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Reden gegen Verres: Ciceros meisterhafte Rhetorik in seiner bekannteste Gerichtsrede

Die Kunst der Rhetorik in Rechtswissenschaft

AutorMarcus Tullius Cicero
Verlage-artnow
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9788026826569
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis1,99 EUR
Dieses eBook: 'Reden gegen Verres: Ciceros meisterhafte Rhetorik in seiner bekannteste Gerichtsrede' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Unter der Oberbezeichnung Reden gegen Verres werden zwei Reden Marcus Tullius Ciceros zusammengefasst, die dieser 70 v. Chr. im Zusammenhang mit einem Prozess gegen Gaius Verres verfasste, den ehemaligen Statthalter von Sizilien, der wegen Korruption und Erpressung angeklagt war. Durch die Reden, die mit Ciceros Wahlkampf um das Amt des Ädilen zusammenfielen, konnte dieser hohes öffentliches Ansehen erringen. Zugleich wurde er zum bedeutendsten römischen Redner, da er Quintus Hortensius Hortalus, der bis dahin als wichtigster Redner Roms galt, schlagen konnte - Hortensius trat als Verres' Verteidiger auf. Seinen Erfolg verdankte Cicero neben seiner argumentativen und stilistischen Kunst, die sich Gegenstand und Publikum perfekt anzupassen wusste, vor allem seiner klugen Taktik, die sich ebenfalls ganz auf die jeweilige Hörerschaft einstellte und Meinungen verschiedener philosophischer oder politischer Schulen eklektisch zusammenführte, teilweise weil dies seiner eigenen Auffassung entsprach, aber auch um dem Publikum entgegenzukommen und seine Ziele zu erreichen. Cicero (106 v. Chr.- 43 v. Chr.) war ein römischer Politiker, Anwalt, Schriftsteller und Philosoph, der berühmteste Redner Roms und Konsul im Jahr 63 v. Chr. Cicero war einer der vielseitigsten, aber auch wankelmütigsten Köpfe der römischen Antike. Als Schriftsteller war er schon für die Antike stilistisches Vorbild, seine Werke wurden als Muster einer vollendeten, 'goldenen' Latinität nachgeahmt.

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Leseprobe

Vorbereitendes Verfahren: Rede gegen Quintus Caecilius1


Inhaltsverzeichnis


I. (1) Hoher Gerichtshof, verehrte Anwesende!

Mancher von euch wird sich vielleicht wundern, daß ich nach einer so langjährigen, in Staats- und Privatprozessen ausschließlich auf Verteidigung gerichteten Thätigkeit jetzt plötzlich die Richtung wechsele und mich auf eine Anklage einlasse. Mit Recht; denn stets lag es mir fern, jemandem zu nahe treten zu wollen. Wer aber in dem vorliegenden Falle die Beweggründe meines Auftretens kennt, wird ohne Weiteres meinen Schritt billigen und zugleich einsehen, daß hier niemand neben mir als Kläger in Frage kommen kann.

(2) Als meine Quästur in Sicilien 2 zu Ende war, verließ ich die Provinz mit dem Bewußtsein, daß alle Sicilianer meiner Amtsführung und Persönlichkeit ein dauerndes liebevolles Andenken bewahren würden; sie konnten darauf rechnen, neben den berühmten Familien, die seit Generationen das Patronat 3 der Insel übernommen haben, auch an mir eine Stütze für ihre berechtigten Ansprüche zu besitzen. Jetzt, wo man sie gepeinigt und ausgesogen hat, wenden sie sich alle an mich; ganz offiziell, einmal über das andere flehen sie mich an, für ihre Interessen einzutreten; sie erinnern mich an mein oft gegebenes, oft gehaltenes Versprechen, sie nie im Stiche zu lassen, wenn sie mich brauchen. (3) Jetzt sei der Moment gekommen, wo ich nicht irgend welche vereinzelten Interessen, sondern die Existenz der ganzen Provinz schützen müsse; sie könnten ja nicht einmal zu den Göttern mehr ihre Zuflucht nehmen, denn sie hätten gar keine Götter mehr in ihren Städten, seitdem Gaius Verres die heiligen Bilder aus den Stätten der Andacht weggerissen: was überhaupt je die menschliche Grausamkeit, Habsucht, Prasserei und Herrschsucht an Schandthaten zu leisten vermöchte, das alles hätten sie drei Jahre lang unter diesem einen Landvogte durchgemacht – nun sollt ich sie doch nicht umsonst flehen lassen, wo ich eigentlich dafür verantwortlich wäre, daß sie überhaupt niemanden anzuflehen brauchten.

