarbeit aus dem Jahr 2012 im Fachbereich BWL - Bank, Börse, Versicherung, , Sprache: Deutsch, Abstract: [...] Für die Leistungshöhe der Versicherung muss also die Pflegebedürftigkeit festgestellt werden, wobei man sich der anhand von Schätzungsmethoden arbeitenden Prüfer oder Sachverständigen stützen muss, weshalb deren Urteile objektiv und einflußfrei zustande kommen sollten. Ob man dabei die unbedingt nötigen 'geschätzten' Hilfe-Zeiten als Maßstab nimmt oder ein Punkte-Bewertungssystem vorzieht, unterliegt der Wahl der Versicherung und dem Eindruck des bestimmenden Experten- und Behörden-Gremiums über die Richtigkeit der Abbild-Treue und des 'besseren Systems'. Hierzu werden einige Ausführungen gemacht, wobei gravierend der Unterschied der gesetzlichen Pflege- zur Unfallversicherung darin besteht, dass die wissenschaftliche Basis der Pflegeversicherung derzeit nicht ohne ernsthafte Kritik an der Zeitbemessung ist und in Zukunft so nicht mehr vergleichbar ist, weil das Bewertungssystem geändert wurde und die Pflegebedürftigkeit zugleich mehr Aspekte, darunter psychopathische und dementielle, berücksichtigt. Aber auch hier zeichnen sich Verbesserungsnotwendigkeiten ab. Ganz anders ist die Basis bei der Unfallversicherung, hier setzt der ärztliche Verstand an den konkreten diagnostizierbaren Funktionseinbußen an und man hat langjährige Erfahrung in der Beobachtung der dazu entstandenen tatsächlichen Funktionseinbußen in einer Art Norm verarbeitet. Das lässt sich an einem Fall demonstrieren, wo direkt die Methode der Pflegeversicherung nach SGB XI mit der von SGB VII/IX angewendet wurde. Derzeit sind hauptsächlich statistische Daten aus Pflegeeinrichtungen ermittelt und dann hier die Methoden in der Prüfung. Das Kollektiv in der Vielzahl der daheim oder ambulant gepflegten Personen ist wegen der gewaltigen Streuung und Veränderlichkeit für eine wissenschaftliche Analyse ungünstig groß und verschieden, aber es scheint, dass die Qualifikation der Prüfer ohne Zweifel zu verbessern wäre, zumal in den letzten Jahren Weiterbildungstätten sich aufgetan haben, die für den Prüfzweck 'Pflegebedürftigkeit' ausbilden und Prüfzeugnisse erteilen, die weder genormt sind noch einer staatlichen Überwachung unterliegen. Dieser Schwachpunkt muss beseitigt werden, um das Vertrauen in die Methodik zu erhalten oder wieder herzustellen, ein Grundanliegen der Sozialpolitik und darin der Würde des Menschen, die so mancher bedroht sieht durch Pflegebedürftigkeit, deren Feststellung und schließlich am Fakt, im Pflegeheim zu sterben. Messen kann man diese seelischen Belange nicht.

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Leseprobe

2. Die Hilfe oder die Pflege durch fremde Personen in zwei gesetzlichen Versiche-rungszweigen.

 

2.1. Der Begriff.

 

Unter dem Wort „Pflege“ verbirgt sich heute keine einheitlich Bedeutung des Begriffes, son-dern auch eine Geschichte des mehrfachen Bedeutungswandels[42]. In der Alltagssprache wird darunter eine Tätigkeit, oft „sorgsames Handeln oder Behandeln“ verstanden, worauf die ur-sprüngliche Sprachverwandtschaft mit „Pflicht“ hinzudeuten scheint. Aus dem Ansatz der Diskussion um die Fassung der gesetzlichen Pflichtversicherung (PV) geht im engeren Sinne hervor, dass der Pflegende (hauptsächlich) aus dem familiären Umfeld stammt und von daher angenommen werden kann, dass der Laien-Pfleger liebevoll mit dem Gepflegten umgeht, ja man erwartet von ihm sogar eine aktivierende Pflege[43], ohne dass der dadurch entstehende Mehr-Zeitaufwand in irgend einer Weise im Prozess der Pflegestufung berücksichtigt wird. Weiterhin wird unterstellt, dass der zu Pflegende gern im häuslichen (gewohnten) Umfeld bleiben will[44] und erhebt diese Art Laienpflege (häuslicher Pflege[45]) in der Zielrichtung der Pflegeversicherung zum Ziel.

