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Regulierung und Wettbewerb in der Automobilbranche am Beispiel des Tankstellen-Servicenetzes

AutorSeeger Florian
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl81 Seiten
ISBN9783640153633
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis20,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich BWL - Wirtschaftspolitik, Note: 2,0, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (Alfred-Weber Institut für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften), 65 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: In Zeiten, in denen der Rohölpreis die vielfach als psychologisch wichtig erachtete Marke von 100 US-Dollar je Barrel auf Dauer nach oben durchbrochen hat und von Woche zu Woche neue Höchststände vermeldet werden, rücken die großen Mineralölgesellschaften und somit auch die Tankstellen als die Letztverkaufsstellen ihrer Raffinerieprodukte zunehmend in den Fokus des öffentlichen Interesses. Diesbezüglich bleiben die Diskussionen - sowohl in der Wissenschaft als auch in der Öffentlichkeit - oftmals sehr einseitig auf den Mineralölmarkt und die Produktpreise be-schränkt, während das Tankstellengewerbe selbst nur wenig Beachtung findet. Aus diesem Grund befasst sich die vorliegende Diplomarbeit mit dem deutschen Tankstellen-Servicenetz, das von verschiedenen Seiten beleuchtet und analysiert wird. Die Arbeit betrachtet sowohl die staatliche Regulierung als auch die Struktur des Gesamtmarktes und die Strategien der großen Tankstellengesellschaften, wobei sich vielfach auch auf praktische Erfahrungen gestützt wird, die der Verfasser in jahrelanger Arbeit bei einem Tankstellenbetrieb sammeln konnte. In dem großen, weltumspannenden Kampf um Exploration, Verarbeitung und Vertrieb von Mineralölprodukten werden gemeinhin zwei Gewinner und ein Verlierer identifiziert: auf der Gewinnerseite erstens die großen Mineralölkonzerne, die regelmäßig Rekordumsätze und Rekordgewinne vermelden, sowie zweitens der Staat, dessen Mineralölsteuereinnahmen mit einem jährlichen Aufkommen von rund 40 Milliarden Euro nach der Lohn- und Umsatzsteuer mittlerweile die drittwichtigste Steuerquelle geworden ist. Auf der Verliererseite ist der Konsument auszumachen, der an den Tankstellen Rekordpreise für Kraftstoffe entrichten muss. Die vorliegende Arbeit versucht, noch einer weiteren Perspektive gerecht zu werden, die in der öffentlichen Diskussion weitgehend ignoriert wird, namentlich derjenigen des Tankstellenbetreibers. Das Ziel der Arbeit ist eine ganzheitliche Betrachtung der Branche, ohne sich vollständig in Detailfragen zu verlieren. Das Kapitel 2 beinhaltet einen historischen Rückblick auf das deutsche Tankstellennetz von den Anfängen des Automobils bis in die Gegenwart. Diese Darstellung ist insofern wichtig, als dass sich bereits in der Vergangenheit Strukturen herausgebildet haben, die für die heutige Situation charakteristisch sind und das Tankstellengewerbe nachhaltig prägen.[...]

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Leseprobe

2 Deutsche Tankstellengeschichte


 

2.1 Apotheken und Bürgersteigpumpen als Vorläufer der Tankstelle


 

[1] Somit gilt die Wieslocher Stadtapotheke als die „erste Tankstelle der Welt“, wie heute noch eine Schautafel an der Stirnseite des Gebäudes verkündet.

 

Die geringe Zahl vorhandener Automobile verhinderte zunächst den Aufbau eines flächendeckenden Netzes der Kraftstoffversorgung in Deutschland. Die wenigen Automobilbesitzer der kaiserlichen Republik versorgten ihre „Benzinkutschen“ entweder selbst durch entsprechende Tankfässer in der heimischen Garage oder sie suchten die Benzindepots in den Hinterhöfen der sogenannten Fass- und Kannenhändler auf.[2] Die erste Tankstelle im modernen Sinn entstand um die Jahreswende 1922/1923 in Hannover, als die Olex, die „Aktiengesellschaft für österreichische und ungarische Mineralölprodukte“ und Vorgänger der heutigen BP, ein in Kioskform gebautes Tankhäuschen eröffnete, welches die Technik der Kraftstoffförderung aus einem unterirdischen Tank hinter einem simplen Betonaufbau verbarg.[3] Die anderen deutschen Mineralölgesellschaften setzten hingegen auf das Modell der „Bürgersteigpumpen“, einem relativ simplen und platzsparenden Aufbau am Straßenrand, welcher den Tankkiosken der Olex früh den Rang ablaufen konnte. Der Typ der „Bürgersteigpumpe“ blieb bis zur Gründung der Bundesrepublik der vorherrschende Tankstellentyp.

