Sie sind hier
E-Book

Psychoanalytisches Menschenbild

AutorErich Fromm
VerlagEdition Erich Fromm
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl94 Seiten
ISBN9783959121439
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis6,99 EUR
Die in dem Band 'Psychoanalytisches Menschenbild' gesammelten Beiträge handeln alle von dem Bild, das Erich Fromm vom Menschen hat. Das Besondere der Frommschen Sicht besteht darin, dass die inneren Antriebskräfte weitgehend das Ergebnis der psychischen Anpassung an die Erfordernisse des Lebens, Überlebens und Zusammenlebens sind. Ihre Bewusstheit bzw. Unbewusstheit wird dabei ganz wesentlich von den aktuellen ökonomischen, sozialen und kulturellen Erfordernissen bestimmt. Vor diesem Hintergrund ergibt sich eine neue Sicht des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft, von Natur und Kultur, von individuellem und sozialem Unbewussten und Verdrängtem sowie des Verständnisses des 'Wesens' oder der 'Natur' des Menschen. Ein besonderer Reiz der vorliegenden Sammlung besteht darin, dass die einzelnen Beiträge eindrücklich die Entwicklung des Frommschen Menschenbildes vor Augen führen - von der Auseinandersetzung mit dem Freudschen Menschenbild bis hin zu den differenzierten Aussagen in dem 1968 entstandenen Beitrag 'Einleitung in E. Fromm und R. Xirau 'The Nature of Man''. Aus dem Inhalt - Die gesellschaftliche Bedingtheit der psychoanalytischen Therapie - Die Auswirkungen eines triebtheoretischen 'Radikalismus' auf den Menschen. Eine Antwort auf Herbert Marcuse - Eine Erwiderung auf Herbert Marcuse - Die philosophische Basis der Freudschen Psychoanalyse - Die Grundpositionen der Psychoanalyse - Einleitung in E. Fromm und R. Xirau 'The Nature of Man' - Mein eigenes psychoanalytisches Bild vom Menschen - Das Undenkbare, das Unsagbare, das Unaussprechliche

Erich Fromm, Psychoanalytiker, Sozialpsychologe und Autor zahlreicher aufsehenerregender Werke, wurde 1900 in Frankfurt am Main geboren. Der promovierte Soziologe und praktizierende Psychoanalytiker widmete sich zeitlebens der Frage, was Menschen ähnlich denken, fühlen und handeln lässt. Er verband soziologisches und psychologisches Denken. Anfang der Dreißiger Jahre war er mit seinen Theorien zum autoritären Charakter der wichtigste Ideengeber der sogenannten 'Frankfurter Schule' um Max Horkheimer. 1934 emigrierte Fromm in die USA. Dort hatte er verschiedene Professuren inne und wurde 1941 mit seinem Buch 'Die Furcht vor der Freiheit' weltbekannt. Von 1950 bis 1973 lebte und lehrte er in Mexiko, von wo aus er nicht nur das Buch 'Die Kunst des Liebens' schrieb, sondern auch das Buch 'Wege aus einer kranken Gesellschaft'. Immer stärker nahm der humanistische Denker Fromm auf die Politik der Vereinigten Staaten Einfluss und engagierte sich in der Friedensbewegung. Die letzten sieben Jahre seines Lebens verbrachte er in Locarno in der Schweiz. Dort entstand das Buch 'Haben oder Sein'. In ihm resümierte Fromm seine Erkenntnisse über die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft. Am 18. März 1980 ist Fromm in Locarno gestorben.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

Die Auswirkungen eines triebtheoretischen „Radikalismus“ auf den Menschen.
Eine Antwort auf Herbert Marcuse


(The Human Implications of Instinctivistic „Radicalism“. A Reply to Herbert Marcuse)

(1955b)[8]

Ich freue mich, dass mir Gelegenheit gegeben wird, auf Herbert Marcuses Artikel Social Implications of Freudian Revisionism in der letzten Ausgabe dieser Zeitschrift zu antworten.[9] Dies umso mehr, als Marcuse mich einen Vertreter der „revisionistischen“ Theorie nennt und mir vorwirft, ich hätte mich aus einem radikalen Denker und Gesellschaftskritiker in einen Fürsprecher der Anpassung an den Status quo verwandelt. Vor allem aber möchte ich Marcuse deshalb antworten, weil er einige der wichtigsten Probleme der psychoanalytischen Theorie und deren gesellschaftliche Auswirkungen berührt – Probleme, die für jeden von allgemeinem Interesse sind, der sich mit der heutigen Gesellschaft beschäftigt.

