3.1.2. Die Konstruktivistische Lehr-/ Lerntheorie
Für den Konstruktivisten ist jedes Individuum ein selbstreferentielles, autopoietisch abgeschlossenes System, das sich seine eigene Wirklichkeit konstruiert. Diese Konstruktion erfolgt auf Basis vorhandener emotionaler und kognitiver Strukturen. Kriterium hierbei ist nicht eine objektive Wahrheit, die es im Konstruktivismus nicht geben kann, sondern die subjektive Passung. Der Mensch bildet demnach als Beobachter der Welt diese nicht einfach ab, sondern er konstruiert und erschafft das, was er zu erkennen glaubt (vgl. Arnold/ Siebert 1995; vgl. Backes- Haase 2001).
Lernen ist demnach ein Prozess, der durch das lernende Individuum gesteuert wird. Was gelernt wird und wie gelernt wird, entscheidet der Lernende. Im Gegensatz zu den „objektivistischen Lerntheorien“, die auf behavioristische Vorstellungen zurückgehen, begreift der Konstruktivismus den Lernenden als Subjekt, das aktiv am Lernprozess beteiligt ist. Der Lehrende wird somit als „Wissensvermittler“ in Frage gestellt, da der Wissensaufbau ein konstruktiver Prozess ist, der aktiv durch den Lernenden vollzogen wird. Weil hierfür die gesamte Situation, sowohl personinterne wie -externe Faktoren eine Rolle spielen, wird auch von situiertem Lernen oder situierter Kognition gesprochen (vgl. Mandl, Gruber, Renkel 1997, S. 168).
Um diese Bedeutung für das Lernen aus konstruktivistischer Sichtweise noch deutlicher zu fassen, möchte ich hier ein zusammenfassendes Zitat von RUSTEMEYER anführen:
„Eine Übertragung von Wissen zwischen Lernenden und Lehrenden ist ausgeschlossen. Alles Wissen ist eine perspektivische Eigenkonstruktion. Lernen heißt unweigerlich Selberlernen, und der Lehrende weiß nicht, was in den operational geschlossenen Gehirnen der Lernenden vor sich geht. [...] Lernen heißt lediglich, neue, viable Beschreibungen der Welt zu erwerben. [...] Lernerfolge hängen von anregungsreichen Lernumgebungen ab, die die Eigenkonstruktion der Lernenden anspornen. Anregungen erfolgen am Besten durch lebensnahe, ganzheitliche Problemstellungen, die an Erfahrungen und Interesse der Lernenden anknüpfen und emotionale Lernpotentiale ansprechen, so daß Lernen als aktiver Prozess in kollektiven Bezügen möglich wird“ (Rustemeyer 1999, S. 475- 476).
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Lernen erfolgt demnach über einen Austausch der individuellen Deutungen im Hinblick auf die Erreichung einer Perspektivenvielfalt. Die Selbstorganisation ist die Basis allen Lernens, welche die Lernenden als selbstreferentielle Systeme impliziert (Arnold/ Siebert 1995, S. 8).
Der Deutungsaspekt verweist demnach auf eine Wirklichkeitskonstruktion „im Modus der Auslegung“, wobei sich Lernprozesse „im Modus des Zulassens“ vollziehen (nach Lenzen, in Arnold/ Siebert 1995, S. 8).
Vor dem Hintergrund der Theorie des gemäßigten Konstruktivismus können drei wesentliche didaktische Konzepte unterschieden werden (Pätzold 1999, S.118ff.):
1) cognitive flexibility (fallbasiertes Lehren und kontextabhängiges Wissen in verschiedenen Inhaltsbereichen)
2) anchored instruction (didaktische Anker müssen gefunden werden, die die Aufmerksamkeit der Lernenden wecken und motivierend wirken. Beisw. eine Abenteuergeschichte)
3) cognitive apprenticeship (Lehren und Lernen im sozialen Kontext. Novizen lernen von Experten analog zum Modell der Handwerkslehre)
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3.2. FOLGERUNGEN UND FORDERUNGEN DER GEHIRN- FORSCHUNG DER KONSTRUKTIVISTISCHEN LEHR-/
LERNTHEORIE FÜR DIE PRAXIS
In der nun folgenden detaillierten Betrachtung der Folgerungen für die Praxis von WBM, werden die beiden zugrundeliegenden Theorien nicht mehr getrennt voneinander, sondern im Hinblick auf die Verbesserungsmöglichkeiten betrieblicher WBM hin untersucht.
In Anlehnung an Kapitel 2 habe ich ein Schaubild entwickelt, welches die Qualität einer WBM umfassender darstellen soll. Es besteht aus 7 Qualitätskriterien, die die Qualität einer WBM beeinflussen. Der Transfer steht im Mittelpunkt des Modells für die Qualität/ den Erfolg einer Weiterbildung, der sich aus der Summe der einzelnen Bereiche zusammensetzt. Je höher die Qualität der einzelnen Bereiche, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für den Erfolg der WBM.
