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Rassenhygiene und Euthanasie im Dritten Reich

AutorChristopher Schöne, Marion Luger, Nina Krull
VerlagScience Factory
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl206 Seiten
ISBN9783656610441
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis34,99 EUR
Zu den Opfern des Nationalsozialismus gehörten auch körperlich und geistig behinderte Menschen. Man bezeichnete sie als 'lebensunwert' und bildete aus dieser Anschauung die Grundlage für zahllose Verbrechen: Das 'Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses' verhinderte zunächst Eheschließungen zwischen gesunden und behinderten Menschen, um später Zwangsterilisationen und die Ermordung Hunderttausender unter dem Deckmantel der Euthanasie zu rechtfertigen. Der vorliegende Band beleuchtet das Verständnis von Rassenhygiene im Dritten Reich und stellt die Ursachen und Durchführung der Euthanasiemaßnahmen dar, insbesondere die Kindereuthanasie und die Aktion T4. Ein weiterer Schwerpunkt ist das nationalsozialistische Körperverständnis und die damit verbundene Rechtfertigung grausamer Experimente an 'minderwertigen' Menschen. Aus dem Inhalt: Rassenhygiene und Sozialdarwinismus Humanexperimente Zwangssterilisation Euthanasie Aktion T4

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Leseprobe

Einleitung


Wird heutzutage in Bezug auf Äußerlichkeiten hauptsächlich auf Schönheitsideale Wert gelegt, so konnte während des NS-Regimes der menschliche Körper buchstäblich über Leben und Tod entscheiden. In diesem Zusammenhang wird bei dem Begriff „Körper“ deshalb nicht vorrangig zwischen den Geschlechtern differenziert, weil ich aufgrund meiner Lektüre zu der Ansicht gelangt bin, dass zur Zeit der NS-Herrschaft (und bereits davor) der Schwerpunkt auf anderen Einteilungsmustern der Menschen lag (obwohl Frauen noch lange nicht dieselben Rechte wie Männer besaßen).

In dieser Arbeit sollen nun zuerst einige Theorien und Schemata gezeigt werden, aufgrund deren die Menschheit unterteilt wurde. In der Folge wird an einigen Beispielen dargelegt, welche Auswirkungen diese Fixierungen im gesellschaftlichen Gefüge auf einzelne Personengruppen hatten. So wurden diese einerseits zur (Zwangs-) Arbeit herangezogen, andererseits war für sogenannte „lebensunwerte“[46] Personen die Vernichtung vorgesehen, sodass Letztere auch bedenkenlos in Humanversuchen eingesetzt wurden. Abschließend soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass zwar seit den grausamen Verbrechen in Hitlerdeutschland bereits mehr als 50 Jahre vergangen sind, die Gefahr von ähnlichen Vorfällen jedoch noch lange nicht gebannt ist.

Bestimmungsmerkmale für die Entscheidung über Leben und Tod


Zwei gefährliche Zeitströmungen – „Rassenkunde“ und „Sozialdarwinismus“


Ein Beurteilungsschema aufgrund von Äußerlichkeiten war die wissenschaftlich unsinnige „Rassenkunde“. Idealistisch-philosophische Abhandlungen dazu gibt es bereits bei Platon, doch erst im 18. Jahrhundert setzte mit dem Aufschwung der Naturwissenschaften eine planmäßige Forschung auf diesem Gebiet ein. Im wilhelminischen Deutschland wurde sie dann u.a. von Alfred Rosenberg und Alfred Ploetz vertreten. Diese „Rassenhygieniker“ propagierten die Ansicht, dass „die hoch stehende nordische Rasse“ – deren Nachkommen die Deutschen darstellen sollten – nach Körperbau, Charakter und geistigen Fähigkeiten allen anderen Menschen überlegen sei, was zugleich eine Herrschaft legitimiere. Der „ideale Arier“ war von hohem, schlankem Wuchs, langschädelig und schmalgesichtig, blond, blauäugig und hellhäutig. Aufgrund dieser äußerlichen Merkmale schrieb man ihm auch Charaktermerkmale zu, wie Ehrgeiz, Energie und Kühnheit.[47]

