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E-Book

Von Qualtinger bis Bernhard

Satire und Satiriker in Österreich seit 1945

VerlagStudienverlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl196 Seiten
ISBN9783706558457
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Dieser Band versucht aus verschiedenen Perspektiven zu zeigen, wie Satire funktioniert und warum sie erforderlich ist. Nach einer ausführlichen theoretischen Einleitung geht es um die Medien des Kabaretts, um Satire bei österreichischen Liedermachern (u.a. der Ersten Allgemeinen Verunsicherung) und damit um Zusammenhänge zwischen Satire und Musik, um Satiren auf den Tourismus, um die Frage nach satirischen Zügen im Werk sogenannter 'experimenteller' Autoren, dann um einzelne Satiriker: Helmut Qualtinger, Alois Brandstetter, Thomas Bernhard, Wolfgang Bauer, Felix Mitterer und Christian Wallner (der als Autor von Parodien vorgestellt wird). Ein abschließender Beitrag beschäftigt sich mit kreativem Schreiben von Satire und Parodie in der Schule.

Der Herausgeber, Dr. phil. Sigurd Paul Scheichl, ist Universitätsprofessor (Österreichische Literaturgeschichte und Allgemeine Literaturwissenschaft) am Institut für Germanistik der Universität Innsbruck.

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Leseprobe

Vorwort des Herausgebers


Auch wenn diese Einleitung etwas ausführlicher sein wird, als es in dieser Reihe üblich ist, kann sie doch nicht einmal den Ansatz zu einer Theorie der Satire bieten. Ich verweise dazu auf die wohl beste Abhandlung zum Thema, aus der ich mehrfach zitieren werde: Jürgen BRUMMACK: Zu Begriff und Theorie der Satire. Forschungsbericht, in: Deutsche Vierteljahresschrift 45 (1971), Sonderheft, S. 275–377. Im übrigen gehen auch die Beiträge des Bandes immer wieder auf grundsätzliche Fragen ein.

Wenigstens sei nachdrücklich daran erinnert, daß Satire nicht nur eine literarische Verfahrens-, sondern eher eine universal verbreitete Verhaltensweise ist – und eine recht archaische obendrein. Satire findet sich im Film wie in den grafischen Künsten – Österreichs bekanntester Satiriker ist derzeit mit Sicherheit DEIX –, nicht nur in der Karikatur; auch musikalische Satiren gibt es. Versprachlichte Satire tritt außerhalb der Literatur in allen möglichen Gebrauchsformen auf, auch in journalistischen, im Schlager, in Trivialdramen vom Typ des ‚Sketches‘ und in Formen des Kabaretts, die unter der literarischen Ebene bleiben.

Darüber hinaus ist Satire im Alltag häufig: die Schülerin, die ihren Lehrer imitiert und dadurch dem Gespött der Klasse preisgibt, ist eine Satirikerin. Ähnliches läßt sich über manche Auftritte von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sagen; das Schlagwort vom ‚Unterhaltungswert‘ einzelner Politiker weist in diese Richtung. Ein konkretes Beispiel für solche Alltagssatire: auf einer wissenschaftlichen Tagung fiel ein Teilnehmer durch übereifrige Wortmeldungen in jeder Diskussion auf; der letzte Diskussionsleiter der Veranstaltung, freilich ein hervorragender Kenner satirischer Literatur, reagierte auf dieses Verhalten satirisch: indem er nach dem Vortrag das Wort eben jenem Kollegen erteilte, ohne auch nur den Blick zu dessen Platz zu richten. (Übrigens hatte sich der Übereifrige tatsächlich zu Wort gemeldet ...).