 

Das Wort „Pflege“ kommt in zahlreichen Wortverbindungen vor, z.B. im Begriff Pflegeper-son, die aber keineswegs diejenige zu sein braucht, die an einem zu Pflegenden Hilfen bei den Verrichtung nach dem Gesetz (PV) angedeihen lässt. Aus den Wort-Kombinationen kann man ableiten, wie weitgehend Pflege in den Gesetzes-Texten verankert ist. Mit Aufkommen des gesonderten Sozialversicherungsbereiches einer Pflegeversicherung (SGB XI) = PV hat sich eine Unterscheidung von Grundpflege als Hilfe bei den Grundverrichtungen des täglichen Lebens und der hauswirtschaftlichen Versorgung zur „Behandlungspflege“ (/SGB V) ergebe, ohne dass die Gedankenbasis klar ist. Was ist denn „tägliches Leben“? Denn der Alltag des einen ist womöglich grundverschieden von dem eines anderen und die Grundverrichtungen sind abhängig vom Kulturniveau des einzelnen Individuums. In einem Lehrbuch wird der Grundpflege nur (noch) ein kleiner Abschnitt gewidmet, sie sei die Summe aller Maßnahmen, die ein Gesunder zur Erhaltung seiner Gesundheit selbst durchführen kann oder könnte.[46] Für die gesundheitlichen Defizite ist die Krankenversicherung zuständig.

 

Die Notwendigkeit einer Pflegemaßnahme und deren (spezifische) Wirksamkeit sind gegen-wärtig nicht klar.[47] So kann die Ganzkörperwaschung z.B. ganz verschiedenen Zwecken die-nen, eben nicht nur so etwas wie „Reinigung“, sondern sie kann zugleich stimulierenden oder prophylaktischen Zielen dienen. Typisch dafür ist das in Schwimmbädern ausgehängte Schild „gründlich duschen“, weil erfahrungsgemäß der einzelne faktisch etwas anderes unter bloßem „Duschen“ versteht. Eine Pflegemaßnahme ist auch keine komplexe Einheit, sondern ist aus verschiedenen Einzelmaßnahmen zusammengefasst. Gerade darin soll sich ja die Laienpflege von der fachberuflichen Pflege abheben. Funktionsstörungen am Menschen sind zumeist Teil-Störungen, weshalb sich hier eine Schnittstelle verschiedener Disziplinen des Gesundheits-wesens trifft.[48] Die Pflege befasst sich mit dem Erkennen und Behandeln potentieller und aktueller Pflegeprobleme, sie erschöpfen sich nicht (nur) im „Noch-Erhalten“ von eigen-ständiger Fähigkeit, etwas zu verrichten. Zeitgleich kann ein zu Pflegender auch „krank“ sein, wo dann ein höherer Schwierigkeitsgrad der Pflege notwendig würde.

 

Ein wichtiger Begriff in Betrachtung eines jeden Menschen ist der seiner Pflegebedürftig-keit, der den Bedarf an Hilfen z.B. in SGB XI zu quantifizieren ermöglichen soll. Er kommt auch in der Überschrift des 5. Unterabschnittes SGB VII vor [mit § 44], wird aber dort sonst nicht verwendet. Der Begriff Pflegebedürftigkeit ist ein unscharfer Begriff, er wird in den verschiedenen Fachdisziplinen bei der Gesetzesformulierung SGB XI kontrovers diskutiert;[49] in der Medizin unter dem Heilungsziel, im Sozialrecht als Einschränkung der selbständigen Lebensführung, das in der pflegewissenschaftlichen Auffassung ein Maß für Hilfsnotwendig-keit ist. Um diese funktionell bedingte als ein fremder Dritter zu beurteilen, ist zunächst nötig, dass das Recht des Pflegebedürftigen auf Transparenz der Ermittlungsmethodik vorhanden ist und dass nur nachweislich unabhängige (und qualifizierte) Institutionen damit betraut wer-den.[50] Der Schätzvorgang selbst ist von einem fremden Dritten oft wenig durchsichtig.

 

Es gibt nun unterschiedliche Ansätze, darunter bei gesetzlicher Pflegebedürftigkeit repräsen-tativ das Maß der Hilfsnotwendig an ausgewählten Verrichtungen z.B. mit Zeitdaten[51] zu operieren, die an Hand beispielhafter Daten individuell bezogen im effektiven Wert zu schät-zen sind. Dazu benutzt man ein Begrenzungs-Raster, dessen Wissenschaftlichkeit jedoch nicht ohne Zweifel ist. Die allgemeine Grund-Forderung lautet dazu: Die Pflegedürftigkeit ist mit validierten Einschätzungsinstrumenten zu erheben[52], wobei sich das Einschätzen (PV) nur auf diejenigen Verrichtungen bezieht, die ausdrücklich im Gesetz genannt sind[53], wo-runter die Körperpflege und Ernährung (im Sinne des SGB XI) und die Mobilität gehören, allerdings diese nur in soweit, als sie zu den ersten zugeordnet sind oder werden können.