Eine weitere Wurzel für die Vernichtungspolitik des NS-Regimes war der „Sozialdarwinismus“. Dabei wurden die Theorien von Charles Darwin über die Rassen im Kampfe ums Dasein vom Tierreich auf die politische Sozialgemeinschaft übertragen. Dieses Phänomen, das auch im Ausland vertreten war, hielt sich dort in Grenzen, während es in Deutschland zur Weltanschauung wurde und die „natürliche Auslese“ zur Bedingung jeder menschlichen Höherentwicklung machte. Da diese Auslese jedoch nach Ansicht der „Rassenkundler“ durch die moderne Zivilisation aufgehoben war, stellten sie die Forderung nach einer quantitativen und qualitativen „Aufartung“ durch Höherzüchtung der „Arischen Rasse“.[48]

Die Einteilung in „hochwertige“ und „minderwertige Rassen“


Sie erfolgte aufgrund der oben erwähnten vorherrschenden Strömungen. Dabei missbrauchte man den aus dem Sanskrit übernommenen Terminus arya („der Edle“) und definierte „den Arier“, der als Angehöriger der „hochwertigen“ Rasse galt, als „Mensch, der frei von anderem (fremdem) Rassenerbgut (Blut) ist. Als fremd gelten außer den Juden alle eingeborenen Rassen der nicht-europäischen Erdteile sowie die Zigeuner.“[49] Durch diese Begriffsbestimmung wurden „Nicht-Arier“ nicht nur als „minderwertig“ deklariert, sondern auch das Blut zum Träger der Rasseneigenschaften bestimmt. Der Nachweis „arischer Abstammung“ wurde gesetzlich zum ersten Mal im „Berufsbeamtengesetz“ vom 7. April 1933 gefordert; danach wurde der sogenannte „Arierparagraph“ Bestandteil zahlreicher Gesetze, Verordnungen, Erlässe und Organisationssatzungen und traf vor allem Juden besonders hart.[50]

Auf die einzelnen Auswirkungen auf Juden soll hier nicht genauer eingegangen werden, da dies den zeitlichen und räumlichen Rahmen sprengen würde. Es ist jedoch zu erwähnen, dass die aufgestellten rassischen Gesichtspunkte nicht ausreichten, um Juden als solche zu identifizieren, und letztendlich zog man – auch im Gesetz – die Religionszugehörigkeit zur Kennzeichnung heran.[51] Insgesamt kostete der von den Nationalsozialisten auf die Spitze getriebene Antisemitismus im Holocaust ca. 6 Mio. jüdische Menschenleben.[52]

Die Unterteilung der deutschen Bevölkerung durch die „Eugenik“


Die „Aufartung“ der Bevölkerung weitete sich auch auf die „hochwertige deutsche Rasse“ aus. In den 1930er Jahren forcierten Psychiater wie Ernst Rüdin, Fritz Lenz u.a. die „Eugenik oder Erbgesundheitslehre“, die das Ziel hatte, erbschädigende Einflüsse und die Verbreitung von Erbkrankheiten zu verhüten. Dabei sollte die Bevölkerung in „hochwertig“, „durchschnittlich“ und „unterwertig“ aufgeteilt werden, wobei die Erfassung von Letzteren, d.h. „Erbkranken“ und „Belasteten“, im Vordergrund stand.[53]

