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E-Book

Rausch und Stille

Beethovens Sinfonien

AutorKarl-Heinz Ott
VerlagHoffmann und Campe Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783455003987
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
 'Eines der schönsten Bücher über Beethoven.' René Aguigah, Das Blaue Sofa  Ludwig van Beethovens neun Sinfonien sind Meilensteine der Musikgeschichte: Nie zuvor hat reine Instrumentalmusik einen so vielschichtigen, klanggewaltigen Kosmos erschaffen. Karl-Heinz Ott lädt uns ein auf eine literarisch-philosophisch inspirierte Reise, spürt der Wirkung der Sinfonien durch die Jahrhunderte nach, erzählt von dem Rausch, in den sie uns versetzen, und fragt: Warum entfaltet diese Musik nach wie vor einen solchen Sog? Für Kenner wie Einsteiger gleichermaßen ein Gewinn.

Karl-Heinz Ott wurde 1957 in Ehingen an der Donau geboren. Für sein Werk ist er mehrfach ausgezeichnet worden, u. a. mit dem Friedrich-Hölderlin-Förderpreis (1990), dem Alemannischen Literaturpreis (2005), dem Preis der LiteraTour Nord (2006) und dem Wolfgang-Koeppen-Preis (2014). Zuletzt erschien von ihm u. a. Tumult und Grazie. Über Georg Friedrich Händel (2008) und die Romane Die Auferstehung sowie Und jeden Morgen das Meer. Karl-Heinz Ott lebt in Freiburg

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Leseprobe

Der Mann mit der Mähne


Woran denken wir bei Beethoven? An eine wilde Mähne und an Elise. Auch die vier Schicksalsschläge der fünften Sinfonie – da-da-da-daaa! – kennt vermutlich jedes Kind, und die Ode an die Freude. Sie ist der berühmteste humanistische Hit der Welt, vielen inzwischen besser als Song of Joy bekannt.

Woran denken wir bei Beethoven noch? An ein grimmiges Gesicht mit wilder Mähne und an alabasterne Büsten auf schwarzen Flügeln, die Ehrfurcht einflößen. Für die einen ist er ein Titan, für die andern ein Revolutionär. Beides schließt sich nicht aus. Gemütlich wirkt an ihm nichts. Bei weltgeschichtlichen Anlässen spielt man nicht Mozart oder Haydn, sondern Beethovens Neunte. Man kann sich Beethoven auch nicht mit einem Rokoko-Zopf vorstellen, wie man ihn noch von den beiden andern kennt.

Und woran denken wir außerdem? Dass er taub geworden ist und seine eigenen Werke nicht mehr gehört hat. Auch die Geschichte mit Napoleon zieht bis heute ihre Kreise: Beethoven will ihm seine dritte Sinfonie widmen, zerreißt aber das Widmungsblatt, als er hört, dass er sich zum Kaiser krönen lässt. Ebenso wird eine Begegnung mit Goethe kolportiert: Die beiden sitzen im böhmischen Kurort Teplitz auf einer Bank, es kommen adlige Herrschaften vorbei, Goethe will aufspringen, den Hut zücken, einen Knicks machen, Beethoven zerrt ihn am Ärmel zurück. Später schreibt er an Goethes Freundin Bettina von Arnim: »Ich sah zu meinem wahren Spaß die Prozession an Goethe vorbei defilieren, er stand mit abgezogenem Hut tief gebückt an der Seite. Dann habe ich ihm noch den Kopf gewaschen, ich gab kein Pardon und hab’ ihm all seine Sünden vorgeworfen.« Seinen Verleger Härtel lässt Beethoven wissen: »Goethe behagt die Hofluft sehr. Mehr als einem Dichter ziemt.«

Goethe dagegen schreibt an seinen Liedkomponisten Zelter, Beethoven sei »leider eine ganz ungebändigte Persönlichkeit, die zwar gar nicht unrecht hat, wenn sie die Welt detestabel findet, aber sie freilich dadurch weder für sich noch für andere genussreicher macht.« Worauf Zelter bestätigt: »Auch ich bewundere ihn mit Schrecken. Seine eigenen Werke scheinen ihm heimliches Grauen zu verursachen.« Bald schon macht die Teplitzer Begegnung die Runde und wird lange kommentiert, wie etwa von Nietzsche, dem Beethoven neben dem Weimarer Höfling wie »die Halbbarbarei neben der Kultur« vorkommt, was in Nietzsches Augen ganz und gar für Beethoven spricht.

Allerdings ist auch Beethoven noch abhängig von adligen Herrschaften. Sie erteilen ihm Aufträge und sorgen für Aufführungsmöglichkeiten. Doch er rebelliert gegen sie, nicht nur im Stillen, auch öffentlich. In einem gräflichen Haus schlägt er den Klavierdeckel zu, weil während seines Spiels ein Flüstern zu hören ist. Anders als heute lauscht man damals noch nicht in heiliger Andacht. Mozart und Haydn sind es gewohnt, dass die Leute plaudern, während man musiziert.

