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Propyläen und Umkreis

AutorJohann Wolfgang von Goethe
VerlagBookRix
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl434 Seiten
ISBN9783730968222
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
Die Propyläen sind jene Gebäude, durch die man zur Atheniensischen Burg, zum Tempel der Minerva, zur Akropolis gelangte. Das Wort bedeutet: Stufe, Tor, Eingang, Vorhalle, und steht hier als Symbol für eine Abhandlung Goethes über Kunst und Natur, gedacht für Künstler und Kunstfreunde. Inhalt: Einleitung (in die Propyläen) Über die Gegenstände der bildenden Kunst Der Sammler und die Seinigen Propyläen Gutachten über die Ausbildung eines jungen Malers Über strenge Urteile Über die Flaxmannischen Werke Kurzgefasste Miszellen Vorschläge, den Künstlern Arbeit zu verschaffen Ungedruckte Winckelmannische Briefe Winckelmann und sein Jahrhundert

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Leseprobe

über die Gegenstände der bildenden Kunst


Indem der bildende Künstler ein Werk hervorzubringen gedenkt, hat er bei der Wahl des Gegenstandes besonders vorsichtig zu sein, indem sowohl der Fortgang seiner Arbeit als das Glück seines vollendeten Werks von derselben abhängt. Ein guter und vorteilhafter Gegenstand hebt und trägt den Genius, befördert, gibt Mut und Kräfte das Angefangne mit Lust zu vollenden, hingegen legt der schlechte oder widerstrebende Gegenstand immerfort neue Hindernisse in den Weg, ermüdet und schlägt nieder; es wird weder der Künstler seines Werkes froh noch der Beschauer desselben vollkommen befriedigt werden können.

Indem wir nun in dieser wichtigen Angelegenheit unsern Kunstgenossen, nach bester Einsicht und Überzeugung, einigen Rat zu geben wünschen, halten wir uns nicht im Allgemeinen auf, welches an einem andern Orte seinen Platz finden wird, sondern wenden uns unmittelbar zu der Materie, welche wir diesmal zu behandeln, uns vorgenommen haben.

Man fordert von einem jeden Kunstwerke, dass es ein Ganzes für sich ausmache, und von einem Werke der bildenden Kunst besonders, dass es sich selbst ganz ausspreche. Es muss unabhängig sein, die vorgestellte Handlung, der Gegenstand muss, im Wesentlichen, ohne äußere Beihilfe, ohne Nebenerklärung, die man aus einem Dichter oder Geschichtschreiber schöpfen müsste, gefasst und verstanden werden. So wie wir ein Gedicht tadeln würden, dessen Fabel und Motive nur aus angehängten Noten verständlich werden könnten, so haben wir Ursache mit Gemälden oder Statuen unzufrieden zu sein, deren Bedeutung nicht vor unserm Auge liegt, sondern erst nachgelesen oder erzählt werden müßte.

Von den Gegenständen überhaupt

Sondern wir von Werken der bildenden Kunst aller Art dasjenige ab, was ihnen durch Form und Farben, durch geistige und mechanische Behandlung geliehen wird, so bleiben nur noch die Stoffe, die Gegenstände, zur Betrachtung übrig; wir unterscheiden dreierlei Arten:

Die Ersten sind die vorteilhaften, der Kunst angemessen und bequem. Das Werk liegt gleichsam schon im Keime darin und wächst unter der pflegenden Hand des Künstlers schnell hervor.

Die andern, welche man gleichgültige oder untätige Gegenstände nennen möchte, hängen ganz von der Behandlung ab, sie sind unbedeutend, wenn nicht das Genie des Künstlers Gehalt hineinlegt.

Die dritte Art sind die widerstrebenden, welche, den ersten Forderungen zuwider, sich nicht selbst aussprechen. An ihnen ist alle Mühe verloren, weil sie dem Beschauenden nicht deutlich werden können. Geschmack und Kunst erschöpfen ihre Kräfte umsonst daran, und werden zwar endlich ein angenehmes, wohl in die Augen fallendes Bild zuwege bringen, aber bedeutend, allgemein wirkend kann es nicht werden.

Von den vorteilhaften Gegenständen

Die einfache Darstellung rein menschlicher Handlungen scheint der Kunst und durch sie uns selbst wieder am nächsten zu liegen; es bedarf bei ihnen keiner Erklärung, sie wirken unmittelbar. Wir gehen deswegen von ihnen aus, und denken sie uns auf einer gewissen Stufe. Höher hinauf setzen wir die historischen Darstellungen, einzeln oder im Zyklus, dann folgen die Charakterbilder, ferner die erfundnen (poetischen) mythischen und allegorischen Bilder, ganz zu oberst setzen wir die symbolisch bedeutenden, ebenfalls einzeln oder im Zyklus.

Haben wir nun auf diese Weise die höchste Höhe erreicht, so finden wir tiefer als die reinmenschlichen, die Szenen des gemeinen Lebens; auch gebührt den Tierstücken und den Landschaften ein Platz unter den Gegenständen, welche für die Darstellung tauglich sind, weil sie nach ihrer Art wirksam und bedeutend sein können, ob sie gleich immer ein geringeres Interesse einflößen als diejenigen, welche menschliche Handlungen und Figuren zum Grunde haben.

Rein menschliche Darstellungen

Unter rein menschliche Darstellungen sind vornehmlich zu zählen alle diejenigen sogenannten Madonnenbilder und heiligen Familien, deren Figuren, in Gestalt und Zügen, nicht über schöne Natur und Menschheit erhoben sind, wenn wir einige konventionelle Zeichen, z. B. den goldenen Schein um die Köpfe, und allenfalls episodische Nebenfiguren von Engeln, oder dem weissagenden kleinen Johannes dabei übersehen wollen, so können beinahe alle insgesamt unter diese Klasse gerechnet werden; denn die neuere Kunst erhob sich in wenigen von diesen Bildern bis zur höhern symbolischen Bedeutung, und was sind die übrigen anders als Mütter, welche ihre Kinder pflegen, tränken, ankleiden, zart und liebend in die Arme schließen?