Diese Rolle der Satire im Alltag – auch die traditionellen Maturazeitungen waren satirische Gehversuche –, läßt vermuten, daß die Beschäftigung mit dieser Verfahrensweise auch Selbstbeobachtung von Schülerinnen und Schülern einbeziehen und deren kreatives Potential aktivieren kann; schon von daher läßt sich trotz aller Destruktivität – deretwegen sie in der traditionellen deutschen Ästhetik zugunsten der „Verabsolutierung des versöhnenden Humors“ (BRUMMACK, 328) immer ein wenig am Rande stand – die Einbeziehung der Satire in den Unterricht empfehlen. Zudem ermöglicht die Häufigkeit satirischer Texte in den Medien – beispielsweise bei TRAMONTANA und Elfriede HAMMERL in „profil“ – immer wieder das Anknüpfen an ganz aktuelle Themen.

Was – literarische – Satire nun eigentlich sei, läßt sich schwer definieren. Ganz sicher ist sie keine Gattung; es handelt sich vielmehr um eine Schreibart, eigentlich um eine hinter dem Schreiben stehende Haltung, die in einem literarischen oder anderen Text dominant sein, aber auch nur am Rande, nur an einzelnen Stellen vorkommen kann.

Merkmale satirischen Schreibens sind bei allen Veränderungen im Lauf der Jahrhunderte (BRUMMACK, 333):

–   der – im Text eher mehr als minder deutlich erkennbare – Angriff, der trotz aller Verallgemeinerbarkeit – allein durch diese sind Satiren über die Zeit ihres Anlasses hinaus lesbar – Wirklichkeitsbezug und Aktualität voraussetzt. Daß Satire immer Aggression ist, hat einen Theodor HAECKER, dessen frühe literarische Arbeiten unter dem Eindruck von Karl KRAUS deutlich satirisch-polemischen Charakter haben, dazu bewogen, nach seiner Wendung zum Katholizismus Satire und christliche Haltung für unvereinbar zu halten;

–   eine Norm, auf die sich der Satiriker beruft; diese Norm braucht nicht ein affirmatives Prinzip zu sein, sondern kann durchaus so etwas wie ein abwesendes Ideal sein, ja – und das ist in der Literatur des 20. Jahrhunderts zunehmend häufiger – das bloße Bewußtsein von der Unzumutbarkeit des Bestehenden. Der Vorwurf, Satire reiße nur nieder und vermöge, wenn sie nicht ein positives Ideal habe, nicht aufzubauen, trifft nicht: das Herausarbeiten des als negativ Empfundenen erfüllt bereits die Forderung nach einer Norm; es gibt auch so etwas wie eine Utopie ex negativo, eine Utopie der Abwesenheit des Schlechten. Hinzuweisen wäre auf die satirische Möglichkeit ‚immanenter Kritik‘, die bei aller Distanz zu einer bestimmten Norm einfach überprüft, ob ein Verhalten, das sich auf diese Norm beruft, ihr auch tatsächlich entspricht – etwa in der Kritik bürgerlicher Moralvorstellungen nicht selten;

–   und, das erscheint mir ganz wichtig, Indirektheit des Schreibens. Wenn ich jemanden als ‚Trottel‘ bezeichne, so ist das auch dann keine Satire, wenn ich (was allzu häufig der Fall ist) Recht habe. Wenn ich schreibe, daß eine – für die Leserinnen und Leser – manifeste Dummheit ‚Zeichen der überragenden Intelligenz‘ des betreffenden Trottels sei, dann habe ich durch Ironie meinen Angriff bis zu einem gewissen Grad ästhetisiert; man kann von ‚Satire‘ sprechen. Es wird also nicht nur angegriffen, sondern durch ästhetische Gestaltung bewältigt (BRUMMACK, 355). Obwohl die – schlecht definierte – Polemik ebenfalls mit Mitteln der Indirektheit arbeitet, ist wahrscheinlich doch im unterschiedlichen Ausmaß von Direktheit oder Indirektheit die Differenz zwischen Polemik und Satire zu suchen. Noch deutlicher ist die Besonderheit der Satire vielleicht zu fassen, wenn man sie mit der Predigt vergleicht, die die Norm und, mindestens nicht selten, auch die aggressive Intention mit der Satire gemeinsam hat und wie diese ‚bessern‘ will, aber eben direkt und nicht indirekt vorgeht.

