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Rassismus und Menschenfeindlichkeit in der Mitte der Gesellschaft. Perspektiven der Intervention für die Soziale Arbeit

AutorAnna-Serafina Löffler
VerlagStudylab
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl87 Seiten
ISBN9783668349124
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis20,99 EUR
Die deutsche Gesellschaft ist tief gespalten, ob und wie die 'Flüchtlingskrise' für die Bundesrepublik zu bewältigen ist. Dabei wird der Diskurs um Flucht und Migration und die einhergehenden 'Überfremdungs-' und Abstiegsängste durch rassistische und menschenfeindliche Ressentiments instrumentalisiert. Wie haben sich rassistische und menschenfeindliche Einstellung in der Mitte der deutschen Gesellschaft seit der erstarkten Flüchtlingsbewegung entwickelt? Wo und wie vermag es die Soziale Arbeit zu intervenieren? Diese Fragen sind Gegenstand dieser Arbeit. Migranten und Geflüchtete werden meist nicht wegen ihres besonderen Aufenthaltsstatus angegriffen, sondern weil sie als marginalisierte Gruppe aus dem 'imaginierten' deutschen Volk'' exkludiert und aus rassistischen Beweggründen angefeindet werden. Der Fokus der Untersuchung liegt auf der Flüchtlingssituation, bezieht aber stellenweise die gesamte Migrationsgesellschaft mit ein, da sie ebenso im Fokus von Rassismus und Menschenfeindlichkeit steht. Aus dem Inhalt: -Rassismus in Deutschland; -Die Debatte um Flucht und Asyl; -Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit; -Die Mitte und die 'Flüchtlingskrise'; -Intervention durch Soziale Arbeit

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Leseprobe

2. Bedeutungskonstrukte


 

2.1 Rassismus oder Ausländerfeindlichkeit?


 

Wenn Migrant*innen in Deutschland marginalisiert, abgelehnt oder diskriminiert werden, wird dies hierzulande meist als „ausländerfeindlich“ und nicht als „rassistisch“ charakterisiert. Durch den Begriff „Ausländerfeindlichkeit“ wird jedoch das Objekt sowie der Mechanismus von Diskriminierungen und Ausschließungspraxen verschleiert. „Ausländerfeindlichkeit“ suggeriert, dass alle „Ausländer*innen“ marginalisiert werden, wobei eine differenzierte Betrachtung gegenüber Vorbehalten unterschiedlicher Nationalitäten und damit einhergehender Ablehnungshaltung außen vorgelassen werden. Der Begriff ist sehr unpräzise, da sich „Ausländerfeindlichkeit“ nicht nur gegen Ausländer*innen, sondern auch auf Deutsche mit Migrationshintergrund beziehen kann.

 

Diskriminierung von Ausländer*innen wird nicht nur durch Feindlichkeit, sondern auch durch den irreführenden Begriff „Ausländer-freundlichkeit“ kennzeichnen, wenn Migrant*innen als unfähige und hilflose Opfer wahrgenommen werden und ihnen hier durch subjektiv wohlwollende – bisweilen paternalistische Positionen die eigene Handlungsfähigkeit aberkannt wird (vgl. Schwark 1998: 85). Hierbei kann es sich trotz ausbleibender feindlicher Absicht auch um Rassismus handeln (vgl. Kalpaka/Räthzel 1994: 12).

 

Ein Versuch, den Auslandsbezug zu erweitern, stellt der Begriff „Fremdenfeindlichkeit“ dar, der ausdrücken soll, dass sich Menschen feindlich gegenüber anderen verhalten, weil ihnen diese als fremdartig erscheinen. Dennoch impliziert diese auch feindliche Gesinnung gegenüber Zugereisten, Tourist*innen, sowie allen, die nicht der eigenen Identifikationsgruppe als zugehörig angesehen werden und bezieht sich nicht nur ausschließlich auf Menschen denen zugeschrieben wird, Migrant*innen oder Geflüchtete zu sein (vgl. Netz-gegen-Nazis 2015 (1)).

