Vieles haben wir in den letzten Jahren mit unserer Personalarbeit erreicht. Wir haben gesehen, dass Maßnahmen greifen und auch ihre kulturelle Wirkung entfalten, was allerdings einige Jahre gedauert hat.
Je mehr wir aber zusammengetragen haben, desto klarer wurde uns, dass vielleicht auch andere Unternehmen von unseren Erfolgen und natürlich auch Misserfolgen lernen können. Außerdem erhoffen wir uns einen Austausch über dieses Buch, eine Diskussion um Leadership im 21. Jahrhundert und dadurch das Lernen von anderen. Es gibt in vielen Unternehmen herausragende und erfolgreiche Initiativen – schön wäre es, wenn wir auch Impulse für unsere zukünftige Ausrichtung erhalten.
Wie es begann: Mein Wechsel der Verkehrsmittel
Nach 15 Jahren Deutsche Bahn bin ich zur Lufthansa gewechselt. Der Weggang ist mir damals nicht leichtgefallen. Die Deutsche Bahn hatte mir in den 15 Jahren immer wieder neue Perspektiven ermöglicht. Alle drei bis fünf Jahre habe ich eine neue Position bekommen und konnte an zahlreichen und vielfältigen Förderprogrammen teilnehmen. Dabei verliefen nicht alle Wechsel horizontal. Bei meinem Schritt heraus aus der Rechtsabteilung hinein in den Personalbereich bin ich bewusst ein Hierarchielevel zurückgegangen, da ich fremd in der Materie war und dazulernen wollte. Als mich dann der damalige Vorstandsvorsitzende Dr. Christoph Franz im Jahr 2011 ansprach, ob ich Interesse daran hätte, bei der Lufthansa die Leitung der Führungskräfte im Konzern zu übernehmen, musste ich wiederum nicht lange überlegen. Was für eine Chance! In einem Dax-30-Unternehmen und dann noch bei Lufthansa zu beginnen, war mehr als aufregend und eine große Ehre. Gut war, dass ich Branchenkenntnisse hatte – der Einstieg fiel mir dadurch leichter.
Ein Grund für Herrn Dr. Franz, mich damals zu fragen, waren sicher auch meine Erfahrungen mit Kulturentwicklung. Gerade als Personalvorstand der DB Regio AG, einer Bahntochter mit damals circa 30 000 Mitarbeitern, bestand die große Herausforderung, das Unternehmen und die Mitarbeiter auf einen massiven Wettbewerb vorzubereiten, den es vor dem Jahr 2000 nicht gegeben hatte und der in kurzer Zeit mit erheblichen Marktanteilsverlusten einherging.
Auch der Luftverkehrsmarkt hatte sich gravierend verändert. Seit der Liberalisierung des Luftverkehrs im Jahr 1993 war der Wettbewerb intensiver geworden. Seit der Jahrtausendwende übernahmen Low-Cost-Carrier einen erheblichen Anteil des Luftverkehrs. Zeitgleich nahmen die individuellen Bedürfnisse sowohl bei unseren Kunden, aber auch bei unseren Mitarbeitern stetig zu. Es war also notwendig und konsequent zu überlegen, welche Fähigkeiten und Haltungen Führungskräfte und Mitarbeiter benötigen, um das Ziel zu erreichen, Lufthansa nachhaltig als führenden Aviation-Konzern zu positionieren. Zentral war dabei für mich das Arbeiten mit Dreiecken.
Bei der Ableitung der Strategie nutzt Lufthansa das Dreieck Kunde, Mitarbeiter, Aktionär. Wir sind zutiefst davon überzeugt, dass der Unternehmenserfolg von Lufthansa davon abhängt, die verschiedenen Stakeholder-Interessen auszubalancieren. Dabei wird immer wieder diskutiert, ob der Kunde oder aber der Mitarbeiter im Mittelpunkt stehen soll. Die Diskussion führt am Ende zum selben Ergebnis. Auch wenn wir sagen, dass an erster Stelle der Kunde steht, so sind Grundlage unseres Erfolgs im hohen Maß unsere Mitarbeiter. Es handelt sich schlussendlich nicht um einen Widerspruch, sondern um einen Einklang: Ohne zufriedene Mitarbeiter werden wir keine zufriedenen Kunden haben.
