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E-Book

Proud to be Sensibelchen

Wie ich lernte, meine Hochsensibilität zu lieben

AutorMaria Anna Schwarzberg
VerlagRowohlt Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783644406070
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Dieses Buch ist eine Ermutigung für sensible Menschen, eine vermeintliche Schwäche in Stärke umzumünzen: Aufbauend auf ihrem erfolgreichen Podcast gibt Maria Anna Schwarzberg, selbst hochsensibel, hilfreiche Tipps, wie man mit den Besonderheiten der Hochsensibilität umgehen lernt. Dabei holt sie das Thema aus der Überempflindlichkeitsecke heraus. Für sie ist Hochsensibilität keine Krankheit, sondern ein von der Forschung belegtes Phänomen, das für die Betroffenen mit Problemen, aber eben auch mit Chancen einhergeht.

Maria Anna Schwarzberg studierte Public Management und arbeitete nach dem Studium im Opferschutz für die Stadt Hamburg. Drei Jahre später hatte sie einen Burnout - mit 25. Nach einer Auszeit machte sie sich als Journalistin selbstständig und arbeitet heute als Autorin und Verlegerin. In ihrem Podcast 'Proud to be Sensibelchen' widmet sie sich dem Thema Sensibilität in all seinen Aspekten: Menschen, Achtsamkeit, Nachhaltigkeit, Pommes, Feminismus, mentale Gesundheit und gesellschaftlichen Wandel.

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Leseprobe

Kapitel 1: Hochsensibilität


Was ist Hochsensibilität?


Fangen wir ganz von vorn an: Was ist überhaupt diese Hochsensibilität? Ich bin eine große Freundin von Fakten und Wissen. Ganz gleich, was in meinem Leben passiert ist, ich war stets die mit dem Gesicht in den Büchern. Die meisten Wissenslücken habe ich früher oder später per Google und via Wikipedia geschlossen.

Google ich nach Hochsensibilität, lande ich (wie bei digitalen Suchanfragen üblich) mit dem ersten Eintrag beim Online-Lexikon Wikipedia und finde dort einiges über den wissenschaftlichen Hintergrund, Merkmale und Tests – doch eine allgemein anerkannte neurophysiologische Theorie, die die Ursachen beschreibt, suche ich vergebens.

Wissenschaftler, Psychologen und Psychotherapeuten, die sich mit dem Thema Hochsensibilität beschäftigen, sind sich in vielen Aspekten einig, in anderen wiederum nicht. Kurzum: Es hat sich noch kein*e Forscher*in hingestellt und gesagt: «Wissenschaftler*innen haben nun herausgefunden, dass Hochsensibilität durch diese oder jene Prozesse ausgelöst wird.»

Deshalb habe ich versucht, aus all den unterschiedlichen Ansätzen und bisherigen Forschungsergebnissen diejenigen Merkmale und Ursachen herauszufiltern, die den Begriff Hochsensibilität fassbar machen.

Vorweg: Man findet im Netz, aber auch in der Literatur, unterschiedliche Bezeichnungen für hochsensible Menschen. Manche sprechen von hochsensitiven, hypersensiblen oder überempfindlichen Personen oder verwenden den englischen Begriff highly sensitive persons. Im Grunde beschreiben sie aber alle dasselbe Phänomen.

Prägend für die Erforschung der Hochsensibilität sind die Untersuchungen von Elaine Aron, Pionierin auf diesem Gebiet. Im Laufe ihrer jahrzehntelangen Arbeit hat sie festgestellt, dass das Gehirn von hochsensiblen Menschen etwas anders funktioniert als das von Menschen, die nicht hochsensibel sind. Alle Sinneskanäle sind bei Hochsensiblen ständig offen, alle Reize gehen ungefiltert hindurch. Diese detailreiche Wahrnehmung lässt das Leben sehr bunt, sehr laut, sehr intensiv erscheinen – es fehlt sozusagen der Spamfilter. Sie führt allerdings gleichzeitig dazu, dass das Gehirn mehr Zeit und Ruhe braucht, diese Reize auch zu verarbeiten, auseinanderzunehmen, zu sezieren, neu zusammenzupuzzeln und ad acta zu legen.