Neben das – wichtige – moralische und neben das psychologische Element der Aggression hat also auch ein ästhetisches zu treten, damit man von ‚Satire‘ sprechen kann. Jürgen BRUMMACK (282) definiert so Satire schließlich als „ästhetisch sozialisierte Aggression“. Zwar hat sie immer einen Zweck, ist sie nie völlig autonom, richtet sich auch immer an ein zumeist genau definierbares Publikum, das sie bis zu einem gewissen Grad bessern will oder bessern zu können vorgibt; doch arbeitet sie mit den gleichen Verfahrensweisen wie sogenannte ästhetisch autonome Gebilde.

Wichtig ist gerade unter diesem ästhetischen Aspekt die Transformation des Anlasses in eine Art Fiktion, in der zum Beispiel reale Menschen sich plötzlich als literarische Figuren wiederfinden können. Diese Transformation ist eine Voraussetzung für die Verallgemeinerung des Angriffs, von der bereits die Rede gewesen ist. Zu dieser Fiktion gehört auch die Einführung eines satirischen Ich, das man nicht ohne weiteres mit dem Autor identifizieren darf; zwischen dem Menschen Karl KRAUS und dem Autor der „Fackel“ besteht ein großer Unterschied.

Satirische Texte sind einerseits aus ihrem Kontext heraus als solche zu erkennen; daneben gibt es aber eine Reihe von sprachlichen Merkmalen, von Stilelementen, die uns auch dann dazu zwingen, einen Text als satirisch zu verstehen, wenn wir den Kontext nicht genau kennen. Denn Satiriker und Satirikerinnen setzen in ihren indirekten Angriffen bevorzugt bestimmte sprachliche Verfahrensweisen ein. Gerade wegen der Verbreitung von Satire auch in der Alltagskultur und wegen ihrer ästhetischen Indirektheit ist es ein wünschenswertes Ziel, Schüler zum Erkennen dieser sprachlichen Merkmale zu erziehen und damit ihre Kommunikationsfähigkeit zu erweitern. (An der Universität habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, daß Studierende mit Ironie und Satire in Texten große Schwierigkeiten hatten.) Leider muß ich mich auf einige Andeutungen über diese sprachlichen Signale beschränken; in den Beiträgen des Bandes finden sich aber genügend Beispiele.

Kennzeichnend für satirische Texte, Satiresignale sind vor allem rhetorische Mittel mit zuspitzendem und kontrastierendem, mit witzigem‘ Effekt, Verstöße gegen Erwartungen, die durch sprachliche Regeln im allgemeinen, durch den Kontext und den Kotext im besonderen aufgebaut werden. Ein schönes Beispiel für einen solchen Bruch mit Kontextwissen, aus einem bundesdeutschen Kabarett, mit ebenfalls typischen Retardierungseffekten: „Wir alle kennen jene erschütternden Bilder: Kilometerlange Menschenschlagen stehen nach minderwertiger Nahrung an. Sie wissen ja sicher alle, was ich meine: Ich rede von McDonalds nach Schulschluß.“ Als solche Verstöße gegen Erwartetes sind auch alle Arten von ‚Pointen‘ anzusehen, die den Witz, aber auch eine so formbewußte Gattung wie das Epigramm geradezu definieren, die jedoch ebenso im Dialog eines Dramas vorkommen können. So die unerwartete Negation in der Replik eines Revolverjournalisten bei Karl KRAUS: „Ich arbeite an einem sehr wichtigen Artikel, der nicht erscheinen soll. Und zwar schon morgen.“ (Die Unüberwindlichen). Ein anderes Beispiel ist die Pointe eines GRILLPARZER’SCHEN Epigramms (1848):

Herr Alfred Becker und Friedrich...

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