II. (4) Glaubet mir, meine Herren, es war mir ein herber Schmerz, diese Alternative, entweder den braven Leuten ihre Bitte um Hilfe abschlagen oder plötzlich meinen Beruf wechseln zu müssen: von Jugend auf hatt' ich immer verteidigt, nun sollt ich anklagen! – Ich nannte ihnen den Quintus Caecilius und berief mich auf seine Amtsthätigkeit in ihrer Provinz. Aber dies Argument, das mir zu Hilfe kommen sollte, entwaffnete mich vielmehr vollständig: viel eher hätten sie mir das peinliche Geschäft erlassen, wenn sie den Caecilius nicht gekannt oder doch nicht als Beamten in ihrem Lande gehabt hätten. 4 (5) Schließlich bestimmten mich moralische Verpflichtung, gegebenes Versprechen, mitleidiges Empfinden, viele bedeutende Vorbilder, alte Beziehungen und die Regeln unserer Ahnen, diese Last zu übernehmen; wahrlich nicht meiner Neigung, sondern meinen Nächsten zuliebe. Nur Eines tröstet mich: diese meine scheinbare Anklage ist in Wahrheit vielmehr eine Verteidigung. Ich verteidige viele Menschen, viele Gemeinden, ja die ganze Provinz Sicilien. Dagegen verklage ich nur einen Menschen; so kann ich meinem Grundsatz, immer nur helfend und lindernd für die Menschheit einzutreten, beinahe treu bleiben. (6) Angenommen, dem wäre nicht so und der Fall nicht von so ganz besonderer Bedeutung; angenommen, die Sicilianer hätten mich nicht aufgefordert und ich wäre ihnen nicht so eng verbunden: hätte ich dann denselben Schritt rein im Staatsinteresse unternommen – wer könnte mir einen Vorwurf daraus machen, daß ich einen so beispiellos schamlosen Räuber vor Gericht ziehe? einen Menschen, der nicht bloß in Sicilien, sondern in Griechenland, Kleinasien, Kilikien, Pamphylien, ja schließlich am ärgsten hier in Rom selber vor unsern Augen gefrevelt hat!

III. (7) Wahrhaftig, unter heutigen Umständen kann ich dem Staate gar keinen größeren Dienst erweisen; der römischen Nation ist es willkommen, den Alliierten und Ausländern erwünscht, schließlich für alle vom größten materiellen und moralischen Werte. Die Provinzen sind nach langer entsetzlicher Schinderei endlich ruiniert, unsere Bündner und Steuerzahler dermaßen in Elend und Verzweiflung gestürzt, daß sie schon gar nicht mehr auf Rettung hoffen, sondern nur noch an einen Trost für ihr Unglück denken. (8) Wer die Gerichte dem Senatorenstand erhalten wissen will, muß den Mangel an fähigen Klägern erfahren; wer die Fähigkeit dazu besitzt, vermißt bei den Gerichtshöfen die nötige Strenge; indessen braucht das schwergeprüfte Rom nichts so dringend, wie die alte Würde und Bedeutung seiner Gerichte. Den Gerichten zuliebe will man die Amtsgewalt der Volkstribunen im alten Umfange wieder herstellen 5 ; um dem Richteramte wieder aufzuhelfen, will man zu seiner Ausübung jetzt den Ritterstand heranziehen; das jämmerliche Benehmen vieler Richter ist daran schuld, daß sogar der strenge Name »Censor« 6 vor dem Volke nicht mehr so herbe klingt wie früher, sondern man einen Censor verlangt, dem man nach Belieben Gunst und Beifall erteilt. (9) So zerrüttet sind die Verhältnisse: charakterlose Menschen geben all ihrer Willkür Spielraum, das Volk murrt täglich lauter, die Gerichtshöfe sind bestochen, der ganze Stand in der öffentlichen Achtung gesunken – da sah ich die einzige Abhilfe für so viel Übelstände in dem selbständigen Eintreten fähiger, unbescholtener Persönlichkeiten für Gesetz und Recht. Um der Nation im ganzen aufzuhelfen, versuche ich den Staat an seiner wundesten Stelle zu behandeln.