 

Im Alltag fühlt sich das dann ungefähr so an: Ich steige in die Bahn und nehme sofort den eigentümlichen, speziell in Zügen auffallenden Geruch nach abgestandener und warmer Luft wahr: diese Mischung aus den Ausdünstungen vieler Menschen, beim Imbiss geholtem Essen und Resten von Putzmitteln. Ich kann die Grundstimmung im Abteil und die einzelner Menschen, die ich auf dem Weg zu einem (hoffentlich!) freien Platz ansehe, anhand ihrer Mimik, Gestik, Körperhaltung, der Tonalität ihres Gespräches, anhand ihrer Blicke, Kleidung, ihres Alters, Schmucks, Geruchs oder anderer äußerlicher Attribute ausmachen. Wenn ich einen freien Sitz gefunden habe, bemerke ich, dass der Platz noch etwas warm von dem/von der Vorgänger*in ist. Irgendwie ist das unbequem heute. Der Bezug des Sitzes drückt sich durch meine Strumpfhose und kratzt unangenehm; im spiegelnden Fenster fällt mein Blick auf die Silhouette meines Kopfes, in dem schon der Arbeitstag durchdacht, die Einkaufsliste zusammengestellt und das nächste Reiseziel geplant wird. Ich kann keines der mich umgebenden Geräusche ausblenden. Nicht die Musik, nicht die Gespräche, nicht das Atmen und Schnaufen, Husten und Niesen, Klicken und Umblättern. Dass ich das alles nicht ignorieren kann, liegt nicht an meiner großen Neugierde oder weil ich unhöflich lausche (Sorry, Tamara, du könntest dir auch echt einen anderen Ort für das Streitgespräch mit Saskia suchen!). Vielmehr ist es mein fehlender Filter, der zulässt, dass alle Informationen direkt in mein Gehirn transportiert werden.

Wird mir alles zu viel, schaffe ich mir während der Bahnfahrt mit einem Buch und der Zuhause-Playlist einen Hyperfokus, in dem ich mich dann nur auf diese beiden Dinge konzentriere und alles andere ausblende. Leider auch manchmal das Aussteigen. Dieser Hyperfokus ist zum Bahnfahren, aber auch zum Arbeiten (dann ohne Buch) geeignet. Er lässt mich sogar in Großraumbüros das schaffen, was viele Hochsensible sich wünschen, aber oft nicht können: in einem unruhigen Umfeld produktiv zu sein. Diese Form des effektiven und effizienten Arbeitens ist, das will ich nicht verheimlichen, wegen der großen Kraft, die man für die Konzentration aufbringen muss, stark erschöpfend. Aber das ist der Arbeitsalltag für hochsensible Menschen meist sowieso: Große offene Büros, die eigentlich der Kommunikation und Teamarbeit dienen sollen, aber natürlich auch direktere Kontrolle und Vergleichbarkeit ermöglichen und darüber hinaus zum Einsparen von Platz, Geld und Ressourcen dienen sollen, sind strapaziös für den Kopf und den Körper – nicht nur für Hochsensible, aber besonders für sie. Klingelnde Telefone, laute Telefonate, Rufe durch das Büro, spontane Mini-Meetings auf dem Gang, die klingelnde Tür, der/die Postbot*in mit der neuen Lieferung Arbeit, klappernde Türen, anschlagende Tastaturen, zirkulierende Ventilatoren, knisternde Lampen, offene oder geschlossene Fenster, zu warme oder zu kühle Heizungen, Tisch-zu-Tisch-Gespräche, Lachen, Schritte und die unvermeidbare Frage zur Mittagszeit: Kommst du mit uns essen? «Äh, nein. Ich brauche eine Auszeit, um das hier weitere vier Stunden durchstehen und dabei gut meine Arbeit machen zu können», denke ich und sage: «Ja, klar. Zum Italiener oder Chinesen?», weil ich nicht die Einzige sein will, die nicht mitgeht. Außerdem befürchte ich, dass meine Kolleg*innen es falsch auffassen könnten, wenn ich absage. Was ist, wenn sie denken, ich hätte etwas gegen sie, und das persönlich nehmen? Schlimmer: Was ist, wenn sie etwas gegen mich haben, und ich das persönlich nehme? Spätestens nach dem Mittag sitze ich also mit Kopfhörern an meinem Schreibtisch, um dem geforderten Pensum gerecht zu werden. Am liebsten würde ich aber jetzt schon nach Hause gehen und Mittagsschlaf halten.

