Sie sind hier
E-Book

Rassismus im Wandel. Vom Rassebegriff zum Kulturbegriff

Eine ethnologisch-diachronische Betrachtung des Rassismusdiskurses und des Verhältnisses von Wissenschaft und 'rechtsextremer' Politik

AutorBenjamin Lechner
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl190 Seiten
ISBN9783668112667
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2012 im Fachbereich Kulturwissenschaften - Sonstiges, Note: 2, Universität Wien (Kultur- und Sozialanthropologie), Sprache: Deutsch, Abstract: Das vorliegende Buch befasst sich mit der Transformation des Rassebegriffes hin zum Kulturbegriff. Dabei soll die nationalsozialistische Rassenideologie und die aktuelle ethnopluralistische Logik eines 'Recht auf Differenz' der Neuen Rechten Bewegung in Deutschland und Frankreich einem Vergleich unterzogen werden. Die Rolle der Wissenschaft - insbesondere Ethnologie, Evolutionspsychologie und Verhaltensforschung - scheint von enormer Bedeutung zu sein, um ein differentialistisches Menschheitsbild mit biologistischer Basis zu legitimieren. Daraus wird ersichtlich, dass die Diskursstrangtransformation des Rassismus, unter gegenseitiger Einflussnahme von Wissenschaft und rechtsextremer Politik, von einer Kontinuität im Wandel gekennzeichnet ist.

Benjamin Lechner; geboren 1982 in Tirol, Dipl. Kultur- und Sozialanthropologe, studierte Kultur- und Sozialanthropologie und Internationale Entwicklung in Wien. Schwerpunkte seines anthropologischen Ansatzes sind historische Entwicklungen politischer Phänomene. Derzeit ist er als Sozialpädagoge in der Flüchtlingsbetreuung tätig.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

Einleitung


 

Eine zunehmende Fokussierung auf die ethnische und kulturelle Zugehörigkeit lässt sich in der rechten Politik- und Medienlandschaft längst nicht mehr von der Hand weisen. So wird „Kultur“ vor allem nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1989 als neues, ordnungsstiftendes Element der Gesellschaft eingeführt. Die Rede von ethnischen Spannungen und Konflikten erscheint in diesem Zusammenhang aktueller denn je. Auf nationaler Ebene explodieren geradezu - nicht zuletzt auch wegen Thilo Sarrazins umstrittenen Buches Deutschland schafft sich ab (2010) - die Debatten über Einwanderungspolitik, Asylpolitik, den so genannten „Zuwanderungsstopp“, Multikulturalismus, interkulturelle Erziehung, etc. Die Formierung dieser Debatten entsteht meist im politischen Feld und wird dahingehend auch über politische Entscheidungsträger geregelt. Diese verfügen letztlich über Mittel und Ressourcen, einen meinungsbildenden Diskurs via Medien in die Öffentlichkeit zu transportieren, um eine kulturalistische Diskussion gesellschaftlicher Strukturen zu generieren. Gesellschaftliche Konflikte erscheinen plötzlich im Lichte kultureller Determinanten und präsentieren sich als kulturell motivierte Konflikte. Auf internationaler Ebene wird die Hochblüte der in den Medien als ethnisch oder kulturell dargestellten Konflikte seit Mitte der 90er Jahre mit dem Zerfall der UDSSR, dem Völkermord in Ruanda und der schrittweisen Auflösung Jugoslawiens immer noch aufrechterhalten. Minderheitenkonflikte, Separationsbestrebungen und Sezessionsbewegungen sind die Folge, durchziehen die Medienlandschaft und werden von Politikern dankend zur politischen Instrumentalisierung einer kulturalistischen Ideologie verwertet. Ursachen und Lösungsansätze kultureller Probleme liegen dann nicht nur von Politikern, sondern auch von Wissenschaftlern verschiedenster Richtungen nur allzu schnell parat.

 

Auch wenn die Reibungspunkte vermeintlicher Konflikte zwischen Gruppen verschiedenste Ursachen haben können, so lässt sich doch immer wieder dasselbe Prinzip beobachten: als Dreh- und Angelpunkt sämtlicher Debatten, wo die „einheimische“ auf die „ausländische Bevölkerung“ trifft, wird der Begriff der Kultur und eine damit einhergehende Konzentration auf kulturelle Unterschiede vorangestellt.