Allerdings kann ich dabei nicht wie Marcuse verfahren und die verschiedenen „revisionistischen“ Autoren in einen Topf werfen. Ich kann nur für mich selber sprechen. Dafür gibt es einen sehr einleuchtenden Grund: Obwohl meine Schriften in gewissen Punkten mit denen von Horney und Sullivan übereinstimmen, unterscheiden sie sich grundsätzlich von jenen gerade in Bezug auf die Probleme, mit denen sich Marcuse in seiner Abhandlung befasst. (In Wege aus einer kranken Gesellschaft, 1955a, GA IV, S. 137 f., habe ich auf verschiedene grundlegende Unterschiede zu Sullivan hingewiesen.) Dass Marcuse uns alle in einen Topf wirft, führt leider dazu, dass er die Vorwürfe gegen mich mit Zitaten aus den Schriften von Horney und Sullivan belegt, wenn er bei mir selbst nicht findet, was seinen Zwecken dient.

Marcuses Abhandlung enthält zwei Hauptthesen. Zum einen ist für ihn die Freudsche Theorie nicht nur psychologisch gesehen korrekt, sondern sie ist auch eine radikale Theorie, indem sie die heutige Gesellschaft explizit und implizit kritisiert. Zum anderen hält er meine Theorie philosophisch gesehen für idealistisch, da ich zur Anpassung an die gegenwärtige entfremdete Gesellschaft rate und meine Kritik an dieser Gesellschaft ein reiner Lippendienst sei. Ich möchte auf diese Vorwürfe nacheinander eingehen. [VIII-114]

Dass Freud ein Gesellschaftskritiker war, stimmt, aber seine Kritik bezieht sich nicht auf die heutige kapitalistische Gesellschaft, sondern auf Kultur im Allgemeinen. Glück ist für Freud gleichbedeutend mit der Befriedigung des Sexualtriebs, speziell mit der Befriedigung des Wunsches, freien Zugang zu allen verfügbaren Frauen zu haben. Nach Freud mussten sich die Primitiven nur äußerst wenige Beschränkungen in Bezug auf die Befriedigung dieser Grundbegierden auferlegen. Außerdem konnten sie ihren Aggressionen freien Lauf lassen. Die Verdrängung dieser Wünsche führte dann zu einer ständig wachsenden Kultur und gleichzeitig zu einer wachsenden Häufigkeit von Neurosen. „Der Kulturmensch“, sagt Freud, „hat für ein Stück Glücksmöglichkeit ein Stück Sicherheit eingetauscht“ (S. Freud, 1930a, S. 475). Freuds Menschenbild war das Gleiche, das auch den meisten anthropologischen Spekulationen des neunzehnten Jahrhunderts zugrunde liegt. Der vom Kapitalismus geprägte Mensch ist angeblich der natürliche Mensch, weshalb der Kapitalismus als die Gesellschaftsform angesehen wird, die den Bedürfnissen der menschlichen Natur entspricht. Diese Natur des Menschen ist auf Konkurrenzkampf ausgerichtet; sie ist aggressiv und egoistisch und sucht ihre Erfüllung im Sieg über den Konkurrenten. Im Bereich der Biologie hat Darwin diese Auffassung in seiner Theorie vom Überleben des Stärksten zum Ausdruck gebracht. Im Bereich der Volkswirtschaft handelt es sich um den Begriff des homo oeconomicus, wie ihn die klassischen Nationalökonomen vertreten. Im Bereich der Psychologie bringt Freud die gleichen Ideen über den Menschen zum Ausdruck, wobei seine Grundvorstellung die des Konkurrenzkampfes ist, der sich aus dem Wesen des Sexualtriebs ergibt: „Homo homini lupus; wer hat nach allen Erfahrungen des Lebens und der Geschichte den Mut, diesen Satz zu bestreiten?“ (S. Freud, 1930a, S. 470). Die Aggressivität des Menschen hat nach Freud zwei Ursachen: einmal den angeborenen Zerstörungstrieb (den Todestrieb) und zum anderen die Versagung seiner triebhaften Wünsche, die ihm die Kultur auferlegt. Der Mensch kann zwar seine Aggression durch das Über-Ich teilweise auf sich selbst lenken, und eine Minderheit kann ihre sexuellen Begierden in brüderliche Nächstenliebe sublimieren, doch bleibt die Aggressivität an sich unausrottbar. Die Menschen werden immer miteinander in Wettbewerb treten und sich gegenseitig angreifen, und wenn es nicht um „dingliche Güter“ geht,

so bleibt noch das Vorrecht aus sexuellen Beziehungen, das die Quelle der stärksten Missgunst und der heftigsten Feindseligkeit unter den sonst gleichgestellten Menschen werden muss. Hebt man auch dieses auf durch die völlige Befreiung des Sexuallebens, beseitigt also die Familie, die Keimzelle der Kultur, so lässt sich zwar nicht vorhersehen, welche neuen Wege die Kulturentwicklung einschlagen kann, aber eines darf man erwarten, dass der unzerstörbare Zug der menschlichen Natur ihr auch dorthin folgen wird. (S. Freud, 1930a, S. 473.)