 

Im Forschungsprojekt unter der Leitung von Wilhelm Heitmeyer an der Universität Bielefeld wird Fremdenfeindlichkeit in der Studie zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF) folgendermaßen definiert: „Fremdenfeindlichkeit bezieht sich auf bedrohlich wahrgenommene kulturelle Differenz und materielle Konkurrenz um knappe Ressourcen" (Zick/ Klein/ Groß 2014: 63). Doch auch hier werden Opfer von Fremdenfeindlichkeit hinsichtlich ihrer Haar- und Hautfarbe, biologischer Merkmale oder aufgrund (angenommener) kultureller Differenzen diskriminiert, angefeindet oder angegriffen. Im Endeffekt ist auch dies nichts Anderes als Rassismus (vgl. Netz-gegen-Nazis 2015 (1)).

 

Zu konstatieren ist, dass dem Rassismus-Begriff hinsichtlich der deutschen Historie und seiner gesellschaftlichen Relevanz gegengelenkt wird (vgl. Schwark 1998: 85). Bis zu Beginn der neunziger Jahre war der Begriff in Deutschland noch weitgehend verpönt. Rassismus wurde begrifflich lediglich für Handlungen und Gedanken genutzt, die auf dem Konzept der „Rasse“ basierten. Hinsichtlich der Situation zu Beginn der achtziger Jahre, als die Wirtschaftskrise, Vorbehalte der deutschen Bevölkerung, die Politisierung des „Ausländerproblems“ und rechtsmotivierte Terroranschläge gegen Migrant*innen konvergierten, entstand eine Diskussion über die Situation von Migrant*innen. Hierfür schien der Begriff Rassismus für die damaligen Verhältnisse und unter Betrachtung des Holocaust unangemessen und stelle die Singularität des Holocausts in Frage, weswegen man sich durch Begriffe wie Ausländerfeindlichkeit sowie Fremdenfeindlichkeit behalf (Vgl. Terkessidis 2004: 13).

 

Gegen die Verwendung des Terminus Rassismus anstelle des Begriffs Ausländerfeindlichkeit wurde angebracht, dass es sich bei den Immigrierten nicht um eine andere „Rasse“ handle. Allein diese Argumentation gründet auf der Vorstellung tatsächlich existenter „Rassen“. Die Präsenz des Rasse-Diskurses ist somit die Vorbedingung, um überhaupt von Rassismus sprechen zu können.

 

Als Beispieldefinition lässt sich hier die Erklärung der Bundeszentrale für Politische Bildung anführen:

 

„Rasse ist ein biologischer Begriff, der darauf verweist, dass es von einer Spezies oder Gattung (z. B. dem Menschen) mehrere verschiedene Arten oder Rassen gibt, die sich durch vererbliche äußerliche Merkmale unterscheiden lassen.

 

Der (politische, soziale) Rassismus nimmt diese äußerlichen Merkmale auf, überhöht sie in Bezug auf die eigene Rasse und wertet sie in Bezug auf andere Rassen ab; er fördert damit das Überlegenheitsgefühl und erzeugt Vorurteile, Ablehnung und Feindseligkeit gegenüber anderen Rassen. Alle Formen des Rassismus übersehen (bzw. leugnen), dass

 

1. die Spezies Mensch zwar über bestimmte erblich erworbene Anlagen verfügt, die aber immer in der (politischen, sozialen, ökonomischen) Umwelt geformt werden und

2. die Unterschiede innerhalb einer Rasse größer sind, als die Unterschiede zwischen den Rassen.“ (Schubert/Klein 2016)

 

Hieraus ist erkennbar, dass sich die Definition auf die Existenz von Menschenrassen bezieht. Daher ist diese Auslegung des Begriffes unangemessen (vgl. Kap. 2.2 Die Konstruktion von Rasse). Eine andere Definition, die ein weitgefassteres Verständnis von Rassismus aufweist, konkretisiert Rassismus wie folgt:

 

„Rassismus ist, wenn Menschen ungerecht oder intolerant behandelt werden, gedemütigt, beleidigt, bedroht oder an Leib und Leben gefährdet werden aufgrund einer der folgenden Merkmale:

 

- bestimmte körperliche Merkmale (wie Hautfarbe, Aussehen, Behinderung etc.)