 

Die Einschätzung nimmt (gewöhnlich) ein „Prüfer“ des medizinischen Dienstes (MDK) vor, wobei die Grundpflege einen Mindest-Zeitwert erreichen muss, um überhaupt in eine Pflege-stufe eingeordnet zu werden. Schätzen ist das ungefähre Bestimmen von quantifizierbaren Daten[54] oder näherungsweise ein Klassifizieren nach vorgegebenen Regeln. Für die Einschät-zung bestehen wissenschaftliche Bedingungen[55], ebenfalls für die Validierung, d.h. Repro-duzier- und Vergleichbarkeit; bei Wiederholung durch einen anderen oder durch sich selbst sollte man das gleiche Ergebnis erhalten. Einschätzungen der Pflegebedürftigkeit sind darauf-hin  noch nicht geprüft worden.[56] Dagegen sind bei der gesetzlichen Unfallversicherung SGB VII auch andere und weitere Gesichtspunkte wie z.B. die Verrichtungen der hauswirtschaft-lichen Versorgung mit einzubeziehen[57] und die Höhe des Pflegegeldes bestimmt der Träger der Unfallversicherung selbst – in der Regel die Berufsgenossenschaft – im Wege der Ermes-sensentscheidung auf Grund des konkreten Schadens-Maßes (aus ärztlicher Begutachtung).

 

Es liegt in der Natur der Pflege, dass die Verhältnisse des Umfeldes dazu nicht nur unter-schiedlich bei den einzelnen Individuen, sondern auch vielschichtig sind und dass ein Gesetz wie das von SGB XI daher in vielen Details begrifflich nicht bestimmt (genug) sein kann und auch nicht darf, denn es ist nicht auszuschließen, dass in der Zukunft Realitäts- und Wer-te-Veränderungen eintreten, weshalb wertausfüllungsbedürftige Begriffe unvermeidbar sind[58]. Teilweise werden Begriffe für sich im Einzelnen dadurch konkretisiert wie z.B. beim Begriff „Verrichtungen“, indem man diese abschließend in einen „Katalog“[59] benennt, aber damit womöglich zugleich sinnähnliche Tätigkeiten ausschließt und die Klärung jeweils dem Ein-zelfall überlässt. Es sei nur angemerkt, dass weitere unbestimmte Begriffe im Gesetz vor-kommen, z.B. was tatsächlich „selbständig, selbstbestimmt“, was Wohl, Qualität der ambu-lanten Dienste, Wirtschaftlichkeit[60], erheblich usw. bedeuten. In erster Linie ist der Begriff Pflegebedürftigkeit zu nennen, der wegen der Erweiterungsabsichten des Gesetzgebers über die hauptsächlich körperlich bedingter Funktions-Einbußen hinaus im Brennpunkt der Dis-kussion steht.

 

Es leuchtet ein, dass der gesetzliche Begriff „Pflege“ zweigliedrig ist, das individuelle Defizit wird mit kompensierender Hilfe kombiniert[61], wobei diese Hilfe in unterschiedlicher Weise realisiert wird wie Unterstützung, teilweiser Hilfe und voller Übernahme der sonst selbständi-gen Arbeit. Ob die Ausführung der Hilfe qualitativ den Vorgaben und Erwartungen ent-spricht, wird (derzeit) weder geprüft noch bewertet, hier könnte die Bewertung durch die Lei-stungsempfänger oder durch andere pflegende Angehörige etc. in Zufriedenheit und Lebens-qualität als Hinweis genommen werden.[62] Als begrenzend zur Einreihung in eine Pflegestufe ist anzusehen die Regelmäßigkeit und die Dauer des Hilfeeinsatz, die letztlich anhand einer Richtlinie, die als Verwaltungsvorschrift ohne Rechtsnormcharakter bewertet wird[63], durch einen Dienst, beauftragt von der Pflegekasse, vorgenommen wird. Eine ständige Bereitschaft reicht nicht.[64] Gerade hier weicht die Unfallversicherung ab, für diesen Versicherungsbereich gilt nicht nur der in SGB XI genannte Verrichtungs-Katalog als maßgebend, denn das Prinzip sind hier die Beeinträchtigungen im Einzelfall, z.B. durch Berufskrankheit, wobei allerdings z.B. die Berufsgenossenschaft einen Ermessensentscheid vornimmt, wobei das Pflegegeld den Pflegeaufwand...

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