Kapitel 3: Versuch einer Strukturierung und Erweiterung... 42
Alle 7 Qualitätsbereiche werden zu gleichen Teilen gewichtet und ergeben zusammen ein komplexes „System“, in welchem sich die einzelnen Bereiche gegenseitig beeinflussen. Das Kriterium des Trainers nimmt dabei eine gesonderte Position als „Organisator“ des Systems ein, da sich dessen Funktion direkt oder indirekt auf alle Bereiche auswirkt und somit einen großen Teil der Verantwortung im Bildungsprozess, neben den Teilnehmern selbst und deren Führungskräfte, übernimmt. Die Frage der Professionalität soll in diesem Qualitätsbereich konkret bearbeitet werden. Desweiteren wird die Gewichtung des Trainerverhaltens durch das Qualitätskriterium „Gruppendynamik“ im Modell verstärkt, da dies eigentlich in den Bereich des Trainerverhaltens direkt einzuordnen wäre. Meiner Meinung nach ist die Gruppendynamik innerhalb einer WBM allerdings so wichtig, daß sie in diesem Modell als einzelnes Qualitätskriterium gelten kann.
Die Methoden und eingesetzten Medien sollen Lernprozesse initiieren und unterstützen und wirken sich dadurch direkt auf die Qualität einer WBM aus. Eine lernförderliche Gestaltung der Lernumgebung (Seminarräume) ist Voraussetzung für effektives Lernen und somit ein weiterer Faktor für Qualität.
Das Qualitätskriterium „Teilnehmer“ bezieht sich auf deren Vorwissen sowie deren Lernbereitschaft und Lernfähigkeit, durch welche aktive Lernprozesse erst möglich werden.
Als letztes Qualitätskriterium gilt die Führungskraft der Teilnehmer, da sie, wie in Kapitel 2 beschrieben, einen wesentlichen Beitrag zum Transfererfolg leisten kann.
Kapitel 4: Analyse förderlicher Indikatoren für die jeweiligen Qualitätsbereiche 43
Kapitel 4
Kapitel 4: Analyse förderlicher Indikatoren für die jeweiligen Qualitätsbereiche 44
4. ANALYSE FÖRDERLICHER INDIKATOREN FÜR DIE
JEWEILIGEN QUALITÄTSBEREICHE
Ziel der folgenden Kapitel ist es nun, Indikatoren für die einzelnen Bereiche (auf Grundlage der oben dargestellten Theorien) zu finden, die diese optimieren.
4.1. DIE QUALITÄT DES TRAINERS
„Was macht die Professionalität derer aus, die in Bereichen der - Erwachsenenbildung/ Weiterbildung arbeiten?“ ( Küchler/ Meisel 2000 S.107)
Oder
- „Was ist das Spezifikum pädagogischer Qualität?“ (Schiersmann 2002)
sind die grundlegenden Fragen, welche im folgenden bearbeitet werden. Die Professionalität eines Trainers ist durch soziale und fachliche Kompetenz gekennzeichnet. Unter dem Begriff der sozialen Kompetenz kann auch die pädagogische Qualität gefaßt werden, die einen professionellen Umgang mit Menschen beinhaltet. Sie bezieht sich auf die Kommunikation zwischen dem Trainer und den Teilnehmenden und wird im Qualitätsbereich „Gruppendynamik“ in Kapitel 4.2. näher erläutert. Die fachliche Kompetenz bezieht sich zum einen auf die zu vermittelnden Fachkenntnisse, sowie auf eine wissenschaftliche Grundlage der Lehr-/ Lerntheorie, um Lernprozesse effektiv gestalten zu können. 1 Weiterhin ist für eine professionelle WB die Berücksichtigung der 7 Qualitätskriterien grundlegend, um einem ganzheitlichen Qualitätsanspruch gerecht zu werden.
Die Aufgabe des Trainers besteht in der pädagogischen Umsetzung der vorgesehenen Lernziele in lernerfolgsfördernde Lehr-/ Lernvorgänge (Schmiel/ Sommer 1991, S. 162). Dies impliziert planende und organisierende
Kapitel 4: Analyse förderlicher Indikatoren für die jeweiligen Qualitätsbereiche 45
Fähigkeiten, d.h., daß Inhalte zielführend strukturiert und klar präsentiert werden.
Ausgangspunkt für effektive Weiterbildungsprozesse von Erwachsenen ist die Erkenntnis, daß jedes Individuum eine ihm eigene Struktur besitzt, die keinem anderen Individuum gleicht. Wie in Kapitel 3.1.1. beschrieben, entwickelt jeder Mensch ein anderes Grundmuster im Gehirn und daran aufbauend andere Verbindungen, also ein ganz individuelles...