 

Auch auf dem Feld der Kraftstoffentwicklung kam es erst in den 1920er Jahren zum entscheidenden Durchbruch: 1924 gelang es dem Chemiker Walter Ostwald, ein Gemisch aus 40 % Benzin und 60 % Benzol zu entwickeln, welches er aufgrund der maßgeblichen Kohlenwasserstoffe, ARomate (Benzol) und ALiphate (Benzin), „ARAL“ nannte und fortan unter dem Namen „B.V.-Aral“ durch den 1918 gegründeten Benzol-Verband (B.V.) vermarktete. Somit konnte erstmals eine gleichbleibende Kraftstoffqualität gewährleistet werden.[4] Aufgrund der mit steigenden Kraftfahrzeugzahlen zunehmenden Kraftstoffnachfrage zogen die „Deutsch-Amerikanische Petroleum-Gesellschaft“ (DAPG) unter dem Produktnamen „Esso“ sowie die Rhenania-Ossag, die spätere Shell, mit „Dapolin“ nach.[5] Steigende Kraftfahrzeugzahlen führten zu einem raschen Wachstum des Anbietermarktes: Allein der B.V. konnte 1937 ein Tankstellennetz von 9.000 Stationen vorweisen.[6]

 

Die Machtübernahme der Nationalsozialisten drängte den Ausbau der Raffineriekapazitäten zugunsten des Kohlehydrierungsverfahrens zur Herstellung synthetischer Kraftstoffe und der verstärkten Ausbeutung der heimischen Erdöllagerstätten zurück, um auch auf dem Gebiet der Mineralöle zumindest teilweise eine Unabhängigkeit vom Ausland zu erlangen. Eine vollständige „Ölautarkie“ war nach Ansicht der Experten ohnehin nicht zu erreichen.[7]

 

Der Beginn des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939 brachte den ersten gravierenden Einschnitt in der Tankstellenbranche: Im Rahmen der Kriegswirtschaft wurde der Vertrieb von Kraftstoffen durch die Bildung einer „Reichsstelle für Mineralöle“ und das „Zentralbüro für Mineralöl“ gebündelt und zentralisiert, Benzin wurde nur noch nach Vorlage von Tankausweiskarten ausgegeben.[8] Während des Krieges wurde das Tankstellennetz auf Anordnung höchster Stellen gestrafft, um Arbeitskräfte zu gewinnen und den privaten Kraftstoffverbrauch zu drosseln. Die ab Mai 1944 verstärkten Bombenangriffe der Alliierten auf die Hydrierwerke in Mitteldeutschland (d. h. dem heutigen Ostdeutschland), in denen synthetisches Benzin hergestellt wurde, führten vorübergehend zum vollständigen Zusammenbruch der deutschen Mineralölwirtschaft und trugen in entscheidender Weise zur Verkürzung des Krieges bei.[9]  

 

2.2 Tankstellenboom nach dem Zweiten Weltkrieg


 

Nach dem Zweiten Weltkrieg war das deutsche Tankstellennetz infolge der Kriegsschäden von 60.000 Stationen im Jahr 1939 auf lediglich 16.000 Stationen zusammengeschrumpft.[10] Aus den großen drei Anbietern DAPG, OLEX und Rhenania Ossag, die das Vorkriegsgeschäft zusammen mit der BV-Aral beherrschten, wurden im Zuge des Wiederaufbaus Esso, Deutsche BP und Deutsche Shell. Die Autarkiebestrebungen der nationalsozialistischen Herrschaft mit der Fokussierung auf das inländische Steinkohleprodukt Benzol und den Hydrierwerken zur Herstellung synthetischen Benzins wurden zugunsten des Aufbaus eines großen Raffinerienetzes und der Konzentration auf das ausländische Erdölprodukt Benzin aufgegeben. Dementsprechend wurde auch die Beimischung von Benzol zur Erhöhung der Klopffestigkeit von Benzin auf ein Volumenprozent verringert. Das westdeutsche Wirtschaftswunder führte sukzessive zur Massenmotorisierung der Deutschen und somit zur Boomphase der Tankstellenbranche. Hierbei wurde die Reaktivierung der „Bürgersteigpumpen“ von den Mineralölgesellschaften zugunsten des Neuaufbaus eines modernen Tankstellennetzes aufgegeben. Die deutschen Anbieter BV-Aral, Deutsche Gasolin, DEA und Rheinpreußen (36 %) verloren bereits zu Beginn der 1960er Jahre einen Großteil der Marktanteile auf dem deutschen Tankstellenmarkt an die ausländischen Anbieter BP, Caltex, Esso und Shell (40 %).[11]

