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Religion und Kompetenz. Versuche der Standardisierung religiöser Bildung in den Bildungsplänen Baden-Württembergs

Versuche der Standardisierung religiöser Bildung in den Bildungsplänen Baden-Württembergs

AutorIngo Stechmann
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl122 Seiten
ISBN9783638815208
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Studienarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Pädagogik - Schulwesen, Bildungs- u. Schulpolitik, Note: 1,0, Pädagogische Hochschule Heidelberg (Theologisch-Philosophisches Seminar), 100 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Die wissenschaftliche Hausarbeit im Rahmen des Promotionsaufbaustudiums beschäftigt sich aus aktuellem Anlass mit der Vereinbarkeit einer 'Kompetenzforderung' und des 'Religionsunterrichts'. Sowohl der Begriff 'Kompetenz' als auch das Phänomen 'Religion' werden eingehend analysiert und anschließend auf Vereinbarkeit hin überprüft.

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Leseprobe

1. Die Ausgangslage – Bestandsaufnahme und Situationsanalyse


 

Welche Rolle spielt der Religionsunterricht in Deutschland? Dieser Frage möchte ich in dem nun folgenden einleitenden Teil der Arbeit auf eine bestimmte Art und Weise nachgehen. Weniger die Begründung des schulischen Religionsunterrichts aus Schülerbedürfnissen[15] oder kultureller Notwendigkeit ist allerdings das zu verfolgende Anliegen, ebenso bleiben empirische Erfassungen in dieser Abhandlung außer Acht. Ziel des Einleitungsteils soll vielmehr sein, rechtliche Grundlagen und die Stellung des Religionsunterrichts in der Schule zu dokumentieren. Neben der Feststellung des Status quo soll aber auch der Stellenwert des Faches in der aktuellen Bildungsdiskussion bestimmt werden. Dazu wird geschildert, um was es sich bei den Bildungsstudien alias PISA, IGLU oder TIMMS handelte, die einen neuen Trend in Deutschland ausgelöst haben, mit dem auch zahlreiche neue Begrifflichkeiten unsere Bildungspläne eroberten. Daran anschließend möchte ich einen Blick in diese neuen Bildungspläne des Bundeslandes Baden-Württemberg werfen, das in einer Vorreiterrolle neue Wege eingeschlagen hat und damit den Beschlüssen der Kultusministerkonferenz besonders eifrig folgt. Hierbei soll vor allem die Standardorientierung als Nachfolge der Lernzielorientierung in den Blick geraten. Speziell mit Blick auf den Religionsunterricht schließt das Kapitel mit einer Beschreibung der Standardisierung in den Bildungsstandards für den Religionsunterricht, der in Baden-Württemberg in Absprache mit den Religionsgemeinschaften als katholischer, evangelischer und jüdischer Religionsunterricht in konfessioneller Trennung erteilt wird. Auch so genannte „Alternativfächer“ sollen dabei berücksichtigt werden.

 

1.1 Religionsunterricht und Schule


 

„Der Religionsunterricht ist ein obligatorisches Unterrichtsfach, von dem Schüler(innen) sich abmelden können“[16], mit einer solch kurzen und prägnanten Aussage bringt Christian Grethlein den Stellenwert der Religionslehre in seinem aktuellen Lehrbuch zum Ausdruck und stellt damit die rechtliche Situation an öffentlichen deutschen Bildungseinrichtungen dar.

 

Im Grundgesetz verankert sind nämlich zum einen die Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 4 GG) und zum anderen die Anerkennung des Religionsunterrichts als „ordentliches Lehrfach“, das in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt werden soll (Art. 7 Abs. 3 GG).[17] Während damit die Grundlage des „Obligatorischen“ gesichert ist, macht die Freiheitszusage in Artikel 4 eine Abwahl ebenso möglich, wie die Tatsache, dass Erziehungsberechtigte das Entscheidungsrecht bezogen auf die Teilnahme ihrer Kinder am Religionsunterricht besitzen (Art. 7 Abs. 2). Auch Lehrer dürfen entgegen sonstiger Praxis nicht gegen ihren Willen zum Unterrichten des Bekenntnisfaches verpflichtet werden.[18]

 

Neben der Achtung des Staates vor der Religionsfreiheit der Bürger ist wohl vor allem die Selbstbegrenzung des Politischen, das in einem säkularen Staat religiöse Fragen zugunsten einer Gewaltenteilung mit den Religionsgemeinschaften ausspart, Grund für diese Regelung, auf die auch die neuen Bildungspläne bereits in den Leitgedanken hinweisen. Beispielhaft sei hier aus den Leitgedanken zur Evangelischen Religionslehre aus dem Bildungsplan Hauptschule/ Werkrealschule Folgendes zitiert: „Der Religionsunterricht ist nach Art. 7 Abs. 3 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland und nach Artikel 18 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg ordentliches Lehrfach, das von Staat und Kirche gemeinsam verantwortet wird.“[19]

 

Damit bezieht sich der Bildungsplan ausdrücklich auch auf die Landesverfassung und unterstreicht zusätzlich die Bildungshoheit der Länder.