Unser Kerngeschäft ist und bleibt auch in den nächsten Jahren mitarbeiterintensiv. In Cockpit und Kabine ist auch in Zukunft kein Wegfall von Arbeitsplätzen durch Automatisierung und Digitalisierung absehbar. Am Boden ist dies anders. Dort erleben wir zudem bereits jetzt die Auswirkungen des demografischen Wandels – es wird zunehmend schwierig, junge, gut qualifizierte Mitarbeiter zu rekrutieren. Insgesamt sehen wir den technischen Fortschritt als große Chance. Zudem wird es weiterhin viele Tätigkeiten geben, die von Kreativität und Empathie bestimmt sind und deshalb weiterhin nur von Menschen wahrgenommen werden können. Gerade in unserer Branche brauchen wir Mitarbeiter, die mit Leidenschaft und Begeisterung ihrer Arbeit nachgehen. Das bedeutet nicht, dass wir unsere Aktionäre aus den Augen verlieren. Im Gegenteil: Lufthansa soll langfristig ein lukratives Investment darstellen. Sonst haben wir angesichts des hohen Wettbewerbsdrucks keine Chance.
Neben dem ersten bestimmt ein zweites Dreieck meine Arbeit bei Lufthansa: das Dreieck Strategie, Struktur, Kultur. Eine Strategie kann nur erfolgreich sein, wenn diese einhergeht mit einer entsprechenden Struktur und Kultur. Als ich bei Lufthansa begann, wurde mir in den ersten 100 Tagen deutlich, dass wir zur Umsetzung der Strategie die Unternehmenskultur weiterentwickeln mussten. Aufgrund der Dynamik im Markt verändern sich strategische Stoßrichtungen in kürzeren Zyklen als noch vor Jahren. Gleichzeitig wissen wir, dass eine Kulturentwicklung, die nur darauf abzielt, durch Selbstreflexion Haltungen und Verhaltensweisen zu verändern, einen zu langen Zeitraum braucht. Ein aktiveres Vorgehen ist notwendig. Deshalb war es mir von Anfang an wichtig, immer wieder auch durch strukturelle Maßnahmen zu intervenieren, um dadurch schneller Verhaltensänderungen zu bewirken und einen übergeordneten Kulturwandel herbeizuführen.
Ist dies gelungen? Ja! Denn wir haben in und mit der Lufthansa in den letzten Jahren viel bewegt. Dabei waren es keine einfachen Zeiten. Die Tarifkonflikte haben uns fast fünf Jahre intensiv beansprucht. Deshalb mussten wir dem einen oder anderen Thema einen niedrigeren Stellenwert einräumen, obwohl wir es gerne schneller vorangetrieben hätten. Aber: Wir sehen durch unsere Mitarbeiterbefragung, dass ihr Engagement kontinuierlich zunimmt. Wir sehen Bewegung, gerade in unserer Führungsmannschaft. Wir sehen, wie das Hierarchie- und Silodenken abnimmt und mehr und mehr bereichs- und ebenenübergreifend gearbeitet wird. Wir sehen, dass sich immer mehr Mitarbeiter intensiv mit neuen Arbeitsformaten, -methoden und -welten beschäftigen, die für unseren Erfolg im 21. Jahrhundert maßgeblich sein werden. Ein Erfolg, der jetzt durch die Rekordergebnisse der letzten beiden Jahre, den Aufbau der Eurowings-Gruppe und den Relaunch unserer Marke erlebbar wird.
All das gibt uns Selbstvertrauen und Stolz – was wir brauchen, um langfristig erfolgreich zu sein. Wir arbeiten weiter daran, unsere Mitarbeiter mit der Haltung und den Kompetenzen auszustatten, die sie in unserer schnelllebigen und wettbewerbsintensiven Branche benötigen. Wir sind dabei auf einem guten Weg, mit einer Mannschaft zu arbeiten, die sich bewusst ist, dass schnelle Veränderungen das neue »Normal« geworden sind. Und der bewusst ist, dass das vernetzte Arbeiten erfolgskritisch ist für die Zukunft.
Mit welchen Konzepten und konkreten Maßnahmen uns die kulturelle Weiterentwicklung gelungen ist, soll dieses Buch beschreiben. Wir wollen aber auch zeigen, wo Ideen nicht aufgegangen sind und wir selbst an unserem Anspruch oder unserem Vorgehen gescheitert sind. Insgesamt soll dieses Buch für Sie als Leser also ein Blick in die Praxis moderner Personalarbeit, ein Rat- und Impulsgeber sein.
Zwei Dinge möchte ich noch als Erfolgsfaktoren vorausschicken: erstens die Unterstützung durch meine Vorstandskollegen. Sie haben zwar nicht immer alles an neuen Ideen sofort nachvollziehen können, aber haben mich gestalten lassen. Sie haben kritisch hinterfragt, wenn etwas nicht gut lief und sehr deutlich ihre Anforderungen an die Personalarbeit formuliert. Dafür bin ich sehr dankbar. Zweitens die Zusammenarbeit mit den Personalbereichen der...