Anstelle einer Legitimation für die philosophische Beschäftigung mit der Ökonomie bietet es sich an, einen kurzen Blick in die Geschichte zu werfen und einige der Passagen zu beleuchten, in denen sich eine bemerkenswerte Begegnung von Philosophie und Ökonomie folgenreich manifestieren konnte.
In der Kulturgeschichte der Menschheit findet sich bis in die früheste Zeit hinein die Erwähnung von Tauschverhältnissen. Es gibt bei allen Völkern in der frühen Menschheitsgeschichte einen festen Kodex der Austauschbeziehungen durch Geschenke. Malinowski und andere Ethnologen haben uns über diese Ökonomie der Freundschaft, d.h. ein lebendiges und auf Gegenseitigkeit angelegtes Ritual des organisierten Austausches in den frühen Entwicklungsphasen der Menschheit belehrt. Der Austausch findet häufig bei gegenseitigen Besuchen und kollektiven Festen statt und betrifft Güter, Worte, Symbole und Hochzeitspartner. Geschenke bewahren nicht nur die geistige Kraft des früheren Eigentümers (z.B. bei den Polynesiern), was das Problem des falschen Gebrauchs (religiöses Risiko) entstehen läßt; auch verpflichtet die Gabe zur Gegenseitigkeit und begründet so bereits ungeschriebene Gesetze. In dem bei Malinowski, Frazer und anderen Ethnologen vorherrschenden evolutionären Weltbild einer Entwicklung vom Mythos zum Logos findet eine Gegebenheit besondere Betonung: eine schon frühzeitig feststellbare Emanzipation des wirtschaftlichen Tausches von religiösen Ritualen. Unter einem evolutionistisch determinierten Weltbild wird darüber diskutiert, ob diese Emanzipation des wirtschaftlichen Tausches bereits als ein Merkmal des Logos gelten kann.
Von Thales von Milet (625-545 v. Chr.) weiß man, daß er Kaufmann war. 200 Jahre nach dessen Tod erzählt Aristoteles die folgende Geschichte und charakterisiert damit gleichzeitig das Verhältnis von Philosophie und Ökonomie:
"Man mache ihm (Thales, B.R.) nämlich seine Armut zum Vorwurf, weil man daran sehe, daß die Philosophie zu nichts nütze sei. Er aber soll aufgrund seiner astronomischen Kenntnisse eine gute Olivenernte voraussehen und daher noch während des Winters mit dem wenigen zur Verfügung stehenden Gelde... alle Ölpressen in Milet und Chios gepachtet haben, ohne daß ihn dabei jemand überbot. Als nun aber der rechte Augenblick kam und viele Leute auf einmal und sofort welche brauchten, da verpachtete er sie seinerseits so teuer, als er wollte, und verdiente damit viel Geld. So bewies er, daß es dem Philosophen ein leichtes sei, reich zu werden, wenn er es wollte, aber dies sei nicht das Ziel ihres Bemühens."[2]
Reiner Otte vertritt die These, daß im antiken Griechenland eine historische Parallelität von Geist und Geld zutage tritt, die auf eine tiefgreifende Transformation der Lebensverhältnisse hindeutet[3]. Seiner Ansicht nach erscheinen die Philosophen unübersehbar zusammen mit dem Geld auf der Bühne der Weltgeschichte. Thales von Milet wurde zum Zeitzeugen einer neuen Wirtschaftsordnung: der Einführung des Geldes. Die attische Silberwährung bemißt den Reichtum nicht mehr im Besitz von Vieh, Sklaven oder Frauen, sondern in einem abstrakten neuen Medium, das von Solon 594 v.Chr. im Rahmen einer durchgreifenden Wirtschaftsreform auf den Weg gebracht wird. Solons Reformen mildern den Druck der wirtschaftlichen Abhängigkeit der Bauern ohne Landbesitz und der Bürger, deren Schulden Überhand genommen haben.
Jedoch sind die Fragen nach der Legitimation von Solons politischen Entscheidungen unausweichlich, denn durch die Reformen werden Armut und Reichtum neu verteilt. Hierbei werden Ansprüche vorgetragen, Vorrechte verteidigt und Privilegien gehütet, woraus eine Suche nach Prinzipien entsteht, die die Verhältnisse des Staates ordnen und lenken können. Auch die Philosophen beteiligen sich an den Überlegungen. Trotzdem bleiben seit dieser Zeit die Fragen, wie die Prinzipien der Gerechtigkeit in der Gesellschaft verankert werden können, letztlich bis heute aktuell.