 

In der Kultur- und Sozialanthropologie (ehemals Ethnologie) ist die „Kultur“ einer der Hauptuntersuchungsgegenstände. Was darunter aber in Forscherkreisen verstanden werden soll, darüber herrscht nicht nur aufgrund unzähliger Definitionsversuche von Kultur keineswegs Einigkeit. Das Verständnis von Kultur dürfte auch für ein in der jeweiligen Gesellschaft verhaftetes Individuum undurchsichtigen, allenfalls subjektiven Charakter besitzen. Denn Kultur hat für jeden Menschen eine andere Bedeutung. Wenn oft die Rede von typischen Phrasen wie „die haben einfach eine andere Mentalität“, oder „die sind einfach anders“ ist, werden konkrete Präzisierungen und Begründungen dieser Aussagen ausbleiben. Meist verstecken sich hinter klischeehaften und vorurteilsbehafteten Vorstellungen über die „Anderen“ primordialistische und kulturessentialistische Ansichten kultureller Differenzen. Diese Annahme führt uns zu der Frage, wie sich Bilder der Selbst- und Fremdwahrnehmung in das öffentliche Bewusstsein einer Gesellschaft einspeisen. Festgehalten werden kann, dass die gesetzte Agenda oft über das politische Feld initiiert wird.

 

Längst nicht mehr allerdings obliegt nur rechtspopulistischen Agitatoren die Aufgabe, die „Anderen“ in ihrer Unterschiedlichkeit zu „Uns“ zu konstruieren und ihnen deshalb eine andere Behandlung auf zu bürden. Politiker werden nämlich auch durch wissenschaftliche Ansätze in ihrer rechtskonservativen bzw. rechtsextremen Einstellung beeinflusst und eignen sich anhand wissenschaftlich brauchbarer Erkenntnisse eine Rechtfertigung für ihr Gesellschaftsbild an.

 

Die Art und Weise wie dabei der Begriff Kultur eingesetzt wird und welcher Positionierung der kulturelle Faktor im ideologischen Menschenbild rechts orientierter Politiker unterliegt, erinnert dabei teilweise, wenn auch nicht so wirkungsstark, an biologistisch angelehnte Menschheitsbilder rassistischer Diktaturen. Die Strukturen der Ursachenfindung von kulturellen Problemen und die ideologische Rechtfertigung von Lösungsansätzen können dabei Gemeinsamkeiten zu jenen Systemen aufweisen.

 

Dieser Erkenntnis Rechnung tragend verhalf mir per Zufall ein Internetartikel von Angelika Magiros, moderne und postmoderne Konzepte in der Rassismustheorie, für die Erstellung dieses Buches, respektive Forschungshypothese heranzuziehen. Mit der These, dass der Begriff Rasse in den Hintergrund treten musste um dem Begriff der Kultur Platz zu machen, gewinnt das Primat der unaufhebbaren Differenzen der Kulturen immer mehr an Bedeutung. Insbesondere bei der Bewegung der Neuen Rechten lässt sich dieser ideologische Wandel vom Rassebegriff hin zum Kulturbegriff in Form des kulturellen Rassismus festmachen. Die Logik des so genannten Ethnopluralismus erweist sich hierbei als das zentrale Ideologiefragment.

 

Die Rolle der Wissenschaftler erscheint dabei von besonderer Relevanz, sind die in diesem Buch zu untersuchenden Wissenschaftler doch auf den ersten Blick nicht zwingend einem rassistischen Gedankengut verfallen, sondern zeichnen sich vielmehr durch eine politisch korrekte und renommierte Expertise ihres jeweiligen Faches aus. Mein Interesse gilt also auch jenen vermeintlich wertfreien Wissenschaftlern, die eben jener Transformation vom Rasse- zum Kulturbegriff Vorschub leisteten und durchaus willentlich auf politische Gesellschaftskonzepte im Sinne eines ethnischen Pluralismus Einfluss üben wollen.

 

Forschungsstand


 

Über den Forschungsgegenstand Rassismus wurden in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Werke publiziert, deren analytische Herangehensweise unterschiedlichste Formen annimmt. Wichtige Theoretiker, die einen allgemeinen Zugang zum Thema Rassismus unternommen haben, sollen in diesem Buch Anwendung finden.