 

Die Bundesgesetze von 1949, darunter natürlich auch der Gleichberechtigungs- Grundsatz in Artikel 3 GG, sowie sämtliche Länderverfassungen garantieren Schülern das Recht auf religiöse Bildung[20] und schreiben den Religionsunterricht als „ordentliches Lehrfach“ fest. Diese Einordnung, die noch aus der Weimarer Reichsverfassung stammt, verpflichtet die Schulträger[21] zur Einrichtung des versetzungsrelevanten Unterrichtsfachs und dazu, für

 

Personal- und Sachkosten aufzukommen. Ziele und Inhalte werden allerdings von den zuständigen Religionsgemeinschaften festgesetzt, sofern sie den allgemeinen Erziehungszielen des Staates und der Struktur der jeweiligen Schulart nicht zuwiderlaufen.[22]

 

Besonders diese säkulare Kooperation von Kirche und Staat ist mit Blick auf die Lehrplanentwicklung überaus interessant, sofern man den „Sonderweg“ der Religions(lehr)pläne daran messen müsste, ob sie den allgemeinen Erziehungszielen noch entsprechen (können). Die Verknüpfung staatlicher Zuständigkeit und der Verantwortung der Religionsgemeinschaften führt auch zur Praxis der Einsetzung von Lehrkräften durch „vocatio“ auf evangelischer und „missio canonica“ auf katholischer Seite, die von den zuständigen Religionsgemeinschaften verliehen werden. Ausnahmen bezüglich des konfessionellen Religionsunterrichts sind jedoch in manchen Bundesländern durchaus zu konstatieren.

 

Durch spezielle Regelungen, die teilweise auf Gesetzen beruhen, welche bereits vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes Geltung hatten (z.B. Art. 141 GG, „Bremer Klausel“) und deshalb zu Sonderregelungen im Umgang mit den Religionsgemeinschaften führen, finden sich in Bremen, Berlin und Brandenburg.[23] Auch umgangssprachlich oft als „Ersatzfächer“ bezeichnete Angebote wie Ethik- oder Philosophieunterricht, „Werte und Normen“ und so weiter sind keine Seltenheit mehr und bieten Eltern religionsunmündiger Kinder oder den Jugendlichen nach Erreichung des entsprechenden Alters (15) die Möglichkeit, bekenntnisgebundenen Religionsunterricht nicht nur zu meiden, sondern auch durch ein alternierendes Unterrichtsangebot zu ersetzen.[24]

 

Auch die Stimmen von Religionspädagogen, Religionswissenschaftlern und Erziehungswissenschaftlern, die ein gemeinsames Fach auf religionswissenschaftlicher Basis fordern, mehren sich in ganz Deutschland. Auf der anderen Seite ist die Klage über die zunehmend geringer werdende christliche beziehungsweise konfessionelle Substanz des Religionsunterrichts in der Öffentlichkeit nicht zu überhören. In dieser Lage, in der eine Spannung

 

zwischen notwendigem Religionsunterricht und der Suche nach geeigneten, weniger konfessionell geprägten Alternativen besteht, ist das „ordentliche Lehrfach“ immer mehr in Begründungsnot geraten und muss versuchen, seinen noch weithin selbstverständlichen Status zu verteidigen. Grethlein[25] argumentiert zum Beispiel pädagogisch (Bildungsgehalte des Religionsunterrichts sprechen Jugendliche besonders an), theologisch (mit Verweis auf den biblischen Pluralismus) und politisch (keine staatliche Kontrolle, daher Widerstand gegen ideologische Uniformierung möglich) für die Beibehaltung des weit verbreiteten Modells konfessionellen Religionsunterrichts.

 

Religionsunterricht muss demnach bei derzeitiger Gesetzeslage immer daran gemessen werden, ob er beiden Trägern, Schulen und Kirchen, noch gerecht werden kann. So ist zum Beispiel die Frage zu stellen, ob der konfessionell orientierte Unterricht angemessen seinen Beitrag zu den Funktionen von Schule leistet und demnach sowohl fürs Leben qualifiziert, erzieht und sozialisiert als auch selektiert und zur Persönlichkeitsbildung beiträgt. Besonders die Funktion der Sozialisation und Erziehung in Form von „Werterziehung“ schreibt man hierbei gerne dem Religionsunterricht zu, wobei genau an dieser Stelle auch die Ansprüche der ebenfalls auf Norm- und Wertfragen ausgerichteten Fächer, wie beispielsweise des Ethikunterrichts, erwachen. Stärkere Probleme hat der Religionsunterricht bezüglich der Allokations- und Selektionsfunktion. Bei Personalitäts- und Bildungsfunktion verweisen Religionspädagogen gerne auf die begriffsgeschichtlich von der Gottesebenbildlichkeit abstammende Definition von Bildung als Eigentätigkeit des Subjekts im Lernprozess.[26]

 

Genau dieser Bildungsbegriff, in dem die eigentliche Unverfügbarkeit von Bildung begründet liegt, welche sich gegen jede Verzweckung von pädagogischen Prozessen wehrt, stellt aber in Hinblick auf überprüfbare Bildungsstandards ein Problem im Verhältnis von Schule und Religionsunterricht oder auch von Bildung und Schule dar.[27]

 

Zwischenresümee:

 

Ziel dieses Unterkapitels war es, auf die gesetzliche Verankerung des Religionsunterrichts an den meisten staatlichen Schulen Deutschlands aufmerksam zu machen und damit dessen Verpflichtung zur Teilnahme und Befolgung des allgemeinen Bildungsauftrags und damit in Einklang stehender Reformen zu verdeutlichen. Religionslehre ist eben auch nur ein Fach wie jedes andere!

 

Ziel des Unterkapitels war aber auch, in der Geschichte der nunmehr seit dem 16. Jahrhundert praktizierten „rex mixta“[28] in gemeinsamer Verantwortung von Staat und Kirche für den Religionsunterricht Schwierigkeiten und Ausnahmeregelungen...

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