Solon jedenfalls sieht sich in einer bedrängten Position der durch Interessenkonflikt zerissenen Bürger gegenüber. Er fordert schließlich ein Urteil des Olymp: "Und habe ich nicht alles, wofür ich das Volk zusammenschloß, erreicht und bis zum Großen Ziel geführt? Das möge mir vor dem Richterstuhl der Zeit die große Mutter aller Götter im Olymp bezeugen, die schwarze Erde, der ich einst Schuldsteine ausriß, hundertfältig eingepflockt, die vorher eine Sklavin war, jetzt aber frei."[4] Sokrates (469-399 v. Chr.) dagegen versucht auf dem Marktplatz durch das Fragenstellen (Mäeutik) die Grundlagen von Tugend, Gerechtigkeit, Wissen, etc. zu klären und schafft sich dadurch bereits Feinde. Sokrates selbst "weiß, daß er nichts weiß" und muß sterben. Jedoch lehnt er die Lehrbarkeit von Tugend und Wissen gegen Geld genauso ab, wie er materielle Güter geringschätzt: "wobei ich sage, daß nicht der Reichtum sittlichen Wert hervorbringt, sondern der sittliche Wert Reichtum und alle übrigen Güter, für jeden einzelnen wie für die Allgemeinheit."[5]
Die Schule der Kyniker vertritt die These, daß nur die Autarkie (= Unabhängichkeit von äußeren Gütern) sowie die Zurückgezogenheit und Bedürfnislosigkeit ein erstrebenswertes Ziel im Leben darstellt. Antisthenes (444-368 v. Chr.) gibt den Athenern aus gutem Grund den Rat, per Abstimmung die Esel für Pferde zu erklären, da schließlich auch auf diese Weise normale Männer zu Feldherrn gemacht würden.
Als Hintergrund dieser Aktion behauptet Rainer Otte: "Die Normen und Gesetze der Gesellschaft entpuppen sich als hartnäckiges Problem, zu dessen Lösung die führende Hand der Götter oder die klaren Sätze der Naturwissenschaft nicht hinreichen. Immer wieder stellt sich die Frage, wie sicher das Grundgerüst des sozialen und politischen Übereinkommens trägt. Angefacht wird diese Debatte nicht zuletzt durch die Etablierung der Geldwirtschaft."[6]
Derweil (ca.450 v. Chr.) hat Athen alles Silber und sogar den Schatz des Delphischen Bundes ausgemünzt. Mit der so geschaffenen Geldmenge wurde das Bauprogramm der Akropolis bezahlt. Der Wirtschaftswissenschaftler Michael Hutter kommentiert dazu: "Nicht das Handelsvolumen geläufiger Güter hatte also die Schöpfung eines angemessenen Zahlungsmittels erfordert. Ein Zahlungsmittel konnte vielmehr dadurch zum fließen gebracht werden, daß eine geeignete Fremdreferenz - das Bauprogramm erfunden wurde."[7]
Die Stadt vergibt Gelder für die Teilnahme an Theateraufführungen und Gerichtsprozessen. Dies geschieht nach der Maßgabe von politischen Beschlüssen, die Werte verteilen, aber nicht schaffen. Der Handel liegt derweil in der Hand von Metöken (d.s. ortsansässige Fremde ohne Bürgerrechte), die durch die Ankurbelung der Wirtschaft zu reichen Kaufleuten werden. In dieser Zeit scheidet sich der Wert des Geldes vom Wert der verwendeten Materialien, wodurch ein Übergang vom materiellen zum symbolischen Wert des Geldes stattfindet.[8]
Platon (427-347 v. Chr.) läßt in seiner Utopie - Republik die Führungsschicht von vorneherein besitzlos sein, um so die o.g. Probleme auszuschließen.
Bei Aristoteles (384-322 v. Chr.), der in der Ökonomie lediglich das Wirtschaften nach Maß und Bedürfnis des Hauses und seiner Mitglieder sieht, dient der Handel lediglich dem Austausch überflüssiger Produkte. Insofern stellt Handel eher eine Ergänzung/Bereicherung der Hauswirtschaft dar und ist nicht eigentliches Ziel des Produzierens. Damit ist die Ökonomie lediglich eng mit den Anforderungen und Bedürfnissen der persönlichen und familiären Lebensgestaltung verknüpft. Geld dient als Bewertungsmittel dem Austausch, damit alles quantitativ vergleichbar ist. "Geld mißt alles und demnach auch den Überschuß und den Mangel ... ohne solche Berechnung kann kein Austausch und keine Gemeinschaft sein."[9] Wenn aber die sogenannte "natürliche Erwerbskunst" durch Entstehung des Fernhandels und der Geldwirtschaft gefährdet wird, weil nun Geld zum Sinn und Zweck des Handels wird, dann gibt es ein Problem mit der Tugend und vor allem mit der Gerechtigkeit (nach Aristoteles die vollkommenste Tugend, weil man sie auch gegen andere üben kann). Rainer Otte charakterisiert diesen Zusammenhang nach der nikomachischen Ethik des Aristoteles folgendermaßen: "Nur derjenige führt ein gutes und tugendhaftes Leben, der an sittlich guten Handlungen selber Freude hat. Für seine Glückseligkeit braucht er äußere Güter nur als Hilfsmittel. In der expandierenden Geldwirtschaft vergessen die Bürger, daß Güter Krücken sind und nehmen sie als Podeste ihrer überhand nehmenden Leidenschaften. Aus Gütern des täglichen Gebrauchs werden dadurch Waren, denen der Wertmaßstab des Geldes eingeprägt wird, wie den Münzen auch. Sozialordnungen, die sich darauf gründen, müssen sich dem Problem der...