 

Einen grundlegenden Einstieg in die Thematik der Rassismusforschung bieten Immanuel Geiss mit Geschichte des Rassismus (1988) und Robert Miles (1991), wo detailreich einem historischen Überblick des Rassebegriffes und der theoretischen Verortung von Rassismus nach gegangen wird. Die im aktuellen Rassismusdiskurs immer noch anerkannteste Definition von Rassismus (biologisch) wurde durch Albert Memmis Buch Rassismus (1982) in die wissenschaftliche Diskussion eingeführt. Aktuellen Ansätzen der Rassismusforschung, welche Rassismus als sozial konstruiertes Phänomen behandeln, kommt Wulf Hund in seinem Werk Rassismus (2007) nach. Konkrete Analysen, die sich mit differentiellen oder kulturellen Formen von Rassismus (Neorassismus) beschäftigen stammen von Pierre-André Taguieff (1988), Mark Terkessidis (1995) oder auch Etienne Balibar (1990). Aus dem Gebiet der Cultural Studies stellen Stuart Halls (1989, 1994) Forschungen zu Neorassismus und kultureller Identität eine wichtige Grundlage zur Untersuchung differentialistischer Formen von Rassismus dar. Einer diskursanalytischen Erforschung des differentiellen Rassismus werden unter anderem Teun Adrianus van Dijk (1993) und Siegfried Jäger (1999) gerecht.

 

Über das komplexe Verhältnis zwischen Nationalsozialismus und Ethnologie findet sich bis heute nicht ausreichend Literatur, weshalb an dieser Stelle zu dringendem Nachholbedarf appelliert werden soll. Nur wenige haben es bisher gewagt sich mit der umstrittenen Rolle der Ethnologie im NS-Regime auseinander zu setzen. Zu nennen wären hier Bernhard Streck mit Ethnologie und Nationalsozialismus (2000), Peter Linimyr mit Wiener Völkerkunde im Nationalsozialismus (1994), Hans Fischer mit Völkerkunde im Nationalsozialismus (1990), Thomas Hauschild mit Lebenslust und Fremdenfurcht (1995), Karl Pusman mit Die "Wissenschaften vom Menschen" auf Wiener Boden (1870 - 1959) (2008), André Gingrich mit German Anthropology during the Nazi Period (2005) und Walter Dostal mit Silence in the darkness (1994).

 

Relevante Texte zur Bewegung der Neuen Rechte bzw. zum intellektuellen Rechtsextremismus sind hingegen zahlreicher vorhanden. Mit Struktur, Organisation, Geschichte und Ideologie neurechter Gruppierungen befassen sich insbesondere Armin Pfahl-Traughber mit „Konservative Revolution“ und „Neue Rechte“ (1998), Wolfgang Gessenharter und Thomas Pfeiffer mit Neue Rechte – eine Gefahr für die Demokratie? (2004), Margret Feit mit Die Neue Rechte in der Bundesrepublik (1987) als auch Uwe Backes und Eckhard Jesse mit Politischer Extremismus in der Bundesrepublik (1989). Die Thematik des Ethnopluralismus, welcher das ideologische Kernelement neurechten Denkens darstellt, wurde bisher keiner zufrieden stellenden Untersuchung unterzogen. Dennoch liefern einige Autoren wie Gero Fischer mit Ethnopluralismus, Multikulturalismus und interkulturelle Erziehung (1998), Thomas Meyer mit Identitätswahn (1997) oder auch Armin Pfahl-Traughber (1998) eine solide Basis für weiterführende Forschungsarbeiten.

 

Die Literaturlage bezüglich des Verhältnisses zwischen Wissenschaft und Neuer Rechten Bewegung...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Anthropologie - Das Wesen des Menschen

Weitere Zeitschriften

Atalanta

Atalanta

Atalanta ist die Zeitschrift der Deutschen Forschungszentrale für Schmetterlingswanderung. Im Atalanta-Magazin werden Themen behandelt wie Wanderfalterforschung, Systematik, Taxonomie und Ökologie. ...

küche + raum

küche + raum

Internationale Fachzeitschrift für Küchenforschung und Küchenplanung. Mit Fachinformationen für Küchenfachhändler, -spezialisten und -planer in Küchenstudios, Möbelfachgeschäften und den ...

DHS

DHS

Die Flugzeuge der NVA Neben unser F-40 Reihe, soll mit der DHS die Geschichte der "anderen" deutschen Luftwaffe, den Luftstreitkräften der Nationalen Volksarmee (NVA-LSK) der ehemaligen DDR ...

Euro am Sonntag

Euro am Sonntag

Deutschlands aktuelleste Finanz-Wochenzeitung Jede Woche neu bietet €uro am Sonntag Antworten auf die wichtigsten Fragen zu den Themen Geldanlage und Vermögensaufbau. Auch komplexe Sachverhalte ...