 

Der wachsende Motorisierungsgrad – 1967 wies die Bundesrepublik bereits einen Kraftfahrzeugbestand von 12 Millionen auf – führte zu einem regelrechten Bauboom. Die größte Ausdehnung erreichte das deutsche Tankstellennetz im Jahre 1969 mit einem Bestand von 48.000 Stationen; insgesamt 30 in- und ausländische Anbieter konkurrierten um das Wohlwollen der Kundschaft.[12] Die Rationalisierungsmaßnahmen im Zuge der Ölkrise zu Beginn der 1970er Jahre sollten dieser Entwicklung ein jähes Ende bereiten und in eine Entwicklung münden, die im Hinblick auf das weiterhin schrumpfende Tankstellennetz mit „Stabilität im Niedergang“ bezeichnet werden könnte (vgl. Abbildung 1).

 

Abbildung 1: Entwicklung des Tankstellenbestandes seit 1970

 

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Mineralölwirtschaftsverband [2007], S 37

 

 

2.3 Netzbereinigung und Ölkrise


 

Fälschlicherweise wird die Ölkrise zu Beginn der 1970er Jahre, als die OPEC-Länder als Reaktion auf den Jom-Kippur-Krieg die Fördermengen drosselten und somit einen massiven Preisanstieg beim Rohöl und somit auch auf dem Benzinmarkt auslösten, als Grund für das einsetzende „Tankstellensterben“ gesehen.

 

Hierbei wird übersehen, dass bereits Ende der 1960er Jahre die großen Mineralölgesellschaften planten, ihre – auch infolge leichtfertiger Kreditvergaben für Neubauten – aufgeblähten Tankstellennetze zu straffen, um dadurch den Umsatz je Tankstelle anzuheben. Das große Tankstellensterben ist also weniger ein Resultat exogener makroökonomischer Einflüsse, sondern vielmehr eine Folge betriebswirtschaftlich notwendiger Rationalisierungsmaßnahmen.[13] Das Ziel der Mineralölunternehmen war hierbei die Senkung der Betriebskosten je Einheit und eine Erhöhung der Kundenfrequenz je Tankstelle, woraus der noch heute vorherrschende Typ der hochabsetzenden und hochfrequentierten SB-Großtankstelle resultierte. Diese Entwicklungen wurden durch technische Neurungen, insbesondere durch die elektronische Erfassung des Tankvorgangs, verschärft, welche aus dem Tankwart den Kassierer machten, beziehungsweise den Techniker zum Kaufmann, und die Personalkosten erheblich reduzierten.

 

Auf den Trend des kostengünstigen „Selbsttankens“ und das Auftreten der sogenannten „Freien Tankstellen“ (zur genauen Unterscheidung siehe Kapitel 3.1.2), welche Produktionsüberschüsse aufkauften und die Preisvorteile an ihre Kunden weitergaben, reagierten die Mineralölkonzerne mit Provisionskürzungen gegenüber ihren Tankstellenbetreibern.[14] Beim Selbsttanken hatte der Kunde pro Liter eine Ersparnis von 4 Pfennigen je Liter, die fortan den Pächtern von der Provision abgezogen wurde. Die Provisionsvergütung sank somit von 6,4 auf 2,4 Pfennige je Liter, d. h., auf eine Höhe, die noch heute branchenüblich ist.[15] Durch diese Provisionskürzungen wurden die Pächter zur Ausdehnung vom reinen Agenturgeschäft des Kraftstoffverkaufs zur Fokussierung auf das Folgemarktgeschäft und das Anbieten von Servicedienstleistungen (vgl. Kapitel 4.1) gezwungen, da der reine Kraftstoffverkauf unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten unrentabel wurde und auf Dauer zwangsläufig in einer Insolvenz enden würde. Eine Ausnahme bilden hierbei die Supermarkttankstellen (vgl. Kapitel 3.1.3.2), deren wirtschaftliche Berechtigung sich aus der Erwirtschaftung eines zusätzlichen Deckungsbeitrags und einer Erhöhung der Kundenfrequenz ihrer angeschlossenen Großverbrauchermärkte ableitet.

 

In den 1970er...

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