Darunter verstand man seit dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ von 1933 Menschen mit folgenden acht Krankheiten: angeborener Schwachsinn (als schwachsinnig galt jeder, der nicht selbständig einen Beruf ausüben konnte), Schizophrenie, manisch-depressives Irresein, Epilepsie, Veitstanz, erbliche Blind- und Taubheit, schwere körperliche Missbildungen und schwerer Alkoholismus.[54] Die Psychiater wollten mit einer „empirischen Erbprognoseforschung“ den Beweis erbringen, dass jene – ihrer Ansicht nach unheilbaren – Krankheiten zwangsläufig mit einer bestimmten Häufigkeitsrate in den folgenden Generationen auftraten. Gleichzeitig bekannten sie öffentlich, dass kein wissenschaftliches Fundament für diese Annahme existierte. Desto mehr hielten sie daran fest und beschränkten sich bei der Auswahl der „Träger minderwertigen Erbgutes“ auf eine Wahrscheinlichkeitsrechnung.[55]

Im scheinbaren Widerspruch zur „Eugenik“ steht die Propagierung der „Volksgemeinschaft“ durch Hitler:

Über Klassen und Stände, Berufe, Konfessionen und alle übrige Wirrnis des Lebens hinweg erhebt sich die soziale Einheit der deutschen Menschen ohne Ansehung des Standes und der Herkunft, im Blute fundiert, durch ein tausendjähriges Leben zusammengefügt, durch das Schicksal auf Gedeih und Verderb verbunden. [...] Unser Wille ist der Sieg der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft![56]

Aus einem Leitartikel des Propagandaministers Joseph Goebbels geht jedoch klar hervor, was mit diesem Begriff gemeint war: „Wir sind keine Gleichmacher und Menschheitsanbeter [...] Wir wollen Schichtung des Volkes, hoch und niedrig, oben und unten.“[57] So wurde das Konzept der „Volksgemeinschaft“, das über dem Individuum stand, zum ideologischen Rahmen der Ausgrenzung, d.h. Vernichtung von „lebensunwertem Leben“, die sich bald auf alle „unnützen Esser“ erstreckte. Denn im faschistischen „Deutschen Reich“ wurde auch das menschliche Leben einer gnadenlosen Kosten-Nutzen-Rechnung unterworfen.[58] So bezeichnete der Begriff „artfremd“ alle Menschen, die als fremd, schädlich oder unerwünscht angesehen wurden. Dazu zählten u.a. Homosexuelle, Prostituierte, Zuhälter, „Asoziale“ („Arbeits-scheue“, Bettler, etc.).

Als „Volksschädlinge“, gegen die 1939 eine Verordnung erlassen wurde, betrachtete man weiters Plünderer, Diebe, Deserteure und andere Verbrecher, die ihre Straftaten unter Ausnutzung des Kriegszustandes begangen haben sollten.[59]

Insgesamt wurde das soziale Existenzrecht auf diejenigen Angehörigen der unteren Klassen beschränkt, deren Arbeitskraft noch ausreichend verwertbar erschien. Ungefähr sechs Millionen Menschen im „Deutschen Reich“ bestanden diese Zuordnung nicht, weil sie geschwächt, von typischen Armutskrankheiten befallen oder einfach verzweifelt waren. Die „Eugenik“ ignorierte den sozial bedingten Bestandteil von Krankheit.[60]

Doch schlussendlich konnte aufgrund der „Reichstagsbrandverordnung“ von 1933, die unter anderem die Grundrechte der persönlichen Freiheit und der freien Meinungsäußerung außer Kraft setzte, jeder deutsche Bürger willkürlich und ohne Gerichtsurteil durch die Gestapo in politische „Schutzhaft“ genommen und ins KZ eingewiesen werden. Nach Erlass der „Heimtückeverordnung“ von 1933 waren als Verhaftungsgrund z.B. schon beleidigende Äußerungen über Parteiführer ausreichend.[61]

So kam es einerseits zur „Ausmerzung alles Lebensunwerten“, andererseits wurden aber auch familienpolitische Maßnahmen getroffen, um eine „quantitative und qualitative Höherzüchtung der arischen Rasse“ zu erreichen. Man bot neben offensiver Werbung zur Kinderzeugung auch finanzielle...

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