 

- ethnische Herkunft oder Staatsangehörigkeit

 

- bestimmte kulturelle Merkmale (wie Sprache oder Name)

 

- religiöse Zugehörigkeit“ (Eckmann/ Eser Davolio/ Wenker 2002)

 

Eine Definition, die sich beispielhaft für die klassische Form des Rassismus anführen lässt, findet sich in der „Stellungnahme zur Rassenfrage“ der UNESCO:

 

„[...] Rassismus ist der Glaube, dass menschliche Populationen sich in genetisch bedingten Merkmalen von sozialem Wert unterscheiden, so dass bestimmte Gruppen gegenüber anderen höherwertig oder minderwertig sind. Es gibt keinen wissenschaftlichen Beleg, mit dem dieser Glaube gestützt werden könnte [...].“ (Seidler et. al 1995: 2)

 

2.2 Die Konstruktion des Rassebegriffs


 

Die Verwendung des Wortes „Rasse“ findet sich in wenigstens drei unterschiedlichen Diskursen. Der Begriff taucht in der Wissenschaft, vor allem im sozialwissenschaftlichen und im biologischen (bzw. im genetischen) Diskurs sowie im Alltagsdiskurs auf und findet auch im Politischen Verwendung. (vgl. Miles 1992: 94)

 

Die Herausbildung der im Alltagsdenken immer noch gängigen Differenzierung in unterschiedlich farbige „Menschenrassen“ ist auf die obsolete Unterteilung in der Biologie zurückzuführen, in der Menschengruppen aufgrund divergenter physischer Charakteristika wie beispielsweise der Augen-, Haut- und Haarfarbe in „Rassen“ klassifiziert wurden. Mittlerweile wird in der Biologie dieses Unterscheidungskriterium nicht mehr verwendet, da es keine wissenschaftliche Rechtfertigung für diese Klassifizierung durch phänotypische Merkmale gibt. Die gegenwärtig gängige Methode der Unterscheidung ist die Erforschung der Abundanz bestimmter Genkombinationen in einer Bevölkerungsgruppe. Obwohl sich das wissenschaftliche Vorgehen bei der Unterscheidung zweifellos nicht mehr der phänotypischen Differenzen bedient, sondern der genetischen Varianz, bestand in der Biologie lange kein Konsens darüber, ob sich dies auch in der wissenschaftlichen Terminologie wiederspiegeln müsse, beziehungsweise inwiefern durch Genvariation definierte Menschengruppen als „Rassen“ benennbar seien oder nicht. (vgl. Miles 1982: 18f.; Kalpaka/Rätzel 1994: 12f.).

 

Zweifellos gibt es aus gegenwertiger wissenschaftlicher Perspektive keine Rechtfertigung dafür, den Begriff „Rasse“ zu verwenden.

 

Eine hier übereinkommende Stellungnahme einer Arbeitsgruppe von 18 internationalen Wissenschaftlern wurde im Juni 1995 auf einer Konferenz im österreichischen Schadtschlaining verfasst. Im Zuge der Konferenz "Gegen Rassismus, Gewalt und Diskriminierung", zu der die UNESCO sowie die Universität Wien einluden, veröffentlichte der Arbeitskreis unter der Leitung des Wiener Anthropologen Prof. Dr. Horst Seidler eine „Stellungnahme zur Rassenfrage“, in der es heißt:

 

„Das Konzept der "Rasse" [...] ist völlig obsolet geworden. Dessen ungeachtet ist dieses Konzept dazu benutzt worden, gänzlich unannehmbare Verletzungen der Menschenrechte zu rechtfertigen. Ein wichtiger Schritt, einem solchen Missbrauch genetischer Argumente vorzubeugen, besteht darin, das überholte Konzept der "Rasse" durch Vorstellungen und Schlussfolgerungen zu ersetzen, die auf einem gültigen Verständnis genetischer Variation beruhen, das für menschliche Populationen angemessen ist. [...] Die neuen wissenschaftlichen Befunde stützen nicht die frühere Auffassung, dass menschliche Populationen in getrennte "Rassen", [...] klassifiziert werden könnten. Im Einzelnen können zwischen den menschlichen Populationen, einschließlich...

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