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Religionsphilosophie und Religionskritik

Ein Handbuch

VerlagSuhrkamp
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl946 Seiten
ISBN9783518740774
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis37,99 EUR


<![CDATA[<p>Michael K&uuml;hnlein ist Lehrbeauftragter f&uuml;r Philosophie an der Goethe-Universit&auml;t Frankfurt am Main.</p> ]]>

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Leseprobe

141. Platon (ca. 350 v. Chr.), Nomoi


Platon (* 427 v. Chr. in Athen oder Aigina, † 347 v. Chr. in Athen): Griechischer Philosoph mit Ausstrahlungskraft auf die gesamte Geistesgeschichte; Schöpfer der Ideenlehre und Lehrer des Aristoteles; Gründer Akademie.

I. Kontexte


Platon wurde in einer Athener Aristokratenfamilie geboren. Nach ihrem Sieg im Peloponnesischen Krieg (404) beseitigten die Spartaner die Demokratie in Athen und führten die Oligarchie, die Herrschaft der »Dreißig Tyrannen«, ein; zu ihnen gehörten ein Bruder und ein Vetter von Platons Mutter. Sie veranlassten Platon, die politische Laufbahn einzuschlagen, aber Platon wandte sich bald enttäuscht ab. 403 wurde die Demokratie wiederhergestellt. Die Hinrichtung seines Lehrers Sokrates (399) durch die neuen Machthaber ließ Platon an der politischen Reform Athens verzweifeln und zu der Auffassung kommen, Gerechtigkeit könne nur dann verwirklicht werden, wenn politische Vernunft und Macht in der Person eines Philosophenherrschers vereinigt würden. Diese Überzeugung motivierte seine politische Tätigkeit in Syrakus, die ein völliger Fehlschlag wurde. Nach der letzten dieser drei sizilischen Reisen gründete Platon in Athen eine Schule, die Akademie.

Das Spannungsfeld von Platons Philosophie ist durch vier Pole bestimmt: (a) die tradierte Religion und Moral der griechischen Polis, die ihren Ausdruck findet im Mythos, im Kult und in der im Dienst des Kultes stehenden Dichtung, die beide wiederum vom Mythos bestimmt sind; (b) die ionische Naturphilosophie, deren naturalisierende Tendenzen den Gottesbegriff des Mythos in Frage stellen; (c) die Sophistik, d. h. die Aufklärung des fünften Jahrhunderts, die der objektiven Geltung von moralischen Normen die bloße Konvention entgegenstellt; (d) die Frage des Sokrates nach der Definition oder dem Wesen der Tugenden, z. B. »Was ist Frömmigkeit?«, die voraussetzt, dass diese Namen eine objektiv geltende Norm bezeichnen und so auf eine von der sinnlich erfahrbaren unterschiedene Wirklichkeit verweisen.

15II. Werk


Die Nomoi (Gesetze), für die auch der Titel Peri nomothesias (Über die Gesetzgebung) überliefert ist, sind ein Spätwerk Platons; die Einteilung in zwölf Bücher soll von Platons Schüler Philippos aus Opous stammen. »Ist es ein Gott oder ein Mensch«, so fragt der Athener am Beginn seine beiden Gesprächspartner, »den man bei euch als Urheber der Gesetze betrachtet?« Ein Gott, so betont der Kreter, »ja ein Gott, um es ganz so zu sagen, wie es recht ist. Bei uns ist es Zeus; bei den Lakedaimoniern, wo unser Freund da herkommt, behauptet man, glaube ich, es sei Apollon« (624a). Damit ist der Kontext der Religionsproblematik genannt; es geht um das Verhältnis von Religion und Gesetz. Das ist im frühen Dialog Euthyphron das Sittengesetz; dort lautet die Frage: Ist das Fromme fromm, weil es von den Göttern geliebt wird, oder wird es von den Göttern geliebt, weil es fromm ist (10d)? Es wird geliebt, weil es fromm ist, und es ist fromm, weil es gerecht ist (11c-12d). In den Nomoi sind es die Gesetze des Staates. Ziel der Gesetzgebung ist die Tugend; sie ist die Ursache aller anderen Güter. Das Gespräch soll zeigen, dass in den Zeus und Apollon zugeschriebenen Gesetzen »alles das enthalten ist« (632d).

Die Nomoi schließen mit der Frage nach der Erhaltung der Gesetze. Wie »kann man ihnen in naturgemäßer Weise die Kraft verleihen, die sie unabänderlich macht« (960d)? Dazu braucht es ein Gremium, welches das Ziel des Staates und die dazu notwendigen Mittel erkennt. Diese »Gesetzeswächter« müssen in allen wichtigen Fragen die Wahrheit erkennen und imstande sein, sie mit Worten zu erklären; sie müssen unterscheiden, welche Handlungen ihrem Wesen nach sittlich gut sind und welche nicht. Zum Schönsten zählt das Verhältnis zu den Göttern: soweit es dem Menschen möglich ist zu erkennen, ob sie existieren und wie groß ihre Macht ist. Nur der kann Gesetzeswächter werden, der sich mit aller Kraft bemüht hat, hier zu einer völlig sicheren Überzeugung zu kommen (966c).