Beethoven gilt als Kraftnatur, als ruppig, unwirsch, ungestüm. Wie seine Musik. Er ist klein von Wuchs, muss zu andern hochschauen, will es aber nicht. Verwildert sehe er aus, berichten Zeitgenossen. Im Wirtshaus schmeiße er zu hart gekochte Eier den Kellnern hinterher, und zwar regelmäßig. Wolfgang Hildesheimer behauptet in seinem Mozart-Buch: »Von Beethoven bis Gustav Mahler reicht eine repräsentative Reihe großer Männer, die niemals gelacht zu haben scheinen.« Zeitgenossen dagegen erzählen immer wieder von Beethovens Witz. Es scheint freilich kein gemütlicher Witz gewesen zu sein. Von Franz Grillparzer sind die Sätze überliefert: »Beethoven machte gerne und oft Späße, die so ganz aus der Art des gesellschaftlichen Lebens hinausschlugen. Seine Launen arteten mitunter geradezu in Widerwärtigkeiten aus, und doch lag bei all diesen Extravaganzen etwas so unaussprechlich Rührendes und Erhebendes in ihm, dass man ihn hochschätzen musste und sich an ihn gezogen fühlte. Nur zum näheren Umgange war er eigentlich nur für Freunde geeignet.« Auch Beethovens Klavier-Rondo Die Wut über den verlorenen Groschen, seine Bagatellen und Scherzi lassen auf kein tierisch ernstes Wesen schließen. Zu Lebzeiten wird seine Musik häufig mit Jean Pauls Dichtung verglichen, der man alles, nur keinen Mangel an Skurrilität nachsagen kann.

 

Beethoven stammt aus einfachen Verhältnissen. Sein Vater ist ein Sänger und Säufer, der aus seinem Sohn mit aller Gewalt ein Wunderkind machen will. Die Vorfahren stammen aus dem flämischen Trabant, dem die Familie das Van im Namen verdankt. Nimmt man den Namen bei seinen etymologischen Wurzeln, so stammen die Beethovens von einem Hof, auf dem Rote Bete angebaut worden ist. Als Beethoven nach dem Tod seines Bruders der ungeliebten Schwägerin den Neffen wegnehmen will, kommt es in Wien zum Prozess. Er findet vor dem kaiserlich-königlichen Landrecht statt, einem Gericht, das für Adelsangelegenheiten zuständig ist. Als die Frage aufkommt, ob Beethoven überhaupt adlig ist, beharrt er auf seiner aristokratischen Herkunft, obwohl das Van im Niederländischen nur die geographische Herkunft anzeigt. Dabei ist er Anhänger der Französischen Revolution und schlägt den Klavierdeckel zu, wenn das noble Pack nicht ergriffen zuhört. Ludwig Tieck erzählt einem Bekannten, er habe mit eigenen Augen gesehen, wie Beethoven die Marmorbüste seines Gönners Fürst Lichnowsky zertrümmert und geschrien habe: »Alle Adligen sind Hunde!«

Obwohl klassische Musik lange als Inbegriff kolonisatorischer Kultur galt, wird Beethoven im Amerika der 1960er Jahre zum Schwarzen gekürt. Auf einem berühmten Plakat sieht man ihn mit schwarzer Haarpracht, schwarzem Bart und dunkler Haut. Der Rolling Stone veröffentlicht ein Poster mit einem Afrolook-Beethoven und dem Titel: Beethoven Was Black & Proud! Auch auf akademischer Seite versucht man nachzuweisen, dass Beethovens mütterliche Vorfahren aus Andalusien stammen oder aus dem Maghreb, von wo sie nach Flandern ausgewandert sind, als die niederländischen Provinzen noch zu Spanien gehört haben. Solche Spekulationen finden sogar Nahrung in der Tatsache, dass Beethoven während seiner letzten Jahre im Wiener Schwarzspanierhaus gelebt hat, einem aufgelösten Kloster des benediktinischen Schwarzspanierordens. Wie sehr die Geschichte vom maurischen Beethoven eine Zeitlang im Schwange ist, zeigt auch eine Erzählung der südafrikanischen Nobelpreisträgerin Nadine Gordimer, die von einem weißen Professor handelt, der vor seinen schwarzen Studenten betonen zu müssen glaubt, dass Beethoven zu einem Sechzehntel schwarz gewesen ist. Was immer man von solchen Mutmaßungen hält, fest steht, dass Beethoven auf manchen Gemälden reichlich dunkel aussieht, zumindest für jemanden, der aus dem Rheinland stammt. Fest steht ebenso, dass weder Bach noch Bruckner noch Brahms und auch kein Händel, Mozart und Haydn sich für solche Projektionen eignen. Beethoven haftet etwas Rebellisches an, etwas Auffahrendes, Brüskes, Spottlustiges, Renitentes. Man hört es nicht nur seiner Musik an, es steht ihm ins Gesicht geschrieben.

Mit seiner Oper Fidelio und seiner Neunten erweist er sich aber auch als Friedens- und Freiheitskünder. Durs Grünbein schildert in Die Jahre im Zoo, einem autobiographischen Rückblick auf die DDR, wie im Herbst 1989 Parteibonzen in der Dresdner Semperoper Beethovens Gefangenenchor genießen, während draußen Polizisten mit Wasserwerfern und Schlagstöcken gegen Demonstranten vorgehen, die nicht mehr hinter einer Mauer leben wollen. Mit keiner anderen Oper ließe sich eine solche Paradoxie entfalten. Leonard Bernstein führt nach dem Mauerfall in Berlin die Neunte auf und wandelt Schillers Ode an die Freude ab in Ode an die Freiheit.

Allerdings hat die Neunte in ihrer zweihundertjährigen Geschichte schon für vieles herhalten müssen: Stalin liebt sie für ihre chorischen Massen, Hitler lässt sie 1937 zu seinem Geburtstag erklingen, jüdische Kinder müssen 1943 in Auschwitz die Ode an die Freude zur Begrüßung neuer Häftlinge vortragen. Seit 1972 ist sie offizielle Europahymne, allerdings nur in instrumentaler Fassung, um keiner Nationalsprache den Vorzug zu geben. 1974 macht sie allerdings auch das Apartheid-Regime in Rhodesien zur Nationalhymne, mit abgewandeltem Text. Als 1981 in Frankreich erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg eine sozialistische Regierung an die Macht gelangt,...

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