Da für Freud die Liebe im wesentlichen sexuelle Begierde ist, sieht er sich gezwungen, einen Widerspruch zwischen Liebe und gesellschaftlichem Zusammenhalt anzunehmen. Liebe ist ihrem Wesen nach egoistisch und antisozial, und das Gefühl der Solidarität und der brüderlichen Liebe sind keine primären Gefühle, die in der Natur des Menschen wurzeln, sondern zielgehemmte sexuelle Begierden.

Aufgrund dieser Vorstellung vom Menschen, von seinem angeborenen Verlangen nach uneingeschränkter sexueller Befriedigung und seiner Destruktivität musste [VIII-115] Freud zur Annahme eines unausweichlichen Konflikts zwischen jeder Kultur und seelischer Gesundheit und menschlichem Glück gelangen. Der Primitive ist gesund und glücklich, weil seine Grundtriebe nicht frustriert werden, es fehlen ihm jedoch die Errungenschaften der Kultur. Der zivilisierte Mensch ist sicherer, er genießt Kunst und Wissenschaft, muss aber durch die ständige Frustrierung seiner Triebe, wozu ihn die Kultur zwingt, neurotisch werden.

Für Freud stehen Gesellschaft und Kultur in einem wesensmäßigen und unausweichlichen Konflikt mit den Bedürfnissen der menschlichen Natur, so wie er sie sieht, und der Mensch steht vor der tragischen Alternative zwischen dem Glück, das sich auf die uneingeschränkte Befriedigung seiner Triebe gründet, und der Sicherheit und den kulturellen Errungenschaften, die durch Triebverzicht zustande kommen und die daher zur Neurose und allen anderen Formen seelischer Erkrankung führen. Für Freud ist die Kultur das Ergebnis von Triebversagung und daher die Ursache seelischer Erkrankungen. Es liegt auf der Hand, dass von Freuds Standpunkt aus keine Hoffnung auf eine grundlegende Verbesserung der Gesellschaft besteht, da keine Gesellschaftsordnung den notwendigen und unvermeidlichen Konflikt zwischen den Bedürfnissen der menschlichen Natur und dem Glück auf der einen Seite und den Ansprüchen der Gesellschaft und Kultur auf der anderen Seite überbrücken kann. Ist das eine radikale Theorie, eine radikale Kritik an einer entfremdeten Gesellschaft?

Freud übt nur in einer Hinsicht Kritik an der heutigen Gesellschaft. Er kritisiert sie wegen ihrer überstrengen sexuellen Moral, die mehr Neurosen hervorrufe, als notwendig sei. Diese Kritik hat mit der sozio-ökonomischen Struktur der Gesellschaft nicht das Geringste zu tun, sondern nur mit ihrer Sexualmoral; im Übrigen finden wir bei ihm die gleiche tolerante Einstellung, wie wir sie in der heutigen Erziehung, Strafverfolgung und Psychiatrie vorfinden. (Vgl. hierzu auch den Beitrag Die gesellschaftliche Bedingtheit der psychoanalytischen Therapie, 1935a, GA I, S. 115-138), den Marcuse in seinem Artikel zitiert.) Freuds Kritik an der heutigen Gesellschaft ist vom gleichen Geist erfüllt wie alle heutigen Reformvorschläge.

Zweitens geht Marcuse von der Annahme aus, Freuds Triebtheorie sei deshalb eine radikale Theorie, weil sie materialistisch sei und zu den Wurzeln vorstoße. Ich finde es erstaunlich, dass er dabei dem Irrtum verfällt, eine Theorie als „radikal“ zu bezeichnen, die ganz und gar vom Geist des bürgerlichen Materialismus des neunzehnten Jahrhunderts durchdrungen ist. Wie jeder deutlich erkennen wird, der die Freud-Biographie von Jones liest, war Freud stark von den materialistischen Physiologen wie Brücke, Du Bois-Reymond und anderen beeinflusst. Nach deren Auffassung waren sämtliche beim Menschen zu beobachtenden Phänomene physikalisch-chemischer Art, und Freuds Libidotheorie ist ebenfalls auf dieser Grundlage aufgebaut. Diese Art von Materialismus hat Marx mit seinem historischen Materialismus überwunden, bei dem das Tätigsein der Gesamtpersönlichkeit in ihren Beziehungen zur Natur und zu den anderen Mitgliedern der Gesellschaft der archimedische Punkt ist, von dem aus Geschichte und gesellschaftliche Veränderungen erklärt werden.