Platon betont den Zusammenhang von Kult und Gesetzestreue. Die Spiele der jungen Menschen haben einen großen Einfluss darauf, welche Gesetze erlassen werden und ob die Gesetze von Dauer sind. »Denn wenn ihre Ordnung so festgelegt ist, dass immer dieselben Leute auf dieselbe Weise an denselben Spielen teilnehmen und an denselben Lustbarkeiten ihre Freude haben, so gibt das auch 16den Gesetzen über ernstere Dinge einen ruhigen Fortbestand.« (797ab) Werden aber bei den Spielen ständig Neuerungen eingeführt, so hat das zur Folge, dass die Jugend das Alte verachtet und nur noch das Neue schätzt, und das ist das größte Unheil für die Staaten. »Wo im Lob und Tadel für das sittliche Verhalten ein häufiger Wechsel eintritt, ist der Schaden, glaube ich, besonders groß, und hier muss man wohl auch am vorsichtigsten sein.« (798d) Die Musik ist eine Nachahmung des menschlichen Charakters; deshalb muss man »mit jedem nur erdenklichen Mittel verhüten, dass unsere Jugend das Verlangen hat, beim Tanz oder bei der Melodie auf andere Nachahmungen auszugehen« (798e). Dafür gibt es keinen besseren Kunstgriff als den der alten Ägypter. Sie haben jeden Tanz und alle Lieder zu einer heiligen Handlung gemacht. Für die verschiedenen Götter haben sie jeweils einen Festtag bestimmt und die Lieder und Tänze dafür festgesetzt. Wer den jeweils gefeierten Gott mit anderen Liedern oder Tänzen ehrt, wird ausgeschlossen; wenn er Widerstand leistet, kann ihn jeder, der will, der Gottlosigkeit anklagen (799ab). Deshalb schlagen die drei Gesprächspartner für den zu gründenden Staat folgendes Gesetz vor: »Weder bei den öffentlich eingeführten heiligen Gesängen noch bei dem gesamten Chortanz der jungen Leute darf jemand, so wenig wie bei sonst einem Gesetz, irgendeine Änderung vornehmen, beim Singen nicht und nicht beim Tanzen.« (800a) Der Dichter, so ein weiteres Gesetz, »darf nichts schaffen, das von dem abweicht, was der Staat als gesetzmäßig und gerecht und als schön und gut anerkennt; was er aber geschaffen hat, darf er keinem gewöhnlichen Bürger zeigen, bevor es nicht den dazu eingesetzten Richtern und Gesetzwächtern gezeigt wurde und ihre Zustimmung gefunden hat« (801cd).

Der unmittelbare Kontext der Religionsphilosophie der Nomoi ist das Gesetz über Gottlosigkeit (asebeia); es bestimmt die Strafen für die Fälle, »wo jemand mit seinen Worten oder Handlungen durch das, was er sagt oder tut, gegen die Götter frevelt« (885b). Der Athener beginnt mit einem Zuspruch.

Kein Mensch, der gemäß den Gesetzen an das Dasein von Göttern glaubt, hat jemals aus freien Stücken ein gottloses Werk begangen oder eine gesetzwidrige Rede von sich gegeben, sondern das kann nur einer tun, bei dem eines von folgenden drei Dingen der Fall ist: entweder glaubt er, wie gesagt, nicht an die Götter, oder zweitens: er glaubt zwar, dass es sie gibt, nicht aber, dass sie sich um die Menschen kümmern, oder drittens: er ist 17der Meinung, sie seien durch Opfer und durch Gebete leicht zu beeinflussen. (885b)

Aber wie werden die Menschen, auf die das zutrifft und die des Frevels gegen die Götter beschuldigt werden, auf diese Anklage reagieren? Bevor ihr uns bedroht, werden sie sagen, verlangen wir von euch ausreichende Beweise,

dass es Götter gibt, die zu gut dafür sind, als dass sie sich durch Geschenke bestechen und sich von der Gerechtigkeit abwendig machen ließen. Denn das […] bekommen wir jetzt zu hören, und zwar gerade von den angeblich Besten unter den Dichtern und Rednern und Sehern und Priestern […]; aber das wirkt sich bei den meisten von uns nicht so aus, dass wir nun nichts Unrechtes mehr tun, sondern nur so, dass wir es wiedergutzumachen versuchen, nachdem wir es getan haben. Von euch Gesetzgebern […] möchten wir also ...

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