 

Zu Hause komme ich dann erschöpft und müde an und drohe manchmal schon an den simplen Anforderungen des Haushalts zu scheitern. Wann putzen andere Menschen und kaufen Lebensmittel ein? Wann sortieren sie ihre Post und die Strümpfe aus, wann machen sie ihre Ablage und finden die Zeit, um all diese Fotoalben von ihren Reisen und den Kindern fertig zu basteln? Um zu lesen? Die neuesten Serien und Filme werden geschaut, Theater besucht, Sport getrieben, einem Hobby nachgegangen und Freundschaften gepflegt – das alles meistern andere Menschen neben ihrem vollen Arbeitsalltag – und ich bin schon damit überfordert, ausreichend und gesund zu essen, halbwegs Ordnung zu halten und mein Gehirn wieder runterzufahren, damit ich irgendwann schlafen gehen kann. Wie schaffen es andere, sich an fünf von sieben Tagen zu verabreden und diese Treffen auch wirklich einzuhalten? Es ist mir ein Rätsel.

Aber nicht erst, seitdem ich arbeite. Schon zu Schulzeiten habe ich nach der letzten Stunde erst einmal zu Hause ein Nickerchen von zwei Stunden gebraucht, um runterzukommen, habe mir dann Schokolade essend meine Lieblingsserie Gilmore Girls angesehen, und erst zum Abendbrot war ich wieder fit, um mich anschließend an besonders wichtige Hausaufgaben zu setzen (den Rest erledigte ich zwischen den Unterrichtspausen oder auch im Unterricht selbst).

Nun, im lang herbeigesehnten Erwachsenenleben, klappt das mit dem Mittagsschlaf nicht mehr, und so stehe ich vor der Wahl, allein zu Haus zu bleiben und meinem Ruhebedürfnis nachzugeben oder Freunde zu treffen, obwohl ich müde und unkonzentriert bin. Das heißt, dass ich nicht die gute Gesellschaft sein werde, die ich gern sein würde und die die Menschen verdient haben. Eine dritte Option wäre, kurzfristig abzusagen.

Welche der drei Alternativen ich wähle, knoble ich in meinem Gehirn aus, dass es nur so rauscht in meinem Kopf und ich nervös und fahrig werde, zu keinem klaren Gedanken mehr wirklich fähig, ständig alle Fürs und Widers abwägend: Wenn ich zu Hause bleibe, dann könnte ich mich ausruhen, einen Film schauen, früh schlafen gehen. Aber: Die anderen schaffen es ja auch, sich aufzuraffen – vielleicht muss ich nur meinen inneren Schweinehund überwinden? Würde ich mich nicht außerdem die ganze Zeit schlecht fühlen, wenn ich zu Hause bliebe und die anderen tolle Dinge erleben, ja überhaupt leben? Andererseits: Falls ich hingehe, fehlen mir Schlaf und Ruhe, die Quittung bekäme ich morgen, wenn ich matschig zur Arbeit gehe und den Tag über durchhänge. Ich könnte natürlich morgen Abend zu Hause bleiben. Ach nein, da ist ja die Verabredung mit Lisa. Mist. Anstatt Lisa heute schon abzusagen, mache ich das natürlich erst morgen am späten Nachmittag, weil ich bis zuletzt hoffe, doch noch fit genug zu sein, um das Treffen durchstehen zu können.

Zu sehr fürchte ich mich davor, dass andere Menschen bemerken könnten, dass ich anders bin. Dass sie mich abstempeln als die, die immer nur zu Hause ist und liest. Dass ich mit der Zeit ausgeschlossen werden könnte. Und dass das natürlich alles an mir liegt und mein Fehler ist. Also gehe ich auf Partys und andere Veranstaltungen mit vielen Menschen, die laut und betrunken und gesprächig sind und von denen ich einen Großteil nicht kenne. Es ist toll, wie sie ihre Zeit genießen. Nur tue ich das an neun von zehn solcher Abende nicht.

Bei Konzerten stehe ich am liebsten hinten, wo Platz und Luft zum Atmen sind....

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