(10) Soviel über die Veranlassung zu meinem Schritte; nun zum Gegenstand unseres Streites, damit ihr für die Auswahl des Klägers die rechten Gesichtspunkte gewinnet. Meine Grundanschauung ist folgende. Wenn bei einem Prozesse wegen Erpressung mehrere sich zur Übernahme der Anklage melden, so muß man zweierlei herauszubekommen suchen: erstens, wen der geschädigte Teil am meisten und zweitens, wen der Urheber des Schadens am wenigsten wünscht. IIII. (11) Im vorliegenden Falle, find ich, ist beides sehr klar; dennoch muß ich mich über beides verbreiten und zwar zuerst über das wichtigste: die Gesinnung der Geschädigten, um derentwillen dieser Erpressungsprozeß geführt werden soll. Gaius Verres, so heißt es, hat drei Jahre lang die Provinz Sicilien verwüstet, die Gemeinden ruiniert, die Häuser ausgeraubt, die Tempel geplündert. Aus ganz Sicilien sind die Kläger erschienen; sie kennen mich als einen zuverlässigen Menschen und wenden sich Hilfe suchend durch meine Vermittelung an euch und an Roms Gesetze; ich soll ihnen zu ihrem Rechte verhelfen, ihnen Genugtuung verschaffen, sie bei den Behörden vertreten, mit einem Worte: die ganze Sache führen. 7 (12) Was will nun Caecilius vorbringen? daß ich ohne Aufforderung seitens der Sicilianer auftrete, oder daß der ausdrückliche Wunsch unserer treuesten Bündner wirkungslos bleiben soll? Wenn du zu behaupten wagst, was sich dein angeblicher Feind Verres am meisten wünscht, nämlich, daß die Sicilianer mich nicht aufgefordert hätten, so besserst du die Lage dieses deines angeblichen Feindes bedeutend; eigentlich ist er nämlich von der öffentlichen Meinung bereits gerichtet, seitdem der Entschluß fast sämtlicher Sicilianer, überhaupt einen Kläger gegen ihn aufzustellen, bekannt geworden ist. (13) Wenn du nun als sein »Feind« diese Thatsache leugnest, die er selber, so peinlich sie ihm auch ist, dennoch nicht abzuleugnen wagt, so nimm dich in acht; man könnte dir vorwerfen, du zeigest dich etwas zu gemütlich in der Ausübung deiner Feindseligkeiten. Außerdem habe ich meine Zeugen unter den ersten Männern unserer Stadt; alle brauche ich gar nicht aufzuzählen, ich nenne nur einige hier anwesende, sämtlich Leute, vor denen eine Unwahrheit zu sagen mir schlecht bekommen würde. Da ist Gaius Marcellus, Mitglied des Gerichtshofes; da ist Gnaeus Lentulus Marcellinus; auf beide stützen sich die Sicilianer angelegentlich, wie denn die ganze Provinz von jeher dem Namen Marcellus innig verbunden ist. (14) Diese Männer wissen, wie ich nicht nur aufgefordert, sondern so heftig gedrängt wurde, daß ich entweder die Führung übernehmen oder alle meine Beziehungen zu den Leuten abbrechen mußte. Aber wozu führe ich überhaupt Zeugen an, als ob die Sache irgendwie zweifelhaft wäre? Aus der ganzen Provinz sind die vornehmsten Persönlichkeiten hergekommen; sie sind hier zugegen und beschwören den Gerichtshof, doch ja bei der Auswahl ihres Rechtsvertreters nicht anders zu verfahren, als ihr eigener Vorschlag es empfiehlt. Sämtliche Gemeinden von ganz Sicilien haben ihre Abgeordneten geschickt bis auf zwei 8 ; hätten diese zwei es auch gethan, so würden zwei wichtige Klagepunkte wegfallen, in deren Objekt Verres mit ihnen gemeinsame Sache gemacht hat. (15) Warum man sich nun gerade an mich wandte?– Ja, bestünde ein Zweifel, ob man es that oder nicht, so würde ich erklären, warum man es that; da aber alles so klar liegt, daß ihr es mit eigenen Augen sehen könnt, so weiß ich nicht, warum man aus der Wahl, die diese Leute trafen, einen Vorwurf gegen mich ableiten sollte. (16) Natürlich nehme ich mir nicht heraus – weder verliere ich ein Wort darüber, noch möchte ich auch nur irgend eine solche Vorstellung erwecken – daß sie mich all ihren sonstigen Schützern in Rom vorgezogen hätten. Davon ist keine Rede; sondern man zog bei jedem die Zeit, die Gesundheit, die juristische Geübtheit in Betracht. Mein Grundsatz für Theorie und Praxis war hierbei immer: jeder irgend Geeignete übernehme die Sache eher als ich; aber besser ich als niemand.

V. (17) Somit...

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