Geht man von dieser Art des Materialismus aus, so gelangt man zu einer Theorie der menschlichen Natur, die alles andere als „ideologisch“ ist. Eine derartige Theorie [VIII-116] gründet sich auf die „Situation des Menschen“, auf die spezifischen Bedingungen menschlicher Existenz. Der Mensch, der sich seiner selbst bewusst ist, hat die Welt der Natur transzendiert: Er ist Leben, das sich seiner selbst bewusst ist. Gleichzeitig bleibt er Teil der Natur, und aus diesem Widerspruch...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Nachschlagewerke - Ratgeber

Psychologie 2000

E-Book Psychologie 2000
Format: PDF

Der 42. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Psychologie bedurfte dank der bedeutungsträchtigen Jahreszahl keines besonderen Mottos – es war der Kongreß "Psychologie…

Psychologie 2000

E-Book Psychologie 2000
Format: PDF

Der 42. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Psychologie bedurfte dank der bedeutungsträchtigen Jahreszahl keines besonderen Mottos – es war der Kongreß "Psychologie…

Psychopharmakologie

E-Book Psychopharmakologie
Anwendung und Wirkungsweisen von Psychopharmaka und Drogen Format: PDF

Stürmische Neuentwicklungen der Neurowissenschaften erfordern eine entsprechend aufgearbeitete Darstellung der Psychopharmakologie. Die vorliegende zweite, überarbeitete und ergänzte Auflage des…

Psychopharmakologie

E-Book Psychopharmakologie
Anwendung und Wirkungsweisen von Psychopharmaka und Drogen Format: PDF

Stürmische Neuentwicklungen der Neurowissenschaften erfordern eine entsprechend aufgearbeitete Darstellung der Psychopharmakologie. Die vorliegende zweite, überarbeitete und ergänzte Auflage des…

Psychopharmakologie

E-Book Psychopharmakologie
Anwendung und Wirkungsweisen von Psychopharmaka und Drogen Format: PDF

Stürmische Neuentwicklungen der Neurowissenschaften erfordern eine entsprechend aufgearbeitete Darstellung der Psychopharmakologie. Die vorliegende zweite, überarbeitete und ergänzte Auflage des…

Ernährungspsychologie

E-Book Ernährungspsychologie
Eine Einführung Format: PDF

Essen und Trinken beherrschen unser Leben und unser Denken. Die Ernährungswissenschaft erforscht die nutritiven Lebensgrundlagen des Menschen und weiß inzwischen sehr genau, wie sich der…

Ernährungspsychologie

E-Book Ernährungspsychologie
Eine Einführung Format: PDF

Essen und Trinken beherrschen unser Leben und unser Denken. Die Ernährungswissenschaft erforscht die nutritiven Lebensgrundlagen des Menschen und weiß inzwischen sehr genau, wie sich der…

Weitere Zeitschriften

ARCH+.

ARCH+.

ARCH+ ist eine unabhängige, konzeptuelle Zeitschrift für Architektur und Urbanismus. Der Name ist zugleich Programm: mehr als Architektur. Jedes vierteljährlich erscheinende Heft beleuchtet ...

Arzneimittel Zeitung

Arzneimittel Zeitung

Die Arneimittel Zeitung ist die Zeitung für Entscheider und Mitarbeiter in der Pharmabranche. Sie informiert branchenspezifisch über Gesundheits- und Arzneimittelpolitik, über Unternehmen und ...

Augenblick mal

Augenblick mal

Die Zeitschrift mit den guten Nachrichten "Augenblick mal" ist eine Zeitschrift, die in aktuellen Berichten, Interviews und Reportagen die biblische Botschaft und den christlichen Glauben ...

Der Steuerzahler

Der Steuerzahler

Der Steuerzahler ist das monatliche Wirtschafts- und Mitgliedermagazin des Bundes der Steuerzahler und erreicht mit fast 230.000 Abonnenten einen weitesten Leserkreis von 1 ...

VideoMarkt

VideoMarkt

VideoMarkt – besser unterhalten. VideoMarkt deckt die gesamte Videobranche ab: Videoverkauf, Videoverleih und digitale Distribution. Das komplette Serviceangebot von VideoMarkt unterstützt die ...