Selbst die Madonna della Seggiola z. B. ist nicht mehr als vielleicht nur das fürtrefflichste Bild dieser Art. Wahrscheinlich ist sie ein Bildnis, oder sie könnte es doch sein, denn es leben gewiss zu allen Zeiten und in jedem Lande ebenso schöne Frauen, und vielleicht mehrere, als man denken möchte.

Gedachtes Bild hat nichts von dem Hohen, Heiligen, Himmlischen, was wir mit der Idee von der Mutter Gottes zu verbinden pflegen oder verbinden müssten, sondern es ist bloß reine, treue Darstellung der reinsten Menschlichkeit, und gerade daher fließt der unendlich unwiderstehliche Reiz, daher liegt es allen Wünschen und Hoffnungen eines jeden Herzens so nahe und bedarf keines fernern Zwecks, keiner andern Bedeutung.

Der kleine Johannes ist eine Episode, ein Attribut, welches das Kunstwerk mehr rundet, und die Anordnung desselben vollkommen macht, aber deswegen die Darstellung in ihrem innern Charakter nicht ändern kann. Es darf kaum noch angemerkt werden, dass dieses Fach nicht nur das Ruhige und Reizende, sondern auch das Rührende und Pathetische, und alles, was zwischen diesen beiden Extremen liegt, umfassen kann.

Ein sehr schönes Beispiel von der letzten Art ist das Incendio di Borgo, in welchem Raffael, mit weiser Überlegung, das Historisch-Bedingte, Dunkle und Mystische dem Rein-Menschlichen aufgeopfert hat. Es ist die allgemeine Vorstellung von einer bei Nacht ausbrechenden Feuersbrunst. Aus Verwirrung, Not, Schrecken und Gefahr, welche in solchem Falle zu entstehen pflegen, sind die rührenden Motive gezogen, wodurch das Werk einem jeden Beschauer so wert und so interessant wird. Der Papst, welcher den Segen spricht, und damit dem Feuer Einhalt tut, ist weit zurück, als entfernter Zuschauer, in den Hintergrund verwiesen, wo er auf die Wirkung und den ersten Eindruck des Ganzen keinen entschiedenen Einfluss haben kann.

Die Vergleichung dieses Bildes mit der Anlandung der Sarazenen zu Ostia ist besonders lehrreich, weil derselbe große Meister darinnen eine fast ähnliche Aufgabe, ganz im entgegengesetzten Sinne, aber auch mit sehr verschiedenem Erfolg behandelt hat. Hier thront der Papst im Vordergrunde und betet, Gefangene werden vor ihn gebracht, in der Ferne ist der Streit vorgestellt.

Es fehlt gewiss auch diesem Stück nicht an Verdiensten des Stils, der Zeichnung und Ausführung, aber wenn von Raffaels Bildern im Vatikan die Rede ist, so erwähnt man doch immer desselben kaum oder nur beiläufig, denn es interessiert nicht und ist undeutlich, der Gegenstand ward jetzt durch die Umwendung mystisch, und für die Darstellung widerstrebend, man muss das Vergnügen, welches die Anschauung gewährt, mit der Mühe erkaufen, die Bedeutung zu entziffern, da hingegen das Incendio di Borgo auf einmal, mit allem, was es ist und vermag, vor unsern Augen, vor unserer Seele steht, ganz überschaut und begriffen wird.

Historische Darstellungen

Historische Darstellungen, wenn sie auf der Basis des Reinmenschlichen der Handlung ruhen und sich selbst aussprechen, also die Bedingungen eines Kunstwerks als Gegenstand erfüllen, haben darum ein größeres Interesse, weil überdem, dass sie das Gemüt ansprechen, der Verstand noch einen andern Bezug an ihnen ausfindig macht. Sie versetzen uns in andere Zeiten, und machen uns mit merkwürdigen Menschen und Taten bekannt, es treten Weise und Helden, ja zuweilen selbst Götter darinnen auf.

Wir machen hier absichtlich keinen Unterschied zwischen Gegenständen, die aus der wahrhaften Geschichte und denen, die aus der Fabel genommen sind, denn obschon sie verschiedene Gattungen auszumachen scheinen, und die Letztern besonders sich nahe an das poetische, oder mythische Fach anschmiegen, so würde durch solche Trennung das Ganze vielleicht zu sehr vereinzelt und doch für die Entwicklung der Regeln, um welche es hier zu tun ist und die sich über das Ganze erstrecken, nichts gewonnen werden. Die historische Darstellung kann zwar jeden Charakter annehmen, sie findet gute Gegenstände von der sanften und gefälligen Art, doch am liebsten wählt sie rührende, erschütternde Gegenstände.

Laokoon, Niobe, der Kindermord, die Pest unter den Philistern und die Schlacht Constantins gegen den Maxentius, als die größten Meisterstücke der Kunst in dieser Art, sind außer den Kunstzwecken noch auf große Wirkung berechnet, und dem zufolge wären Gegenstände, wo Ernst, Traurigkeit, und Schmerz, wo das Pathetische und Tragische herrscht, für historische Darstellungen vor allen andern passend und bequem.

Es gereicht dabei dem Künstler zum Vorteil, dass die wilden Leidenschaften, die Grausamkeit, Elend und Not, welche er bildet, durch die Autorität der Geschichte von ihm selbst abgelehnt werden. Vielleicht würde...

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