Wer war dieser Mann, der noch heute zu jeder Jahreszeit Hochkonjunktur hat bei den Händlern in Assisi, die Souvenirs in Form von Spielzeugpuppen, Salzstreuern und Spardosen in Gestalt eines Franziskanermönchs anbieten? Ein Mann, der Hochkonjunktur hat bei den Kritikern des Kapitalismus, ebenso wie bei Friedens- und Umweltbewegungen, bei kirchentreuen Katholiken und liberalen Protestanten, aber auch bei denen, die sich um den Verfall von Moral, Werten und Glauben sorgen.
Das Leben des Franz von Assisi ist ein wichtiger Bestandteil dieser Examenshausarbeit und dient dem besseren Verständnis meiner Ausführungen im vierten Teil „Religionspädagogische Überlegungen“. In dem nun folgenden Kapitel möchte ich zunächst kurz die Verankerung des Themas im Rahmenplan für die Grundschule erläutern. Anschließend folgt eine systematische Beschreibung des Heiligenbegriffs. Sehr umfangreich werden dann die Ausführungen zum Leben des heiligen Franz von Assisi ausfallen, da sie ein wichtiger Aspekt sind. Darüber hinaus wird es einen kurzen Ausblick auf die Entwicklung des Ordens nach dem Ableben von Franziskus und das heutige Leben der Franziskanermönche geben.
Zur Literatur über Franz von Assisi sei noch eine kurze Anmerkung gemacht:
Für das Mittelalter war Franziskus der Heilige schlechthin, entrückt und volksnah in einem. Über keinen anderen Heiligen kursierten eine solche Menge von Legenden und Darstellungen. Dies gilt auch heute noch. Es gibt eine große Anzahl von Veröffentlichungen über das Leben des Franziskus.
Da eine vollständige Sichtung der vorliegenden Literatur den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, habe ich mich dazu entschieden, den überwiegenden Teil der Ausführungen zum Leben des Franz von Assisi aus der Publikation „Franz von Assisi“ von Veit-Jakobus Dietrich zu übernehmen, die mir sehr aktuell und übersichtlich erscheint. Passagen, die er jedoch weglässt oder nicht ausführlich genug beschreibt, werde ich aus anderen Büchern und Literatur hinzufügen und dieses durch eine Fußnote kenntlich machen.
Der Rahmenplan sieht für den Religionsunterricht vier Handlungs- und Erkenntnisbereiche vor:
ICH LEBE – ICH BIN EINMALIG
WIR LEBEN NICHT ALLEIN – LIEBEVOLL MITEINANDER UMGEHEN
FRAGEN UND SUCHEN – FÜR GOTT OFFEN WERDEN
GLAUBEN GEMEINSAM LEBEN – KIRCHE SEIN[33]
Jeder Religionslehrer/in sollte den Religionsunterricht so planen, dass Inhalte aus allen vier Bereichen aufgegriffen werden.
Diese vier Handlungs- und Erkenntnisbereiche sind noch einmal in Rahmenthemen untergliedert, welche als verbindliche Vorgaben für alle Religionslehrerinnen und Religionslehrer gelten. Nach Möglichkeit sollte jedes Rahmenthema mindestens einmal in der Grundschulzeit mit einer gewissen Intention aufgegriffen werden.
Das Thema „Franz von Assisi“ ist für den Religionsunterricht der vierten Klasse vorgesehen. Es fällt unter den Erkenntnisbereich „WIR LEBEN NICHT ALLEIN – LIEBEVOLL MITEINANDER UMGEHEN“[34] und unter das Rahmenthema „MENSCHEN BEGEGNEN GOTT“. Als weiterer Hinweis für den Lehrer wird noch hinzugefügt, dass die Schüler erkennen sollen, „… wie Franz durch die Begegnung mit dem „armen Jesus“im Evangelium ein neuer Mensch wird und seitdem Menschen immer wieder ermuntert hat, diesen Weg einzuschlagen.“[35]
Der Religionsunterricht soll, laut Rahmenplan, ebenfalls dazu dienen, die Kinder mit der besonderen Weise des religiösen Sprechens vertraut zu machen. Dabei sind besonders die Formen Bildwörter, Gleichniserzählungen, Märchen, Wundererzählungen, LEGENDEN (Heiligenlegenden), Paradoxa sowie Beten als sprachliche Vermittlung zu erschließen. Das Thema „Franz von Assisi“ fällt unter den Bereich Legenden (Heiligenlegenden). Eine Legende erzählt von Menschen, die mit Gott ihre besonderen Erfahrungen gemacht haben. Sie verfolgt nicht die Absicht einer geschichtlichen Berichterstattung, sondern ist eine Erzählung, die darauf abzielt, den Hörer zum Leben im Sinne der Nachfolge Jesu zu bewegen und ihn für ein christliches Leben zu begeistern. Diese tiefere, existenzielle Wahrheit der Legende macht sie für den Religionsunterricht in der Grundschule so bedeutsam.[36]
Das Auftreten von Heiligen beziehungsweise die Verehrung von Heiligen ist kein typisches Merkmal der christlichen Religion. In verschiedenen großen Weltreligionen kommen Heilige vor und werden geehrt oder kultisch verehrt. Die Akzente, die im Bezug auf die Verehrung gesetzt werden, sind jedoch unterschiedlich.
Im christlichen Sinne werden als „heilig“ sowohl lebende als auch verstorbene und mystische Personen verstanden, denen eine besondere Nähe zum Göttlichen zugeschrieben wird oder deren Lebensmaßstäbe denen der zugehörigen Religion in weit überdurchschnittlichem Maße genügen.[37]
„Heiligkeit ist nach christlichem Verständnis primär eine Eigenschaft Gottes, sekundär auch Gott nahe stehender Menschen.“[38]
Die Frommen der verschiedenen Religionen suchen und finden in den Heiligen sowie deren Reliquien und Bildern die Nähe des Göttlichen. Das Wunder eines Heiligen gilt religionsübergreifend als eindrucksvollste Bestätigung beziehungsweise als Zeichen der Göttlichkeit. Häufig werden lebende, besonders aber verstorbene Heilige, sofern ihr Leben durch Quellen belegt werden kann, schon von Geburt an, in wundervollem Glanz und herausragender Größe stilisiert.[39]
Jedem Heiligen wird ein fester Zuständigkeitsbereich, ähnlich wie bei den polytheistischen Gottheiten zugesprochen, den er selbstständig zu verwalten hat.[40]In der Typologie werden die Heiligen als einheitliche Gruppe angesehen, in der jedoch auf Grund von theologischen Leitvorstellungen und literarischer Topoi eine Differenzierung in Typen nach Raum und Zeit möglich ist.[41]
In der christlichen Geschichte werden, ohne anfangs als Heilige im biblischen Sinn bezeichnet zu werden, Märtyrer kirchlich verehrt. Als vergleichbare Gruppe folgten den Märtyrern unter dem Einfluss von Klemens von Alexandrien (um 150 – um 230) bald die Confessoren (Bekenner), die wegen ihres Glaubens gefoltert und gequält wurden. Ebenso wurden zu dieser Zeit bereits zu ihren Lebzeiten Asketen und Bischöfe als Heilige verehrt. Mit Beginn des 10./11. Jahrhunderts trat die Huldigung von Reiter- und Soldatenheiligen beziehungsweise von Ritter-
und Adelsheiligen ein. Verschiedene Heiligen-Typen im Leben der Kirche wurden bald in Gruppen zusammengefasst wie zum Beispiel Nothelfer, Pestheilige, Ordensheilige, Mönche etc.[42]
Die zeitgenössische Theologie kritisiert im typisierten Heiligen-Bild vor allem jede Überbewertung des Heldenhaften und die damit verbundene Verengung des Begriffs der Heiligkeit.[43]
Vor allem als Vorbilder christlichen Lebens und als Adressaten, an die man sich um Fürbitte wendet, spielten Heilige eine wichtige Rolle. In den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts brachte die religionspädagogische Wende eine entscheidende Veränderung, denn die christlich-religiöse Verehrung der Heiligen geriet in den Hintergrund. Nun rückten die so genannten „Heiligen“ der Jugendlichen wie Stars und Idole aus Film und Fernsehen in den Mittelpunkt. In fast allen Religionsbüchern sind nur noch einige „Standardheilige“ wie zum Beispiel Franz von Assisi, Martin von Tours und Elisabeth von Thüringen, die als Heilige in „persona Christi“ angesehen werden, geblieben. Viel mehr werden jetzt die Legenden von Heiligen durch Berichte über bedeutsame Menschen aus Vergangenheit und Gegenwart verdrängt, die durch ihr Leben Menschlichkeit und damit auch Christsein zeigten. Im aktuellen Kontext wiederum lässt sich eine Tendenzänderung, die besonders durch die Schriften von Hubertus Halbfas gefördert wurde, ein neu erwachendes Verständnis für Erzählungen und Legenden erkennen. Von Tugenden im Bezug auf Heilige darf wieder gesprochen werden. [44]
Von den meisten Heiligen ist nicht viel mehr als der Name überliefert. Die vollständigste Heiligenliste ist das allgemeine Verzeichnis im 61. Band der gewaltigen Acta Sanctorum der Bollandisten, in dem etwa 20.000 Heilige genannt werden. Die Bollandisten sind der zum Jesuitenorden gehörende Herausgeberkreis der Acta Sanctorum, einem Kompendium der Heiligen der christlichen Kirche, das zwischen 1643 und 1794 erschien.
Der Katalog, der in der katholischen Kirche die größte Anerkennung genießt, ist das Martyrologium Romanum. Eine neue Ausgabe des Martyrologium Romanum, durch die vielen Selig- und Heiligsprechungen von Papst Johannes Paul II. auf rund 7.000 Einträge angewachsen, erschien im Jahr 2001.[45]